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2 - Alltag - Mara & Aron

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Sonnenschein, feiner Wind, herrliche Luft. Die Baumkronen hatten sich in den letzten Tagen rasch komplett gelb gefärbt, die Immer-Blauen Sorten stachen nun besonders hervor. Das Gras war blau, würde sich bald bordeaux-dunkel verfärben, absterben und im Frühling wieder hellgrün ausschlagen. Das war die perfekte Zeit um Schilfgras zu ernten, welches genau jetzt am meisten Mineralien enthielt.

Custa spielte am seichten Uferrand des grünen Sees, gefiel sich darin hinter Enten herzurennen, die ihr jeweils kurz vor der Nase davonflogen um ein paar Meter daneben wieder zu landen.

Mix, Boris Packpferd, das sich Aron als Reittier ausgeliehen hatte, frass sich friedlich durchs Gras am Waldrand. Zwischendurch auch mal ein paar Blätter vom Baum.

Der Wind spielte fein mit den Haaren, kräuselte angenehm. Mara zog die Luft durch die Nase, schloss die Augen. Nachher würde sie noch kurz bei Zylin, also seiner ‚Gedenkstätte’, vorbeisehen, bevor sie nach Hause ging. Die Luft duftete herrlich, die Geräusche beruhigten. Der Winter war spürbar nahe.

Autsch! So ein Mist. Das war das Letzte Mal, das sag ich dir.“ Aron hatte sich am Schilf geschnitten, schon wieder. Mara schmunzelte. Sah erst zu Rupes, dessen Umrisse weit in der Ferne ganz klein am Seeufer erkennbar waren, ging dann zu Aron um sein x-tes Wehwehchen zu begutachten.

Beide trugen braune Hosen und ein orangenes langärmeliges Oberteil. Die dunkelbraunen Jacken lagen neben den Sätteln ihrer Reittiere im Gras, etwas weiter weg. Die Kleider sahen ziemlich mitgenommen aus, weil man sich zum Schilfgras ernten, meistens ins kniehohe Wasser stellte und sich zwischen den harten, nahe beieinander wachsenden Gräsern hindurchzwängen musste, um an die nur halbhohen weiblichen Pflanzen ohne Knollen zu gelangen. Die orangenen Oberteile waren dabei hilfreich, um für Aussenstehende als nichtjagdbares Gut schnell erkannt zu werden. Zwischen den dunkelblauen Schilfgräsern leuchteten die orangenen Kleidungsstücke besonders schön heraus.

„Zeig her“ Mara griff Arons linke Hand. „Also weißt du“ sie lächelte, während sie ein Taschentuch aus dem Sack zog und es erst mit Wasser benetzte, damit das Blut abwischte, nochmals ins Wasser, ein paar Steintränen darauf und um die Hand wickelte. „Aua“ Aron wollte die Hand wegziehen, Mara hielt fest, zog den Knopf fest zusammen, damit es auch hielt. „Hatte gar nicht gewusst, dass du so ungeschickt bist.“ nun sah sie Aron in die Augen. „Das heilt schnell. Du stirbst nicht daran.“ beendete sie ironisch die Verarztung und liess Arons Hand los. Der zog sie etwas beleidig zu sich heran, drückte am Tuch herum und meinte ebenso ironisch „Damit kann ich dir morgen nun leider nicht mehr helfen bei dieser Strafarbeit hier.“ neckisch hob er seine beiden Augenbrauen und blickte zurück. Beide fingen herzhaft an zu lachen.

Es tat richtig gut. Nach all den verstörenden Geschehnissen der letzten Tage war Mara mehr als nur froh um diese Auszeit.

Nachdem Boris zum Stadtmeister ausgerufen worden und dabei nicht ums Leben gekommen war, fing es an sich in Maras Gefühlswelt zu stabilisieren. Beruhigen wäre das falsche Wort, aber sie fühlte sich nicht mehr so aufgelöst. Die Trauer um Zylins Verlust hängte jeden Tag schwer an ihrem Herzen, doch es war nicht zu ändern. Dafür war die Erleichterung über Boris ‚Weiterleben’ umso grösser gewesen. Sie war froh um Arons Gesellschaft, der ihr neben Custa half, sich aufs Hier und Jetzt zu besinnen. Sein Auge war zwar immer noch etwas geschwollen, wofür sie sich weiterhin täglich bei ihm entschuldigte, so unangenehm war der Gedanke daran. Aber es heilte und zu spüren, dass es ihm wirklich egal war, weil er bedingungslos einfach ihr Freund war, gab ihr Sicherheit.

Überhaupt fühlte sich die gesamte Gegend wohler an, seit der Stadtmeister ausgerufen worden war: Joret und die Stadtherren von Rotsand hatten endlich einen adäquaten politischen Ansprechpartner. Die Rupianer selbst trugen zwar noch viele Fragen und Probleme mit sich herum deswegen, aber noch mehr waren sie stolz und fühlten sich gut, eine ‚starke’ Persönlichkeit klar als Anführer zu wissen, der sich für sie gegen das Terra Sonnensystem einsetzte, ihre Interessen vertrat.

Und man mochte sie für verrückt halten, aber die Energie der Luft war eine völlig andere seither. Viel mächtiger, ruhiger und angenehmer, fand Mara. Ihr gefiel es eindeutig, fühlte sich ähnlich an wie in den Steinbergen früher. Auch wenn es bedeutete, dass sämtliche Elektrizität im rupianischen Tal nicht mehr funktionierte. Es gab bereits Leute, die siedelten deswegen nach Rotsand um, denn dort war alles beim Alten geblieben. Der ‚harte’ Kern allerdings blieb, es waren hauptsächlich Zugezogene, die sich für einen Umzug entschlossen hatten und wurden dafür belächelt ‚Weicheier’ und ‚typisch Zugezogene‘ hiess es.

Merkwürdigerweise hatten kurz nach Boris Ernennung die vielen schönen Verzierungen im Verwaltungsgebäude angefangen zu ‚leben’ oder so etwas. Als ob etwas angefangen hatte durch sie hindurch zu fliessen, wie Blut in Adern. Die staunenden Besucher nahmen täglich zu und Tamsane, die weiterhin die Auskunftsstelle betreute, erhielt zusätzliche Unterstützung um so eine Art ‚Touristenführungen’ zu organisieren, damit die Leute nicht unbeaufsichtigt im Gebäude herumstolperten.

Jedenfalls funktionierten die Geräte im Verwaltungsgebäude. Wobei betont werden muss, die ‚alten’ Geräte. Alles was in den letzten Jahren widerwillig neu angeschafft worden war: Funkgeräte, zusätzliche Tablets, usw. war tot. Alles andere an Computern und Gegensprechanlagen, ja sogar Jorets ungeliebter ‚Rauschfunk’ funktionierten einwandfrei.

So verhielt es sich in allen ‚alten’ Gebäuden der Stadt, die irgendwo Verzierungen an den Wänden trugen, Boris musste sie lediglich einmal berühren, die Verzierungen, um sie zum 'Leben' zu erwecken.

Die Techniker versuchten das Geheimnis zu lüften um damit weitere Geräte bauen zu können, blieben bisher erfolglos. Einer der Schlüsselträger hatte die Leitung der eigens dafür gegründeten Abteilung übernommen.

Boris selbst entpuppte sich als wahre Wundertüte, was Informationen über den Stadtmeister und seine Fähigkeiten betraf. Wie hatte das allen nur unbemerkt bleiben können? ‚Dieser Spitzbube‘ wie Esmar zu sagen pflegte und dafür jeweils ein ‚Ja Gleichfalls’ kassierte, weil sie ebenso allen verheimlicht hatte, dass ihre Familie, bzw. sie selbst eine Schlüsselträgerin war, schon seit Generationen.

Als solche hatte sie die Leitung der Patroullienwachen übernommen. Sora die internen Stadtwachen und Esmar die um die Stadt herum. Die beiden energiegeladenen forschen Frauen bildeten ein echtes Powerteam und behielten ihre Leute im Griff.

Noch nicht so ganz im Griff hatte Boris seine Fähigkeiten selbst. Wie ein Blinder bewegte er sich nach wie vor durch dieses Meer aus Energie - Lichtern. An die Lautstärke der Stimme gewöhnte er sich nur schwer, musste immer wieder nachfragen, was gerade gesagt wurde, denn er konnte noch nicht gut unterscheiden zwischen Nebengeräuschen und ‚Wichtigem’. Dass sein Gehör besser werden würde, hatte er schon gewusst, es sich nur anders vorgestellt. Seine anderen Sinneswahrnehmungen versuchte er fürs Erste einfach zu verdrängen, zu ignorieren. Er erklärte es Mara so, dass sie sich vorstellen solle, dass sie alles, was sie im Moment gerade fühlt und wahrnimmt, wirklich alles, gleichzeitig und gleichstark empfangen würde. Also sich der Zeh, der die Socke berührt, das Bein, das die Hose berührt, sich gleich ‚wichtig’ anfühlten wie die Hand, die gerade die Tasse hält. Die Luft im Haar, die Zunge im Mund, einfach alles.

Mara hatte begriffen, hatte erstaunt genickt. Mit „Wow, das ist heftig“ kommentiert und Boris hatte ergänzt „Und dazu alles andere im Tal.“ „Wie?“ „Ja, ja.“ bestätigte Boris „Ich spüre alles andere auch. Es ist wie heissen Sand in Händen zu halten und dabei zu versuchen ein einzelnes Sandkorn zu spüren. Ich hab keine Ahnung, wie ich das machen soll. Bin froh, dass ich die Tasse“ er hob dabei die Tasse an, die er hielt „nicht fallen lasse.“ dann trank er einen Schluck. „So, ich muss los.“ hatte er gesagt und die überraschte Mara in der Küche stehen gelassen.

Die Küchentür fasste er dann an wie ein rohes Ei, denn immer noch ungewohnt war ebenfalls seine ‚physische’ Kraft, die ihn beim Ausrufen, als er hatte aufstehen wollen, in die Leute katapultiert hatte. Irgendwie hatte Mara Mitleid mit Boris, traute es ihm aber zu, dass er es schon in den Griff bekommen würde. Es fragte sich nur ‚wann’.

Die Gespräche mit den Delegierten des Terra Sonnensystems, Admiral Torns und dem Regenten Bachschaum, hatten wie erwartet ein relativ schnelles Ende gefunden. Nach zwei Tagen schon verliess die Delegation Rupes wieder. Boris hatte sie weggeschickt, mit Jorets und Barras Zustimmung.

Sie hatten dem Terra Sonnensystem die Möglichkeit angeboten in Rupes oder Rotsand Botschaften einzurichten, was einem wirklichen Entgegenkommen entsprach. Würde es dem Terra Sonnensystem doch eine engere Zusammenarbeit und kontinuierliche Informationspolitik mit Steinwelten ermöglichen.

Aber einen vertraglichen Einfluss auf den Anteil an Steintränen und dessen Preispolitik zu erhalten, geschweige denn die Übernahme oder gar Regierung der Städte, Länder oder des Planeten zu übernehmen, kam nicht in Frage. Auch nicht, wenn sie damit drohten ihre Truppen zu schicken um es sich gewaltsam zu holen.

Die Freilassung der Geiseln ‚Koron und Co.’ stiess bei Joret und Barra auf keinen fruchtbaren Boden, da sie dieselben ebenso strafrechtlich verfolgten. Und Boris liess sich nicht erpressen, er meinte, das würde Koron auch nicht wollen. Worauf Torns damit drohte, dass er Boris und Koron eigenhändig in ein Loch werfen würde. Es sei ein Hohn, hier mit einem verfolgten Kriegsverbrecher verhandeln zu müssen.

Boris bat sie also zu gehen, schickte sie fort. Sie sollen es sich mit der Botschaft überlegen. Wies abschliessend darauf hin, dass sie, insbesondere ihre Truppen, sich unbefugt auf Steinwelten aufhielten. Ihr Handeln, der Angriff und die Gefangennahme von Koron und seinen Leuten seitens Rupes als kriegerischer Erstschlag gewertet würde. Es sei mehr als entgegenkommend, sie nicht gleich festzusetzen, sondern stattdessen das Gespräch zu suchen. Niemand hier hätte Interesse an Kämpfen. Aber sollten weitere Soldaten oder Angehörige des Terra Sonnensystems in Rupes oder Rotsand auftauchen, würden sie umgehend festgenommen.

Nur um Missverständnisse zu vermeiden.“ verabschiedete sich Boris höflich aber klar und schüttelte Bachschaums Hand dabei. „Natürlich“ entgegnete dieser. Er hatte verstanden. „Sie hören von uns.“ verabschiedete sich Bachschaum mit diesem immer noch viel zu freundlichen Lächeln. Während Admiral Torns grimmiger Blick offen zeigte, dass er Boris am liebsten gleich festgenommen und irgendwo in ein Loch gesperrt hätte.

Wohl die Ruhe vor dem Sturm war es, die sich in den folgenden Tagen einstellte. Alle gingen ihrem Alltag nach, warteten der Dinge die kommen. Die Wachen Rupes und Rotsands taten ihren Dienst, bereiteten sich vor, waren wachsam.

Jolara übernahm die Rolle der Haushälterin in Boris Haus, während sich Jur den Wachen unter Esmar anschloss. Kero maulte zwar erst, sagte dann aber doch zu, auf Esmars ‚Befehl’ hin, wieder die Schule zu besuchen um den Abschluss zu machen. Mara war ja da und kümmerte sich um die Apotheke, würde Kero natürlich mitarbeiten lassen, soviel er konnte. Zusammen mit Aron genoss Mara also die Ruhe und Normalität der letzten Tage.

Ich versteh immer noch nicht, was dir so plötzlich an diesem Typen gelegen hat.“ meinte Aron während sie im Wald standen, da wo Zylin gewütet hatte und schliesslich gestorben war. Nachdenklich blickte Mara auf den Boden, die Stelle war immer noch dunkler verfärbt. Das viele Blut. Sie kniete nieder, berührte mit der Handfläche den Boden. Das Dunkle war Moos, schönes weiches Moos, das durch Zylins Blut offenbar wunderbar gedieh. Es war warm. Sie liebte es, darüber zu streichen. „Ich weiss auch nicht. Eigentlich“ sagte sie, stand wieder auf. „Eigentlich fand ich ihn einen arroganten Arsch.“ Aron nickte „Allerdings“

„Aber ich glaube, eigentlich war er ganz anders.“ „Hein?“ „Weil er Wakaner war. Denke ich.“ „Was hat das denn damit zu tun?“ „Die reden einfach nicht viel. Aber ich denke, eigentlich war er im Innersten eine ganz feinfühlige Person mit grossem Herz.“ „Ah, du meinst so wie ‚harte Schale - weicher Kern’?“ „Ja, ja. So in etwa. Und ich hab’s zu spät bemerkt. Ich vermisse ihn. Ich meine“ Mara deutete auf den Platz vor ihnen „Warum sonst hätte er das für uns tun sollen? Er ist zurückgekommen um mir zu helfen. Er hat Boris und Koron geholfen. Seine Art war halt gewöhnungsbedürftig. Und wenn ich mir’s recht überlege“ sie blickte in Aron Gesicht „Ich wüsste ja nicht, wie ich mich andern gegenüber benehmen würde nach so einer Zeit im Gefängnis. Würde mit niemandem mehr zu tun haben wollen.“ sie deutete auf den Rücken „Wusstest du, dass er überall Narben hatte? Was wohl für eine Geschichte dahinter steckte.“ „Oh, jetzt kommen mir die Tränen“ unterbrach Aron sarkastisch die anfangende depressive Stimmung, auf so schwere Kost hatte er keine Lust und Mara sollte sich das nicht antun, wie er fand. Also Themawechsel!

„Was ich dich noch fragen wollte.“ fuhr er fort „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich ab morgen gerne wieder auf der Verwaltung arbeiten. Ich meine, nichts gegen“ er suchte nach Worten „ähh...Heu ernten, aber...“ Mara war amüsiert und unterbrach „Schon gut, schon gut. Ich denke, ich komm alleine klar. Und wenn nicht, weiss ich, wo ich dich finde. Vermutlich bist du dort ohnehin eine grössere Hilfe als hier.“ sie lächelte und freute sich über Arons Erleichterung.

Dann winkte sie mit dem Zeigefinger „Und übrigens hab ich’s schon gemerkt. Themawechsel und so“ Aron grinste verlegen, natürlich hatte er gewusst, dass sie es merkt. „Entschuldige, aber es wurde mir zu depressiv und“ nun deutete er mit dem Zeigefinger auf sie „und du solltest dir das auch nicht antun. Er ist tot. Ist richtig beschissen, immer. Aber es ist eine unumstössliche Tatsache und wir können es nicht mehr ändern. Ich bin ihm dankbar dafür, was er getan hat. Hätte er hier nicht aufgeräumt, hätte es Schwierigkeiten und Komplikationen ohne Ende gegeben. Es wäre nicht einmal sicher gewesen, ob Rotsand und Rupes überhaupt zusammenarbeiten.“ „Du hast Recht“ stimmte ihm Mara zu „abschliessend will ich einfach noch erwähnen: Er war gross und stark. Das hat mir schon gut gefallen. Sexy, irgendwie.“ „Hein?! Du findest ‚grüne’ Haut sexy?“ Mara lachte und verteilte Aron eine Kopfnuss „Idiot!“


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