Читать книгу DELTA OPERATOR - Marco Gruber - Страница 11
British Columbia, Kanada
Оглавление13. August 2016
Der schwarze Jeep Cherokee preschte über die Schotterstraße und zog eine beachtliche Staubwolke hinter sich her. Der schwere Wagen schluckte die Schlaglöcher des Waldweges mühelos und fuhr sich einfach großartig. Bruce Dobbs genoss die Wärme der Sonne, die durch das Dachfenster ins Innere des Wagens schien. Er hatte die Klimaanlage nur auf kleinster Stufe laufen, das Radio war ausgeschaltet.
Dobbs kannte den Weg, er war ihn zuvor schon einmal abgefahren. Damals war er nicht allein im Wagen gewesen, doch unterhalten hatte er sich auch nicht mehr als jetzt. Dazu war sein damaliger Fahrgast eindeutig nicht in Stimmung gewesen, dachte Dobbs.
Er fuhr um eine Biegung des Waldweges und bremste scharf ab, als er einen umgestürzten Baum entdeckte, der halb in die Fahrbahn ragte. Dobbs fuhr langsam um das Hindernis herum, verließ dabei mit zwei Reifen die Straße, doch kehrte danach unversehrt wieder auf den Weg zurück. Der Allradantrieb funktionierte einwandfrei, stellte Dobbs zufrieden fest. Zwanzig Minuten später bog er vom relativ breiten Waldweg in einen kleinen, fast unsichtbaren Holzfällerweg ein, der verborgen hinter einem großen Busch abzweigte. Dobbs musste nun das Fenster schließen, da Zweige und tiefhängende Äste gegen den Jeep schlugen. Er machte sich keine Sorgen wegen Kratzer im Lack. Schließlich gehörte ihm das Auto nicht und die Verleihfirma war versichert. Er kam nun wesentlich langsamer voran, da der Weg wesentlich schmaler und ungleich holpriger war, und viele enge Kurven aufwies. Schließlich tauchte die Lichtung nach weiteren fünfzehn Minuten vor ihm auf.
Dobbs drosselte die Geschwindigkeit und bremste vor der kleinen Jagdhütte, die am Rand der Lichtung stand. Die Hütte war eigentlich ein Blockhaus kanadischen Stils, mit dicken Holzwänden, doppelten Isolierfenstern und starken, belastbaren Dachbalken. Die dicke Holzschindeldeckung war absolut wasserdicht und widerstand der menschenfeindlichen Witterung, die hier oben in den Wintermonaten herrschte. Dobbs schlug die Fahrertür zu und ging auf die Hütte zu. Der Motor des schweren Wagens tickte, die Klimaanlage surrte auch noch nach, ansonsten war es still. Dobbs roch die frische Waldluft, die mit ihren tausenden Duftnuancen nur von den unbedeutenden Rauchschwaden durchmischt wurde, die aus dem kleinen, aus roten Klinkerziegeln gemauerten Kamin aufstiegen.
Als er etwa zehn Meter von der Hütte entfernt über den lehmigen Waldboden ging, sah er die Mündung der 9mm Beretta, die durch den Spalt eines leicht geöffneten Fensters direkt auf ihn zielte.
„Alles in Ordnung, Lavinski“, sagte er laut und deutlich, damit man ihn auch verstand. Augenblicklich hob sich der Lauf und verschwand im Inneren der Hütte. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür und ein Mann, der wesentlich kleiner und um Welten schmäler war als Dobbs, trat heraus. Auch er hatte kurz geschnittene Haare, ansonsten unterschied er sich in allem von Dobbs. Marvin Lavinski war nur etwa eins fünfundsiebzig groß, hatte schmale Schultern und einen langen Hals. Eine hässliche Hakennase zog sofort sämtliche Blicke auf sich und lenkte automatisch von den dunkelblauen, intelligenten Augen ab, die die Umgebung unablässig beobachteten. Lavinski steckte die Beretta zurück in das Lederhalfter, das er über dem grauen Ripshirt links am Oberkörper trug.
„Wie geht es unserem Gast?“, wollte Dobbs wissen, als er neben Lavinski stehen blieb.
„Er schweigt beharrlich und ignoriert mich, Sarge“, antwortete Lavinski. „Wenigstens hat er was gegessen und sieht nicht mehr so aus, als ob er jeden Moment tot umfallen würde“ ergänzte er.
„Sehr gut, Corporal“, brummte Dobbs und betrat die Hütte. Der riesige Marine trug einen kleinen ledernen Aktenkoffer bei sich, den er auf den schmalen Tisch in der Kochnische der Hütte legte. Er öffnete den Kühlschrank und fischte sich eine Dose Budweiser heraus. Es zischte und Dobbs leerte die Dose in einem Zug. Danach zerdrückte er das Aluminium, als wäre es Seidenpapier und warf die Dose in den Abfalleimer.
„Gehen wir runter und reden wir mal mit unserem Freund“, sagte Dobbs und schnappte sich wieder seine Aktentasche.
„Er wird uns nichts sagen, Sergeant“ erwiderte Corporal Lavinski, der die letzten neun Tage mit dem Doktor verbracht hatte.
„Wir werden sehen“, grunzte Dobbs, als er die schwere Falltür anhob, die in den gemauerten Keller der Hütte führte.
Eine knarrende Holzleiter, die unter dem Gewicht von Bruce Dobbs bedrohlich ächzte, führte in die Tiefe. Dobbs kletterte hinunter und fand sich in einem kleinen, von einer einzigen Neonröhre schwach erhellten Raum wieder. Die feuchten Steinwände des Kellers sorgten für den leichten Modergestank, der in der Luft lag. Ein einziges kleines Fenster, durch das man die nach innen gedrückten Wände eines verwitterten Lichtschachtes erkennen konnte, sorgte für Belüftung. Ganz hinten in dem kleinen Raum, zwischen mehreren Holzkisten mit Vorräten lag Dr. Clifford Baxter auf einem schmalen Metallbett. Seine Arme und Beine waren gefesselt, doch er konnte sich etwas bewegen. Seine Augen waren nicht verbunden, er konnte alles sehen, was vor sich ging. Also sah er auch Dobbs, als dieser auf ihn zukam und er verkrampfte sich. Sofort stieg wieder diese alles beherrschende Angst in Baxter hoch, dieselbe Angst, die er damals in seiner eigenen Blockhütte empfunden hatte, als man ihn entführt hatte. Als dieser Mann ihn entführt hatte, der sich gerade einen Stuhl schnappte und ihn verkehrt herum vor dem Bett hinstellte. Baxter beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie Dobbs sich hinsetzte und ihn anstarrte. Einige Sekunden lang sagte Dobbs nichts, dann atmete er hörbar aus.
„Wir kennen uns bereits, Dr. Baxter“, sagte Dobbs emotionslos, „und Corporal Lavinski haben Sie auch schon kennen gelernt.“ Dobbs deutete auf den gegen die Leiter lehnenden Lavinski, dessen Beretta gut sichtbar im Halfter baumelte.
Baxter traute seinen Ohren nicht, als er den riesigen Kerl so ruhig und kultiviert reden hörte. War das der gleiche Mann, der ihn brutal niedergemäht und anschließend hierher verschleppt hatte?
„Wie mir der Corporal berichtet hat, sind Sie bis jetzt nicht gerade … entgegenkommend gewesen, Doc.“ Dobbs sah Baxter einige Sekunden an, doch dieser sagte kein Wort.
„Tja, das ist nicht gut, Doc, gar nicht gut.“ Dobbs erhob sich und stellte den Aktenkoffer demonstrativ und für Baxter gut sichtbar auf den Stuhl nieder.
„Das, was Sie in der letzten Woche hier genossen haben, Doc“ sagte Dobbs und sah Baxter dabei aufmerksam in die Augen, „nennen wir ein Verhör der Stufe eins.“
Baxter fröstelte, als er an die Qualen dachte, die das Verhör ihm verursacht hatte. Er spürte noch immer die harten Schläge des kleineren Mannes, des Corporals, wenn der große Mann die Wahrheit gesagt hatte, und wollte so etwas nie wieder erleben.
„Zur Stufe eins des Verhörs eines Kriegsgefangenen gehören unter anderem Einschüchterung, Schlafentzug, Drohung und leichte körperliche Gewalt. Nichts Weltbewegendes also“, schloss Dobbs und sah dabei immer noch Baxter an.
„Jetzt möchte ich Ihnen kurz erklären, wie die Stufe zwei bei Verhören aussieht, Doc.“
Baxter schluckte und sah das Blitzen in Dobbs Augen, als dieser weiterredete.
„Zuerst werden wir Sie mit den Nahkampftechniken des Corporals näher vertraut machen. Er wird an Ihnen demonstrieren, was er so kann.“ Dobbs wartete einige Sekunden, um das Gesagte wirken zu lassen, dann fuhr er fort.
„Danach werden wir das Dieselaggregat anzapfen und Ihren Körper mit ein paar heftigen Stromstößen angrillen, bis es hier unten riecht, wie bei einem Barbecue. Und zu guter Letzt, falls Sie das überstanden haben, werde ich Ihnen persönlich die Eier abschneiden und sie zum Abendessen auffressen.“
Den letzten Satz hatte Dobbs bedrohlich leise und nur wenige Zentimeter von Baxters angstverzerrtem Gesicht ausgespien. Und dabei hatte er jedes Wort so platziert, dass es wie ein brennend heißer Pfeil direkt in das Gehirn seines Gefangenen vorgestoßen war. Es hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
„Sie…, Sie sind ja verrückt“, murmelte Baxter kraftlos. Sein Herz raste, er hatte schreckliche Angst und er glaubte dem riesigen Kerl, der ihn aus eiskalten Augen anstierte, absolut jedes Wort. Dobbs hatte sich auf dem Metallbett aufgestützt und beobachtete Baxter wie ein Raubtier seine Beute.
„Doch wie ich Sie kenne, Baxter, werden Sie das alles wegstecken. Sie sind ja ein harter Bursche, nicht?“ Dobbs grinste und Baxter wurde noch weißer, als er dies ohnehin schon war.
„Und Ihre Eier brauchen Sie doch sowieso nicht mehr, oder? In Ihrem Alter sollten Sie an was ganz anderes denken. Corporal Lavinski hier ist ausgebildeter Sanitäter. Er wird schon aufpassen, dass Sie mir hier nicht verrecken. Ich hab nämlich noch einiges mit Ihnen vor, Doktor.“
„Meinetwegen bringen Sie mich um“, flüsterte Baxter, „doch ich werde Ihnen nichts sagen.“
Dobbs entblößte eine Reihe schiefer Zähne, als sein Grinsen noch breiter wurde.
„Das weiß ich doch, Doktor. Sie sind ein ganz zäher Bursche. Deshalb werde ich Ihnen jetzt noch kurz erzählen, was Sie in Stufe Drei des Verhörs erwartet. Ich persönlich liebe Stufe Drei und der Corporal tut das auch. Wir beide haben dabei immer am meisten Spaß.“
Baxter sah das irre Grinsen vor sich und zweifelte ernsthaft daran, ob der große Mann noch alle Tassen im Schrank hatte. Doch er glaubte ihm, und das Wissen, welche Schmerzen jetzt vor ihm lagen, ließ ihn schwach werden. Noch schwächer, als er es bereits war.
Dobbs entfernte sich wieder von Baxter und griff nach der Aktentasche, die auf dem Stuhl stand. Er öffnete sie und holte ein paar Blätter Papier heraus. Dobbs betrachtete die Blätter und nickte dabei anerkennend.
„Mein Kompliment, Doktor. Da haben Sie aber wirklich was Hübsches zu Stande gebracht. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“
Baxters Herz sackte ihm noch ein Stück tiefer, er fühlte ganz instinktiv, dass alles noch schlimmer kommen würde, als er es je befürchtet hatte.
Dobbs betrachtete noch kurz die Blätter, dann warf er sie aus dem Handgelenk auf das schmale Bett. Er zwinkerte Baxter zu und griff nach der Aktentasche.
„Das hier ist Stufe Drei. Denken Sie dran, Doc. Wir haben noch Platz hier unten in diesem kleinen Keller. Und hier oben kommt nie jemand vorbei. Wir können uns also noch lange amüsieren. Sie, ich, der Corporal und …“ Dobbs beendete den Satz nicht, grinste nur wissend und ging. Corporal Lavinski kletterte zuerst die schmale Leiter hinauf, danach folgte ihm Dobbs. Noch einmal drehte sich Dobbs um.
„Wir kommen wieder, Doc. Und dann werden wir uns unterhalten, glauben Sie mir.“
Dann war der große Mann verschwunden und die schwere Falltür krachte ins Schloss. Das Licht blieb an und Baxter sah die Staubflocken, die langsam durch die Luft schwebten. Sein Verstand drohte zu versagen, als er die Blätter sah. Er konnte erkennen, dass es sich um Fotos handelte. Mühsam stemmte er sich hoch und beugte sich nach vorne. Die Fesseln an seinen Händen gaben ihm genug Spiel, dass er sich aufrecht hinsetzen konnte. Die Blätter lagen unmittelbar vor ihm auf der zerwühlten, stinkenden Bettdecke. Baxters Herz raste, als er sich noch weiter nach vorne beugte und eines der Blätter mit den Zähnen hochhob. Er drehte das Blatt um und ließ es wieder fallen. Das Bild, das er sah, bevor ihm Tränen den Blick verwässerten, zeigte eine junge Frau mit langen, blonden Haaren. Die Frau hob ein kleines Kind hoch und lächelte es liebevoll an. Das kleine Kind schien vor Freude zu kreischen, seine Augen waren weit aufgerissen uns strahlten. Unter dem Bild stand das Datum des 3. August 2016, daneben stand in klarer Blockschrift, wo das Foto aufgenommen worden war. Baxter kannte die Adresse. Er selbst hatte das Grundstück gekauft und es danach seiner Tochter geschenkt.
Weinend sackte Baxter zusammen. Sein Körper bebte, als er hemmungslos schluchzte. Seine Finger verkrampften sich um das Stück Papier, seine Tränen verwischten die Tinte des Ausdrucks.
Er würde alles sagen, schwor er sich unter heftigen Weinkrämpfen. Alles, was diese Männer von ihm wissen wollten. Wenn sie nur seine Mädchen in Ruhe ließen. Das war alles, was er wollte. Dass er sterben würde, war ihm egal.
Lavinski hörte das Schluchzen des alten Mannes im Keller nur gedämpft, als er Dobbs ansah.
„Da hast du ja das volle Programm vom Stapel gelassen, Sarge!“, grinste er.
„Für einen Moment dachte ich wirklich, dass du dem armen Kerl die Eier ausreißen würdest.“
Dobbs lächelte nicht, als er Lavinskis amüsierten Blick erwiderte. Er kannte General Garretts Befehle, Lavinski nicht. Das war der Unterschied und erklärte, warum Lavinski grinste und Dobbs dies nicht fertigbrachte.
Lavinski merkte, dass sein Sergeant nicht zu Späßen aufgelegt war, und wurde wieder ernst.
„Werden wir die Frau auch holen müssen?“ fragte er vorsichtig. Er hatte die Fotos gesehen, die Dobbs geschossen hatte, und verspürte keine Lust, sich an der Frau und ihrer Tochter vergreifen zu müssen.
Dobbs warf die Aktentasche auf das schmale Feldbett, das im Erdgeschoß der Hütte stand. Dann sah er unbewusst auf die dicke Falltür, durch die sie ihren Gefangenen in sein Verlies gebracht hatten.
„Das wird nicht nötig sein, Corporal“, antwortete er ruhig, als sich seine Augen wieder von der Falltür losgerissen hatten.
Lavinski nickte und glaubte, eine Spur von Unbehagen in Dobbs Augen entdeckt zu haben. Doch nur ganz kurz und auch nicht wirklich überzeugend, fand er.