Читать книгу Steine im Bauch - Marc Vogel - Страница 17
ОглавлениеKAPITEL 8
WENN DIE SCHWERKRAFT GREIFT
Im Normalfall verlässt ein Patient das Krankenhaus und ist gesund oder zumindest auf dem Weg der Rehabilitation. In meinem Fall allerdings schwebte ich in der Ungewissheit. »Das ist also mein neues verschissenes Leben«, dachte ich, als ich zu Hause ankam.
Es war ein komplett anderes Gefühl als vor zweieinhalb Jahren nach der Diagnose. Es war ein anderes Gefühl im Bauch. Die Steine waren nicht mehr zu leugnen. Mein Leben sollte sich nun komplett auf den Kopf stellen. Mein Berufsleben. Mein Sozialleben. Mein Liebesleben. Alles. Wie sollte ich mich vor ein Mikrofon setzen? Wo sollte ich schon hingehen, wenn ich mir jeden Moment in die Hosen machen konnte?
Tausend Fragen, die mir unbeantwortbar erschienen. Erst die Zeit ließ mich Wege finden, mit der Krankheit umzugehen. Es war völlig unklar, ob ich überhaupt wieder jemals eine Radiosendung moderieren könnte. Ich musste tatsächlich meine Sendung einstellen, meine von mir heiß geliebte Talk-Sendung »Rehmann«, für die ich so lange gekämpft hatte und die mir alles bedeutete. Ich konnte in der nächsten Staffel von »Virus Voyage« nicht mehr mitmachen. In zwei Staffeln hatte ich bereits mitgespielt, nun in der dritten fiel ich aus. Ich konnte das Tagesprogramm nicht mehr moderieren, ich konnte unmöglich vier Stunden live hinter einem DJ-Pult stehen.
WIE GEHT ES NUN WEITER?
Konnte ich überhaupt jemals wieder Radio machen? Das war mein Leben gewesen, meine Erfüllung. Vor diesen existenziellen Fragen konnte ich mich nicht weiter verstecken. Wie soll es mit mir und meinem Leben weitergehen?
Getrieben von der Hoffnung, wieder Tritt zu finden, wurden meine Symptome nach anfänglicher Besserung wieder stärker. Nächtliche Schweißausbrüche, vermehrte blutige Stuhlgänge, ich war niedergeschlagen und meldete mich nach der Cortison-Infusion wieder bei meinem zuständigen Arzt. Ich war scheinbar eine echte Knacknuss. Also stellte er mich seinem Vorgesetzten vor.
Damit traf ich auf einen Mediziner, der bis heute an meiner Seite ist, oder besser gesagt vor meiner Toilettentür wacht: Prof. Dr. Gerhard Rogler. Ein bedeutender Gastroenterologe, der auf seinem Gebiet der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen als regelrechte Koryphäe gilt. First-class-Personal.
»Wir schaffen das«, waren mit seine ersten Worte. »Wir besiegen diese Krankheit, wir haben die nötigen Medikamente. Dann wird alles wieder gut.«
Es half enorm, einen medizinischen Gefährten zu haben, der schon unzählige Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht hatte und für den diese Krankheit nicht absolutes Neuland war wie für mich. Aber Colitis ulcerosa bleibt weiter eine black box, die bislang nicht eindeutig entschlüsselt werden kann. Deshalb sollte bald schon ein weiterer Gefährte auf den Plan treten, ein Gegenspieler der Schulmedizin zwar, aber auch ein Helfer.
Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich jedoch an Prof. Dr. Roglers Optimismus. Man entschied, mich wieder im Krankenhaus einzuquartieren, und tatsächlich hatte man mich dort nach rund zwei Wochen wieder einigermaßen auf einen Stand gebracht, mit dem ich entlassen werden konnte. Ich war auf 80 Milligramm Cortison täglich und hatte schon einen aufgedunsenen Kopf. Durch die Infusion von Vedolizumab, einem neuen Mittel, hoffte man, die Colitis endlich in den Griff zu bekommen.
Ich konnte wieder nach Hause.
ROBIN, DER SERIENJUNKIE
Mein eigentliches Leben beiseite, bedeutete mein Alltag zuallererst einmal Aufbau. Ich musste Medikamente schlucken, sehr starke. Ciclosporin, das erhalten Patienten beispielsweise bei einer Lebertransplantation. Es ist ebenfalls ein Immunsuppressivum, das dafür sorgt, dass die Organe nicht abgestoßen werden, in meinem Fall der Dickdarm. Den wollte ich ja behalten. Das Medikament schlug mir extrem auf die Stimmung, auf den Körper, auf alles. Wie ich ausgesehen habe –, so habe ich mich auch gefühlt. Ich fraß viele Medikamente, und es sah nicht danach aus, als ob es jemals besser werden würde.
Hinzukam, dass ich die ganze Zeit zu Hause war. Ein Zustand, der mir bis dahin unbekannt war. Zwischen Sofa, Toilette und Bett. Ich traute mich nicht mehr raus, hatte keine Energie dazu. Im Krankenhaus hatten mich noch viele Leute besucht, aber auch das war mir irgendwann zu viel geworden. Ich bat um Ruhe.
Ich lag einfach auf meinem Sofa und schaute eine Serie nach der anderen. Ich fühlte mich machtlos und ausgeliefert. Nach dieser zweiten Entlassung in ein scheinbar fades, freudloses, nur schmerzvolles Leben kam jedoch aus meinem tiefsten Inneren eine Idee, ohne die es womöglich dieses Buch nicht geben würde.
Mir war klar, ich müsste ab nun Medikamente abholen, Termine wahrnehmen und würde erneut in Krisen fallen. Da dachte ich, ich filme einfach mal so einen Tag mit Colitis ulcerosa. Weil bis dato hatte ich mein Leben ja auch öfters gefilmt. Ein Jahr lang hatte ich einmal einen Vlog geführt, bei dem ich mich überall selbst filmte und dabei kommentierte.
Als ich eines unschönen Tages dann genügend Energie hatte, begann ich, diese Krankheit zu dokumentieren und festzuhalten, wie es ist, damit zu leben.