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Pentagon, Washington
ОглавлениеJoint Forces Counter Terrorism Command
5. September 2016
John Grant besaß als Dreisternegeneral der Army das Privileg eines großzügigen Büros mit direktem Ausblick auf das spätsommerliche Washington. Als befehlshabender General des JFCTC war er für die Terrorismusbekämpfung innerhalb der US-amerikanischen Streitkräfte zuständig. Dabei untersuchte sein Stab die Strukturen der vier Teilstreitkräfte und fahndete nach Ansatzpunkten, die Terroristen eventuell ausnutzen konnten. Die Offiziere, die unter ihm dienten, besuchten Stützpunkte auf allen Kontinenten und klärten die zuständigen Kommandeure über Gefahren und Versäumnisse bezüglich der Verwundbarkeit gegen terroristische Attacken auf. Nach unzähligen Anschlägen gegen Kasernen, vor Anker liegenden Kriegsschiffen oder Botschaften war dies dem damaligen Präsidenten Bush als nötig und sinnvoll erschienen. Ein weiteres Einsatzspektrum seiner Soldaten war die Unterweisung gegen terroristische Guerillaattacken in besetzten Gebieten. Dazu wurden die besten Männer der Special Forces der Army genauso abgeworben wie langjährige Außeneinsatzoffiziere der CIA. General Grant und sein Kommando besaßen nahezu uneingeschränkte Kompetenzen und waren eigentlich für alle unter dem Sternenbanner dienenden Männer und Frauen zuständig. Die Behörde war direkt dem Central Command unterstellt und besaß weit reichende Zuständigkeiten. Grant konnte jederzeit auf jedem Platz der Welt auftauchen und irgendeinem Kommandeur der Army, der Navy, der Air Force oder der Marines vorschreiben, wie er sich gegen Angriffe durch Terroristen zu verteidigen hatte. Eine Unterschrift von General Grant auf einem Befehl öffnete dem Überbringer dieses Schreibens buchstäblich Tür und Tor. Es war beinahe so etwas wie eine VIP-Eintrittskarte ins Herzen der amerikanischen Streitkräfte verbunden mit nahezu uneingeschränkten Befugnissen. Grants Männer und Frauen agierten deshalb manchmal auch mit einer gewissen Arroganz und dem Selbstbewusstsein, das ihnen ihre Sonderstellung verlieh. Das hatte das JFCTC schon bei manchem sehr unbeliebt gemacht. Doch seine Notwendigkeit wurde durch den drastischen Rückgang von erfolgreichen Anschlägen auf US-Einheiten nur bestätigt. Und dieser objektive Fakt war es auch, dem eigentlich niemand widersprechen wollte. Das neue Kommando hatte sich bewährt und war als wichtiges Instrument im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus anerkannt.
Das war eine gute Sache, wenn es das JFCTC denn auch in Zukunft geben sollte. Und das stand bestenfalls in den Sternen, dachte Grant düster.
Die Klimaanlage surrte beinahe geräuschlos, durch das offenstehende Fenster strömte ein schwacher Luftzug in den Raum und verlor sich zwischen den schweren Mahagonimöbeln. Der große Plasmabildschirm, der seitlich neben dem polierten Schreibtisch des Generals an die Wand montiert war, zeigte CNN. Die Kaffeemaschine surrte und klickte, als der General seine persönliche Halblitertasse unter der Düse wegzog. Seinen Kaffee machte sich der General immer noch selber. Heißer Dampf stieg von dem pechschwarzen Gebräu auf, während Grant sich hinter seinem Schreibtisch auf den bequemen Ledersessel fallen ließ. Der General roch an der Tasse, deren Inhalt mit etwa der Kaffeebohnenmenge gebrüht war, die normalerweise für eine ganze Kanne reichte, und schloss genießerisch die Augen. Doch nur für einen kurzen Moment.
Er lehnte sich zurück und nippte an dem heißen Kaffee. In seinem Rücken rahmten das Sternenbanner und die Fahne der US Army ein überdimensional großes Portrait General George S. Pattons ein, dem einzigen Vorbild, zu dem Grant jemals wirklich aufgeblickt hatte. Der Viersternegeneral war ein taktisches und strategisches Genie gewesen, seine Panzertruppen hatten im zweiten Weltkrieg zuerst Nordafrika und danach Europa aufgemischt. Und Patton war stets zuallererst in vorderster Reihe dabei gewesen. Er hatte seine Truppen wirklich angeführt, nicht irgendwo aus einem bombensicheren Bunker hirnlose Befehle erteilt und damit Soldaten in den Tod geschickt. Er war einer der wenigen Anführer gewesen, die es fertiggebracht hatten, aus ihren Männern hundertzwanzig Prozent Leistung herauszuholen – nur durch seine bloße Anwesenheit. Mit seiner Reiterhose und den beiden Colts mit Perlmuttgriff hatte er sehr verwegen ausgesehen, dachte Grant, der sich inzwischen umgedreht hatte und das Bild des Mannes mit den breiten Schultern und den weißen Haaren betrachtete. Ja, dieser Mann war wirklich einmalig gewesen. Einmal hatte er sogar einen angreifenden Tiefflieger, der Pattons Hauptquartier in Nordafrika attackiert hatte, mit seinem Colt beschossen. Sogar als die Jagdmaschine noch einmal zurückgeflogen kam und das Gebäude erneut aufs Korn genommen hatte, war Patton wie ein Fels in der Brandung im Fenster stehen geblieben und hatte auf den Deutschen gefeuert. Den anderen Offizieren, die aus ihrer Deckung wieder hervor gekrochen kamen, nachdem das Flugzeug abgedreht hatte, war die schiere Wut Pattons in ewiger Erinnerung geblieben, mit der er dem Jäger hinterher gestarrt hatte. Am liebsten, so waren sich damals alle aus Pattons Stab einig, wäre er dem Jagdflieger selber hinterher geflogen und hätte ihn höchstpersönlich vom Himmel geholt.
Leider hatte er die verdiente Anerkennung zu Lebzeiten nicht erhalten, dachte Grant, der Pattons Lebenslauf auswendig kannte. Dann wanderten seine Gedanken zurück in die Gegenwart, die nach seiner Sicht der Dinge eigentlich auch nicht besser aussah als die frühen vierziger Jahre damals.
Patton hätte einen starken Präsidenten abgegeben, da war sich Grant sicher. Er hätte mit allen Terroristen ohne Frage kurzen Prozess gemacht. Denn eines war Patton mit Sicherheit nie: ein Diplomat. Kurz nach dem Ende der Kampfhandlungen im Jahre 1945 war Patton lautstark dafür eingetreten, nicht aus Europa abzuziehen, sondern gleich gegen die Kommunisten loszuschlagen. „Wir haben das nötige Material und die Männer bereits da. Wozu warten, wenn wir jetzt alles regeln können!“, soll Patton auf einem Empfang der Siegermächte gesagt und damit schwere Verstimmungen zwischen Ost und West ausgelöst haben.
Grant schmunzelte, als ihm diese Episode des großen Generals in den Sinn kam. Was würde Patton wohl angesichts der Bedrohung unternehmen, die in den letzten zwanzig Jahren ständig zugenommen und sich als wahre Pest erwiesen hatte, fragte sich Grant. Würde er ihren Plan gutgeheißen, ihn sogar unterstützt haben?
„Was würdest du tun?“, flüsterte er und sah einige weitere Sekunden in die stechenden Augen des Portraits.
Grants Miene verdüsterte sich zunehmend. Er fühlte sich von dem großen Mann in der Uniform der Panzerstreitkräfte beobachtet und beinahe durchleuchtet. Er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren würde, er hatte Angst, dass er das Falsche getan hatte und weiterhin das Falsche tun würde. Ein Blick auf das Sternenbanner, die roten und weißen Streifen, die blaue Fläche mit den Sternen, ließ ihn zusätzlich ein Gefühl von Unsicherheit verspüren.
Hatte er nicht einen Eid auf eben diese Fahne abgelegt, einen Eid, an den er sich jeden einzelnen Tag gehalten hatte, den er diesem Land gedient hatte?
Verpflichtete dieser Eid ihn nicht dazu, alles zu tun, um seinem Land zu dienen und es vor Gefahr zu beschützen?
Musste er nicht alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um seinen Eid zu erfüllen, so schwierig dies manchmal auch sein konnte?
Hatte er nicht die verdammte Pflicht, absolut jeden zu bekämpfen, der diesen Zielen im Wege stand und ihn daran hinderte, sie zu erreichen?
Grants Blick wurde zunehmender fester. Er sah in das Gesicht General Pattons und richtete sich unwillkürlich etwas auf.
Zum Teufel noch mal, er tat das einzig Richtige.
Er tat das Einzige, was einem Patrioten in seiner Stellung und mit seinem Einfluss übrigblieb, um sein Land zu retten und es dahin zurückzubringen, wo es hingehörte.
Wesentlich zuversichtlicher als noch vor wenigen Minuten stellte Grant die leere Tasse auf seinen Schreibtisch und griff nach der Fernbedienung. Er wollte noch einige Minuten fernsehen und danach das Büro verlassen. Es war wieder spät geworden, viel zu spät, und er war müde. Grant stellte den Ton lauter und folgte den Ausführungen der hübschen dunkelhäutigen Reporterin nur oberflächlich.
Irgendwo in Kansas hatte ein Tornado eine Kleinstadt verwüstet, es war aber glücklicherweise niemand ums Leben gekommen. Danach verabschiedete sich die Reporterin und es wurde zurück ins Studio geschaltet. Diesmal meldete sich ein Sprecher, den Grant zum ersten Mal sah. Er war jung und schien etwas nervös zu sein. Grant fielen beinahe die Augen zu, als er der Geschichte eines Banküberfalles in New Jersey nur mehr sehr abwesend folgte. Er hob die Fernbedienung und suchte nach dem Aus-Knopf, als er plötzlich innehielt. Er erhöhte die Lautstärke und richtete sich auf.
… Die Behörden schließen ein Gewaltverbrechen nicht aus. In Dr. Baxters Jagdhütte seien Spuren eines Kampfes entdeckt worden, die momentan genauer untersucht würden. Momentan könne man aber keine genaueren Angaben machen, was sich abgespielt habe und wo sich Dr. Baxter zurzeit aufhalten könnte. Sowohl die kanadischen Behörden, als auch die Polizei in Seattle, wo Baxter bis zuletzt seinen Hauptwohnsitz hatte, bitten die Bevölkerung um Hinweise, die zur Aufklärung des Falles führen könnten. Boeing, der ehemalige Arbeitgeber Dr. Baxters, zeigte sich tief betroffen über das Schicksal des langjährigen Mitarbeiters. Boeing-Vorstandssprecher Phil Kletter meinte gegenüber CNN, dass alle Angestellten des Konzerns in Gedanken bei Dr. Baxter wären und auf ein baldiges Wiedersehen mit dem ehemaligen Chefkonstrukteur hofften.
Grant las die Schlagzeile unter dem wenig schmeichelhaften Bild Baxters: Nobelpreisträger wird vermisst
Dann wechselte der Sprecher das Thema und wurde für den General hinter seinem Schreibtisch sofort uninteressant. Grants Müdigkeit war verflogen, als er nach dem Telefonhörer griff.
„Das konnte ja nicht ewig gut gehen“, murmelte er, dann hatte er die Vermittlung am Apparat.
„Verbinden Sie mich sofort mit General Garrett in Quantico“, maulte er ungehalten, weil es ihm schon wieder viel zu lange gedauert hatte.
Während er auf die Verbindung wartete, erschien wieder das Bild Dr. Baxters vor seinen Augen. Grant wusste nicht, wo er war. Das überließ er Garrett, genau wie die anderen, na ja, weniger angenehmen Einzelheiten der Operation. Die Marines hatten sich in dieser Beziehung ohnehin schon immer als wenig zimperlich erwiesen.
Grant bekam einen jungen Lieutenant an die Leitung, der ihm mit Bedauern mitteilte, dass General Garrett bereits das Büro verlassen hatte. Er würde ihn aber in die Privatwohnung Garretts durchstellen können. Das würde allerdings noch etwas dauern. Grant befahl dem jungen Marine, dass er sich verdammt noch mal beeilen sollte und wartete danach auf die Verbindung.
Jeder sollte das tun, was er am besten konnte, dachte Grant. Und Garrett verstand sein Handwerk.