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EINFÜHRUNG

Das Geschenk der Gefühle von Tieren

Willkommen in der faszinierenden Welt der Gefühle der Tiere. Als Wissenschaftler, der seit mehr als 30 Jahren die Leidenschaften und Tugenden von Tieren studiert, sehe ich mich selbst als einen sehr glücklichen Menschen. Ich liebe, was ich tue. Ich liebe es, etwas über Tiere zu erfahren, und ich liebe es, meine und die Entdeckungen meiner Kollegen mit anderen zu teilen. Wann immer ich Tiere beobachte oder mit ihnen arbeite, leiste ich einen Beitrag für die Wissenschaft und gehe gleichzeitig soziale Beziehungen ein. Für mich liegt darin kein Widerspruch.

Bevor ich beginne, möchte ich einen wichtigen Punkt in Bezug auf die Terminologie ansprechen. Wenn wir über „tierische Gefühle“ diskutieren, vergessen wir manchmal, dass auch Menschen Tiere sind. Die Phrase „nichtmenschliche Tiere“ für Wesen zu verwenden, die wir gewöhnlich als „Tiere“ bezeichnen, ist jedoch sehr umständlich. Deshalb verwende ich in diesem Buch das Wort Tiere, wenn ich mich auf „nichtmenschliche Tiere“ beziehe – selbstverständlich in dem Wissen, dass wir alle Tiere sind, und in der Hoffnung, dass diese sprachliche Abkürzung nicht dazu beiträgt, gewisse „Nachlässigkeiten“ aufrecht zu erhalten.

Das Gebiet der tierischen Emotionen – bei dem es sich um einen spezifischen Bereich innerhalb der größeren wissenschaftlichen Disziplin der kognitiven Ethologie bzw. der Studien in Hinsicht auf den tierischen Verstand handelt – hat sich in den letzten 30 Jahren enorm gewandelt. Als ich mit meinen Studien begann, waren nahezu alle Forscher Skeptiker, die ihre Zeit damit verbrachten sich zu fragen, ob Hunde, Katzen, Schimpansen und andere Tiere etwas fühlen. Da man Gefühle nicht unter ein Mikroskop legen kann, fanden diese Forscher für gewöhnlich auch keine – und ich möchte sagen, ich bin froh, nicht ihr Hund gewesen zu sein! Zum Glück finden wir heute immer weniger Skeptiker; doch während die Debatten um die Frage, ob Tiere Gefühle haben oder nicht, zwar weiterhin geführt werden, lautet die Frage von wirklicher Bedeutung nun, weshalb sich die Gefühle der Tiere so und nicht anders entwickelt haben. Tatsächlich haben sich die Denkmuster auf eine Weise verändert, dass die Beweislast nun immer öfter denen zufällt, die immer noch behaupten, dass Tiere keine Gefühle haben. Meine Kollegen und ich müssen Worte wie glücklich oder traurig nicht mehr in vorsichtige Wendungen verpacken, wenn wir über das gefühlsmäßige Innenleben eines Tieres schreiben. Wenn unser Hund Fido dabei beobachtet wird, wie er ärgerlich oder ängstlich reagiert, können wir dies mit der gleichen Selbstverständlichkeit ausdrücken, mit der wir menschliche Gefühle diskutieren. In Wissenschaftsmagazinen und anderen Publikationen werden regelmäßig Geschichten und Berichte veröffentlicht, die sich mit der Freude von Ratten und der Trauer von Elefanten befassen, und niemand schreit mehr auf.

Gegen die Existenz tierischer Emotionen zu argumentieren, ist schlechte Biologie. Die wissenschaftliche Forschung in evolutionärer Biologie, kognitiver Ethologie und in den sozialen Neurowissenschaften unterstützt die Ansicht, dass zahlreiche unterschiedliche Arten ein reiches und tief empfundenes Gefühlsleben haben. Emotionen haben sich bei zahlreichen Spezies als Adaptionen entwickelt. Sie dienen als sozialer Kitt, der Tiere miteinander verbindet. Zusätzlich katalysieren und regulieren Gefühle eine Vielzahl sozialer Begegnungen zwischen Freunden, Liebenden sowie Konkurrenten und sie erlauben es Tieren, sich angepasst und flexibel selbst zu schützen, indem sie vielfältige Verhaltensmuster auf eine breite Palette von Situationen anwenden.

Charles Darwins anerkannte Theorie zur evolutionären Kontinuität, dass Unterschiede zwischen Spezies eher gradueller Natur, nicht aber grundsätzlicher Art sind, weist nachdrücklich auf die Präsenz von Gefühlen, Empathie und moralischem Verhalten bei Tieren hin. In der Praxis erlaubt uns diese Kontinuität, „die evolutionären Punkte unterschiedlicher Spezies miteinander zu verbinden“, um Ähnlichkeiten zwischen sich entwickelten Eigenschaften hervorzuheben, die auch individuelle Gefühle und Leidenschaften umfassen. Was wir bisher über tierische Emotionen und Empathie gelernt haben, passt gut zu dem, was wir über die Lebensweise unterschiedlicher Spezies wissen – nämlich wie komplex ihre sozialen Interaktionen und sozialen Netzwerke sind. Gefühle, Empathie und das Wissen um „Richtig“ oder „Falsch“ sind die Schlüssel zum Überleben, ohne die alle Tiere – sowohl menschliche als auch nichtmenschliche – untergehen würden. Das ist der Grund, weshalb sie so wichtig sind.

Und es gibt immer wieder Überraschungen. Immer dann, wenn wir meinen, alles gesehen zu haben, tauchen neue wissenschaftliche Daten und Berichte auf, die uns dazu zwingen, unser bisher erworbenes Wissen neu zu überdenken und unsere Klischeevorstellungen zu revidieren. Ein Beispiel: Nachdem ich gerade die Korrekturfahnen zu diesem Buch erhalten hatte, stieß ich in der Zeitschrift New Scientist vom 02. Dezember 2006 auf einen Artikel über die Gefühle von Walen. Man hat herausgefunden, dass Buckelwale, Finnwale, Orcas und Pottwale über Spiegelzellen bzw. Spiegelneuronen in derselben Gehirnregion verfügen wie wir Menschen. Diese Gehirnregion wird mit sozialer Organisation, Einfühlungsvermögen, Intuition in Bezug auf die Gefühle anderer sowie raschen gefühlsmäßigen Reaktionen in Verbindung gebracht. Von Spiegelzellen, einst als einzigartig bei Menschen und Großaffen angesehen, glaubt man, dass sie für die Verarbeitung von Gefühlen wichtig sind. Und Wale haben in der Tat mehr Spiegelzellen als Menschen.

Alle Säugetiere (auch die Menschen) verfügen über neuroanatomische Strukturen und neurochemische Bahnen, die für das Fühlen wichtig sind. Doch fühlen alle Tiere dasselbe? Die Forschung hat bewiesen, dass Mäuse empathische Nagetiere sind, und darüber hinaus stellte sich heraus, dass sie gerne Spaß haben. Wir hören Geschichten über vergnügungssüchtige Leguane, ein Pferd mit Sinn für Humor, verliebte Wale, Elefanten, die unter psychischen Flashbacks (Wiedererleben psychischer Traumata) und posttraumatischen Stress-Störungen leiden, über einen trauernden Otter, einen verwitweten Esel, unleidliche Paviane, empfindungsfähige Fische und einen sehenden Hund, der seinem blinden Hundefreund als „Auge“ zur Seite steht.

Wir wundern uns nicht, enge, dauerhafte und liebevolle emotionale Bindungen zwischen Mitgliedern einer Art zu finden, doch entstehen oftmals auch ungewöhnliche Beziehungen zwischen Tieren völlig unterschiedlicher Arten, ja, sogar zwischen Tieren, die sonst Jäger und deren Beute sind! So zum Beispiel Aochan, eine Schwarze Erdnatter, die sich im Mutsugoro Okoku Zoo in Tokio mit dem Zwerghamster Gohan anfreundete.

Wenn eine Schlange und ein Hamster Freunde werden können, warum dann nicht auch Menschen und andere Tiere? In vielerlei Hinsicht ist dies schon so, doch spielen in diesen Beziehungen nicht nur die menschlichen Emotionen eine Rolle. Die Gefühle der Tiere ziehen uns an, faszinieren uns. Im Verlauf einer Vortragsreihe, die ich im August 2006 am Assistance Dog Institute in Santa Rosa, Kalifornien, hielt, konnte ich die Interaktionen zwischen Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen und ihren Hunden, die ihnen lebensnotwendige Begleiter sind, beobachten. Als ich die nuancierten, auf den Punkt gebrachten Details der Kommunikation mit Hilfe von Stimme und Bewegungen sah, erkannte ich, dass jede Person mit ihrem Hund eine starke soziale Bindung hatte, die eindeutig auf gegenseitigem Respekt und Gefühl basierte. Beide Wesen, Mensch und Hund, teilten eine dauerhafte emotionale Zugehörigkeit, die weit über „bloßes Training“ hinausging.

Ich beginne meine Vorträge oft mit der Frage: „Gibt es irgend jemanden im Publikum, der denkt, Hunde haben keine Gefühle und empfänden keine Freude oder Trauer?“ Ich erhielt bisher nie eine enthusiastische Reaktion auf diese Frage, nicht einmal bei wissenschaftlichen Zusammenkünften, wenn auch gelegentlich ein oder zwei Hände zögerlich in die Höhe gehalten wurden (für gewöhnlich nur auf halbe Höhe, während sich die Person umsah, ob irgend jemand sie beobachtete). Wenn ich jedoch frage: „Wie viele von Ihnen glauben, dass Hunde Gefühle haben?“, wedeln nahezu alle Anwesenden wild mit der Hand, lächeln und nicken eifrig ihre Zustimmung. Das Zusammenleben mit einem Hund bedeutet, aus erster Hand zu wissen, dass Tiere Gefühle haben. Darüber müssen wir nicht einmal nachdenken. Wir messen ihre Gefühle anhand ihres Verhaltens, indem wir zum Vergleich unsere eigenen Gefühlsmuster als Schablone anlegen und wir tun dies sehr zuverlässig. Und ich bin glücklich, sagen zu können, dass heute sogar die Mehrheit der Wissenschaftler dem zustimmt, was allen anderen der gesunde Menschenverstand ohnehin zu sagen scheint.

Anzuerkennen, dass Tiere Emotionen haben, ist wichtig, denn die Gefühle der Tiere sind von Bedeutung. Tiere sind empfindungsfähige Wesen, die die Hochs und Tiefs des täglichen Lebens erfahren. Dies müssen wir respektieren, wenn wir mit ihnen interagieren. Tiere sind nicht nur die Gefährten, mit denen wir leben, für die wir sorgen und die wir lieben. Da sind außerdem noch die Milliarden anderer domestizierter Tiere, die in Mastbetrieben leben, in Schlachthäuser gebracht werden und uns mit Nahrung und Kleidung versorgen. Und wildlebende Tiere, die ständig versuchen müssen, unsere überbevölkerte Welt mit uns zu teilen.

Unsere Beziehung zu anderen Tieren ist eine komplexe, vielschichtige, herausfordernde und frustrierende Angelegenheit und wir müssen ununterbrochen überdenken, wie wir mit unseren nichtmenschlichen Verwandten umgehen sollten. Ein Teil dieses Denkprozesses beinhaltet das Stellen schwieriger Fragen und das Sicherstellen dessen, dass unsere Handlungen mit unserem Verständnis und Glauben übereinstimmen. So frage ich immer wieder Wissenschaftler, die Tierversuche durchführen, und Menschen, die in Massenzuchtanlagen arbeiten: „Würden Sie das Ihrem Hund antun?“ Manche erschreckt diese Frage, doch es ist sehr wichtig, sie zu stellen. Wenn wir täglich Mäusen, Ratten, Affen, Schweinen, Rindern, Elefanten, Schimpansen oder nicht zu uns gehörenden Katzen und Hunden etwas antun, das wir mit unseren Gefährten niemals machen würden, dann müssen wir uns dringend fragen, warum das so ist.

Der Mensch hat eine enorme Macht, die Welt auf jede erdenkliche und von ihm erwünschte Weise zu beeinflussen. Täglich bringen wir die Empfindungen zahlloser Tiere zum Schweigen. Und doch sind wir uns dessen bewusst, dass wir nicht die einzigen empfindungsfähigen Kreaturen mit Gefühlen sind. Mit diesem Wissen geht die enorme Verantwortung und Verpflichtung einher, anderen Wesen mit Respekt, Wertschätzung, Mitgefühl und Liebe zu begegnen. Wenn wir uns die Frage stellen, was wir Tieren antun können und was nicht, sind es ohne Zweifel ihre Emotionen, die unsere Diskussionen und Handlungen in ihrem Interesse bestimmen sollten, und wir können für sie immer noch mehr tun. Dies ist ein Buch der Hoffnung, in dem großer Wert darauf gelegt wird zu betonen, dass wir in unseren Interaktionen mit anderen Tieren fantasievoll sein müssen.

Emotionen sind ein Geschenk unserer Vorfahren. Wir haben sie – und alle anderen Tiere auch. Das dürfen wir niemals vergessen.

Das Gefühlsleben der Tiere

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