Читать книгу Das Gefühlsleben der Tiere - Marc Bekoff - Страница 7

Оглавление

VORWORT

Es freut mich sehr, das Vorwort für dieses wichtige Buch schreiben zu dürfen, denn es befasst sich mit einem Thema – den Gefühlen von Tieren – das für das richtige Verständnis von Tieren und ihre Beziehung zu uns entscheidend ist. Schon während meiner Kindheit faszinierten mich alle Tiere – ich beobachtete sie, lernte von ihnen und liebte sie. Im Alter von zehn Jahren entwickelte ich eine ganz besondere Beziehung zu dem außerordentlich intelligenten Mischlingshund Rusty, der zu meinem ständigen Begleiter wurde. Er und drei aufeinander folgende Katzen, zwei Hängebauchschweine, ein Goldhamster, ein Kanarienvogel und zwei Schildkröten, mit denen wir unser Haus und unsere Herzen teilten, lehrten mich, dass Tiere, zumindest solche mit ziemlich komplexen Gehirnen, starke und unverwechselbare Persönlichkeiten sind und über einen Verstand verfügen, der sie zu einem gewissen rationalen Denken befähigt – und insbesondere dazu, Gefühle zu haben.

Später, im Jahr 1960, erhielt ich die außerordentliche Gelegenheit, die Schimpansen im Gombe National Park in Tansania zu beobachten. Ich hatte keine Ahnung von wissenschaftlichen Methoden und hielt einfach alles fest, was ich sah. Glücklicherweise war ich geduldig, denn während der ersten paar Monate flüchteten sie, wann immer sie dieses merkwürdigen weißen Affens ansichtig wurden, der so plötzlich in ihrer Mitte aufgetaucht war. Das erste Tier, das seine Angst vor mir verlor, nannte ich David Greybeard. Er war ein auffallend schöner, erwachsener Schimpansenmann mit großen, weit auseinander liegenden Augen. Ich fand schließlich heraus, dass er mit seiner freundlichen, aber entschlossenen Art eine echte Führungspersönlichkeit war. Davids ruhige Akzeptanz meiner Anwesenheit half anderen Mitgliedern seiner Gemeinschaft zu erkennen, dass ich letztlich doch keine so Furcht erregende Kreatur war. Dennoch wurden viele von ihnen aggressiv und unternahmen Einschüchterungsversuche, wie sie üblicherweise Leoparden oder großen Schlangen zu Teil werden. Doch schließlich entspannten sie sich, und nachdem ich Stück für Stück ihr Vertrauen gewonnen hatte, erlaubten sie mir, mich in ihrer Welt zu bewegen – immer nach ihren Regeln. Ich lernte die vielfältigen starken Persönlichkeiten kennen: Davids engen Gefährten Goliath, bei dem es sich, wie ich schließlich erkannte, um das Alpha-Männchen handelte; die hochrangige, bestimmte Flo und ihre große Familie; die schüchterne Olly und ihre alles andere als schüchterne Tochter Gilka; den reizbaren JB; Jomeo, den unabsichtlichen Clown – und all die anderen.

Nach einem Jahr ermöglichte es mir Louis Leakey, mich an der Universität von Cambridge auf meine Doktorarbeit in Ethologie vorzubereiten. Dort wurde ich dafür kritisiert, nicht nach wissenschaftlichen Methoden gearbeitet, den Schimpansen Namen statt Nummern zugeteilt und ihnen damit Persönlichkeit „verliehen“ zu haben – und dafür, zu behaupten, sie hätten Verstand und Gefühle. Dies, so wurde mir mit strengen Worten mitgeteilt, seien Attribute, die ausschließlich für das Tier Mensch reserviert seien. Ich wurde sogar dafür getadelt, einen männlichen Schimpansen mit „er“ und eine weibliche Schimpansin mit „sie“ zu bezeichnen: Wusste ich denn nicht, dass die korrekte Weise, mit der ein Tier zu bezeichnen war, „es“ lauten musste? Ein nichtmenschliches Tier, selbstverständlich. Und so wurden meine Beobachtungen größtenteils als die einer naiven jungen Frau ohne universitäre Bildung abgetan. Und doch war es gerade diese „fehlende Qualifikation“ in Verbindung mit meiner Leidenschaft, etwas über Tiere in freier Wildbahn zu erfahren, was meinen Mentor, den inzwischen verstorbenen Louis S. B. Leakey, für mich eingenommen hat. Er wünschte sich einen Beobachter, dessen Verstand unbeeinflusst war vom begrenzten Denken der Wissenschaft der frühen Sechziger Jahre. Tatsächlich vertraten Ethologen sowie zahlreiche Philosophen und Theologen den Standpunkt, Persönlichkeit, Verstand und Gefühle seien einzig menschliche Attribute und das Verhalten nichtmenschlicher Lebewesen sei lediglich auf umweltbedingte oder soziale Einflüsse zurückzuführen.

Das konnte ich jedoch nicht akzeptieren – es widersprach allem, was ich in den Jahren mit Rusty sowie während meiner Zeit mit den Schimpansen gelernt hatte. Glücklicherweise hatte ich in Professor Robert Hinde einen weisen Doktorvater. Er war selbst bekannt für seinen streng wissenschaftlichen Verstand und seine Intoleranz gegenüber verschwommenen Denkmodellen. Trotzdem hatte er allen Rhesusaffen, mit denen er gearbeitet hatte, Namen gegeben und schrieb über sie ohne Scham als „er“ und „sie“. Robert Hinde lehrte mich, meine Ideen, denen zwar gesunder Menschenverstand zugrunde lag, die ethologisch jedoch revolutionär anmuteten, in einer Weise auszudrücken, die mich vor allzu feindseliger wissenschaftlicher Kritik schützte. Ich konnte zum Beispiel nicht sagen „Fifi war glücklich“, da ich das nicht beweisen konnte. Stattdessen konnte ich sagen: „Fifi verhielt sich auf eine Weise, dass man, wäre sie menschlich, sagen würde, sie war glücklich.“

In den späten Sechziger Jahren gingen immer mehr Biologen ins Feld und begannen mit Langzeitstudien an allen möglichen tierischen Spezies: Affen, Menschenaffen, Elefanten, Wale, Delfine, Wölfe usw. Diese Studien machten deutlich, dass das Verhalten von Tieren wesentlich komplexer ist, als ursprünglich von der Wissenschaft der westlichen Welt zugegeben worden war. Es gab immer mehr zwingende Beweise dafür, dass wir nicht allein sind in unserem Universum, dass wir nicht die einzigen Kreaturen mit Verstand sind – fähig, Probleme zu lösen, Liebe und Hass ebenso zu verspüren wie Freude und Trauer, Angst und Verzweiflung. Sicher sind wir nicht die einzigen Tiere, die Schmerz und Leid empfinden. Mit anderen Worten: Es gibt keine klare Grenze zwischen dem Tier Mensch und dem Rest des tierischen Königreichs. Die Grenzen sind fließend und mit der Zeit werden sie immer fließender.

Doch gibt es leider zahllose Menschen, darunter sowohl Laien als auch Wissenschaftler, die immer noch aufrichtig davon überzeugt sind, dass Tiere lediglich Objekte sind, die durch äußere Einflüsse aktiviert und zu Reaktionen veranlasst werden. Und nur zu oft weisen diese Menschen bewusst oder unbewusst unsere Versuche zurück, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Letztlich ist es einfacher, an unbeseelten Objekten unangenehme Handlungen zu vollziehen – sie schmerzhaften Experimenten auszusetzen, sie in industrieller Massenzucht aufzuziehen, sie zu jagen, zu fangen, zu essen und auf andere Weise auszubeuten –, als diese Dinge lebendigen, fühlenden Wesen anzutun. Ein Affe, Hund oder Schwein erfährt Angst wahrscheinlich auf dieselbe Art und Weise wie ein menschliches Wesen. Jungtiere, ob menschlich oder nicht, zeigen ganz ähnliche Verhaltensweisen, wenn sie gut gefüttert und beschützt werden – sie spielen, tollen, drehen sich im Kreis, hüpfen, schlagen Purzelbäume –, so dass es schwer ist, nicht zu glauben, dass sie damit auch ganz ähnliche Gefühle ausdrücken. Mit anderen Worten: Sie sind voller Lebensfreude – sie sind glücklich. Ich sah bei Schimpansenkindern nach dem Tod ihrer Mütter ein ähnliches Verhalten, das der klinischen Depression trauernder Menschenkinder gleichkommt: gekrümmte Haltung, Schaukeln des Körpers, stumpf starrende Augen, Interesselosigkeit gegenüber den Vorgängen rundherum. Wenn menschliche Kinder aus Trauer leiden können, dann können dies auch Schimpansenkinder. In diesem Stadium der Trauer können Schimpansenwaisen – wie Flint und Kristal – sogar sterben.

Es wird immer offensichtlicher, wofür nun auch hervorragende wissenschaftliche Belege existieren, dass Tiere einen sehr großen therapeutischen, heilenden Einfluss ausüben können. Bei der Senkung des Blutdrucks, dem Reduzieren asozialen Verhaltens Gefangener und der Unterstützung von Kindern mit Leselernschwäche spielen sie eine wichtige Rolle. Ältere, allein lebende Menschen können vor Depressionen bewahrt werden, die durch Einsamkeit oder durch das Gefühl von Nutzlosigkeit entstehen, wenn sie ihr Leben mit einem geliebten Tier wie einer Katze oder einem Hund teilen. Dies liegt nicht allein daran, dass Tiere weich, pelzig und warm sind. Es liegt daran, dass diese heilenden Tiere mit ihren Menschen mitfühlen, ihre Nöte zu verstehen scheinen – und sie lieben. Mit anderen Worten: Diese Tiere sind sehr viel mehr als Objekte, deren Verhalten durch Stimulus und Reaktion beeinflusst wird. Ein ausgestopftes, mechanisches Spielzeugtier, egal wie kunstvoll gearbeitet und wie lebensecht in seiner Erscheinung, kann niemals den Platz eines lebenden, fühlenden und liebenden Tieres einnehmen.

Je mehr Menschen begreifen, dass Tiere, besonders in Gruppen lebende Säugetiere mit komplexen Gehirnen, ein reiches Gefühlsleben besitzen und darüber hinaus auch fähig sind zu leiden – sowohl mental als auch physisch – desto eher wird es uns gelingen, die unangemessene Behandlung, die so vielen Millionen von Tieren zu Teil wird, zu ändern. Tatsächlich haben die meisten Menschen keine Ahnung davon, was sich in den medizinischen Forschungslabors abspielt. Und sie wissen nichts – und wollen auch gar nichts wissen – von den Milliarden von Tieren, die in stinkenden, schmutzigen Zuchtfabriken, auf engstem Raum zusammengepfercht, geboren werden. Genauso wenig begreifen sie, welche Grausamkeit hinter dem Training von Tieren steckt, die im Zirkus oder auf andere Weise der Unterhaltung der Menschen dienen sollen. Solange Wissenschaftler (zumindest in ihrem Berufsleben) die falsche Ansicht aufrecht erhalten, dass nichtmenschliche Wesen bloß Dinge sind, wird dies leider dazu führen, auch weiterhin stillschweigend über dieses unmenschliche Verhalten hinwegzusehen.

Aus diesem Grund freue ich mich so sehr darüber, dass Marc dieses Buch geschrieben hat. Unbeeindruckt von der manches Mal bösartigen Kritik seiner Kollegen, die er praktisch während seines gesamten Berufslebens erfahren musste, fuhr er fort, die Persönlichkeiten und Gefühle nichtmenschlicher Tiere zu studieren und über sie zu schreiben. Nun hat er im Gefühlsleben der Tiere das stetig wachsende Datenmaterial wissenschaftlicher Beweise zusammengefasst, das die These von der Existenz vielfältiger Emotionen bei anderen Tieren unterstützt, reich illustriert durch seine eigenen sorgfältigen Beobachtungen und Schlüsse. Er vertritt eindringlich den Standpunkt, dass die Zeit gekommen ist, diesen Komplex an Informationen allgemein zu akzeptieren. Tatsächlich weist er darauf hin, dass es einer Zeitverschwendung gleichkommt, auch nur zu fragen, ob Schimpansen, Elefanten, Hunde usw. Gefühle wie Glück, Traurigkeit, Verzweiflung und Ärger erleben – und dass dies für Menschen, die auf sinnvolle Weise Zeit mit Tieren verbracht oder mit ihnen gelebt haben, offensichtlich ist. Statt weiterhin zu versuchen, das Offensichtliche zu beweisen, ist nun ganz sicher die Zeit gekommen zu akzeptieren, dass tierische Wesen – wie menschliche Wesen auch – Gefühle ausdrücken, und somit die Zeit, andere Fragen zu stellen, so wie er es mit diesem Buch tut. Wie entwickeln sich Gefühle überhaupt? Welchem Zweck dienen sie?

Das Gefühlsleben der Tiere ist eine weitere Stimme im wachsenden Chor derjenigen, die versuchen, die Haltung gegenüber den tierischen Wesen, mit denen wir uns diesen Planeten teilen, zu verändern. Die Verbindung sorgfältiger wissenschaftlicher Methodik mit Intuition und gesundem Menschenverstand wird dieses Buch zu einem großartigen Werkzeug für diejenigen machen, die dafür kämpfen, das Leben der Tiere in einer Umwelt zu verbessern, in der ein nahezu vollständiges Unverständnis herrscht. Ich hoffe nur, dass es viele Menschen dazu bringen wird, die Art und Weise, wie sie mit ihren Tieren umgehen, noch einmal zu überdenken.

Jane Goodall, PhD, DBE,

Gründerin des Jane Goodall Institute

und Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen


Das Gefühlsleben der Tiere

Подняться наверх