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3 - Ansichten - Koron

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Warm, weich, bequem, beinahe schmerzfrei, nur ein leichtes Gefühl besoffen zu sein. Wie betrunken öffnete Koron langsam seine Augen und sah die hohe Decke seiner geliebten Haupthöhle. Gemurmel erfüllte den Raum. Dieses Geräusch kannte er, so klang es immer hier. Nur dass es nicht seine Leute waren, die miteinander plauderten, sondern Soldaten und Angehörige des Terra Sonnensystems. Die Fläche der Höhle war mit stabilen Trennwänden in verschiedene Räume unterteilt, vermutete er, denn er sah eigentlich nur die 4 Wände um sich herum.

Er selbst lag auf einem schmalen Bett oder einer Bahre. Hände und Füsse mit gepolsterten Fesseln fixiert. Oberteil des Bettes leicht aufgerichtet. Irgendwelche Infusionen am linken Arm, ein ‚Kabel’ in die Hüfte. ‚Verdammt, was sollte das denn?’ Und dieses weisse Hemd, vermutlich offen am Rücken, ‚och wie bescheuert!’ Die über ihn gelegte feine Decke wärmte sehr angenehm, soviel musste er zugeben. Aber dass man ihn ausgezogen, gewaschen, die Haare geschnitten und rasiert hatte gefiel ihm gar nicht, alles was recht ist, doch das ging zu weit!

Sein rechter Arm, sowie sein gebrochenes Bein waren stabil eingebunden. Auch seine Schulter. Wie eine verfluchte Mumie! Er liess den Kopf zurück aufs Kissen fallen, etwas zu ruckartig, denn plötzlich schoss ein Schmerz durch die verletzte Schulter und seine geprellten Rippen pulsierten ‚Autsch’ er kniff die Augen zusammen, biss auf die Zähne. Starrte zur Decke. Er fühlte sich alt. Nie mehr hatte er mit dem Terra Sonnensystem zu tun haben wollen. Hatte gehofft, auf Steinwelten gemütlich seinen Lebensabend friedlich verbringen zu können. Hatte bisher auch wunderbar funktioniert. Mit seiner Familie, seiner grossen Familie.

Eine ganze Weile lag er einfach so da. Sein Magen knurrte. Versuchte aus dem Gemurmel um ihn herum etwas zu verstehen. Dachte nach. Was war mit seinen Leuten? Esmar? Wie lange war er schon hier? Zum Glück hatte er Kero vorsorglich zu Boris geschickt. 'Immerhin.'

Er ärgerte sich. Hätte er diese Mistmaden einfach getötet statt gefangen zunehmen, hätten sie ihre Höhlen im Leben nicht gefunden. Dieser dumme Zufall, dass Mara in der Gegend gewesen war. 'Die blöde Kuh! Sturre Zicke. Wenn sie wüsste, was sie angerichtet hatte.' er schloss die Augen, versuchte sich zu beruhigen. 'Du Idiot!' beschimpfte er nun sich selbst 'Schäm dich!' drehte seine Gedanken um 'Hör auf Mara die Schuld zu geben! Sie kann nichts für die Terra Sonnensystem Soldaten, Mensch!' er grübelte. Schämte sich, Mara die Schuld gegeben zu haben. Zu vorschnell. Dann wieder Ärger. Emotional wie gedanklich war er völlig aufgewühlt. 'Vielleicht kamen nun alle seine Gemeinheiten auf ihn selbst zurück? - Nein! Was für ein unsinniger Gedanke.'

Ohne nachzudenken wollte er seine Hand heben um damit zu fuchteln, passend zu seinen Gedanken. Koron war jemand, der viel mit den Händen spricht.

Erbarmungslos hielten ihn die Fesseln diesmal davon ab. 'Autsch' die Fesseln hatte er für einen Moment vergessen. Seine Schulter meldete sich, die Ketten schepperten am Bett.

Die Tür quietschte. Der Grinsemann betrat Korons Abteil. „Ah, du bist wach.“ kommentarlos sah ihn Koron an, der hatte ihm gerade noch gefehlt. „Ich muss mich entschuldigen“ fuhr der Offizier fort, liess die Tür offen, stellte sich neben Korons Bett. ‚Wofür will sich der entschuldigen? Bestimmt wieder so ein Scheiss’ dachte Koron. „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.“ der junge Offizier legte seine rechte Hand auf seine Brust „Mein Name ist Ragor, Marcel Ragor Commander der Terra Sonnensystem Armee“ „Junge, ist mir echt scheiss egal wie du heisst, verdammt! Was ist mit meinen Leuten?“ Koron blickte den jungen Commander böse an, welcher ihn nur weiter überheblich angrinste.

„Dann wirst du dich mir kaum vorstellen wollen, wie ich deinen Worten entnehme.“ Koron verdrehte die Augen ‚Jetzt schwafelt der auch noch so geschwollen im Zeug herum!’

„Also“ liess sich Ragor nicht abhalten „es läuft folgendermassen, Herr Koron. War doch ihr Name?“

'Man!' der Kerl erinnerte ihn an sich selbst, das musste er ihm lassen. Koron beobachtete seinen unerwünschten Gast neben dem Bett. Fühlte sich ausgestellt. So hilflos und ausgeliefert hatte er sich in seinem gesamten Leben noch nie gefühlt. Ans Bett gefesselt! Einfach schwach und wehrlos.

"Verstehst du mich überhaupt noch?" Ragor sah erst besorgt zu Koron, kontrollierte anschliessend eine der Infusionen, vermutete, dass Koron durch die Schmerzmittel erneut einschlafen würde. Ragor sah in Korons Augen um sich zu vergewissern.

"Ja verdammt!" antwortete Koron und riss schon wieder an einer der Armfesseln 'Autsch!'. Ragor lächelte wieder "Sachte, sachte" bremste er, drückte instinktiv mit der linken Hand auf Korons Arm, den er eben hatte anheben wollen. "Lass sofort…" "Tschuldigung" sofort nahm Ragor seine Hand weg. "Tut mir leid. Also, wo war ich?" er hatte einen Moment nicht nachgedacht, das war unanständig gewesen.

"Ach ja" fuhr Ragor fort "Es läuft folgendermassen: Sven, der Arzt, der dich zusammengeflickt hat, wird dich nachher durchchecken. Bist du transportfähig, werden wir dich nach Seytang überstellen.“ „Seytang? Aquawald? Was soll der Blödsinn? Ihr habt kein Recht dazu! Ihr seid hier auf Steinwelten, vergessen?! Lasst uns gehen, aber ein bisschen plötzlich. Was sollen wir in Seytang?“ „Oh, nein, nein. Nur DU wirst nach Seytang gebracht.“ „Nur ich?“ Ragor beugte sich etwas vor, flüsterte „Jetzt komm, du verstehst schon.“ Ragor stellte sich wieder auf, neigte den Kopf und erklärte „Vorgestern Abend erhielten wir eine überraschende Meldung über die ‚Auferstehung’ eines gewissen Herrn Boris Bergsees“ Ragor hob die Schulter „der Name sagte mir nichts. Aber wir wurden angewiesen unsere Gäste zu überprüfen, die Fingerabdrücke durchs System zu jagen...“ er hob die Arme „und was denkst du, was dabei rauskam?“ „Dass du meinen Namen ganz genau kennst, du aufgeblasene Mistmade!“ Ragor hob seinen Zeigefinger „Erwischt! Aber noch viel interessanter ist, dass Seytang eine Menge Geld für dich in unsere Kasse bezahlen wird. Koron Waldmann! Einer der fünf berüchtigten Rebellionsanführer des Krieges von Aquawald. Es ist mir eine Ehre dich persönlich zu treffen. Uns wurde gesagt, ihr seid alle tot. Und nun das!“ „Leck mich am Arsch.“ war Korons Antwort.

Seytang war das nach dem Krieg auf Aquawald gegründete Terra Sonnensystem Gefängnis für Kriegsverbrecher. Es diente der Abschreckung für die Bevölkerung. Alle Gegner des Terra Sonnensystems verschwanden in diesem Gefängnis, das sich in einer ungemütlichen Sumpfgegend auf Aquawald befand. Eine Liste aller Inhaftierten wurde regelmässig der gesamten Bevölkerung veröffentlicht. Die Liste war abschliessend und listete alle lebenden sowie toten Gefangenen auf. Eine Art Trophäenliste. Koron Waldmann würde die Liste krönen.

„Du hast nach deinen Leuten gefragt“ setzte Ragor seine Ausführungen fort „die grossen und kräftigen, wie deinen Freund, du weißt schon, der Dicke" Ragor deutete mit beiden Armen etwas Grosses an "werden zusammengeflickt und in Arbeitslager verteilt. Die anderen werden euren ‚Opferstellen’ überlassen.“. Entsetzt über dieses Vorhaben versuchte Koron erneut seine Arme zu bewegen, diesem Kerl an den Hals zu gehen oder so. Aber wieder gelang es natürlich nicht. „Ihr miesen Dreckschweine! Das könnt ihr nicht tun! Tut mit mir was ihr wollt, aber lasst meine Leute am Leben! Verdammt noch mal. Was für kranke Geschwüre seid ihr?!“

Die ‚Opferstellen’ waren ein Platz, etwas weiter weg von den Höhlen, wo Koron und seine Leute jeweils die Toten für die Schwarzkrallen abgelegt hatten. Und nicht nur das, sie ketteten Verurteilte lebend dort an. Entweder sie starben in einem Eiswind oder durch die Schwarzkrallen. In den letzten 5 Jahren hatten sie so sämtliche Terra Sonnensystem Spione diesem Schicksal überlassen.

Dass nun seine eigenen Leute... Koron war der Verzweiflung nahe.

„Na na!“ Ragor lachte nicht mehr „Wir wissen sehr wohl, dass ihr unsere Leute vermutlich auf eben diese Weise habt verschwinden lassen. Also tu jetzt nicht so!“ „Du krüppeliges Etwas!“ erneut hob Ragor seine Hände „Beruhig dich. Ja?“ Koron starrte in Ragors Gesicht, der weitersprach „Wenn du allerdings mit uns kooperierst, würden wir uns bereit erklären, die Betroffenen stattdessen ebenfalls in Arbeitslagern unterzubringen. Alle. So das Angebot des Admirals.“ „Nicht in 100 Jahren!“ antwortet Koron sofort, da musste er nicht viel nachdenken. Oder? Verdammt!

Ragor nickte. „Ich werde jetzt erst einmal Sven holen, bevor du hier alle seine Bemühungen wieder zu Nichte machst.“ er betrachtete Korons Verbände, die sich allmählich vom Blut rot verfärbten, so heftig regte sich Koron auf, riss immer wieder vergeblich an seinen Fesseln. „Der Admiral wird dich danach selbst sprechen. Bis dahin“ Ragor nahm den Griff der Tür in die Hand „bis dahin kannst du es dir ja noch überlegen.“ „Wie ich es vermutet hatte! Ihr seid ein so dreckiges, hinterlistiges Hurenpack! Nicht in 100 Jahren werde ich euch helfen!“ Ragor hörte Korons Worte zwar noch, wer nicht, so laut wie er schrie, drehte sich aber nicht mehr um, sondern schloss einfach die Tür hinter sich.

Koron lag wieder alleine in seinem provisorischen Zimmer. Gefesselt an dieses verfluchte Bett. Machtlos. Ausgeliefert. Sein Herz raste. Immer wieder versuchte er seine Hände aus den Fesseln zu ziehen. „Mistdinger!“ brummelte er. Dabei bemerkte er nicht, wie sie die Tür bereits erneut öffnete. Koron erschreckte, als ihn eine deutlich ältere Männerstimme als Ragors ansprach „In meiner ganzen Laufbahn habe ich noch nie gesehen, dass sich jemand daraus hätte befreien können. Aber das Nähte aufgingen und sich hässlich entzündeten, weil Patienten nicht ruhen wollten, schon.“ der Mann deutet auf Korons Fesseln „Ich würde also lieber damit aufhören.“

Ein älterer, schlanker Mann, beinahe so alt wie Koron selbst, wie Koron schätzte, stand neben seinem Bett. Im Gegensatz zu Ragor hatte er die Tür hinter sich wieder geschlossen, sodass sie alleine waren. Der Mann trug braune Lederschuhe, dunkeltürkis farbige Hosen, darüber ein weisses T-Shirt und einen weissen Kittel, auf dessen Oberarmen das Logo des Terra Sonnensystems eingestickt war. Ein Symbol für Erde und Mond, denn da war der Ursprung und das Zentrum des Terra Sonnensystems.

Die Haare waren dabei sich von braun in weiss zu wandeln. Eine Brille und dahinter zwei müde Augen, dekoriert mit dunklen Augenringen, die nun freundlich Koron ansahen.

Koron begutachtete seinen neuen Besucher. Überall Blutflecken. Überhaupt sah der Mann so aus, als ob er schon lange nicht mehr geschlafen oder geduscht hatte. Er tat Koron beinahe leid, fühlte er sich körperlich gerade eigentlich ziemlich wohl. Schön warm, Schmerzmittel sei Dank.

„Mein Name ist Sven Yonaki. Ich bin Leiter des medizinischen Teams hier“ er deutete auf den gesamten Raum „hier in diesen Höhlen.“ dann sah er an sich herab, versuchte mit den Händen die Flecken seiner Kleidung abzuwischen „Ich muss mich für mein Aussehen entschuldigen. Aber die frischen Sachen sind ausgegangen und ich bin schon seit einer Weile nicht mehr zum Waschen gekommen. Viel zu tun.“ er hörte auf an seiner Kleidung zu rubbeln. Er strahlte eine angenehme Ruhe aus.

„Das sieht man“ knirschte Koron hervor. Sven blickte ihn fast schon überrascht an. Er hatte mit irgendeiner Beschimpfung gerechnet.

„Ja, also“ fuhr Sven fort „Ich werde“ er deutete auf die Verbände „die Verbände wechseln und auch sonst alles kontrollieren. Wenn ich darf.“ Koron schwieg. Der Kerl war so anständig. Nicht wie der überhebliche kleine Junge von vorhin. Und seine Freundlichkeit schien echt zu sein. Was für ein Kontrast!

Sven fing vorsichtig an Korons Verband am rechten Arm zu entfernen. „Koron Waldmann, mein Name.“ erstaunt sah Sven auf „Ja, ich weiss. Freut mich.“ er machte weiter.

„Wie lange war ich eigentlich weg?“ Koron sah Sven an, sah, dass Sven nachdachte „Hmm...Gute zwei Tage waren das wohl. Ich musste sie eine Weile ruhigstellen. Ihre Verletzungen sind heftig. Zum Glück sind Sie für Ihr Alter gut in Form. Muss ich schon sagen. Respekt.“

„Wie geht es den anderen? Bitte, Sie haben sie doch gesehen? Wann kann ich wieder zu ihnen?“ wollte Koron wissen. Er hatte zwei Tage verpasst! Er musste unbedingt mit ihnen reden, sehen wie es ihnen geht.

Der Verband war ab. Sven nahm das verblutete Material, ging ums Bett herum auf die andere Seite, wo ein Kästchen stand. Öffnete das Türchen, warf den Abfall in den Sack darin. Aus der Schublade, nahm er Gasen, Desinfektionsmittel und einen neuen Verband heraus. Kam zurück zu Koron. Der Unterarm war geschwollen. Fast über die gesamte Länge zog sich eine Naht, die stellenweise blutete. Sah richtig hässlich aus. Sven fing an zu reinigen.

„Hören Sie“ sagte Sven ganz ruhig „wenn ich Sie für transportfähig halte, nachdem hier. Und der Admiral mit Ihnen gesprochen hat, werde ich Sie wieder sedieren. Sie werden schnellst möglichst nach Seytang gebracht. Und wie man mir sagte, wird man Sie dort alleine in eine Zelle sperren. Sie werden keinen Kontakt mit anderen mehr erhalten. Ausser dem nötigen Betreuungspersonal, natürlich.“ er sah Koron an „Tut mir Leid, dass ich keine besseren Nachrichten überbringen kann. Persönlich halte ich das für eine zu grausame Bestrafung, die keiner verdient.“

Kalt den Rücken hinunter lief es Koron. Als ob sein Herz gerade zu Stein wurde. Das war tatsächlich die schlimmste mögliche Bestrafung! Isoliert von all seinen Freunden! Für immer! Er musste es sich selbst eingestehen, diese Vorstellung machte ihm echt Angst.

„Wie können Sie nur für solche Menschen arbeiten! Verflucht.“ platzte es aus ihm heraus. Sven musste den Arm festhalten, Koron zappelte schon wieder.

„Bitte, ruhig halten.“ bat Sven „Ich bin nicht hier um über Politik zu sprechen. Ich bin Arzt. Meine Aufgabe ist es Menschen zu helfen, zu verarzten. Und wenn Sie mich fragen, hat das Terra Sonnensystem schon vielen Menschen sehr viel Gutes getan. Ich bin schon zu vielen gekommen, die an Krankheiten litten, für die es schon lange Hilfe gibt. Sie erhielten sie allerdings erst dank des Terra Sonnensystems. Mir ist sehr bewusst, dass die Methoden des Terra Sonnensystems nicht immer sehr freundlich sind. Aber wo ist es das schon.“ er kümmerte sich weiter um Korons Wunden.

„Das Terra Sonnensystem zwingt allen seinen Willen auf. Wer nicht folgt, wird aus dem Weg geräumt. Jedes Mittel ist dafür recht. Wie sie es hier gerade versuchen. Uns geht es gut, wir brauchen keine ‚Hilfe’! Das ist alles nur verlogen. Niemand hat das Recht über jemandes freien Willen zu bestimmen.“ „Das Leben eines erzogenen Hundes ist doch ein angenehmeres, als das eines Hundes, der ständig an der Leine zieht, nicht weiss was er tun soll. Der erzogenen darf überall hin mit, der unerzogene würde stören, wird zu Hause gelassen, ausgegrenzt. Also erzieht man ihn. Und dafür muss man manchmal durchgreifen, gegen dessen Willen. Das gefällt ihm nicht immer. Aber schlussendlich geht es ihm am Ende besser. Oder?“

„Mag sein, aber soll das der Grund sein um loszurennen und gleich alle wilden Tiere gegen ihren Willen zu erziehen?! Nein, nein. Hier geht es wohl eher um ein paar wenige, die nach Geld und Macht greifen. Koste es was es wolle! Und wenn Ihnen Politik nicht wichtig ist, dann könnten Sie mich auch gehen lassen und die Politik anderen überlassen. Helfen Sie mir hier raus.“

Dieser Gedankengang war stimmig. Das musste Sven zugeben. Er stutze. Meinte dann „Sehen Sie, dass ist ein Grund, weshalb es Mundfesseln gibt.“ er lächelte „Was zum Geier gibt es da zu lachen?“ „Irgendwie bin ich erleichtert.“ „Erleichtert?!“ „Ja, erleichtert. Denn bei Ihrem Gespräch mit Marcel, also, Commander Ragor, war ich nebenan und kam nicht umhin es mitanzuhören. Nun bin ich positiv überrascht und erleichtert, dass Ihr Vokabular mehr als nur Schimpfworte und Flüche umfasst. Ich begreife sogar, weshalb man Sie aus der Gesellschaft sperren wird. Sie als ‚besonders’ systemgefährlich einstuft. Hinter Ihrer rauen Fassade verbirgt sich ein kluger Stratege mit einer unerwarteten Wortgewandtheit. Ich bin sicher, sie haben die Fähigkeit, Menschen für eine Sache zu begeistern. Schade so jemanden gegen das Terra Sonnensystem zu verlieren.“

Sven hob die Decke über Korons Bein, fing an den Verband zu öffnen. Der Verband war mehr eine Art Schiene, die in der Mitte in zwei Teile getrennt werden konnte. Zum Teil klebte das darunterliegende Gazenmaterial an der riesigen Naht, die vom Knie bis zum Fuss hinunterreichte.

„He!“ Koron zuckte, denn es zwickte, als Sven mit etwas Druck die blutenden Stellen der Naht reinigte. „Entschuldigung. Aber wenn’s geht, bitte still halten.“ bat Sven. „Was zum Teufel ist das denn?!“ fragte Koron nach, als er die Naht sah. Es sah hässlich aus. Und so schwer hatte es ihn unmöglich getroffen!

„Schien- und Wadenbein sind zerbrochen. Ich musste sie zusammenschrauben. Und das Kniegelenk hatte sich völlig verschoben. Die Sehnen sind zum Glück nicht durchgerissen, aber anständig überdehnt. Das musste ich richten. Und der Knochen, der Oberschenkel, hat einen Haarriss bis zum Gelenk. Sie dürfen es vorerst nicht belasten, sonst laufen Sie Gefahr, dass er längs zerbricht. Darum diese grosse Narbe und die Fussfesseln. Damit Sie das Bein ruhen lassen.“

„Warum flicken Sie mich überhaupt zusammen. Wenn man mich ohnehin aus dem Weg räumen wird? Krankes Gesindel, verdammt.“ stellte Koron seine nächste Frage. Sven sah Koron an und bemerkte die Angst in Korons Worten, trotz der Flucherei. Die Angst vor seiner angekündigten Zukunft, offensichtlich. „Sie haben Angst?“ „Natürlich habe ich Angst, nur ein Idiot hätte in der Situation keine Angst. Wehrlos einer beschissenen Zukunft entgegenzusehen, sich Sorgen um seine Leute zu machen, nicht zu wissen wie es ihnen geht. Ein drohender Krieg, der Freunden das Leben kosten kann und selbst hier“ er zog an den Fesseln. Sven drückte aufs Bein, hielt es fest „Bitte, nicht bewegen!“

Die beiden Männer sahen sich an. „Nur grosse Männer können offen zu Ihrer Angst stehen. Meinen Respekt.“ antwortete Sven „Und ich verstehe Sie. Nur, im Moment können Sie überhaupt nichts tun. Das Einzige jedoch, womit Sie MIR helfen könnten, wäre mit dem Admiral zu kooperieren. Denn, wie gesagt, ich bin Arzt. Sie fragten nach Ihren Leuten und ich muss gestehen, das Vorhaben 13 Ihrer Leute dem Tod zu überlassen, gefällt mir nicht. Soldaten die im Kampf fallen, gehört quasi zum Berufsrisiko. Aber Gefangene, die bereits verloren haben einfach so zu richten ist nicht richtig. Wir durften Ihre Leute alle untersuchen, soviel dazu, sie sind alle wohlauf, mehr oder weniger. Nichts Dramatisches.“ „Was soll das bedeuten ‚mehr oder weniger’?“ fragte Koron dazwischen „Die 13 Ausgewählten durften wir ‚nur’ untersuchen und mit Schmerzmitteln versorgen, ihre Verletzungen aber nicht behandeln, weil es sich ‚ohnehin’ nicht lohne. Wenn Sie Ihre Ansicht vielleicht nochmals überdenken und kooperieren würden, wäre es mir als Arzt wohler und ich und mein Team könnten die Leute behandeln, wie es sich gehört.“

„Pah! Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen?“ gab Koron zurück „Ich frage mich, wer hier eine Mundfessel verpasst kriegen sollte.“ Sven lächelte, Koron fragte nach „Wieso lachen Sie? Halten Sie sich für so viel besser?“ Sven schüttelte den Kopf „Nein, ganz und gar nicht. Und das hier ist auch nicht das erste solcher Gespräche, das ich führe. Können Sie mir glauben. Eine Antwort wie die Ihre erhalte ich allerdings nur sehr selten. Nicht viele erkennen meinen Versuch Sie zu beeinflussen auch als solchen. Und geben es sogar noch preis, dass sie es merken.“

Unterdessen hatte Sven die Wundversorgung und Kontrolle des Beins beendet. Kam nun auf die andere Seite, wechselte die sterilen Handschuhe um den Blasenkatheter zu kontrollieren. Er hob die Decke an. „Muss das sein? Verflucht nochmal. Macht mich doch einfach los und erspart mir diese Demütigung. Verdammt!“ „Tut mir leid. Nein. Bis nach Seytang wird der Katheter wohl drinbleiben müssen. Aber ich könnte warten bis ihr sediert seid, dann würdet Ihr es nicht mitbekommen.“ „So eine Scheisse!“ Koron schloss die Augen, ballte die Fäuste und liess Sven seine Arbeit tun, denn die Vorstellung, man würde an ihm herumfummeln, während er betäubt ist, gefiel ihm noch weniger.

„An Tagen wie diesen bin ich froh, Arzt zu sein. Dass ich es mir leisten kann, an meinen Ansichten einfach festzuhalten. Es hat keine Konsequenzen. Nicht so wie Sie.“

Sven wechselte nun zur Infusion an der Hüfte, die er vorsichtig anfing zu entfernen. Tat verdammt weh! Koron biss die Zähne zusammen. Wollte aber doch wissen wozu das gewesen war. Und Sven erklärte „Ein Fremdkörper hatte eine Wunde bis auf den Knochen verursacht. Wir entfernten die übriggebliebenen Teile und applizierten für 48 Stunden direkt Antibiotika und Schmerzmittel an den verletzten Knochen. Von jetzt an sollte das, was Sie über die Infusion am Arm erhalten aber ausreichen. Sieht soweit alles gut aus.“

„Wenn ich mit euch kooperiere, dann wird das zu Ungunsten der Menschen von Steinwelten sein. Die werden darunter leiden müssen. Noch mehr Tote. Wollen Sie das wirklich? Als Arzt?“ argumentierte Koron. „Oder es hilft den Konflikt schneller zu beenden und es entstünde weniger Schaden. Auch eine Möglichkeit. Finden Sie nicht?“ „Ach Scheisse! Verdammte.“ gab Koron weitere Schimpfwörter zum Besten. Seine Situation war wirklich mies. Mieser am miesesten. Mal abgesehen von seiner persönlichen Misslage, hier festgebunden, auf diesem ScheissDreckskrankenbett, ausgeliefert und wehrlos sich an allen, sogar den intimsten Stellen, anfassen lassen zu müssen, war diese, von ihm geforderte, zu treffende Entscheidung die Wahl zwischen ‚beschissen’ und ‚beschissen’. Und das ohne die Möglichkeit es mit seinen Leuten besprechen zu können wie sonst. Diese perfiden Arschlöcher wussten genau, was sie taten.

Egal wie er sich entscheiden wird, er wird sich schlecht dabei fühlen und es wird gegen Freunde sein. Er wird es sich für den Rest seines Lebens nicht verzeihen können. Wird für den Rest seines Lebens mit niemandem darüber reden können. Eine schlimmere Bestrafung konnte er sich nicht vorstellen. Sein Hass auf das Terra Sonnensystem wuchs gleichermassen wie seine Angst vor seiner nahenden Zukunft.


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