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Lake Skegemog, Michigan, USA
Оглавление20.Juli 2016
Das kleine Motorboot glitt langsam über die spiegelglatte Oberfläche des Lake Skegemog, der vom etwas größeren Elk Lake abzweigte und im Nordosten des riesigen Binnenmeeres Lake Michigan an der Grenze zu Kanada lag. Die Sonne stand noch sehr tief im Osten und warf lange Schatten der abgestorbenen Baumstümpfe, die mitten aus dem See ragten, über das tiefblaue seichte Wasser. Einzelne Seemöwen und ein Kormoran glitten lautlos durch die warme Morgenluft, immer Ausschau nach einem lohnenden Fang unterhalb der Wasseroberfläche haltend.
Joseph Theodor Gibson hatte seinen Fang für heute schon gemacht. Zufrieden betrachtete er die beiden Regenbogenforellen in dem Kübel mit Seewasser, die er draußen auf den ruhigen Gewässern des Sees geangelt hatte. Er hätte auch Gelbbarsche oder einen Hecht aus dem Wasser ziehen können, wenn er sich nur ein bisschen mehr in Geduld geübt hätte, doch irgendwie verspürte er heute eine unerklärliche Unruhe, die ihn seinen morgendlichen Angelausflug nicht richtig genießen ließ und die ihn nun nach Hause trieb. Und Joe Gibson war ein Mann, der auf seine Intuition hörte. Sie hatte ihm schon mehrmals ausgezeichnete Dienste erwiesen und mehr als einmal das Leben gerettet – früher, in einem anderen, aufregenderen Dasein als jenes, das er jetzt fristete.
Er manövrierte das kleine Boot durch die unzähligen abgestorbenen Baumstümpfe, wich Sandbänken und Untiefen, sowie den gefährlichen Felsbrocken aus, die auf seiner Karte eingezeichnet waren und näherte sich schließlich dem östlichen Ufer des Sees. Durch vereinzelte Nebelschwaden, die sich im Laufe des Vormittages noch auflösen würden, konnte er nun bereits den Waldrand und sein direkt davor geparktes Wohnmobil erkennen, das er sich vor zwei Jahren, ein paar Monate nach seinem unschönen Abschied von den Special Forces gekauft hatte. Und seine nach wie vor scharfen Augen erkannten auch den dunklen Wagen, der direkt daneben parkte.
Gibsons Laune verschlechterte sich. Wenn man hier draußen Besuch bekam, dann hieß das im Allgemeinen, dass man irgendein Problem hatte. Er spähte gegen das wärmer werdende Sonnenlicht und versuchte zu erkennen, wer da auf ihn wartete. Der Außenborder tuckerte eintönig und trieb das kleine Boot weiter auf das Ufer zu. Gibson spähte hinüber zu dem Wagen und erkannte, dass eine Person ausstieg, die Tür zuwarf und sich dem Ufer näherte.
Sein Gefühl der Unruhe hatte sich hiermit bestätigt, dachte Gibson, der dummerweise keine Waffe dabeihatte und nur hoffen konnte, dass der Mann, wie er nun beim Näherkommen erkannte, nichts von ihm wollte. Und sollte er doch irgendetwas im Schilde führen, dann wäre es für den Mann besser, er wäre schwer bewaffnet, den Gibson hatte schon mehrere Menschen getötet – und das ohne Waffen und nur mit seinen bloßen Händen.
Der Mann, erkannte Gibson nun, hatte seine Hände in den Taschen einer schwarzen Jacke stecken und trug eine Baseballmütze, sodass er das Gesicht nicht erkennen konnte. Gibson verlangsamte die Fahrt des Bootes, klappte den Außenbordmotor hoch und schlitterte langsam gegen die kiesige Böschung des Ufers. Ohne den anderen Mann aus den Augen zu lassen, der unbeweglich dastand und ihn beobachtete, sprang Gibson aus dem Boot, landete im knietiefen Wasser und watete ans Ufer. Mit einem einzigen kraftvollen Ruck zog er das Boot so weit aus dem Wasser, dass es nicht mehr von alleine abtreiben konnte. Den Eimer mit den beiden Forellen vergaß er vorerst und näherte sich stattdessen dem Mann.
„Morgen, Mister!“, begrüßte er den anderen Mann vorsichtig, der etwa zehn Meter entfernt war.
„Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“
Der andere Mann nahm seine Hände aus den Jackentaschen und griff nach seiner Baseballmütze. Er nahm sie ab, fuhr sich durch sein dunkles, langes Haar und lächelte.
„Ich glaube, das kannst du in jedem Fall, Colonel“, antwortete Steven Crowe.
„Mein Gott!“, keuchte Colonel a.D. Joseph T. Gibson von der 1st Special Forces Operational Detachment Delta.
„Das kann nicht sein“, flüsterte er und trat näher an die Gestalt heran, die aus dem Nebel aufgetaucht war und die eigentlich nicht hier sein dürfte.
Dieser Mann war tot. Gibson hatte damals seine Schreie über Funk selber gehört. Damals in der Einsatzzentrale, als Gibson sich völlig hilflos und überflüssig gefühlt hatte, mit keiner Möglichkeit, seinem Freund und all den anderen Deltas zu helfen. Er würde nie die Gefühle der unbändigen Wut und der Enttäuschung vergessen, die er damals empfunden hatte.
Doch das Gefühl, das in ihm hochstieg, als er weiter auf diesen Geist zuging und ihn schließlich umarmte, war ein völlig anderes, aber in seiner Stärke nur unwesentlich schwächer.
„Stevie Crowe!“, lachte er nun auf und klopfte ihm herzhaft auf Schultern und Rücken, so als wollte er überprüfen, ob er wirklich lebendig war. Er spürte Tränen der Freude, die ihm über die stoppeligen Wangen liefen.
„Ich fass es nicht! Ich dachte wirklich, dich hätt´s erwischt, mein Freund.“
Crowe lachte ebenfalls, als er sich mühsam aus der herzlichen Umarmung seines Freundes befreite. Es tat verdammt gut, diesen alten Delta Operator wieder zu sehen.
„Ja, ich bin immer noch da, Joe. Aber wenn du nicht aufhörst, mich dermaßen zu herzen, dann bringst du das zu Ende, was die Chinesen angefangen haben.“
Beide Männer lachten, klopften sich gegenseitig auf die Schulter und schlenderten schließlich hinüber zum Wohnmobil.
„Unglaublich, der alte Stevie Crowe“, lachte Joe Gibson und hieb seinem Freund ein weiteres Mal seine rechte Pranke auf die linke Schulter. Mit der linken Hand wischte er sich die Feuchtigkeit aus seinen Augen.
„Komm mit, du hast mir einiges zu erzählen, Mann.“
Crowe nippte an dem heißen Kaffee, den er mit beiden Händen hielt und beobachtete seinen alten Kameraden und ehemaligen Vorgesetzten, der ihm gegenüber auf einem klapprigen Campingstuhl Platz genommen hatte. Joe Gibson hatte sich kaum merklich verändert, dachte Crowe, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Das wiederum war nun schon eine Ewigkeit her, schien es ihm und außerdem hatte der Colonel damals in seinem Nachtkampfanzug und dem tief geschwärzten Gesicht völlig anders ausgesehen.
Nun, da er ihn nach Jahren wiedersah, bemerkte Crowe die grauen Haare, die von der feuchten Morgenluft leicht zusammenklebend unter der blauen Yankees-Mütze hervor lugten, viel länger, als er sie jemals zu seiner aktiven Zeit getragen hatte. Und die leicht gekrümmte Marlboro, an der er genüsslich saugte und den bläulichen Dunst nach einem tiefen Lungenzug langsam ausblies, die musste auch zu Colonel Joes neuesten Lastern gehören.
Ansonsten sah der ehemalige Delta Force Offizier so aus, als ob er nach einem Haarschnitt und einer Rasur ohne Probleme in seine alte Uniform passen würde. Crowe sah die kräftigen Unterarmmuskeln und das breite Kreuz, zweifellos gestählt durch ein regelmäßiges Training, das vermutlich reduziert worden war, aber immer noch alles überstieg, was die meisten anderen Menschen jemals zu leisten im Stande wären.
Und er sah noch etwas.
Es war Verärgerung, vielleicht sogar Zorn.
Und er sah es in den wässrig blauen Augen des ehemaligen Offiziers, mit denen er Crowe nachdenklich musterte.
„Ich hätte nie geglaubt, dich jemals wieder zu sehen, Hawk“, sagte Gibson und benutzte damit unbewusst Crowes alten Spitznamen, den nur die engsten Mitglieder seines Teams kannten. Er selbst wusste nicht mehr genau, warum man ihn nach einem Habicht benannt hatte, vermutete aber, dass es mit seiner unglaublichen Schnelligkeit und seinen Reflexen zu tun haben musste. Die Geschichte, wie Crowe als junger Sergeant bei einer Nachtübung in der Wüste Nevadas auf dem Bauch robbend auf eine schlecht gelaunte Klapperschlange getroffen war, war mit den Jahren immer spektakulärer geworden, obwohl die Originalstory ohne hinzugedichtete Elemente auch schon aufregend genug gewesen wäre.
Crowe war es damals gelungen, die giftige Schlange, die gerade nach vorne peitschte, um ihre Giftzähne in sein Gesicht zu stoßen mit seiner linken Hand an der Kehle zu packen und sie so an ihrem tödlichen Angriff zu hindern. Es war nur ein Reflex gewesen, eine unglaublich schnelle Bewegung seines Armes und seiner Hand, schneller wie die Bewegungen der Schlange. Dieser Reflex hatte ihn damals gerettet – und ihm einen Spitznahmen verliehen, der an die Schnelligkeit des Habichts erinnern sollte.
„Nicht nachdem der verdammte Hubschrauber umgekehrt ist und euch da draußen allein gelassen hat“, ergänzte der ehemalige Offizier.
Gibson hob die Dose Bier an seine Lippen und nahm einen tiefen Schluck.
„Verdammte Sache, was Hawk?“, murmelte er und nahm einen weiteren Schluck.
Crowe nippte an seinem Kaffee - es war ihm noch zu früh für Alkohol - und versuchte die schrecklichen Bilder, die wieder in ihm hochstiegen, zu verdrängen. Das Bild des Blackhawks, der mitten in diesem schweren Feuergefecht mit den Chinesen abgedreht und verschwunden war, würde er niemals aus seinem Gedächtnis streichen können.
„Was ist damals passiert, Joe?“, fragte Crowe.
Gibson sah ihn über den Rand der Bierdose an und schüttelte den Kopf.
„Wenn ich dir das sage, dann müsste ich dich nachher erschießen, Stevie.“
„Macht nichts, Joe. Ich bin ja schon tot, wie ich erst vor ein paar Tagen aus hoch offizieller Stelle erfahren habe“, ätzte Crowe.
„Im Ernst, ich darf über alles, was damals passiert ist, nichts erzählen, sonst krieg ich massenhaft Probleme.“ Gibson wand sich, er war nicht glücklich mit dem, was er zu seinem alten Freund sagen musste.
„Probleme kriegst du erst, wenn du mir nicht erzählst, was damals für eine Sauerei gelaufen ist, Colonel“, sagte Crowe emotionslos. „Dann werde ich nämlich zurück nach Bragg spazieren und Colonel Arschgesicht zusammen mit seinem schwulen CIA-Waschlappen filetieren und dir die Schuld daran geben, dass du mich nicht daran gehindert hast“, ergänzte er trocken.
Joe Gibson ließ sein Bier sinken und sah säuerlich in die kalten, ernsten Augen seines ehemaligen Kameraden, seines Freundes und wusste nicht, was er denken und was er tun sollte. Er wusste, wozu Crowe fähig war, hatte er ihn doch auf einige spezielle Einsätze geschickt, die sonst niemand durchführen hätte können. Er wusste, dass es Crowe zweifellos gelingen würde, zurück nach Fort Bragg zu gelangen und sowohl einen Colonel, als auch einen CIA-Mann, von denen es dort mehrere gab, zu töten. Wenn Crowe wollte, würde er dann lautlos und unerkannt verschwinden, doch Gibson war sich alles andere als sicher, dass er das auch wollte.
Dann sah er das Grinsen auf Crowes Gesicht und entspannte sich.
„Scheiße, Crowe. Ich hab dir die Geschichte um ein Haar abgekauft.“
„Und jetzt spuck´s schon aus, Joe“, beharrte Crowe. „Erzähl mir, was damals wirklich passiert ist. Und wenn du schon mal dabei bist, dann sag mir auch, warum der beste Offizier der gesamten Delta Force seine Karriere an den Nagel gehängt hat, bevor er seinen ersten Generalsstern am Hemdkragen hatte. Warum hast du´s hingeschmissen, Joe?“
Joe Gibson nahm einen tiefen Schluck aus der Dose, schluckte das kalte prickelnde Bier hinunter und genoss das beruhigende Gefühl der goldenen Flüssigkeit in seinem Magen. Dann kippte er den Rest des Bieres hinterher und rülpste lautstark.
„Ach was soll´s“, sagte er, zerquetschte die leere Dose und warf sie durch die offene Tür ins Wohnmobil.
Und dann begann er zu erzählen.