Читать книгу DELTA OPERATOR - Marco Gruber - Страница 6
Fort Bragg. North Carolina, USA
Оглавление17. Juli 2016
Der Chevrolet blieb langsam stehen und der Motor verstummte, als der Wachsoldat mit grimmigem Gesichtsausdruck an die Fahrerscheibe trat. Er bückte sich und spähte ins Innere des Wagens, den Mann am Steuer kannte er nicht.
„Guten Morgen Corporal“, sagte Steven Crowe freundlich und hielt dem Soldaten seinen Dienstausweis entgegen. Der Corporal der US Army, ein kleiner schmächtiger Mann mit kurzrasiertem Haar und käsig weißem Gesicht schnappte sich die ID-Karte und las die Daten. Dann hellte sich sein Blick auf und er straffte sich etwas.
„Guten Morgen First Sergeant“, bellte er Crowe entgegen. Doch es schien ein Problem zu geben, denn der Wachsoldat gab ihm die Karte nicht zurück.
„Einen Moment bitte, ich werde diesen Ausweis überprüfen müssen“, sagte der Corporal, drehte sich um und verschwand im Wachhäuschen. Das Ausstellungsdatum auf dem Ausweis war viel zu alt, dachte der Corporal, der im Zweifelsfall immer auf Nummer Sicher ging. Und außerdem hatte man das Design der Plastikkarten letztes Jahr geändert. Er griff nach einem Telefon, erkannte Crowe durch die Panzerglasscheibe und begann zu sprechen. Etwa eine knappe Minute später, legte der Corporal den Hörer wieder auf und verließ die Wachstube – zusammen mit zwei weiteren Wachen, die ihre M4-Karabiner vor der Brust trugen. Mit einer Hand auf dem Griff seiner Glock blieb der Corporal etwa zwei Meter vor dem Chevi stehen.
„Es tut mir leid, Sir“, sagte er und benutzte damit eine Anrede, die für einen Offizier, aber auch für einen Zivilisten üblich war, „aber dieser Dienstausweis ist nicht gültig. Ich muss sie bitten, auf der Stelle auszusteigen und unseren Anweisungen zu folgen.“
Crowe betrachtete die drei Männer, die mit angespannten Gesichtern auf dem in der Morgensonne dampfenden Asfalt vor dem großen Einfahrtstor standen und nahm die Hand vom Lenkrad, ließ sie nach unten sinken, außerhalb des Blickfeldes der Wachsoldaten. Das war ein Fehler.
„Das kann nicht sein, Corporal…“, begann er, um dann rüde unterbrochen zu werden.
„Beide Hände aufs Lenkrad und Schnauze halten, Mister!“, brüllte der Corporal plötzlich mit gezogener Handfeuerwaffe.
„Sofort aussteigen und lassen Sie ihre Hände oben!“
Crowe, der schon in zu viele feuerbereite Mündungen von viel zu vielen Feuerwaffen geblickt hatte, erstarrte. Dann hob er langsam, ganz langsam seine Hände und legte sie aufs Lenkrad.
„Aussteigen, Sofort!“, brüllte der Corporal der mittlerweile von zwei weiteren herbeieilenden Wachen Verstärkung erhielt, die sich rechts neben dem Chevrolet mit schussbereiten Gewehren aufbauten.
„Ganz ruhig, Corporal“, sagte Crowe. „Ich steige jetzt ganz langsam aus, okay?“
Das Schloss klickte und die Tür des Wagens sprang auf. Crowe schob sie vorsichtig weiter auf und stieg ganz langsam aus. Als er aufrecht stand, hob er beide Arme und folgte den Anweisungen des Corporals, sich umzudrehen. Keine fünf Sekunden später wurden seine Arme brutal nach unten gerissen und Handschellen klickten. Crowes Körper spannte sich, seine Sinne verschärften sich und nur mühsam unterdrückte er den langjährig antrainierten Impuls, zuzuschlagen.
Er war ein Gefangener, schon wieder.
Crowe saß in einem kleinen fensterlosen Raum und wartete. Der Ventilator an der grau gestrichenen Decke drehte sich langsam, die Wände konnten wieder mal einen neuen Anstrich vertragen und der Linoleumboden war erst vor kurzem frisch gewischt worden. Ein einzelnes schwarzes Kreuz zierte die Wand gegenüber des Tisches, an dem er nun schon seit mindestens eineinhalb Stunden saß und sich fragte, was zum Teufel er falsch gemacht hatte. Er beschwor sich ruhig zu bleiben und versuchte sich zu entspannen.
Crowe hatte nicht eine aufregend dramatische Flucht aus einem feindseligen fremdartigen Land hinter sich gebracht, nur um hier, in seiner Heimat, erneut eingesperrt zu werden. Er spürte die Schweißtropfen an seinem Haaransatz und unterdrückte das aufkeimende Gefühl der Klaustrophobie, das ihn hier in diesem winzigen Raum zu übermannen drohte.
Als die Tür sich plötzlich öffnete und ein breitschultriger grauhaariger Mann in grüner Uniform eintrat, schreckte Crowe aus seinen Gedanken und richtete sich auf. Sein Blick wanderte über die Gestalt des Mannes und er erkannte in Sekundenbruchteilen, Rang und Waffengattung seines Gegenübers. Ein weiterer Mann folgte dem Colonel der US Special Forces, dieser trug jedoch Zivil und war wesentlich jünger, als der Berufsoffizier. Der Typ sah ganz nach Anwalt aus und Crowe konnte ihn vom ersten Augenblick an nicht ausstehen.
Crowe folgte seiner Ausbildung und erhob sich trotz der Handschellen elegant und nahm Haltung an. Er wartete, hörte das Schließen der Tür und das Rücken der beiden Stühle auf der anderen Seite des Tisches. Sein Blick ging geradeaus, als der Colonel endlich etwas sagte.
„Setzen Sie sich“, sagte er müde und nahm dann selber auf dem billigen Plastikstuhl Platz. Crowe setzte sich ebenfalls und versuchte sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen, die sich seiner bemächtigt hatte, da ihn der Colonel nicht mit seinem Rang angesprochen hatte. Der zweite Mann sagte nichts, parkte nur seinen in einem teuer aussehenden glänzenden schwarzen Halbschuh steckenden Fuß auf dem zweiten Stuhl und lehnte sich erwartungsvoll nach vorne. Crowe wartete noch immer, und als keiner der beiden Männer etwas sagte, war es an ihm, die erste Frage zu stellen.
„Colonel“, begann er ruhig, „darf ich fragen, was mit meinem Ausweis nicht stimmt und warum ich hier festgehalten werde?“
Sein militärisches Gegenüber sah ihn lange an, dann antwortete der Offizier. Crowe meinte, so etwas wie Unbehagen in den Augen des Colonels zu entdecken, nur ganz kurz zwar, aber für Crowe nicht zu übersehen.
„Es gibt da tatsächlich ein großes Problem mit Ihnen, Crowe“, sagte der Colonel ruhig und sah ihm dabei direkt in die Augen.
„Sie sind nämlich tot.“
Crowe glaubte, sich ganz gewaltig verhört zu haben, musste unabsichtlich grinsen und sah dann auch den zweiten Mann, den Zivilisten kopfschüttelnd an.
„Was soll das? Ich bin zwar durch die Hölle gegangen, aber ich bin ganz offensichtlich nicht tot, auch wenn Sie mich vielleicht schon lange abgeschrieben haben.“
Beide Männer sahen ihn ernst an, sagten aber nichts.
„Aber alle Männer meiner Einheit sind tot“, schloss Crowe leise. „Aber das wissen Sie ja mit Sicherheit.“
„Ich glaube, Sie haben uns nicht ganz richtig verstanden“, sagte nun der zweite Mann, worauf Crowe ihn genauer musterte. CIA, entschied er, ganz eindeutig.
„Sie sind tot, Crowe. Für uns hat es Sie nie gegeben und wir können hier gar nichts für Sie tun, kapiert? Dieser Ausweis“, lächelte der CIA-Mann und wedelte mit der ID-Karte vor Crowes Gesicht, „ist eine ziemlich gute Fälschung und wird hiermit eingezogen.“
Crowe nickte langsam und konzentrierte sich darauf, den unbändigen Zorn, der in ihm hochstieg, zu unterdrücken. Er hatte verstanden, es fügte sich ein weiteres Puzzleteilchen zu einem immer klarer werdenden Bild zusammen. Er wusste immer noch viel zu wenig doch er hatte mittlerweile eine ganz gute Vorstellung davon, was damals in China passiert sein musste.
„Ich will auf der Stelle mit Colonel Joe Gibson sprechen“, verlangte er beinahe knurrend.
Die beiden Männer gegenüber sahen sich kurz an, dann wandte sich wieder der Colonel an ihn.
„Colonel Gibson hat letztes Jahr seinen Abschied eingereicht. Er ist nun ein Zivilist und wird Ihnen nicht weiterhelfen können.“
„Dann holen Sie mir General Di Marco her. Er wird sich an mich erinnern.“ Crowe sah seine Felle davon schwimmen.
„Der General ist leider verstorben“, lächelte der CIA-Mann. „Gehirntumor“, schloss er zufrieden.
Crowe versuchte sich an weitere Offiziere zu erinnern, unter denen er bei den Special Forces gedient hatte doch der Schock der Neuigkeiten machte ihm zu schaffen.
„Major Parks?“, fragte er vorsichtig.
„Tot“, antwortete der Colonel ruhig. „Gefallen“, ergänzte er emotionslos.
„Sergeant Major Anderson?“
Der Colonel schüttelte bedauernd den Kopf.
„Auch tot, jammerschade. Verdammt guter Operator. Hat´s zusammen mit dem Major erwischt.“
Crowe schluckte, sein Hals fühlte sich staubtrocken an und die Last der Neuigkeiten drohte ihn zu erdrücken. General Di Marco, Major Parks und der alte Lou Anderson. Alle tot? Wie konnte das passieren? Was ging hier vor? Der CIA Mann riss ihn aus seinen Gedanken.
„Hören sie zu, Crowe“, begann er, nahm seinen Fuß vom Sessel und begann, im Raum auf und ab zu gehen.
„Falls Sie´s immer noch nicht kapiert haben, dann sag ich´s Ihnen jetzt nochmal ganz klar und deutlich. Sie haben die Sache verkackt und nun gibt es Sie nicht mehr, okay? Sie sind tot. Gefallen irgendwo im Einsatz für ihr Vaterland und die Army hat keinerlei Verwendung mehr für eine Leiche. Sie haben keine Angehörigen und es gibt daher keine Hinterbliebenenpension. Und da Sie selber tot sind, gibt es auch keine Veteranenpension. Sind existieren in unseren Datenbanken nicht und haben das auch nie getan.“
Der CIA Mann grinste, als ob ihm der Vortrag Spaß machen würde und Crowe stellte sich vor, wie er ihm die Nasenwurzel ins Gehirn rammen würde. Er würde das Knacken der Knochen genießen und lächelnd auf die sich in ihren letzten Zuckungen befindliche CIA-Leiche hinunterblicken. Stattdessen kam der Mann näher und sah Crowe nun direkt in die Augen.
„Sie haben sich auf das Spiel eingelassen und Sie wissen was passiert, wenn in einer schwarzen Operation Scheiße gebaut wird. Sie wussten, dass wir bei einer eventuellen Gefangennahme jegliche Kenntnis über die Operation und deren Teilnehmer beharrlich leugnen würden. Das ist doch ein alter Hut, Mann.“
Crowe sagte nichts, sondern presste nur wütend die Zähne zusammen. Er ahnte, wer wirklich die Scheiße gebaut hatte und wünschte sich, er könnte sich entsprechend revanchieren.
„Und dann kommen wir und schippen die Scheiße aus dem Weg, damit alles wieder schön sauber wird“, lächelte die CIA. Crowes Wut nahm nur noch zu, er schwitzte und seine Hände kribbelten.
„Wenn Sie nun also hier raus spazieren und der Welt erzählen, was Ihnen passiert ist, dann werde ich mit dem Finger schnippen und wir schaufeln einen letzten Haufen Scheiße auch noch weg. Darauf kommt es uns wirklich nicht mehr an, verstanden?“
Oh ja, Crowe verstand nur zu gut. Im Scheiße schippen war die CIA Weltmeister, verzapfte sie doch selber einen Riesenhaufen Mist jedes Jahr, den es dann wegzuräumen galt. Das Fiasko mit Bin Ladens Kronprinzen nach dessen Exekution durch die Seals oder zuletzt die jämmerlichen Ergebnisse im Iran. Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt, seine Sehnen spannten sich gegen den harten Stahl der Handschellen, als er an die Scheiße dachte, die die CIA weggeschaufelt hatte. Colonel Gibson, General DiMarco, Major Parks und Lou Anderson, einfach weggeschippt um Platz zu machen für neue unverbrauchte Gesichter mit deren Leben man wieder spielen konnte und die austauschbar und entbehrlich waren, so wie er selbst und all seine Kameraden, die er in China zurückgelassen hatte.
Wie weit war es nur mit diesem Land gekommen?
Konnte es sein, dass er so viel versäumt hatte, als er in diesem feuchten Rattenloch im Dschungel ums Überleben gekämpft hatte?
Er hatte verstanden und er wusste, dass er hier nur rauskam, wenn er sich auf das Spiel einließ. Sein Blick wanderte zu dem Colonel, der ihn unverwandt fest ansah, dann wieder zurück zum CIA Mann, der immer noch lächelte.
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Crowe mühsam beherrscht.
Sie sagten es ihm.