Читать книгу DELTA OPERATOR - Marco Gruber - Страница 7

New York

Оглавление

18. Juli 2016

Der Mann mit dem dunklen, fleckigen Ledermantel lehnte lässig an einem rostigen Laternenpfahl und beobachtete das alte Mietshaus. Er hielt sich geschickt im Schatten des großen Lagerhauses verborgen und war im schwachen Mondlicht der schwülen Sommernacht nur schwer zu erkennen. Dass die Straßenbeleuchtung direkt über ihm nicht funktionierte, gefiel ihm besonders. Hinter der blau getönten Sonnenbrille, die der Mann trotz der Dunkelheit trug, konnte man seine wachen Augen nicht sehen, sein Gesichtsausdruck war schon seit einer Stunde der gleiche. Als ein alter Buick die Straße herunter quietschte, drehte er sein Gesicht einige Zentimeter zur Seite. Der Wagen fuhr langsam an ihm vorbei, der Fahrer sah gelangweilt geradeaus. Ohne weiteres Interesse an dem Buick oder dem kleinen Mann am Steuer wandte sich der Mann wieder der schmalen Zufahrt zum Innenhof des Gebäudes zu. Kurz glimmte es in seinen verspiegelten Oakleys auf, als er sich eine Zigarette anzündete und sein Gewicht auf das Bein verlagerte, das nicht vor einigen Jahren durch Granatsplitter in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Bruce Dobbs, so hieß der Mann, verzog kurz das Gesicht, vielleicht für einen Sekundenbruchteil, dann setzte er wieder dieselbe, nichts sagende Miene auf, und beobachtete weiter. Der Platz war zwar nicht ideal, dachte er, aber er sollte für seine Zwecke reichen. Dobbs kannte sein Ziel, hatte es beobachtet und glaubte zu wissen, was ihn erwartete. Er fühlte sich nicht besonders aufgeregt, dafür war die Sache nicht ernst genug.

Oder doch?

Nein, entschied er, eigentlich nicht. Zumindest nicht an manchen Dingen gemessen, die Dobbs schon erlebt hatte, früher einmal, in einem anderen Leben.

Er lockerte sich ein wenig, indem er leicht auf seinen Fußballen vor und zurück wippte. Dann, ganz unerwartet, fuhr das schwarze Sportcoupé um die Ecke und bog auf die Straße ein. Dobbs sah auf das Nummernschild des Wagens, sog noch einmal an der Zigarette und ließ sie dann auf die staubige Straße fallen. Mit dem Absatz seiner schweren Bikerstiefel zertrat er die Glut. Das Coupé bremste und fuhr langsam durch das schmale Tor ins Innere des Hofes. Der Fahrer ging dabei ganz vorsichtig mit der Kupplung des Wagens um, damit die teuren Leichtmetallfelgen nicht durch die Schlaglöcher beschädigt wurden. Dobbs war das nur recht, als er die Straße mit großen Schritten überquerte, dabei kurz nach links und rechts sah, und schließlich zu dem Wagen aufschloss, der ganz langsam vorwärts kroch. Seine rechte Hand war irgendwo im Inneren seines Mantels verschwunden, als er durch den altmodischen Torbogen glitt und unmittelbar hinter dem Auto den Innenhof betrat.

Durch die getönten Heckscheiben konnte er nicht sehen, wie viele Männer im Wagen saßen, er schätzte aber, dass es vier sein würden. Mit weniger Begleitung rückte dieser beschissene kleine Sack nie aus, hatte ihm sein Auftraggeber erklärt. Dobbs hatte das bedacht, als er die Aktion geplant hatte. Er checkte kurz den Innenhof, indem er über das blank polierte Dach des Wagens spähte, dann fasste er sein Ziel endgültig ins Auge. Laute Rapmusik klang durch die geschlossenen Scheiben des Wagens dumpf nach draußen, der schwere Bass ließ die Luft vibrieren. Vermutlich beobachteten ihn die Männer im Wagen bereits. Dobbs hatte keine Lust, irgendetwas zu riskieren, deshalb zog er die Remington aus dem Futteral in seinem Mantel.

Der Motor des Coupes heulte auf, als der Fahrer das Gaspedal voll durchtrat, doch Dobbs war bereits auf Höhe des Tankdeckels gewesen. Der Rückschlag der Schrotflinte war trotz der Erfahrung, die Dobbs mit der Waffe hatte, immer noch erstaunlich. Die Ladung des groben Schrots ging ungebremst durch das Fenster der Fahrertür, traf den Körper dahinter mit voller Wucht und färbte die Windschutzscheibe rot. Dobbs repetierte, die qualmende Hülse flog rotierend durch die Luft und landete am dreckigen Lehmboden des Innenhofes. Wieder krachte die Remington, als Dobbs die hintere Seite des Wagens durchsiebte. Leicht gebückt und die schwere Waffe im Anschlag umrundete Dobbs das nur mehr langsam ausrollende Auto und behielt dabei die Umgebung im Auge. Noch bevor irgendjemand hätte reagieren könnte, krachte weiterer grober Schrot in die andere Seite des Wagens. Eine blutige Hand stemmte zaghaft die Beifahrertür auf und Dobbs konnte den kleinen Trommelrevolver sehen, den die krampfhaft verkrümmten, zitternden Finger umklammerten. Er zögerte nicht und pumpte eine weitere Ladung Schrot ins Innere des Wagens. Dobbs hörte ein animalisch klingendes Gurgeln, dann rutschte langsam ein Bein mit weißen, blutigen Turnschuhen aus der Türöffnung. Noch bevor das zuckende Bein den staubigen Boden berührt hatte, feuerte Dobbs erneut. Die Heckscheibe zersplitterte und krachte nach wenigen Augenblicken völlig in sich zusammen. Wieder lud Dobbs die Waffe durch und sah sich rasend schnell im Hof um. Als er niemand anderen entdecken konnte, wagte er sich einen Schritt nach vorne und spähte durch die zertrümmerte Scheibe ins Innere des Wagens. Der süßliche Geruch von Blut mischte sich unter den wabernden Pulverdampf, der den schwarzen Wagen umgab. Er sah den Fahrer, einen dicken Afroamerikaner, dessen nackter Oberkörper blutverschmiert war, über dem Lenkrad hängen. Das Gesicht des Fahrers war nicht mehr da, sondern hatte sich zusammen mit der halben Frontscheibe über die Kühlerhaube verteilt.

Doch der Kerl war es nicht, er war viel zu fett, dachte Dobbs.

Am Beifahrersitz hing kopfüber ein weiterer Mann, ebenfalls ein Schwarzer, den Dobbs nicht kannte und auch nicht mehr kennen lernen sollte. Dobbs verzog das Gesicht und sah sich die Rückbank des Wagens genauer an. Der einzig weitere Insasse – neben ihm auf der Rückbank befand sich ein Kasten deutsches Bier, oder die Reste davon – sah Dobbs mit großen Augen aus einem schmerzverzerrten und überraschten Gesicht an. Ein Gesicht, das Dobbs absolut nichts sagte. In der Mitte der Brust des Mannes klaffte ein riesiges Loch, durch das er Luft mit einem schmatzenden Geräusch einsog. Dobbs blickte in die Augen des sterbenden Mannes und schüttelte scheinbar bedauernd den Kopf. Dann roch er das Bier, das aus den zersplitterten Flaschen auf das schwarze Leder der Rückbank sickerte und bekam plötzlich Durst. Kurz lächelte er über die Ironie der Situation, in der er sich befand. Der Mann stöhnte kraftlos, sein Körper zitterte unkontrolliert. Dobbs hatte kein Mitleid mit ihm, als er ihn noch einmal betrachtete.

„Scheißtag, was?“, grinste er humorlos. Dann feuerte die Remington ein weiteres, letztes Mal.

Bruce Dobbs war nicht zufrieden, als er sich durch die schmalen Gassen der Bronx davonstahl. Er war sich sicher, dass ihn niemand erkannt hatte. Als überall Lichter aufgeflammt und die ersten Neugierigen aufgetaucht waren, hatte er die Remington unter dem Mantel verschwinden lassen und war abgehauen. Wahrscheinlich würde man sich nur an einen dunklen Schatten erinnern, der die Straßen von ein paar Crack-Junkies befreit hatte. Und niemand würde den Typen nachweinen, die er heute Nacht erledigt hatte. Da war sich Dobbs sicher. Wahrscheinlich würden die Cops, die irgendwann in den nächsten Minuten am Tatort eintreffen würden, ihm heimlich sogar dankbar sein für die Arbeit, die er den Gerichten erspart hatte. Doch Dobbs war das egal. Ihm wäre lieber gewesen, er hätte seinen Auftrag erfüllt. Nur darauf kam es schließlich an, wenn er Geld sehen wollte. Er war noch neu in diesem Geschäft und hatte sich noch keinen Namen gemacht. Und mit solchen Misserfolgen kam man nicht gerade weiter. Nur wer fehlerfrei und absolut eiskalt war, hatte eine Chance, an Geld zu kommen. Und Dobbs wollte, brauchte Geld. Unbedingt.

Es waren nur drei verdammte Nigger in dem Auto gewesen, für die er keinen Cent sehen würde. Sein eigentliches Ziel war irgendwo anders, wahrscheinlich zugedröhnt bis unters Dach und genoss einen weiteren Tag seines beschissenen Lebens. Eigentlich sollte es der letzte Tag in seinem Leben gewesen sein, wenn es nach Dobbs und seinem Auftraggeber gegangen wäre, aber das war ja nun anders.

Meine Güte, es war einfach nur Pech!

Dobbs fühlte sich jetzt eigentlich sicher. Er war schon zehn Minuten unterwegs und mittlerweile weit genug vom Tatort entfernt. Der Mantel und die Remington lagen im Kofferraum seines Chryslers, den er ein paar Blocks weiter geparkt hatte und den er jetzt durch die nächtlichen Straßen der Bronx lenkte. Außerdem kamen die Bullen in dieser Gegend wesentlich später, als bei einem Mord in Manhattan. Lag wahrscheinlich daran, grinste Dobbs und strich sich über seinen dunklen Kinnbart, dass in Manhattan ein oder zwei Morde weniger pro Tag passierten – ganz grob gerechnet.

Weitere zwanzig Minuten später hatte Dobbs seinen Wagen in der stockdunklen Tiefgarage eines schäbigen Wohnblocks geparkt und befand sich im Lift nach oben. Er verließ die stickige Kabine und überwand die kurze Distanz durch den dreckigen Flur. Als er den Schlüssel ins Türschloss steckte, hörte er das metallische Klingeln des alten Telefons. Dobbs Herzschlag erhöhte sich, sein Mund fühlte sich trocken an. Wer wusste von dieser Nummer und wer rief ihn um diese Uhrzeit an? Es war mitten in der Nacht und er erwartete keinen Anruf. Das Telefon klingelte unbeeindruckt weiter, ein terrorisierend lautes Geräusch inmitten der totenstillen Wohnung. Dobbs schwitzte, als er nach dem Hörer griff.

„Hallo!“ sagte er vorsichtig.

„Dobbs?“ vernahm er die Stimme am anderen Ende der Leitung. Eine irgendwie sehr bekannte Stimme, dachte Dobbs, der sich unbewusste versteift hatte.

„Ja, ich bin dran. Wer zum Henker …“

„Sehr gut“, unterbrach ihn die Stimme barsch.

Dobbs hielt die Luft an, er fühlte sich ertappt, überführt, … Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, deswegen hörte er weiter zu.

„Sergeant, ich habe wieder Verwendung für Sie.“

Dobbs erstarrte, als er die Stimme erkannte. Sein Mund fühlte sich trocken an und sein Herz raste. Es war nicht die Polizei, es war auch nicht sein Auftraggeber, der von dem Fiasko vielleicht bereits erfahren hatte. Es war …

„Sind Ihre Sachen gepackt?“ hörte Dobbs den Mann am anderen Ende der Leitung fragen.

Dobbs schluckte und schloss die Augen. Es war verdammt lange her, seit er zuletzt diese Stimme gehört hatte – beinahe eine Ewigkeit.

„Selbstverständlich, Sir.“

DELTA OPERATOR

Подняться наверх