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TIERE UND MENSCHEN Geteilte Gefühle, geteilte Leben

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Tierische Emotionen sind für sich genommen von großer Wichtigkeit, doch allein schon die Anwesenheit von Tieren – mit ihren frei geäußerten Emotionen und ihrer Empathie – ist für das menschliche Wohlbefinden von großer Bedeutung. Die Gefühle von Tieren sollten uns wichtig sein, denn wir brauchen sie in unserem Leben. Sie helfen uns. Wir werden deshalb so von ihnen angezogen, weil sie Emotionen haben; in Ermangelung einer gemeinsamen Sprache stellen Emotionen wahrscheinlich sogar unser effektivstes Mittel zur Kommunikation über die Artengrenzen hinweg dar. Wir können unsere Emotionen mit anderen Lebewesen teilen, wir können die Sprache der Gefühle verstehen und das ist der Grund, weshalb wir tiefe und dauerhafte Bindungen mit anderen Lebewesen eingehen. Emotionen sind der Kitt, der uns aneinander bindet. Sie katalysieren und regulieren soziale Handlungen bei Tieren und Menschen.

Das Buch Heilende Haustiere des Tierarztes Marty Becker zeigt, auf welche Art und Weise Haustiere Menschen gesund und glücklich machen können – sie unterstützen die Heilung einsamer Menschen in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Schulen. In dem Buch Kindred Spirits zeigt der holistische Veterinärmediziner Allen Schoen 14 konkrete Beispiele auf, in denen die Beziehung zwischen tierischen Gefährten und Menschen eine Stressreduzierung ermöglichte. Dazu gehören die Senkung des Blutdrucks, die Steigerung der Selbstachtung bei Kindern und Erwachsenen, das Erhöhen der Überlebensrate von Patienten nach Herzinfarkt, die Verbesserung des Lebens von Senioren, die Hilfe bei der Entwicklung einer humanen Einstellung bei Kindern, das Bieten einer gewissen emotionalen Stabilität für Pflegekinder, die Reduzierung der Arztbesuche wegen kleinerer Probleme bei Medicare-Patienten sowie die Verringerung der Einsamkeit bei Vorpubertierenden. Und Michelle Rivera erzählt in ihrem Buch Hospice Hounds zahlreiche Geschichten, wie Hunde und Katzen Menschen helfen können, die im Sterben liegen.

Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass der Besuch eines freundlichen Welpen eine gute Medizin für ein krankes Herz darstellen kann [17]. Bei einer Zufallsstudie an 76 stationär behandelten Herzpatienten fanden Forscher der UCLA heraus, dass die Angstgefühle bei Patienten, die mit Hunden gleich welcher Rasse interagierten, um durchschnittlich 24% abnahmen. Die Hunde lagen für 12 Minuten auf den Betten der Patienten, während diese die Hunde einfach streichelten und hinter den Ohren kraulten. „Diese Studie demonstriert, dass bereits die kurzzeitige Anwesenheit eines Hundes vorteilhafte physiologische und psychologische Auswirkungen auf den Patienten hat, der diesen Kontakt wünscht“, sagte Kathie Cole, eine Krankenschwester am UCLA Medical Center.

Ähnliches zeigt sich in meinem Heimatstaat. Im Frauengefängnis von Colorado leben die Insassinnen mit Hunden, die ansonsten im örtlichen Tierheim eingeschläfert worden wären, und sorgen für sie. Die gemeinsamen Spaziergänge, das Kämmen und Umsorgen, ja selbst das zusätzliche Saubermachen ist für jeden der Beteiligten unglaublich lohnend und vorteilhaft – für die Insassinnen, die Hunde und die Gefängnisangestellten.

Berichte von Begegnungen zwischen wild lebenden Tieren und Menschen – und andere artübergreifende Beziehungen – bestätigen die Ergebnisse dieser Studien. Löwen sind herrliche und kraftvolle Raubtiere, und doch zeigen sie auf unerwartete Weise Mitgefühl, Sympathie und Empathie. Zum Beispiel retteten drei Löwen in Äthiopien ein zwölf Jahre altes Mädchen vor einer Bande, die sie entführt hatte [18]. Sergeant Wondimu Wedajo sagte: „Sie standen Wache, bis wir sie gefunden hatten, ließen sie dann einfach wie ein Geschenk an uns zurück und verschwanden wieder im Wald.“ Stuart Williams, ein Wildtier-Experte des Ministeriums für Landentwicklung in Äthiopien, meinte, dass das junge Mädchen gerettet worden war, weil es wegen des Traumas, das es erlebt hatte, weinte. Williams erklärte: „Das Wimmern eines jungen Mädchens könnte mit dem miauenden Geräusch eines Löwenwelpen verwechselt werden, was wiederum erklärt, weshalb [die Löwen] sie nicht gefressen haben. Andernfalls hätten sie es wahrscheinlich getan.“ Drei der vier Kidnapper wurden schließlich gefasst.

In einem von vielen Berichten über Delfine, die Menschen auf See helfen, kreiste in Neuseeland eine Gruppe Delfine schützend um eine Gruppe von Schwimmern, um den Angriff eines großen weißen Hais abzuwehren [19]. „Sie begannen, uns zusammenzutreiben. Sie drückten uns alle vier zusammen, indem sie enge Kreise um uns zogen“, erzählte Rob Howes, einer der Schwimmer. Anhand solcher Berichte erkennen wir, dass die empathische Präsenz von Tieren eine direkte Auswirkung auf unser Wohlergehen und sogar auf unser Überleben haben kann.

Wenn es auch seltsam scheint, dass Tiere von ihrem üblichen Verhalten abweichen, um sich um uns zu kümmern, so ist das nur die halbe Geschichte. Manche der Beziehungen, die Tiere eingehen, sind sagenhaft unwahrscheinlich – zum Beispiel adoptierte im Samburu Reservat im Norden Kenias eine Löwin in fünf verschiedenen Fällen Oryx-Antilopenbabys [20], üblicherweise eine beliebte Mahlzeit von Löwen. Und im Mutsugoro Okoku Zoo in Tokio freundete sich Aochan, die Schwarze Erdnatter, mit dem Zwerghamster Gohan an. Der Hamster wurde ihr eigentlich als Mahlzeit angeboten [21]; Aochan hatte gefrorene Mäuse als Futter abgelehnt und die Zoowärter waren davon ausgegangen, der Hamster würde appetitlicher sein. Aochan weigerte sich jedoch, das Tier zu fressen, und schien es vorzuziehen, den Käfig mit der Hamsterdame zu teilen. Nun macht Gohan sogar ein Nickerchen auf dem Rücken der Schlange. Und obwohl Aochan begonnen hat, gefrorene Nager zu fressen, zeigt er noch immer keine Neigung, seine Freundin zu verspeisen. Kazuya Yamamoto, ein Zoowärter, sagte: „Aochan scheint Gohans Gesellschaft sehr zu genießen.“

Und was machen wir aus der folgenden Fisch-Geschichte? Mary und Dan Heath behaupten, ihre erwachsene Golden Retriever-Hündin Chino sei eng mit dem knapp 40 cm langen Koi Falstaff befreundet [22]. Seit sechs Jahren trifft sich das Pärchen regelmäßig am Rand des Teiches, in dem Falstaff lebt. Jeden Tag, wenn Chino dort hinkommt, schwimmt Falstaff zur Begrüßung an die Oberfläche und knabbert an Chinos Pfoten. Wenn Falstaff dies tut, starrt Chino mit einem neugierigen und verwunderten Ausdruck im Gesicht nach unten. Ihre enge Freundschaft ist außergewöhnlich und bezaubernd – und eine machtvolle Demonstration dessen, wie wichtig der Kontakt mit anderen Wesen wirklich ist.

Ich kann selbst viele Geschichten erzählen, die dies ebenfalls veranschaulichen. Zwei davon, die mit meinem langjährigen Hundegefährten Jethro zu tun haben, möchte ich mit Ihnen teilen. Eines Tages, als Jethro ungefähr zwei Jahre alt war, rannte er nach dem Spielen im Hof zur Vordertür und wartete darauf, hineingelassen zu werden. Als er da saß, bemerkte ich ein kleines, pelziges Etwas in seinem Maul. Meine erste Reaktion war: „Oh nein, er hat einen Vogel getötet.“ Doch als ich die Tür öffnete, ließ Jethro ein sehr junges, sehr lebendiges Häschen vor meine Füße fallen – klatschnass von seinem Speichel. Ich konnte zwar keinerlei Verletzungen entdecken, doch ich beschloss, das Häschen bei mir zu behalten, bis ich sicher sein konnte, dass es in der Lage war, eigenständig zu überleben. Ich nannte die Kleine Bunny und nahm an, ihre Mutter war abhanden gekommen, vermutlich von einem Kojoten, Rotfuchs oder Berglöwen gefressen worden. Jethro schaute mit großen Augen zu mir auf, ganz offensichtlich in Erwartung eines Lobes dafür, dass er dem Häschen so ein guter Freund war. Dies erhielt er natürlich durch ein Streicheln seines Kopfes und ein Kraulen seines Bauchs.

Als ich eine Kiste, eine Decke und Futter für Bunny zusammensuchte, wurde Jethro ganz aufgeregt. Er versuchte, sie mir aus den Händen zu schnappen, jaulte, folgte mir auf Schritt und Tritt und beobachtete jede meiner Bewegungen. Als ich den Raum mit der Kiste verlassen musste, rief ich Jethro, mitzukommen, doch er wollte die Kiste nicht alleine lassen. Ich dachte, er würde versuchen, sich Bunny oder das Futter zu schnappen, doch das tat er nie; er stand stundenlang da und beobachtete fasziniert, wie das kleine Fellbündel versuchte, sich langsam in seinem neuen Zuhause zu orientieren. Jethro schlief sogar neben Bunny und in den zwei Wochen, in denen ich sie gesundpflegte, tat Jethro ihr nicht ein Mal weh. Tatsächlich hatte Jethro Bunny adoptiert und all seine Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, dass ihr niemand etwas tat. Selbst als der Tag gekommen war, um Bunny wieder in die Freiheit zu entlassen, damit sie ihr Leben als frei lebender Hase beginnen konnte, beobachtete Jethro sie einfach nur dabei, wie sie vorsichtig herumschnupperte und schließlich langsam davon hoppelte.

Neun Jahre später kam Jethro erneut mit einem nassen Tier im Maul zu mir gerannt. Hm, fragte ich mich, ein weiteres Häschen? Dieses Mal entpuppte sich das nasse Bündel als Jungvogel, der von einem Flug gegen eine Fensterscheibe betäubt war. Ich hielt ihn einige Minuten in der Hand, bis seine Sinne zurückzukehren begannen. Jethro, seiner selbst treu, beobachtete jede Bewegung. Als ich dachte, der Vogel könne wieder fliegen, setzte ich ihn auf das Verandageländer. Jethro näherte sich ihm, schnupperte, trat zurück und beobachtete, wie er davon flog. Jethro liebte andere Tiere und er rettete zwei vor dem Tod. Er hätte beide ohne große Mühe fressen können. Doch das tut man seinen Freunden nicht an.

Wenn Tiere ihre Gefühle zum Ausdruck bringen, fließen sie aus ihnen heraus wie Wasser aus einer Quelle. Die Emotionen von Tieren sind rein, ungefiltert und unkontrolliert. Ihre Freude ist die reinste und ansteckendste Freude und ihre Trauer die tiefste und überwältigendste Trauer überhaupt. Ihre Leidenschaft zwingt uns vor Freude und Sorge in die Knie. Würden Tiere ihre Gefühle nicht zeigen, würden Menschen wahrscheinlich keine Bindungen mit ihnen eingehen. Wir entwickeln enge Beziehungen zu unseren Haustieren und dies nicht nur wegen unserer eigenen emotionalen Bedürfnisse, sondern auch, weil wir ihre erkennen. Als ein Bewohner der Ausläufer der Rocky Mountains liebe ich felsige Landschaften, Flüsse und Bäche, doch ihnen fühle ich mich nicht so nah, wie ich mich tierischen Lebewesen nahe fühle. Ich glaube, das liegt daran, dass Landschaften und Wasserläufe keine Gefühle oder Ansichten haben – sie sind, im Gegensatz zu Tieren, nicht empfindungsfähig.

Geteilte Emotionen und ihre Kraft, anzuziehen und zu verbinden [23], sind verantwortlich für die Milliarden Dollar schwere Haustier-Industrie dieses Landes [24]. Mehr als 60% aller Haushalte der Vereinigten Staaten halten mindestens ein Haustier und mehr als 55% haben einen Hund oder eine Katze. Doch die Vielfalt der Tiere, die als Haustiere gehalten werden, vor allem weltweit, ist erstaunlich. Dazu gehören Nagetiere, Vögel, Fische, Amphibien, Reptilien, Insekten, Spinnen, Wirbellose und viele mehr. Rund 20% der Haushalte haben einen Vogel und mehr als 600 Millionen Fische werden jedes Jahr an Aquarianer verkauft. Sowohl in den Vereinigten Staaten wie auch in Großbritannien wächst die Anzahl der Haustiere.

Eine besondere Beziehung gehen dabei Kinder und Haustiere ein. Im Rahmen von Jane Goodalls Roots & Shoots Programm [25] (Wurzeln & Keime) arbeite ich mit Kindern. Ziel des Programmes ist es, Kinder dazu anzuregen, Respekt gegenüber Tieren, Menschen und der Umwelt zu entwickeln. Das ist nicht schwierig; Kinder sind neugierige Naturforscher, die schnell mit allen möglichen Lebewesen Bindungen eingehen. Kinder gehören außerdem zu den besten Beispielen für den starken Einfluss tierischer Emotionen und Empathie auf das Leben von Menschen. Mehr als 75% der Kinder in den Vereinigten Staaten leben mit Haustieren und es ist wahrscheinlicher, dass Kinder mit einem Haustier aufwachsen als mit beiden Elternteilen. Amerikanische Jungs werden wahrscheinlich eher für ein Haustier als für ältere Verwandte oder jüngere Geschwister sorgen. Eine große Mehrheit von Kindern bezeichnet ihre Haustiere als „Familie“ oder „besondere Freunde“ und „Vertraute“. Und mehr als 80% bezeichnen sich selbst als Mütter oder Väter ihrer Haustiere. Sollten sie auf einer einsamen Insel stranden, würden mehr als die Hälfte der Kinder die Gesellschaft ihrer Haustiere der ihrer Familienmitglieder vorziehen und Kinder sorgen sich auch um heimatlose Haustiere.

Eine Studie, an der 194 amerikanische Universitätsstudenten teilnahmen, zeigt, dass diejenigen, die als Kind mit Hunden oder Katzen gelebt hatten, selbstbewusster sind als diejenigen, die keine Haustiere hatten. Bei einer Studie, die in Kroatien durchgeführt wurde, erwiesen sich Kinder, die mit Hunden lebten, als empathischer und sozialer eingestellt als Kinder, die nicht mit Hunden lebten. Kinder mit einer größeren Zuneigung zu ihren Haustieren schätzten das Klima in ihrer Familie als wesentlich besser ein als Kinder, die weniger Zuneigung verspürten. Die Interaktion mit Haustieren hilft Kindern außerdem dabei zu lernen, dass Tiere andere Bedürfnisse haben als sie selbst und fördert die Entwicklung einer Verstandestheorie (ihre Haustiere haben ihren eigenen Glauben und ihre eigene Weltsicht).

Haustiere können soziale Katalysatoren sein und dabei helfen, autistische und sozial zurückgezogene Kinder zugänglich zu machen (eine Intensivierung pro-sozialer Verhaltensweisen). Der Begriff „Tiergestützte Therapie“ wurde vor mehr als vier Jahrzehnten von Boris Levinson geprägt und wird heute noch verwendet. Levinson, ein amerikanischer Kinderpsychologe, fand heraus, dass viele Kinder, die zurückgezogen oder unkommunikativ waren, aus sich herausgingen und positiv interagierten, wenn sein Hund Jingles die Therapiesitzungen begleitete.

Haustiere helfen auch Missbrauchsopfern, indem sie sie vorbehaltlose Liebe lehren, Pufferung und das Überwinden des Traumas erleichtern. In einer Studie werden Haustiere für sexuell missbrauchte Kinder als größere Unterstützung eingeschätzt als Menschen. Haustiere bieten Kindern Unterstützung, über eine Scheidung, die Erkrankung oder den Verlust eines Familienmitglieds oder engen Freundes hinwegzukommen. Der Wert von Tieren für uns Menschen kann nicht übertrieben dargestellt werden und es sind ihre Emotionen, die uns zu ihnen hinziehen. Und obwohl wir Tiere brauchen, wären doch viele Tiere ohne uns besser dran.

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