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KAPITEL 5

EIN JACKSON POLLOCK IN DER SCHÜSSEL

Im Sommer 2015 hatte ich Großes vor. Weite Reisen und ungezähmte Abenteuer. Wir, das heißt meine Band »Krank« mit mir als natürlich unverzichtbarer Frontsänger, planten, auf eine Deutschlandtour zu gehen. Von Stadt zu Stadt fahren, Konzerte rocken, wenig schlafen, viel feiern, noch mehr erleben, noch weniger schlafen.

Eine Woche sollte es quer durch Deutschland gehen. Einmal hoch nach Hamburg und wieder runter. Als wäre das nicht schon sportlich genug, setzte ich noch ein Sahnehäubchen obendrauf: Gleich im Anschluss an unsere Odyssee würde ich mit anderen Kollegen dann in die USA reisen, nach San Francisco um genauer zu sein. Aber wirklich gleich danach. Samstagnacht war unser letztes Konzert angesetzt, am Sonntag ging der Flieger. Ich hatte meine Koffer vorgepackt, alles war minutiös geplant. Es sollte ein unvergesslicher Sommer werden.

Das wurde er auch, in jeder Hinsicht. Leider.

TANZ AUF DEM VULKAN

Auf dem Papier war ich noch immer krank, benötigte weiter meine Infliximab-Infusionen. Die legte ich relativ knapp um meine germanischen und nordamerikanischen Ausschweifungen herum. Eigentlich wäre ich bei meiner Rückkehr knapp eine Woche zu spät dran gewesen, aber das hatte ich schon öfters so gemacht und nie größere Probleme damit gehabt. Läuft schon. Alles war perfekt einstudiert, und in der Manege, wenn das Licht angeht, tanzt der Zirkusbär auf zwei Beinen.

Vor der Abreise war ich besonders hastig. Sendungen für die Ausstrahlung im Mai mussten vorproduziert, Ferien und Tour organisiert werden. Gleichzeitig nahm ich meine reguläre Talksendung auf, und nebenher war ich Protagonist in einer TV-Produktion. Ich tanzte auf allen Hochzeiten – und war dann auch der Letzte der ging, wenn das Brautpaar schon in den Flitterwochen in Dubai am Hotelpool lag. »Schatz, ist das nicht wunderbar?« Nein, ich war gestresst, wie es wahrscheinlich alle kennen, bevor sie in die Ferien fahren. Aber mein Mantra war: »Ich gehe jetzt auf diese Tour, und dann wird alles gut.«

Im Nachhinein war das schon ziemlich doof. Offensichtlich. Aber im Moment selbst, wenn man so getrieben ist, sieht man das nicht – und will es auch nicht sehen. Ich freute mich ja auch auf die Tour und genauso auf die USA. Verschieben hätte ich nichts können. Das wäre unmöglich gewesen.

Rückblickend wird mir bewusst, dass in dieser Phase vor der Tour, wo die Colitis ulcerosa dann endgültig und mit absoluter Härte ausbrach, bei mir psychisch viel passiert war. Ich rollte meine Vergangenheit mit meinem Psychologen auf, was mich emotional gewaltig durchgeschüttelt hatte. Zudem entschied ich mich, keinen Alkohol mehr zu trinken. Ich hatte große Entwicklungssprünge durchgemacht.

NIE WIEDER ALKOHOL!

Die Entscheidung, das Bier endgültig zur Seite zu schieben, traf ich Ende Oktober 2014. Mein neu erklärtes Ziel: Ein ganzes Jahr ohne Alkohol! Wie geisteskrank ist das denn?! Denn Party zu machen und dabei auch das ein oder andere Bier zu vernichten, hatte mir immer unglaublich viel Spaß gemacht. Ein Stück Lebensinhalt. Mein Antrieb. Der beste Platz ist immer an der Theke! Unser größter Hit, wenn man bei einer Punkband überhaupt davon sprechen kann, hieß »Bier«. Das sagt schon einiges. Das wilde Leben im Rausch an der Bar. Da, wo Geschichten geschrieben werden, von denen man noch Jahre zehren kann. War das Leben per se sinnfrei, war die Bar der Mittelpunkt.

Nun wollte ich das alles beenden. Es musste jedoch gleich ein ganzes Jahr sein. Die klassische »Monatspause« hatte ich schon öfters durchgezogen, um dann im Monat darauf nur noch tiefer ins Glas zu fallen. Der Gedanke, ein ganzes Jahr damit aufzuhören, machte mir Angst. Ich hatte Angst, mich tatsächlich mit mir selbst beschäftigen zu müssen und zu entdecken, was in mir schlummert. So konnte ich mich nicht mehr von Rausch zu Rausch hangeln.

Eine weitere Schwierigkeit war, dass meine besten Freunde ebenfalls gern hin und wieder ein zwei Kurze und ein paar Lange vertragen. Klar, weil Betrinken Spaß macht. Aber bei mir war die Stufe »Spaß« überschritten. Wenn ich nach einer durchzechten Party zu Hause ins Bett fiel, stand ich manchmal nachts, oder besser in den frühen Morgenstunden wieder auf, ohne dass ich das selbst bemerkt hätte. Schlafwandeln. Das konnte mir eine Heidenangst einjagen! Episoden gäbe es genug, um dieses Buch auf den Index zu bringen. Peinlich.

»WIE BIST DENN DU DRAUF?«

Ich erinnere mich an eine durchzechte Partynacht, in der mich Damenbesuch gegen sieben Uhr in der Früh verließ. Besoffen aber glücklich schlief ich ein.

Puh, ganz schön frisch, war mein nächster Gedanke, als ich von Fahrradglocken und Zurufen geweckt wurde. Da stand ich, nur in Unterhose und Socken bekleidet, vor meinem Wohnblock. Orientierungslos. Was zur Hölle?! Wie um alles in der Welt war ich hier hingekommen? Beim Versuch, meinen Wohnkomplex wieder zu betreten, stellte ich erschrocken fest, dass ich natürlich keine Schlüssel auf Mann hatte. So stand ich völlig verstört vor der Eingangstür und musste beim Nachbarn klingeln. Ich pflegte keinen Kontakt zu meinen Wohnungsnachbarn. Ganz nach dem Motto, je weniger Kontakt, desto weniger Theater. Das machte diesen Moment umso peinlicher.

Als Sonntagmorgen um 9 Uhr mein Nachbar, der sein Leben weitaus mehr im Griff zu haben schien, die Tür öffnete, offenbarte ich ihm einen Blick auf ein halbnacktes, verkatertes Häufchen Elend. Nur in Boxershorts bekleidet und die Socken halb über die Füße gezogen war ich eine Lachnummer. Aber meinem Nachbarn war es alles andere als zum Lachen zumute: »Wie bist denn du drauf?«, grummelte er. Ich: »Ich komme nicht rein.« Ende der Konversation.

Schnell huschte ich an ihm vorbei und legte mich zurück ins Bett, um zu vergessen. Leider klappte das nicht wirklich. Als ich gegen 14 Uhr wieder zu mir kam, war da diese Scham. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich mich bei meinem Nachbarn mit einer Flasche Wein und Pralinen für die morgendliche Aktion entschuldigen sollte, aber das schaffte ich nicht. Zu sehr schämte ich mich.

Ich ging über zu der Problemlösung, die sich in der westlichen Welt als sehr erfolgreich erweist: Verdrängung. So mied ich meine Nachbarn einfach noch mehr als zuvor.

Später erfuhr ich in der Waschküche von einer jugoslawischen Bewohnerin, sie wohnt im Stock über mir, dass ich im Haus den Spitznamen »Vampir« hatte. Weil meine Rollladen immer unten waren, und man aus meiner Wohnung nur ganz spätnachts oder frühmorgens Lärm hören könne. Mit diesem Übernamen konnte ich leben. War es doch mein oberstes Ziel, an dieser Gesellschaft vorbeizuleben. Nein, ich wollte in der Tat kein Teil von euch sein. Kein »Eintragen, um die Waschmaschine zu benutzen« für mich.

KONTROLLVERLUST

Das war nur eine Schlafwandlerepisode von vielen. Zu vielen. Irgendwann fing ich an, in die Wohnung zu pissen. Am liebsten auf den Balkon oder in irgendeine Ecke. Nach wilden Partynächten wachte ich meist splitterfasernackt irgendwo in meiner Wohnung auf. Ich konnte mich zwar noch klar erinnern, wie ich nach Hause gekommen war und mich ins Bett gelegt hatte, aber über den Rest hatte ich keine Kontrolle mehr. Mein Körper funktionierte autonom.

Es ist für mich genauso schwierig das nachzuvollziehen, wie für jemanden, der solche Dinge noch nie selbst erlebt hat. Ich möchte hier aber betonen, dass ich nie der »Koma-Saufen«-Typ war. Ich war meist in bester Partylaune und durchaus fähig, allein von der Party nach Hause zu kommen. Erst beim Schlafwandeln brach dann das endgültige Chaos aus. Klar, ich hätte da schon mit dem Trinken aufhören sollen, aber meine Strategie war eine andere: Ich kaufte mir eine Alarmanlage, die mich aus meinen nächtlichen Ausflügen reißen sollte. Die neu angeschaffte Alarmanschlage schrillte in einem grellen, hohen Ton – aber mein Unterbewusstsein, mein Schlafwandeln war stärker! Ich war tatsächlich fähig, bei meinen nächtlichen Spaziergängen die Alarmanlage zu deaktivieren, indem ich diese unbewusst ausgeschalten oder die Batterien herausgerissen hatte. Zu was ich alles während meines Nachtwandelns fähig war, konnte ich selbst kaum glauben. Peinlich war es mir. Extrem peinlich.

Mein nächster Plan war es, eine Alarmanlage zu kaufen, deren Batterien verschraubt sind und die nur mit Zahlencode gestoppt werden kann. Aber dazu kam es nie. Ich hatte zu diesem Thema ein gestörtes Verhältnis. Zwischen Verdrängen und mich selbst überzeugen, dass es jetzt bestimmt zum letzten Mal passiert sei.

Ich hatte mich getäuscht. Als ich wieder einmal einen feuchtfröhlichen Donnerstagabend an der Zürcher Langstraße verbracht hatte, öffnete ich abends nach einem verkaterten Arbeitstag meinen Kühlschrank. Ein Schwall kam mir entgegen. Nach genauerer Untersuchung wurde mir klar, dass das, was mir da entgegentrat, wohl mein eigener Urin sein müsse. Ich konnte mir das nicht erklären, wusste aber, dass ich jetzt aktiv werden musste.

Also meldete ich mich beim Universitätsspital im Schlaflaboratorium an. Dort bekam ich Benzodiazepine verschrieben, die mich vor nächtlichen Handlungen abhalten sollten. Fehlanzeige. Als ich das nächste Mal betrunken nach Hause kam, warf ich mir gleich zwei davon ein, obwohl der Beipackzettel vor Mischkonsum mit Alkohol warnt. Ich hoffte jedoch, mich so im Bett halten zu können. Es ging schief.

Diese Anfälle überkamen mich nicht jeden Abend, an dem ich Alkohol getrunken hatte. Es passierte im Schnitt alle zwei Wochen einmal. Es war egal, ob ich da zwei oder fünf Biere getrunken hatte – bis heute habe ich keinen Auslöser erkennen können. Ich wusste nur eines ganz genau: Ich musste aufhören zu trinken. Nicht dass ich mich in einer nächtlichen Episode mal vom Balkon stürzen würde. Davor hatte ich Angst.

Aber das mit dem Aufhören war gar nicht so leicht. Also eröffnete ich einen Youtube-Kanal mit dem Titel: »NoMoreHangovers«. Die Idee: Ich würde ein Jahr lang keinen Alkohol mehr trinken und das gesparte Geld einer sympathischen Organisation spenden. Im September war das zum Beispiel eine Katzenauffangstation. Also wurde aus September »Cattember«, und ich forderte meine Zuschauer auf, doch ebenfalls für mindestens einen Monat auf Alkohol zu verzichten und ihr gespartes Geld zu spenden.

Dieser Youtube-Kanal war für einige Zeit meine Motivation. Ich trinke bis heute keinen Alkohol mehr. Es ist rückblickend schwer zu sagen, ob ich mit dem Trinken aufgehört habe, weil ich unterbewusst bemerkt hatte, dass ich mit meiner chronischen Krankheit ein Risiko einging, oder ob es eine Entscheidung aus der Vernunft heraus gewesen war. Das spielt am Ende auch keine Rolle. Wichtig ist, dass ich mittlerweile ganz auf Alkohol verzichten kann.

DIE TOUR GEHT LOS

Endlich war der große Tag gekommen. Tag X, die Deutschland-Tour mit meiner Band sollte beginnen, und ich war nüchtern, aber voller Vorfreude auf die kommenden Tage.

Draußen vor meiner Wohnung stand der kleine, graue Bandbus bereit für unsere Abreise an den Ort des ersten Konzertes, nach Saarbrücken.

Die große Reisetasche gepackt, ging ich noch kurz auf die Toilette meiner gemütlichen Einzimmerwohnung mit Stadtblick. Aber es war kein normaler Toilettengang. Es war ein kräftiger, krampfartiger Schiss. Nach schmerzerfüllten Minuten blickte ich in die WC-Schüssel unter mir.

Panik stieg hoch, und meine Nackenhaare stimmten zur Standing Ovation ein. Sieht ein bisschen aus wie Street-Art von Jackson Pollock, der in einer roten Phase steckte. Scheiße, dachte ich, und kalter Schweiß ließ mein T-Shirt an meiner Haut kleben. Mit zittrigen Händen griff ich zum Handy und fotografierte dieses »Kunstwerk«.

Bei all der Tragik konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Innerlich freute ich mich nämlich jetzt schon auf den Moment, wenn ich meinen Bandkollegen im Tourbus meine neuste Kreation präsentieren durfte! Das passte alles so gut zusammen: Ich, als Frontmann einer Deutschpunkband scheiße Blut zum Tourstart. Mehr Punkrock geht nicht. Ich wusste, dass meine Bandkollegen meinen Stolz über meinen abgefahrenen Scheißhaufen teilen würden. Hatte doch unser Bassist, »Massen Mord« allen eine SMS mit dem Titel: »Was ich heute so gemacht habe« geschickt, in der eine beachtlich satt gefüllte WC-Schüssel mit dunkler, creme-farbener Scheiße zu sehen war. In der Probe hatte er uns dann erzählt, dass das das Resultat einer T-Rex-Pizza von Dominos sei. Wie ein stolzer Papa musste er die frisch gepressten Würste natürlich festhalten. Heute kann ich seinen Stolz noch besser verstehen als damals. Von solchen »Prachtwürsten« ist man als Colitis-ulcerosa-Kranker weit entfernt.

Dennoch, in diesem Moment in meinem Klo, der Bandbus unten vor der Tür, zweifelte ich keine Sekunde daran, diese Reise anzutreten.

Heute weiß ich: Es war ein Fehler.

ABSAGEN? UNMÖGLICH!

Das Foto meiner Kreation zeigte ich dann stolz allen im Bus: »Schaut mal, das ist von mir. Blutig, das bin ich. Und jetzt gehen wir auf diese Tour, auf geht’s!«

Es stand außer Frage, nicht auf die Tour zu gehen. Was wäre dann aus den zwei Wochen San Francisco geworden, wo wir den ganzen Highway No. 1 runterfahren wollten? Auch das abzusagen, war unmöglich. Diese Tour hatten wir ein halbes Jahr lang geplant.

Es gab Konzerte, unsere Freunde und Bekannte vor Ort freuten sich schon auf uns. Es schien mir unmöglich, vorher noch kurz zum Arzt zu rennen. Wird schon gehen.

Wenigstens ein bisschen Cortison packte ich ein. Für den absoluten Notfall. Was auch immer das bedeutete. Ich fühlte mich ja gut. Okay, vielleicht doch nicht so gut. Aber ich wollte einfach mit.

Konsequenzen fürchtete ich keine. Aber für den kommenden Schub waren es wirklich die allerschlechtesten Voraussetzungen. Als würde man in Flip-Flops das Matterhorn besteigen. Eine Tour ist laut, lauter, ohrenbetäubend. In mehreren Belangen. Wir spielten in heruntergekommenen Lokalen, übernachteten in Kellern auf dem Boden, an wirklich üblen Orten. Das ist für Gesunde schon eine Extremerfahrung, aber mit Colitis ulcerosa?

Bald schon belohnte mich mein Körper mit erstem Feedback. Dem versuchte ich mit Cortison entgegenzuwirken. Meine Challenge war es, das alles möglichst vor meinen Bandkollegen zu verstecken. Ziemlich erfolgreich. Ich jammerte auch nicht die ganze Zeit, schlich mich mehr auf die Toilette. Niemand sollte wissen, wie es mir wirklich ging. Ich wollte nicht alle herunterziehen, die Tour gefährden. Ich verhielt mich so, als sei alles relativ gut.

Vielleicht kennen das einige Leute. Sich verstecken, die eigenen Gefühle unterdrücken, aus Angst vor den Konsequenzen. Aus Angst, sich etwas einzugestehen. Das war ich natürlich sehr gewohnt. Gemünzt auf mein komplettes Leben, von meiner Kindheit bis heute, tat ich immer so, als sei alles gut. Darin bin ich Profi. »Krisen zeigt man gegen außen nicht.« Ein Familienmotto. In diesem Fall gab es bei mir eine innere Krise, und ich zeigte diese nicht nach außen.

Das ging wirklich so weit, dass ich bei einem Konzert in Hamburg im Gängeviertel ans Äußerste ging. Es kamen viele Freunde, die in Hamburg lebten oder mittlerweile zugezogen waren. Vor unserem Auftritt ging ich auf ein schreckliches Klo. Es muss nicht Keramik und Goldhahn sein. Bei Punkkonzerten, in besetzten Häusern, da sieht man als unbekannte Band Klos, auf denen man sich nicht vorstellen kann, in aller Zufriedenheit sein Geschäft zu verrichten. An diesem Abend in Hamburgs Vergnügungsmeile roch mein Geschäft nach Bauchkrämpfen und blutigem Stuhl. Leider sah es auch so aus. Da wünscht man sich schon etwas Komfort und etwas weniger Angst, den Boden zu berühren. Zumindest spiegelte das Setting schön meine Situation wider.

Nach dem regelrechten Abkrampfen dann ab auf die Bühne, das Konzert gerockt und es mit allen lustig gehabt. Ich versuchte mitzumachen. Offenbar bemerkte niemand, dass bei mir gröber etwas nicht stimmte. Wie gesagt, ich bin ein guter Schauspieler. Es passte zur Band. Meine eigenen Songtexte begleiteten mich ins echte Leben.

Krank – Blut an deiner Hand

Hinter all den Fenstern und hinter all den Türen

kannst du die Schreie hören, nein, du kannst sie sogar fühlen.

Hinter diesen Augen war schon immer diese Angst,

wälzt dich tiefer in die Laken, weil du heut’ nicht schlafen kannst.

Und die Jacke hält dich warm,

trotzdem bist du so erschöpft.

Wo sind sie hin die ganzen Jahre?

Und bis oben zugeknöpft,

das ist dein Leben deine Wahl,

doch es fühlt sich anders an.

Da waren Träume und ein Ziel,

jetzt ist Blut an deiner Hand,

zu viel Druck und kein Ventil,

leider viel zu spät erkannt,

nein, es war nie Arroganz,

es war immer diese Angst.

Über all den Dächern fliegen tote Seelen.

Du kannst die Schreie hören, nein, du kannst sie sogar sehen.

Unter dieser Haut ist viel mehr als Fleisch und Blut,

denn tief in deinen Venen kocht noch immer diese Wut!

Dieses Leben ist ein Test, der dich heut’ nicht schlafen lässt!

GESCHAFFT!

Das passte zu der Tour mit einer schweren Krankheit und war so absolut authentisch, weil ich das gerade körperlich wirklich durchmachte.

Wahnsinn. Die Tour kam langsam zu ihrem Ende, ich hatte alles überlebt. Es ging noch im Vergleich dazu, was ein paar Tage später auf mich wartete. Der eigentliche Schub.

Ich wusste, wir hatten Samstagabend noch unser allerletztes Konzert zu spielen, und gleich am Sonntagmorgen früh um sechs würden wir nach San Francisco fliegen. Nur ein paar Stunden dazwischen. Das war ein typisches Bild für mein Leben. Natürlich wurde es noch mehr auf die Spitze getrieben. Denn unser letztes Konzert, schön open air unter freiem Himmel, verzögerte sich. Wir durften erst später auftreten. Bis wir endlich an der Reihe waren, war es Mitternacht.

Bevor wir auf die improvisierte Bühne gingen, nahm ich noch einmal all meine Bandkollegen in einen Kreis: »Leute, wir sind dreieinhalb Stunden weg von meiner Wohnung. Ich muss spätestens um vier zuhause sein, um meine Koffer zu holen und es zum Flughafen zu schaffen. Wir müssen das schnellste Konzert ever spielen.« Dann spielten wir alle Lieder doppelt so schnell, ich schrie das Zeug herunter, ohne Pause zwischen den Tracks, wir blieben stumm und schmissen einfach die Texte und Musik irgendwie hin. Nach dem letzten Lied rissen wir dann alles herunter, das Zeug in den Bus verstaut und losgedüst.

Das Schöne war, dass einer der Bandmitglieder frisch verliebt war und auch unbedingt heim zu seiner großen Liebe wollte. Der hat mich bei dem Projekt unterstützt, dass wir unmöglich nur eine Sekunde länger bleiben konnten, obwohl der eine oder andere vielleicht noch einen schönen Flirt oder so gehabt hätte. Wir flüchteten wie von der Tarantel gestochen, damit ich es auf meinen Flug nach Frisco schaffte.

Der Bandbus bremste scharf vor meiner Wohnung. Ich rannte hoch. Meine Kollegen, die mit nach San Francisco kamen, schliefen bei mir auf der Couch. Später weckte ich alle, schnappte meine Koffer, und dann ging es weiter zum Flughafen.

Im Flugzeug dachte ich noch: »Yes, ich glaube, ich habe es jetzt geschafft. Ich habe die Tour geschafft, und ich sitze jetzt im Flugzeug nach San Francisco. Yes! Ich bin der König!«

Ein Trugschluss. The shit was about to begin.

Steine im Bauch

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