Читать книгу Macht der tiefen Gefühle - Auf der Suche nach dir Gesamtsausgabe Band 1 - 3 - Manuela Dehnert - Страница 9

Kapitel 6

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Endlich saß sie im Flieger nach Palermo – Sizilien. Es dauert nicht lange, dann war sie endlich zu Hause. Sie konnte es kaum erwarten nach den Aufregungen der letzten Monate, ihre Familie wieder in die Arme zu schließen.

Endlich ein paar aufrichtige Menschen in ihrer Nähe zu haben, die sie so liebten, wie sie war, mit all ihren Schwächen, all ihren Fehlern.

Von Palermo nach Mondello, dem ehemals kleinen Fischerort, in dem Sophia aufgewachsen war und wo ihre Familie auch heute noch lebte und ein Restaurant betrieb, war es nicht mehr weit. Man fuhr ungefähr eine viertel Stunde mit dem Auto.

Sie hatte überlegt, sich einen Wagen zu mieten. Dann wäre sie beweglicher und käme auch schnell nach Mondello. Praktisch war es auch, dann konnte sie ihn auf dem Rückweg gleich wieder am Flughafen stehen lassen und musste sich keine Gedanken machen oder jemanden bitten, sie zurückzubringen.

Heute gehörte Mondello als Randgebiet zu Palermo und war ein Badeort für Touristen geworden. Viele wohlhabende Leute hatten sich hier niedergelassen und genossen das exotischen und ganz besondere, sizilianische Flair der Vorgärten.

Jetzt merke ich, wie lange ich schon nicht mehr geflogen bin. Wie sehr hab ich das Gefühl vermisst, wenn die Maschine startet und es einen in den Sitz drückt. Ich liebe diese Art von Beschleunigung, auch wenn ich dabei immer ein mulmiges Gefühl habe. So auch diesmal, aber es war auch jedes Mal aufregend.

Von meinem Fensterplatz aus kann ich den Sonnenaufgang sehen. Schön sieht es aus, wie der Tag erwacht. Mal sehen, was er so an schönen Dingen bringt. Ich habe großen Nachholbedarf an schönen Momenten. Schlechte Momente gab es genug. Das kann doch noch nicht alles gewesen sein, was das Leben mir zu bieten hat, oder doch?


Die Maschine pendelte sich ein bei zehntausend Fuß und man merkte, dass das Flugzeug nun nicht mehr stieg. Die Anschnallsymbole waren erloschen und die Stewardessen verteilten die ersten Getränke. Schön, das mal wieder genießen zu können.

Hier oben trank sie immer gerne einen Tomatensaft. Komisch, sonst machte sie sich nicht so viel aus dem Getränk, aber hier oben bekam sie gar nicht genug davon.

Der Platz neben ihr war frei und so konnte sie es sich gemütlich machen. Sie schaute aus dem Fenster und konnte sehen, wie unter ihr nur noch die Wolken zu sehen waren.

Ab und zu konnte man durch sie hindurch auf die Erde schauen. Wie friedlich alles aussah. Sie genoss dieses Gefühl. Sie freute sich so sehr auf zu Hause und war froh, sich diese Reise gegönnt zu haben.

Als Sophia vorgestern noch mit ihrer Mama telefoniert hatte, war beiden die Vorfreude schon deutlich anzumerken.

Sophia sah aus dem kleinen Kabinenfenster und bewunderte den schönen Anblick, der sich ihr bot. Sie hatte eine tolle Aussicht und fühlte sich so vogelfrei. Das gleichmäßige Summen der Maschine machte sie etwas müde.

Hoffentlich geht mein Gepäck nicht verloren. Das fehlte gerade noch. Meiner Mama möchte ich unbedingt eine venezianische Maske mitbringen. Sie wünscht sich schon lange eine. Noch denkt sie, ich hab es vergessen. Wir haben schon lange nicht mehr darüber gesprochen. Ich bin gespannt, ob sie ihr gefällt. Hier oben kann man so herrlich träumen. Fernab vom Alltag, vom Stress, von den Sorgen. Es ist gerade so, als flöge man in eine andere Welt, an einen Ort, wo es viel schöner ist als hier.


Schon kam die Stewardess mit dem Frühstück. Es sah lecker aus. Es gab frische Brötchen und einen guten Kaffee. Das freute Sophia besonders, denn sie liebte den Geschmack von frischem Kaffee.

Dem Pärchen in der Sitzreihe neben Sophia auf der anderen Seite des Ganges ging es scheinbar genauso. Sie bestellten sich gleich noch eine zweite Tasse. Sophia musste leise in sich hineinschmunzeln.

Nach dem Frühstück machte sie es sich wieder in ihrem Sitz bequem und genoss den restlichen Flug. Ein wenig die Augen zu schließen, konnte ja nicht schaden.

Nach einer ganzen Weile erwachte Sophia. Sie hatte tatsächlich tief und fest geschlafen. Die Maschine stand bereits kurz vor dem Landeanflug. Die Flugzeit betrug nur noch eine gute halbe Stunde, dann sollte sie in Palermo landen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Zeit so schnell vergangen waren. Die restlichen Minuten genoss sie den Ausblick aus dem Kabinenfenster. So langsam kam der Erdboden wieder näher. Man konnte die Umrisse der Häuser sehen und die kleinen Boote auf dem Wasser.

Ein herrlicher Anblick – unbezahlbar. Draußen waren Sonnenschein und strahlend blauer Himmel. So hatte sie es sich gewünscht. Nun konnte gar nichts mehr schiefgehen. Sie war so aufgeregt, ihre Familie endlich wiederzusehen.


Hoffentlich fragt mir Mama kein Loch in den Bauch, aber wie ich sie kenne, wird sie das tun. Das kann was werden. Ihrem Kreuzverhör hält man nur schwer stand. Sie war schon früher immer sehr gut in solchen Dingen. Da hatte man nie eine Chance, davonzukommen.

Sie hatte immer einen Weg gefunden, die Informationen zu bekommen, die sie haben wollte.


Der Pilot schien den Autopiloten ausgeschaltet zu haben. Die Maschine flog etwas wackeliger als zuvor. Sophia mochte solche Landeanflüge.

Sie fand es sehr spannend. In solchen Augenblicken merkte sie, wie sich das Adrenalin in ihrem Körper verteilte. Sie war dann immer ganz aufgeregt und nervös und hoffte, dass alles gut ging.

Das Gefühl, nichts tun zu können, wenn wirklich eine Notsituation eintrat, versuchte sie immer, so gut es ging, zu verdrängen. Mal gelang es ihr ganz gut, mal weniger gut.

Dieses Mal ging alles glatt und die Maschine setzte zur Landung an. Wie aus dem Bilderbuch brachte der Pilot die Maschine runter auf die Landebahn. Ein tolles Gefühl. Alle Passagiere klatschten. Das fand Sophia etwas kitschig, schloss sich aber den anderen an und klatschte kräftig mit.

Einen Moment mussten die Passagiere noch auf ihren Plätzen bleiben, bis sie der Reihe nach die Maschine verlassen durften. Nun war es soweit, es war Zeit, auszusteigen und Sophia machte sich auf den Weg zum Gepäckausgabeband. Nach einer ganzen Weile rollte ihr Koffer über das Band und sie konnte ihn sich auf den Gepäckwagen stellen. Ein anderer Passagier kam ihr zu Hilfe.

Es gab doch noch freundliche und zuvorkommende Menschen. Leider war es immer schwerer geworden, sie zu finden.

Ein kurzer Blick auf die Aushängetafeln verriet ihr, wo sie eine Autovermietung finden konnte. Sie war in unmittelbarer Nähe. Nach ein paar Gehminuten war Sophia da – endlich.

Hier suchte sie sich in Ruhe einen Kleinstwagen aus – im wahrsten Sinne des Wortes – und machte sich auf den Weg nach Hause. Der kleine Fiat500 Cabriolet war eine gute Wahl für die Fahrt.

Das Wetter war herrlich und ihr Gepäck passte auf den Rücksitz. Das Verdeck ließ ihr der nette Herr von der Autovermietung noch runter, sodass sie das schöne Wetter in sich aufsaugen und den Wind um die Nase wehen lassen konnte.

Er zeigte ihr die ganzen Funktionen, die eventuell noch wichtig waren für sie, und dann konnte ihre Fahrt losgehen.

Mondello – ich komme!

Den Wagen wollte er in einer Woche hier wieder in Empfang nehmen. Besser ging es nicht. Ihre Familie hatte nur ein Auto und ihre Brüder fuhren jeder eine Vespa.

Sophias Papa half ihrer Mama im Restaurant. Sie konnten sie nicht abholen. Also hatte sie gesagt, sie käme schon irgendwie zu ihnen.

Sie ließ sich den Wind um die Nase wehen und genoss die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Wie sagte man immer so schön? Zu Hause war das Gras grüner als woanders und die Luft war sauberer als sonst irgendwo auf der Welt.

Zu Hause war eben zu Hause. Das konnte man nicht ersetzen. Sophias Großmutter hatte immer gesagt: Zuhause ist da, wo dein Herz wohnt, mein Kind.

Wie recht sie damit hatte.


Nach einer guten halben Stunde Fahrt sah Sophia das Ortsschild von Mondello und ein kleiner Schrei kam über ihre Lippen. Die Freude war grenzenlos, als sie den Monte Pellegrino von hier aus sehen konnte, den beeindruckenden Berg inmitten des Naturschutzgebietes.

Wie oft waren sie früher in den unzähligen Marine- Grotten unterwegs gewesen. Sophia fragte sich, ob der lange Sandstrand hinter dem Berg sehr überlaufen war von Touristen. Das wollte sie sich in den nächsten Tagen anschauen.

Sie setzte ihre Fahrt fort und war in ein paar Hundert Metern endlich zu Hause angekommen. Da noch niemand da war und auf ihr Klingeln niemand öffnete, beschloss sie, hinunter zum Strand zu gehen und sich ein wenig zu erholen von den Strapazen der Reise.

Schnell schrieb sie einen Zettel und nahm die Badesachen aus dem Auto und dann konnte es losgehen.

Hallo Ihr Lieben.

Ich bin etwas früh dran. Ihr findet mich unten in der kleinen Bucht am Strand. Ich kann es kaum erwarten, Euch alle wiederzusehen.

Eure Sophia


Jetzt schob sie den Zettel unter der Tür durch und dann war sie so weit. In wenigen Metern war sie am Strand.

In der naturbelassenen Bucht hatte sich viel verändert. Als Erstes fiel ihre Aufmerksamkeit auf eine Segelschule. Viele kleine Boote lagen hier festgemacht im Wasser.


Ob ich in den nächsten Tagen Gelegenheit haben werde, eine Bootstour zu machen, so wie früher? Das wäre toll.


Sophia breitete ihr Handtuch im Sand aus, der sich ganz warm anfühlte unter ihren nackten Füßen. Sie legte sich hin, schloss für einen Moment die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Zufrieden lächelnd schaute sich um.

Wie schön es war, endlich wieder hier sein zu können. Hier konnte sie mit Sicherheit ein paar Tage entspannen. Die Pflanzenwelt in der Gegend war umwerfend. Es passte einfach alles perfekt zusammen.

Eine richtige Gartenstadt war der Ort geworden. Das milde Klima, auch im Winter, hatte viele Touristen angelockt. Sie verbrachten gerne ihre Zeit in Mondello.

Am Strand hatte sich viel verändert. Es hatte sich viel getan. Man konnte sogar tauchen lernen.

Tauchen – wenn sie nicht solche Angst vor der Tiefe hätte, würde sie es auch mal versuchen. Aber wer hatte schon die Geduld, es ihr beizubringen, ohne zu verzweifeln. Sie war mittlerweile sehr skeptisch geworden, was tiefes Wasser betraf. Dennoch wollte Sophia so gerne einmal sehen, was da unten alles lebte. Als Kinder hatten sie es schon mit Schnorcheln versucht.

Sie wollten die Unterwasserwelt der Bucht erkunden. Dabei wäre sie fast ertrunken. Seitdem war sie vorsichtig geworden mit solchen Experimenten.

Die Sonne war herrlich. Sacht spürte sie den Wind auf ihrer Haut. Das Meer sah toll aus mit den vielen kleinen Booten.

Die Bucht war zwar heute schon von einigen Touristen besucht worden, aber noch lief der Strand nicht über. Das war gut.

Plötzlich bemerkte sie ein Schild, auf dem stand in großen weißen, geschwungenen Buchstaben: Disaronno Splash.

Kaum hatte sie dies gelesen, bekam sie auch schon Durst. Den hatte sie eine halbe Ewigkeit nicht mehr getrunken. Sie hatte beschlossen, sich an dem Stand einen solchen Cocktail zu holen. Die Mischung aus Amaretto, Orangensaft und Eis war eine tolle Erfrischung. Genau das Richtige bei der Hitze.

»Hi. Ich nehme einen Disaronno Splash.«

»Hi. Aber gerne. Ganz alleine unterwegs?«, fragte der Verkäufer.

»Ja, im Moment noch. Ich besuche meine Familie.«

»Ah, du kommst aus der Gegend, schön.«

»Ja, ich war eine ganze Weile nicht mehr hier. Viel zu lange, wie ich festgestellt habe.«

Der Verkäufer lachte.

»Dann wird es ja Zeit. Wie lange bleibst du denn?«

»Eine Woche.«

»Vielleicht sieht man sich und dann können wir etwas gemeinsam unternehmen. Vielleicht mit dem Boot zu den Grotten fahren.«

»Boot fahren hatte ich sowieso vor. Das klingt gut. Wie heißt du eigentlich?«

»Giuseppe.«

»Hallo Giuseppe. Ich bin Sophia. Meinen Eltern gehört ein kleines Lokal in der Nähe der Mondello Bay. Ja, vielleicht sieht man sich. Ich würde mich freuen.«

»Sagen wir Mittwoch hier am Strand, um neun Uhr?«

»Okay, warum nicht? Mittwoch hier am Strand, neun Uhr. Dann habe ich auch schon ein bisschen Zeit mit meiner Familie verbracht. Das lässt sich einrichten. Ich freue mich. Bis später.«

»Ja bis später. Ciao Sophia.«

»Ciao.«

Sie schmunzelte.

Kaum bin ich hier, habe ich eine Verabredung. Aber warum eigentlich nicht? Er ist sehr sympathisch. Außerdem möchte ich auch nicht alleine zu den Grotten segeln. Es ist schon besser, wenn noch jemand dabei ist. Vielleicht kommt noch jemand von meiner Familie mit.


Sophia nahm den Cocktail und ging wieder zu ihrem Handtuch. Wie war das lecker. Er schmeckte fantastisch. Sie leerte das Glas zur Hälfte in nur einem Zug.

Sie war nur wenige Minuten später zurück gewesen auf ihrem Handtuch, da tippte ihr von hinten jemand vorsichtig auf die Schulter.

Sophia drehte sich erschrocken um. Sie sah ihren ältesten Bruder, Vincenzo.

»Vincenzo«, kreischte Sophia los und hatte Mühe, so schnell aufzustehen, um ihm in die Arme zu fallen. Es gelang ihr dann doch und die Freude war auf beiden Seiten überwältigend.

»Sophia. Du bist ja schon da, endlich. Wir haben dich erst heute Nachmittag erwartet. Ich war gerade zufällig zu Hause. Aber wenn das so ist und du schon hier bist, muss ich nur einen Anruf machen und dann hab ich Zeit für dich. Schön, dass du da bist.«

»Vincenzo, gut siehst du aus, wow. Wie geht es den anderen?«

»Gut Sophia. Sie freuen sich alle auf dich. Warte, ich telefoniere und dann können wir gehen.«

»Gut.«

Sophia trank den Rest ihres Cocktails, genoss den frischen Geschmack und packte dann das mitgebrachte Handtuch mit den anderen Utensilien wieder in ihre Tasche.

Die neue Sonnenbrille, die sie sich noch am Flughafen von Palermo gekauft hatte, durfte nicht fehlen, ebenso wie der Sonnenhut, den sie trug.

Sie band sich einen Pareo um die Hüften und legte die übrigen Kleidungsstücke mit zu den anderen Sachen in ihre Tasche. Bis zum Auto konnte sie in Badesachen laufen. Das war jetzt unwichtig.

Da war Sophia ganz unkompliziert. Vincenzo war nach einigen Momenten zurück und hatte Zeit für sie.

Sie gingen den Weg gemeinsam zum Haus ihrer Eltern.

Dort angekommen konnte das Gepäck entladen werden, welches immer noch auf dem Rücksitz des Cabriolets auf Sophia wartete.

»Oh, was hast du denn alles eingepackt? Der ist ja schwer. Das hast du immer noch nicht verlernt«, lachte Vincenzo, als er den schweren Koffer aus dem Auto holte.

»Das Auto kannst du in der Garage parken. Da ist noch Platz. Mama und Papa sind in einer guten Stunde hier. Sie müssen nur noch das Wichtigste regeln. Wir können aber auch essen gehen bei ihnen im Lokal, wenn wir wollen.«

»Ach Vincenzo. Ich bleibe doch eine ganze Woche. Da muss ich auch etwas Gepäck mitnehmen«, gab Sophia lachend zurück.

»Ich würde gerne ins Lokal gehen und eine Kleinigkeit essen. Ich bin ganz schön hungrig nach der Reise. Es gab zwar ein kleines Frühstück an Bord, aber mehr habe ich heute noch nicht gegessen.«

»Okay, dann sag mir nur, wann wir loswollen.«

»Ich möchte mich etwas frisch machen und umziehen. Dann können wir los, wenn du magst.«

»Okay. Du kannst aber auch auspacken vorher wenn du möchtest.«

»Nein, das mache ich später«, sagte sie und ging ins Badezimmer.

Im Haus selbst hatte sich seit ihrem letzten Besuch nicht viel verändert. Alles war so geblieben, wie sie es kannte, hell, Licht durchflutet und schön eingerichtet im mediterranen Stil. Sie liebte es, genau wie ihre Mutter.

»Fertig, Vincenzo.«

»Wow, du siehst toll aus.«

»Lass uns gehen.«

Sie beschlossen, den Weg zum Restaurant zu Fuß zurückzulegen und sich die Beine zu vertreten.

»Vincenzo, was machst du so? Geht es dir gut?«

»Ja, mir geht es gut. Ich bin hin und wieder mit im Restaurant eingespannt. Ansonsten arbeite ich seit ein paar Monaten in der Segelschule.«

»Das ist ja toll. Wird sie gut besucht?«

»Ja, wir können nicht klagen. Wie ist es dir ergangen Sophia? Du bist alleine gekommen. Wo ist denn Alessandro? Hat er keinen Urlaub bekommen?«

»Vincenzo, das ist eine lange, traurige Geschichte. Alessandro hat es vorgezogen sich in jemand anderes zu verlieben und hat sich aus dem Staub gemacht.«

»Das tut mir leid. Das wusste ich nicht. Wie geht es dir damit?«

»Ich habe seitdem noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt. Das ist jetzt drei Monate her.«

»Das war doch sicherlich nicht so einfach für dich, nach allem, was passiert ist.«

»Ich denke jeden Tag an ihn, aber ich versuche, ihn zu vergessen und nach vorne zu schauen. Vor ein paar Wochen hatte ich dann plötzlich die Idee, als ich einen Reisekatalog in der Hand hielt, mir eine Auszeit zu gönnen und ein paar Wochen wegzufahren.«

»Das ist eine gute Idee. Da hast du beschlossen, mal wieder deine liebe alte Familie zu besuchen. Du bleibst also eine ganze Woche. Ich kann es noch gar nicht glauben. Du bist wirklich hier.«

»Ja, eine ganze Woche. Und dann geht es zurück nach Venedig. Ich erfülle mir endlich einen Traum. Es geht dann gleich weiter für vier Wochen in die Karibik. Dominikanische Republik. Du weißt doch, da wollte ich immer hin.«

»Das ist toll. Schön, dass du endlich mal an dich denkst und daran, was gut für dich ist. So gefällst du mir schon viel besser. Ich konnte damals kaum mit ansehen, wie sehr du darunter gelitten hast, dass sich… nun ja, dass… Hast du je wieder etwas von ihm gehört?«

»Nein, nie wieder«, antwortete Sophia etwas melancholisch und versank für einen Moment in Gedanken an ihn.

»Schau, wir sind schon da«, holte Vincenzo sie zurück ins Jetzt »Es gibt typisch italienische Spezialitäten. Auf der neuen Terrasse kann man den Sternenhimmel sehen, wenn man ein bisschen entspannen möchte.«

»Perfekt, lass uns reingehen.«

Kaum im Lokal angekommen, begrüßte sie auch schon der Rest der Familie, Mama, Papa und Mauro. Die ganze Familie hatte sich versammelt.

Giulia und Anna waren auch da. Giulia lief gleich auf Sophia zu und fiel ihr um den Hals. Sie war inzwischen Vincenzos Frau. Die beiden waren unzertrennlich, seit vielen Jahren schon.

Damals auf der Hochzeit von Vincenzo und Giulia vor elf Jahren hatten sich Stefano und Sophia geschworen, immer füreinander da zu sein und sich niemals allein zu lassen. Umso schmerzlicher für Sophia, jetzt wieder daran erinnert zu werden.

Was man sich als Teenager alles so sorglos verspricht … Doch dann war alles anders gekommen, als man gedacht hatte.

Die ganze Familie redete durcheinander auf Sophia ein.

Papa Adriano ergriff das Wort, nachdem er merkte, dass Sophia von dem großen Empfang ganz überwältigt war.

»Schön mein Kind, dass du wieder bei uns bist. Setz dich doch!«

Die Familie richtete schnell einen der Tische her. Sophia erzählte von ihrem Flug und dem Entschluss, sich einen langersehnten Traum zu erfüllen und ein paar Wochen Urlaub in der Karibik zu machen.

Noch ahnte sie nicht, dass dies ihr Leben völlig auf den Kopf stellen sollte.

»Sophia, du siehst schmal aus. Geht es dir nicht gut? Ist es anstrengend in Venedig?«

»Es geht eigentlich. Die Arbeit in dem kleinen Reisebüro macht mir sehr viel Spaß. Aber du weißt ja, Mama, Alessandro und ich sind seit drei Monaten kein Paar mehr. Leider habe ich gestern noch eine unschöne Neuigkeit erfahren, die ich lieber nicht gewusst hätte, jedenfalls nicht auf diese Art und Weise.«

»Erzähl, was denn?«

»Alessandro ist jetzt mit Maria zusammen. Ihr wisst schon, meine beste Freundin. Schon schlimm genug, dass es meine beste Freundin ist, aber ich muss jeden Tag mit ihr zusammenarbeiten. Das ist die Hölle für mich seit ich es weiß. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich den beiden das jemals verzeihen kann und ein normales Miteinander überhaupt möglich ist.«

»Ja, das ist in der Tat schwierig. Kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber jetzt bist du hier und mit der Zeit kommst du schon auf andere Gedanken. Du bist noch jung. Genieße dein Leben. Du hast nur das eine. Irgendwo wird der Richtige, der dich auf Händen trägt und zu schätzen weiß, schon auf dich warten« sagte Mama Alisa.

Glaubt Mama wirklich, was sie da sagt?, dachte Sophia.

»Doch jetzt wollen wir kein Trübsal blasen. Lasst uns was essen« erwiderte Papa Adriano.

»Mauro, schön dich auch hier zu sehen. Wie ich gehört habe, arbeitest du fest mit im Restaurant und unterstützt unsere Eltern?«

»Ja, alleine schaffen sie das nicht alles. Sie werden immer älter, obwohl sie noch fit sind. Aber ich habe sowieso etwas Neues gesucht und Anna ist hier Kellnerin. Da bin ich geblieben. Wir wollen heiraten.«

»Das ist eine tolle Überraschung. Schön«, sagte Sophia und auch alle anderen waren überrascht, denn das hatte bisher noch niemand gewusst.

»Wieso habt ihr denn nicht schon früher etwas gesagt?«, fragte Papa Adriano.

»Wir haben auf den passenden Moment gewartet«, lachten Mauro und Anna und gaben sich einen Kuss.

»Na der war wohl gerade«, gab Vincenzo zum Besten.

»Ich habe Pasta con finocchio e sarde gemacht. Typisch sizilianische Suppe ist auch da, wenn ihr wollt. Anna komm mal mit in die Küche. Wir stellen einfach eine kleine ausgesuchte Auswahl auf den Tisch.«

Sie war begeistert.

Beim Essen plauderte man über die Pläne für die nächste Woche und was man alles gemeinsam unternehmen wollte. Nach dem Essen wandte sich Adriano an Vincenzo.

»Vincenzo, geh doch mit allen schon nach Hause. Ich mache nur noch ein paar Kleinigkeiten fertig und komme dann nach.«

»Okay Papa, mach ich. Lasst uns nach Hause gehen. Unser Papa kommt nach. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten und den Rest des Tages im Garten verbringen. Papa kann euch den selbstgemachten Wein bringen«, lachte Vincenzo.

Sophia war froh, endlich dem Alltag entfliehen zu können. Sie wurde gut aufgenommen, obwohl sie lange nicht zu Hause gewesen war.

Als alle im Haus ihrer Eltern angekommen waren, verteilte sie die Geschenke, die sie für jeden mitgebracht hatte. Ihre Mutter freute sich besonders über die venezianische Maske.

Damit hatte sie voll ins Schwarze getroffen. Hatte sie doch tatsächlich geglaubt, sie hätte es mit der Zeit vergessen und im Trubel nicht mehr daran gedacht. Da kannte sie Sophia aber schlecht. Sophia liebte Details und konnte sich solche kleinen Bemerkungen, die sie zwischendurch irgendwann als geäußerten Wunsch oder Bitte aufschnappte, sehr gut merken. Das hatte sie wohl von ihrer Großmutter. Sie war früher auch so gewesen.

Macht der tiefen Gefühle - Auf der Suche nach dir Gesamtsausgabe Band 1 - 3

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