Читать книгу Steine im Bauch - Marc Vogel - Страница 11
ОглавлениеKAPITEL 2
AUSBRUCH
Dieses wilde Leben lebte ich also. Immer auf der Überholspur. 2012 bekam ich dann die Diagnose.
Die ersten Symptome nimmt man gar nicht ernst. Um bei der Metapher zu bleiben: Es fühlt sich mehr an wie Unebenheiten auf der Autobahn. Je schneller man fährt, desto weniger spürt man sie. Man ist ja von seinem Körper gewöhnt, dass man einmal eine Magen-Darm-Grippe hat oder dass es einem mal schlechter geht, verbunden mit Durchfall oder ein bisschen Fieber. Das empfand ich als normal.
Aber mit einem Mal begann mein Körper zu spinnen. Ich musste sehr oft, sehr stark furzen. Förmlicher: Ich hatte sehr viel Luftabgang. Mein Stuhlgang sah auch nicht mehr so schön aus, und ich merkte natürlich, dass etwas nicht mehr stimmte. Aber ich verdrängte das und arbeitete einfach weiter. Als wäre nichts. Das konnte ich gut.
In dieser Phase begleiteten wir eine Band fürs Schweizer Fernsehen auf ein Konzert in Deutschland. Nach dem Konzert musste ich ein Video aus dem Tourbus drehen: Hier das Sofa, dort die kleinen Kühlschränke, und da telefoniert der Schlagzeuger immer mit seiner Omi. Anschließend fuhren wir mit der Band zurück in die Schweiz –, und auch da musste ich furzen wie eine Wildsau. Im ganzen Bus stank es. Ich war nie der Typ, der sich für einen Furz geschämt hat. Ich war mehr der Typ, zieh mal am Finger, ich furze, und ich fand das lustig. Ich schämte mich auch nie für einen guten Furz im richtigen Moment.
»SCHATZ, IST DAS NICHT WUNDERBAR?«
Einmal war ich mit meinem besten Freund in Dubai in den Ferien. Wir waren in einem Luxushotel, »Palms« hieß das. Ein todschickes Hotel, wo frisch Vermählte ihre Flitterwochen verbringen. Eine Oase der Harmonie und Freundlichkeit. Mein Freund und ich lagen gerade still auf unseren bequemen Liegestühlen am Pool. Wir hatten Meerblick, und es war einfach herrlich. Da kam unweit vor uns ein frisch verliebtes, es war unübersehbar, Ehepaar aus der Lobby. Sie schlenderten einträchtig den Pool entlang und ließen sich sanft vor uns in zwei Liegestühle nieder. Das helle Hemd des Mannes wogte leicht im Wind.
Dann nach einem Seufzen sagte der Mann, das ist wirklich so passiert, zu seiner Frau: »Schatz, ist das nicht wunderbar?«
Just in diesem Moment merkte ich, wie sich in meinem Bauch lustigerweise ein Furz bildete, der perfekt passen würde. Und nachdem dieser frisch verheiratete Ehemann also zu seiner glücklich lauschenden Gattin sagte: »Schatz, ist das nicht wunderbar?«, da machte ich einfach Pffff, Pffff, Pff.
Es hat richtig geknallt. Mich hat es verrissen vor Lachen. Mein bester Freund lachte mit. Aus Stolz, Scham, Freude, ich weiß es nicht. Einen Furz erlebt man hundertfach, aber gerade in einem solchen Moment – magic. Das Pärchen vor uns schüttelte die Köpfe, stand auf und ging.
Diese Episode zelebrierte ich richtig und erzählte sie überall herum.
Aber dieser Moment im Tourbus war etwas komplett anderes. Weil ich wusste: Das Furzen, das nun abgeht, ist nicht mehr lustig. Das ist das Furzen, das krank ist. Es roch auch so. Nach Verwesung. Es war mir unangenehm.
Da war mir klar: Ich muss krank sein. Ich nahm an, dass ich eine »Magen-Darm-Grippe« hätte. Zu dieser Zeit war mir der Ernst der Lage nicht bewusst.
»HILFE, ICH HAB BLUT IM STUHL!«
Eine Woche später stand eine Live-Sendung auf dem Programm. Der Moderator Andi Rohrer konnte an diesem Tag nicht vor Ort sein, also suchten wir nach einer anderen Lösung. Diese rettende Idee kam ironischerweise von mir. Irgendwie muss ich wohl gefühlt haben, dass »Krankheit« ein wichtiges Thema bei mir werden würde. Wir wollten also einfach in der Live-Sendung behaupten, der Andi Rohrer sei krank, deshalb kann er nicht da sein. Als nächstes würden wir so tun, als schalteten wir live zu ihm nach Hause in seine Wohnung. Die Sendungsgäste würden ihn dann quasi daheim überraschen. So könnten wir die Bilder einfach voraufzeichnen.
Das Dumme: Nach der Tourbus-Episode war ich krank – offiziell mit »Magen-Darm«. Ich war eigentlich als Redakteur und Side-Kick eingeplant. Also machten wir aus der Not eine Tugend und nutzten diese Steilvorlage des Lebens. »Robin, du bist krank. Leg dich in das Bett, und die Gäste der Sendung kommen zu dir, spielen Lieder und wünschen dir gute Besserung.«
Das haben wir dann tatsächlich so gemacht. Andi konnte also nicht in der Live-Sendung sein, da er mich armen kranken Mann betreuen musste. Ein toller Plan. Im Nachhinein wirkte das natürlich alles völlig bizarr. Denn ich hatte nicht nur »Magen-Darm«, sondern etwas Schweres. Es stank in Andis Zimmer, weil ich immer so abscheulich Luft ablassen musste. Ganz gemäß meinem Naturell versuchte ich jedoch, die Sendung am Laufen zu halten.
Diese Episode spiegelte ziemlich genau mich als Menschen und mein Leben wider. Dieses wirklich Krankhafte »The show must go on. The show must go on.« Es musste einfach immer weiterlaufen. Die Sendung, die Auftritte. ICH musste immer weiterlaufen. Es gab keinen Platz dafür, krank zu sein. Dieses Bild vom Kranken, das wollte nicht zu mir passen. Das war ich nicht. Überspielen, das hatte ich von der Pieke auf gelernt, und das kann ich noch heute. Hervorragend sogar.
Die Sendung kam an. Man kann sie sich auf Youtube anschauen. Mit dem heutigen Wissen bekommt das Ganze einen spannenden Subtext.
Leider habe ich mich von der Krankheit nicht mehr erholt.
Die nächsten Wochen musste ich zu Hause im Bett verbringen. Mit Bauchweh, Durchfall und zuletzt einem bisschen Blut im Stuhl. Das war es dann, was mich erschreckt hatte. Die Alarmglocken schrillten, und endlich konnte ich sie auch hören.
Ich rief sofort das Notfall-Telefon an: »Hilfe, ich hab Blut im Stuhl. Was ist los? Ist das schlimm?« Die beruhigten mich, was auch sonst. Ich solle am nächsten Tag einen Termin bei meinem Hausarzt vereinbaren. Das machte ich dann auch. Meine Hausärztin zog gleich die richtigen Schlüsse und schickte mich zu einem Spezialisten für Darmerkrankungen.
Das ersparte mir eine Odyssee. Denn normalerweise dauert es ewig, bevor der Patient die Diagnose »Colitis ulcerosa« erhält. Er wird lange von einem Ort zum nächsten geschickt. Infekte werden langsam abgeklärt, die sich dann meistens nicht bestätigen. Ich wurde selbstverständlich genauso auf viele Varianten getestet. Leider überall negativ.
COLITIS ULCEROSA? EINE URWALDBLUME?
Es kam zu meiner ersten Darmspiegelung. Da wusste ich noch nicht, dass dies eine bewusstseinserweiternde Erfahrung werden würde. Als erstes darf man literweise Abführmittel saufen und seinen Würgereflex trainieren. Aber wer darin Übung hat, sich selbst gebrautes Gesöff hinter die Binde zu kippen, sollte auch damit keine Probleme haben. Der Darm muss für die Untersuchung komplett geleert sein.
Als ich mich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg zur Praxis machte, rutschte ich mit hochrotem Kopf nervös auf meinem Sitz hin und her. Ich hätte Windeln tragen sollen. Aber Windeln waren für mich immer so ein entwürdigender Gedanke, dass ich mir lieber in die Hosen scheiße.
Bis heute weiß ich nicht mehr, wie ich die Fahrt unbeschadet bis zur Praxistoilette überstand. Es war ein Gang auf rohen Eiern, der schon bald belohnt werden sollte: Propofol! Der Stoff, aus dem die Träume sind, wurde zu meiner neuen Passion! Ein Narkosemittel, das mir den Drogenrausch auf Krankenkassenkosten bescherte. Ein Gefühl, als könne man fliegen! Wenn man sich der Injektion einfach hingibt, schläft man sofort ein und spürt praktisch nichts. Kämpft man jedoch dagegen an, eröffnet sich eine Welt der Glückseligkeit. Ich kann mich nicht daran erinnern, in meinem Leben überhaupt einmal so glücklich gewesen zu sein wie auf Propofol. Ich war scheinbar nicht der Einzige, der diese Liebe für dieses Medikament empfand. Mit Michael Jackson war ich in guter Gesellschaft.
Vom Eingriff bekam ich tatsächlich rein gar nichts mit. Als ich kurz darauf noch völlig verdattert am Ärztepult saß, faselte der etwas von linksseitiger Colitis ulcerosa, die man aber dank der heutigen Medikamente sehr gut in den Griff bekommen sollte.
Colitis ulcerosa. Ein schöner Name, dachte ich. Das hört sich an wie eine Blume. Eine Urwaldblume. Denn ich hatte keine Ahnung, was das für eine Krankheit war – und vor allem, was sie für mich bedeuten sollte.