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Bowen Island, Kanada

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4.August 2016

Dr. Clifford Baxter schwitzte stark, als er den imposanten Lachs endlich vom Haken gelöst und in die knallrote Plastikbox gewuchtet hatte, die er am Kiel des schlingernden Motorbootes verstaut hatte. Der Fisch zappelte unaufhörlich weiter und drohte wieder aus der Box und hinein in die eiskalten Gewässer des Howe Sund zu springen, wo er bis jetzt in Ruhe und Frieden gelebt hatte. Doch Baxter hatte da eindeutig etwas dagegen, drückte den passenden Deckel fest auf die Box und verschloss sie. Dann atmete er erleichtert auf und setzte sich auf die ungepolsterte Holzbank des kleinen Bootes. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn, dann blickte er entspannt auf den spätnachmittäglichen Horizont hinaus. Er nahm die rote Baseballkappe ab, und fuhr sich mit den Fingern durch sein silbergraues Haar, das an einigen Stellen bereits bedenklich dünn war. Der frische Meereswind, der salzige Luft vom Pazifik heranwehte, kühlte seine erhitzte Haut und erfrischte ihn. Baxter schloss die Augen und atmete tief ein. Dann setzte er seine Mütze wieder auf. Er spürte die untergehende Sonne in seinem Rücken und genoss die Wärme. Wieder betrachtete er gedankenverloren den Horizont.

Im Osten konnte er den Leuchtturm von Point Atkinson erkennen, dessen leistungsstarkes Signallicht in der roten Turmspitze die anlaufenden Schiffe sicher in die Horseshoe Bay und danach nach Vancouver hinein leitete. Der ansonsten weiß lackierte Turm thronte weithin sichtbar auf blankem Fels, flankiert von zwei nur mehr schwach erkennbaren weißen Häusern mit roten Dächern. Dahinter erstreckte sich dichter Nadelwald, so wie fast überall hier in British Columbia. Die kanadische Flagge, die einige Meter entfernt des Turmes im böigen Wind flatterte, konnte Baxter hingegen nicht erkennen. Dazu waren seine Augen nicht mehr stark genug.

Dr. Baxter blieb noch einige Minuten stumm sitzen und ließ seine Blicke über die ruhige See gleiten, beobachtete die kurzen, gedrungenen Fischerboote, die mit vollen Laderäumen tief im Wasser lagen und zurück in ihre kleinen Häfen tuckerten. Baxter sah auf seine Armbanduhr und entschied, dass es eigentlich höchste Zeit war, zurückzufahren. Zufrieden über seinen erfolgreichen Angelausflug, zog er zweimal stark an der Reißleine des betagten Yamaha-Außenborders, bis dieser dann schließlich protestierend ansprang. Baxter drehte am Gasgriff des Motors und dirigierte sein Boot in langsamer Fahrt auf die Küste von Bowen Island zu. Der Rumpf des leichten Aluminiumbootes schnitt sicher durch die etwa einen halben Meter hohen Wellen. Nach zehn Minuten fuhr er um eine Biegung der Küste und lief in einen kleinen, geschützt liegenden Fjord ein. Die Ufer des Meeresarmes, der sich ein Stückchen ins Innere der Insel hinein schlängelte, stiegen steil zu dichten Nadelwäldern an. Schmale Streifen saftig grünen Grases waren von knallroten Sommerblumen gesprenkelt. Das kalte Wasser des Fjordes klatschte rhythmisch gegen die blanken Felsen, auf denen Möwen saßen und sich das Gefieder putzten.

Baxter tuckerte weitere zehn Minuten ins Landesinnere, bis links ein alter, verwitterter Steg auftauchte. Er machte das Boot fest und betrat die dicken Planken. Er schnappte sich sein Angelzeug und die rote Box mit dem schweren Lachs, entschied, dass er nicht alles auf einmal würde tragen können, und ließ die Angelruten schließlich im Boot zurück. Er würde seine Ausrüstung später abholen, entschied er, als er auf die Blockhütte zu marschierte, aus deren Kamin gleichmäßig Rauch aufstieg und über die Baumkronen des dichten Nadelwaldes davonzog. Das Blockhaus lag verborgen unter mehreren hohen Bäumen und bot einen idyllischen Blick über die schmale Bucht.

Baxter marschierte die Auffahrt hoch und betrat die kleine Veranda der Hütte, deren schwere Holzbohlen mit einem dunkelblauen Läufer belegt waren. Mehrere Angelruten standen in einem Gestell neben der Eingangstür, ein Käscher lehnte gegen die dicken Holzwände. Baxter setzte die Box mit dem dicken Lachs ab und kramte nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche. Er fand ihn, schloss die Tür auf, hob die Box mit dem Lachs wieder hoch und trat ein.

Er ging ein paar Schritte auf die Küche des Blockhauses zu. Der Fisch wog schwer in seinen Armen, zappelte jedoch nicht mehr. Instinktiv hielt Baxter inne und horchte. War da nicht irgendein Geräusch gewesen, dachte er und sah zur Seite. Alles in dem großen Wohnraum der Hütte war tadellos aufgeräumt und in Ordnung, alle Dinge waren genau da, wo sie sein sollten. Baxter sah sich noch einmal genauer um, doch er konnte nichts entdecken. Der alte Mann war sich aber sicher, irgendetwas gehört zu haben, deshalb hielt er die Luft an und lauschte aufmerksam. In den letzten Wochen war in einige der anderen Hütten hier auf Bowen Island eingebrochen worden. Meistens waren es nur kleinere Vandalenakte von randalierenden Teenagern gewesen, doch man konnte nie wissen. Baxter war ein vorsichtiger Mensch, war dies immer schon gewesen, auch früher, als er noch in Seattle gearbeitet hatte. Nur deshalb, weil er so besonnen und vorsichtig war, hatte er es überhaupt bis zum Chefkonstrukteur bringen können, da war er sich sicher. Doch das alles lag lange zurück und war vorbei.

Es war totenstill, Baxter hörte nur seinen eigenen, ruhigen Atem. Er hielt noch ein paar Sekunden inne, dann schüttelte er lächelnd den Kopf und tadelte sich für seine Ängstlichkeit.

Du bist hier auf Urlaub, Cliff, sagte er sich. Entspanne dich und schalt mal ab. Du hast es verdient. Baxter stellte die Box mit dem toten Fisch auf die Arbeitsplatte der kleinen Küche. Er würde den Lachs filetieren und danach zubereiten. Als er an den Geschmack des weißen, festen Fleisches dachte, bekam er Hunger. Dann fiel ihm das Angelzeug ein, das noch unten am Steg war und er entschied, es gleich zu holen, bevor er es vergaß. So wie er viele Dinge in letzter Zeit einfach vergessen hatte, dachte Baxter trübsinnig. Zu viele Dinge …

Seine Anglerstiefel knirschten im groben Kies der Zufahrt, als er hinunter zum Wasser ging. Er fand seine Ausrüstung und kehrte zum Haus zurück. Als er wieder die kleine Veranda betrat, kontrollierte er die Angel und stellte sie dann zu den anderen in das Gestell. Er ging in die Küche zurück und öffnete die Box mit dem Lachs. Die dunklen Fußabdrücke auf dem Läufer im Wohnraum fielen ihm nicht auf. Auch die dunkle Gestalt, die sich hinter der Eingangstür verbarg, sah er nicht.

Baxter hatte nur Augen für sein Abendessen, das in der roten Box in der Küche auf ihn wartete.

Als er das Knarren der Dielen direkt hinter sich hörte und erschrocken herumwirbelte, war es bereits zu spät. Baxters Augen weiteten sich aus Angst vor dem großen Mann, der keine drei Meter vor ihm stand. Baxter konnte das Gesicht des Mannes gegen die untergehende Sonne, die durch die offen stehende Holztür am Eingang schien, nicht erkennen. Er war unfähig, irgendetwas zu sagen oder sich zu bewegen. Sein verkrampfter Körper war erstarrt, seine Blicke wanderten ungläubig vom dunkel verschwommenen Gesicht des Mannes zu dessen behandschuhten Fäusten, die sich langsam erhoben.

„Was …, Wer …,“ stammelte Baxter und wich instinktiv zurück, bis er mit dem Rücken an der Arbeitsplatte anstieß. Der Mann kam weiter auf Baxter zu, und hielt sich dabei angriffslustig mit leicht vorgebeugtem Oberkörper.

„Mach keinen Scheiß Opa, dann wird dir nichts passieren …“ knurrte er, sein breiter Brustkorb war nur mehr knapp eineinhalb Meter von Baxter entfernt. Panik stieg in dem alten Mann auf, dann preschte er urplötzlich vor. Baxter zielte auf die kleine Nische zwischen dem Mann und der Arbeitsbank der Küche. Dort wollte er durchschlüpfen und dann entkommen. Er schoss vorwärts und erahnte die Bewegung neben ihm nicht einmal, als der andere Mann seinen Arm hob.

Die Faust landete knackend an Baxters Schläfe und schickte ihn polternd zu Boden. Baxters Welt drehte sich, dann krachte sein Gesicht auf die dunklen Bretter des Wohnraums. Sämtliche Luft entwich aus seinen Lungen, er konnte nicht mehr atmen. Als er sich keuchend und nach Luft ringend mühsam auf den Rücken drehte, tanzten schwarze Punkte vor seinen Augen. Ihm war schwindlig und sein Kopf dröhnte. Ein stechender Schmerz schoss von seinem rechten Auge direkt in sein Gehirn und trübte seinen Blick. Tränen sickerte aus seinen Augen und brannten in der klaffenden Platzwunde, die vom Aufprall auf den harten Boden herrührte. Der Mann beugte sich über ihn und füllte nun sein gesamtes, sehr eingeschränktes Blickfeld aus. Baxter weinte, er wollte nicht sterben.

„Ich hab dir doch gesagt, dass es eine beschissene Idee ist, du verdammter Idiot!“ fauchte der Mann, dessen Gesicht Baxter nun das erste Mal sah. Nie würde er das breite Grinsen vergessen, mit dem der Mann ihn ansah.

Niemals.

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