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Washington Dulles International Airport, USA
Оглавление16. Juli 2016
Die Boeing 777-300 der United Airlines, Flugnummer LH9280, die in München mit einer knappen halben Stunde Verspätung um 12:07 Uhr Ortszeit abgehoben hatte, setzte nun beinahe pünktlich auf die Minute auf der Rollbahn auf. Über dem Atlantik hatte es nur relativ geringen Gegenwind gegeben, wodurch sich die neunstündige Flugzeit angenehm verkürzt hatte.
Dem Passagier auf Platz 21A war dies allerdings egal, da er die meiste Zeit des Fluges gegen die leicht vibrierende Innenverkleidung des Druckkörpers gelehnt tief und fest geschlafen hatte. Der Mann war nur während der beiden leidlich schmackhaften Mahlzeiten kurz wach gewesen und hatte diese in kürzester Zeit verputzt, um sich danach sofort wieder zur Seite zu drehen und einzuschlafen. Die attraktive Brünette, die direkt neben ihm saß, und die sich auf dem langen Flug gerne mit diesem interessant aussehenden Mittdreißiger unterhalten hätte, musste sich ihre Zeit stattdessen mit Kreuzworträtseln und einem dicken Buch vertreiben.
„Lassen Sie mich in Ruhe, Lady“, hatte er kurz angebunden geantwortet, als sie ihn freundlich ansah und sich ihm vorstellte, um ein Gespräch zu beginnen. Sie hatte pausenlos geplaudert, weil sie, so wie immer, wenn sie es mit einem gutaussehenden Mann zu tun bekam, furchtbar nervös wurde.
„Ich bin müde und ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu unterhalten, okay?“
Dann hatte er sich weggedreht, die Augen geschlossen und war offensichtlich in kürzester Zeit wieder eingeschlafen. Obwohl sie natürlich überrascht und verstört durch seine direkte und abweisende Art war, konnte sie es nicht lassen, ihn weiter zu beobachten, während er schlief.
Einzelne Strähnen seines dunkelbraunen Haars fielen ihm ins Gesicht. Ein dunkler Dreitagebart und eine etwa fünf Zentimeter lange weiße Narbe an seinem entblößten Hals verliehen ihm etwas Wildes, etwas Abenteuerliches, das sie irgendwie anzog. Sie hatte sich ihm etwas genähert, um ihn genauer zu betrachten, hatte den unaufdringlich männlichen Duft eines ihr nicht bekannten Eau de Colognes wahrgenommen, als er mit geschlossenen Augen und ohne erkennbare Gemütsregung noch mal etwas zu ihr gesagt hatte.
„Ich mein es Ernst, Lady. Lassen Sie´s einfach bleiben.“
Daraufhin war sie peinlich berührt zurückgeschreckt und hatte es den Rest des Fluges vermieden, zu ihm hinüber zu blicken. IDIOT, dachte sie und wusste aber nicht, ob sie damit diesen wortkargen Typ neben sich oder doch sich selbst meinte.
Der Mann schlief immer noch, als die Maschine stark bremste, zuerst durch die enorme Umkehrschubleistung der beiden gewaltigen Triebwerke und anschließend durch die rotglühenden Bremsen an den Rädern der schweren Fahrwerke. Er schlief, als das Flugzeug von der Landebahn auf die Rollbahn nach rechts abbog und sich dem Terminal näherte. Erst als die Boeing auf ihrer Parkposition stehen blieb, öffnete er die Augen und richtete sich auf. Sein Blick, als er gewohnt seine direkte Umgebung beobachtete und dabei die ihn ängstlich anblickende Brünette schweifte war klar, seine grauen Augen leuchteten kühl und reserviert. Er sah sie einige Augenblicke an, dann huschte der Hauch eines Lächelns auf seine Lippen.
„Es tut mir leid, Lady“, begann er vorsichtig und beobachtet dabei ihr schönen tief grünen Augen, „aber ich bin momentan so ziemlich die schlechteste Gesellschaft, die man sich wünschen kann.“ Sie sagte nichts, sah ihn nur unsicher an, während um sie herum die ersten Passagiere übereifrig aufsprangen, um ihr Handgepäck aus den überfüllten Staufächern zu holen.
„Schon gut“, sagte er, als sein Lächeln langsam wieder verschwand, „vergessen Sie´s einfach.“
Vermutlich hätte sie ihn verstanden, wenn sie nur im Ansatz erahnt hätte, was dieser attraktive und seltsam unnahbare Mann in letzter Zeit erlebt hatte. Doch das, was Steven Crowe durchgemacht hatte, würde sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können.
„Vergessen Sie´s einfach.“
Er selbst würde niemals vergessen können, niemals.
Nachdem Steven Crowe beinahe eine Stunde auf seinen Koffer an einem völlig überlasteten Gepäckausgabeband gewartet hatte, buchte er einen Mittelklassewagen bei Avis und verließ den Ankunftsterminal. Er fand den dunkelgrauen Chevrolet auf seinem zugewiesenen Parkplatz, verstaute sein Gepäck im Kofferraum und stieg ein. Das Navigationsgerät, dessen melodisch weibliche Stimme ihn begrüßte, schaltete er kurzerhand ab. Er brauchte es nicht, denn er war schon oft hier gewesen und auch dort, wo er hinwollte, kannte er sich aus. Die Klimaanlage, die verzweifelt gegen die brütende Sommerhitze auf dem riesigen Asfaltplatz ankämpfte, ließ er laufen. Crowe war Hitze gewöhnt, hatte er seine Zeit doch zuletzt fast ausschließlich in tropisch schwül feuchter Umgebung verbracht. Doch jetzt hatte er nicht das Geringste gegen ein bisschen angenehme Abkühlung einzuwenden.
Er manövrierte den Wagen aus der engen Parklücke und verließ den Parkplatz. Er gelangte auf den Saarinen Circus, folgte dem Dulles Airport Access und fuhr schließlich die Toll Road entlang, bis er auf die I-495 gelangte. Dort fuhr er bei angenehm lichtem Verkehr etwa elf Meilen, um dann nach Süden auf die I-95 abzubiegen. Er beschleunigte den Wagen und fuhr weiter nach Süden, gelangte über die Staatsgrenze nach North Carolina. Nach etwa fünfeinhalb Stunden Fahrt entdeckte er ein Motel, das mit grellgrüner Leuchtreklame um Gäste warb und gleich neben dem Highway lag. Er lenkte seinen Chevrolet auf den schäbigen Parkplatz und bezahlte bei einem desinteressierten Portier für eine Nacht im Voraus. Als er geduscht hatte, fiel er ins Bett und schlief beinahe augenblicklich ein. Sein Schlafdefizit machte ihm immer noch zu schaffen.