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»Geschmackvoller Regisseur und reichbegabter Darsteller«. Eugen Strehn

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Biographische Einträge zu Eugen Strehn, der ursprünglich eigentlich Stern heißt, finden sich in zwei Nachschlagewerken, beide berichten, er sei an der Volksoper als Sänger und Komiker engagiert gewesen und hätte in den 1930er-Jahren außerdem Regie geführt.18 Im Gegensatz zu den eher dünnen Informationen über sein Leben und Wirken bis 1938 bieten beide Einträge einige Details zu seiner Tätigkeit im Exil, noch dazu in Kolumbien, wo es sonst schwierig ist, Informationen zu erhalten. Also eine große Bereicherung.

Hugo Wiener macht außerdem ein weiteres Detail bekannt: Eugen Strehn rettet ihm das Leben. In seinen Lebenserinnerungen Zeitensprünge schildert Hugo Wiener die Rettung durch Eugen Strehn aus der größten Verzweiflung im März 1938: »Am nächsten Morgen läutete es an der Tür: ›Ich bin es: Eugen.‹ Es war klug von ihm, gleich seinen Namen zu nennen. Er wußte, wie man in jenen Tagen erschrak, wenn jemand an der Tür war. ›Ich habe einen Brief für dich‹, sagte er.«19 Der Brief beinhaltet eine Einladung nach Kolumbien und ermöglicht so die Flucht.

Eugen Strehn ist zu diesem Zeitpunkt 55 Jahre alt und blickt auf eine durchaus erfolgreiche, wenngleich auch schwer erkämpfte Karriere zurück, die er mit 22 Jahren in Troppau beginnt – wie viele andere Künstler lernt er die Provinztheater der Monarchie gut kennen. Der Weg führt zehn Jahre lang vom schlesischen Troppau über das ungarische Pressburg, nach Meran, in das schlesisch-galizische Bielitz, nach Klagenfurt und Innsbruck, von Anfang an in der Doppelfunktion als Darsteller und Regisseur. Er gefällt, Presse und Publikum zeigen große Begeisterung. So jubelt die Neue Schlesische Zeitung am 5. Mai 1910: »Es gibt ein Wiedersehen …« Und berichtet über ein Comeback: »Zu unserer lebhaften Freude erfahren wir, daß der hier so beliebte Charakter- und Gesangskomiker des Bielitzer Stadttheaters Herr Eugen Strehn im Laufe der nächsten Woche hier zu Gaste sein werde. Er veranstaltet nämlich im städtischen Rathaussaale im Vereine mit seiner Schwester, der Operettensängerin Frl. Strehn, die bei ihrem Debut als Annamirl in der Operette ›Der fidele Bauer‹ am Bielitzer Theater einen durchschlagenden Erfolg erzielte, einen Unterhaltungsabend bei gedeckten Tischen.«

Die Sommermonate 1911 und 1912 nützt Eugen Strehn für Gastspiele im Sommertheater Stuttgart, das von Gustav Müller geleitet wird – und dieser wirkt während der Theatersaison am Wiener Ronacher. Ein erster intensiverer Kontakt zu den Wiener Theaterkreisen ist geknüpft. In der heute völlig vergessenen Georg-Jarno-Operette Das Musikantenmädel bietet Eugen Strehn im Sommer 1911 »als Josef Haydn eine glänzend gelungene, fein durchgearbeitete Leistung, leitete die schön abgerundete Vorstellung und erwies sich von neuem als geschmackvoller Regisseur und reichbegabter Darsteller«.20 Ein Jahr später wird sein wahres Talent als Komiker klar, denn »Eugen Strehn, der sich schließlich noch auf diverse Prozesse wegen Lachmuskelverzerrung der Theaterbesucher wird gefasst machen müssen«,21 beglückt die Zuschauer.

Auch während des Ersten Weltkrieges folgt Engagement auf Engagement, er muss offenbar nicht einrücken und erscheint in der Saison 1916/17 endlich in Wien: Im Varieté »Gartenbau« tritt er im Umfeld der Stars Ralph Benatzky, Josma Selim, Mela Mars und Gisela Werbezirk auf und etabliert sich in der Wiener Kleinkunstszene – eine Karriere wie viele andere, ein mühsames Vazieren zwischen den vielen Kabaretts, Varietés und großen Bühnen, das niemals Sicherheit bietet. Die Zeiten haben sich geändert, die Erwartungen des Publikums ebenso. Feiner Humor muss lauten Revuen weichen – kein einfacher Weg für all die Künstler, die auf das Publikum angewiesen sind und sich ihrem Geschmack anpassen müssen.


Eugen Strehn im Film Madame Blaubart. Ankündigung in der Neuen Kino-Rundschau, 6. September 1919

Ab 1921 tritt Eugen Strehn regelmäßig im Kabarett »Simpl« an der Seite all der Größen des Wiener Kabaretts wie Karl Farkas auf, im selben Jahr landet er einen Riesenerfolg am renommierten Carltheater in Emmerich Kálmáns Operette Die Bajadere, an diesem Haus am 23. Dezember 1921 uraufgeführt und ein wahrer Dauerbrenner. Dazwischen veranstaltet er in den Sophiensälen beliebte Varietéprogramme mit dem vielsagenden Namen Misch-Masch und entdeckt 1923 ein neues Terrain für sich: das des Barsängers. »Eugen Strehn wird sich wohl nicht gekränkt fühlen, wenn man ihn die Seele der Opernbar in der Elisabethstraße 4 nennt. Seine unzähligen Freunde, die er sich während seiner langjährigen Bühnentätigkeit schuf, kommen immer wieder gerne zu ihm und lauschen seinem wirklich kultivierten Gesang. Wie kaum ein zweiter weiß er humorvoll und diskret die Besucher in Stimmung zu versetzen. Wer einmal die Opernbar besucht hat, der bleibt ihr auch treu. So angenehm wird ihm dort der Aufenthalt gemacht. Eine Stätte von gutem Geschmack, wo man ein paar Stunden fröhlich sein kann.«22


Der Star der Opern-Bar. Neues Wiener Journal, 13. Jänner 1924

In der damals unglaublich populären und heute leider fast völlig vergessenen Lehár-Operette Der Rastelbinder spielt er 1925 die Hauptrolle des Wolf Bär Pfefferkorn am Carltheater und tritt auch in Bruno Granichstaedtens Erfolg Der Orlow am Theater an der Wien auf. Ein Wiener Publikumsliebling, an dessen Wohlergehen man interessiert ist. Als er im August 1925 einen Autounfall hat, nimmt die Presse großen Anteil an den schwerwiegenden Verletzungen ebenso wie an dem folgenden Prozess um Schmerzensgeld und Schadenersatz. »Strehn und seine Begleiterin wurden aus dem Wagen geschleudert und Strehn erlitt zwei Rippenbrüche, einen Sprung des Beckens, schwere Quetschungen und innere Verletzungen und lag monatelang auf der Klinik Eiselsberg. Laut ärztlichem Gutachten wird er seinen Beruf als Sänger und Tänzer wahrscheinlich jahrelang nicht mehr ausüben können.« Dieser Vorfall gibt auch einen interessanten Einblick in die damals üblichen Gagen: »Am Tag des Unfalls war er am Theater an der Wien mit einer Tagesgage von 30 Schilling und an der Mozartbar mit einer solchen von 40 Schilling engagiert, so daß sein Monatseinkommen 2100 Schilling betrug.«23 Seine Begleiterin Stephanie Meth »verfiel in eine schwere Angstpsychose und bedurfte ebenfalls längerer ärztlicher Behandlung«, wie die Neue Freie Presse am 10. November 1926 berichtet – der Prozess ist nun nach eineinhalb Jahren beendet: Eugen Strehn erhält 3500 Schilling, Stephanie Meth 2700 Schilling Schmerzensgeld.

Am 22. April 1928 debütiert Eugen Strehn an der Volksoper – als Zsupán in Der Zigeunerbaron. Doch bis zu einem fixen Engagement sollte noch einige Zeit vergehen, die er mit dem einen oder anderen Künstler verbringt, der ebenfalls der Volksoper verbunden ist: In Meran spielt er unter der Direktion von Alexander Kowalewski, danach ist er wieder an der Volksoper tätig, während diese in den Jahren 1929 bis 1931 als Neues Wiener Schauspielhaus versucht, mit Sprechtheater zu reüssieren. Noch fungiert er als ausgewiesenes Mitglied des Carltheaters. Gastspiele führen nach Linz, gemeinsam mit Leo Kraus am Pult – auch einem wichtigen Kollegen an der Volksoper. Mit ihm veranstaltet Strehn einige Sommer lang Operettenvorstellungen im Burggarten, die das Publikum an lauen Abenden anziehen. Ab 1932 tritt er unter den Direktoren Karl Lustig-Prean und Jean Ernest regelmäßig an der Volksoper auf und führt zugleich Regie – ein Multitalent findet das geeignete Haus. Er spielt in Wiener Blut ebenso wie in Ein Walzertraum, Der Vogelhändler und Freut euch des Lebens. Dazwischen erfolgen Gastspiele in Linz, Salzburg, Baden und in der Schweiz und 1932 eine Produktion der Parodie Tannhäuser, der Jazzsänger in einem der sommerlichen Programme im Wiener Burggarten.

Als Regisseur und Spielleiter ist Strehn auch an der Jubiläumsvorstellung zu 50 Jahre Zigeunerbaron an der Volksoper im Jahr 1935 beteiligt, dann folgen alle großen Erfolgsproduktionen: Jara Beneš’ Der gütige Antonius, Auf der grünen Wiese und Gruß und Kuß aus der Wachau. Dazwischen begeistert er das Publikum auch als Regisseur von Ralph Benatzkys Herzen im Schnee. Im November 1937 feiert das Theater in Baden Strehns 30. Bühnenjubiläum mit einem Abend für ihn, gestaltet von Freunden und Kollegen – in Wien bleibt dies unbemerkt und unbedankt.

Am 14. Juni 1938 verlässt Strehn Wien Richtung Bogotá, gemeinsam mit einem bunt zusammengewürfelten Ensemble, auf Einladung des dortigen Bürgermeisters. Kolumbien: Niemand weiß so recht, wie es dort ist. Niemand spricht Spanisch. Die Überfahrt wird genützt – und siehe da: Das Abenteuer funktioniert, das Ensemble gefällt und kann sich etablieren. In Kolumbien trennen sich Hugo Wieners und Eugen Strehns Wege: Strehn betätigt sich weiter als Regisseur, so bringt er am 7. November 1942 sehr erfolgreich Die Fledermaus auf die Bühne des Teatro Colón in Bogotá, um sich für ein freies Österreich einzusetzen – auch die kolumbianische Regierung nimmt teil: Der Staatspräsident und mehrere Minister besuchen die Premiere – was für ein Signal für die Emigranten! Der Reinerlös kommt dem Roten Kreuz zugute.24


Eugen Strehns Schwester Irma in der Zeitschrift Die Bühne am 3. März 1927 in einem erstaunlichen Setting, mit avantgardistischer Katze und der Aufschrift »Aschermittwoch«. Der Zusammenhang bleibt offen.


Eugen Strehn, der erfolgreiche Regisseur

Eugen Strehn vergisst auch nicht auf die Menschen, die in Europa festsitzen: Am 2. November 1941 findet in Kolumbien ein denkwürdiger Abend mit dem Titel Deutsches Kabarett für Gurs statt. Die Emigranten wissen ganz genau Bescheid um die grauenhaften Bedingungen in diesem französischen Internierungslager: »Dieser erste Versuch war in künstlerischer und finanzieller Hinsicht ein durchschlagender Erfolg. Viele Wochen vorher war diese erste Vorstellung vollkommen ausverkauft und die Veranstalter konnten die stattliche Summe von $ 300 nach Gurs überweisen. Eugen Strehn und Vally Lindholm von der Wiener Volksoper brachten einen Querschnitt durch Wiener Operetten. Herbert Fröhlich und Gerhart Rothstein vom hiesigen Symphonieorchester spielten klassische Musik, während Eric Gehr mit seinem Orchester die neuesten amerikanischen Schlager zu Gehör brachte. Ganz großen Beifall hatte der hier beliebte Heini Sorer mit dem ›Überzieher‹ und musste fast das komplette Programm Armin Bergs zum Vortrage bringen. Den Schluss bildete ein kleines, politisches Lustspiel betitelt ›Der Re-Emigrant‹.«25

Strehn selbst wird kein Re-Emigrant. Er bleibt in Kolumbien, wo sich seine Spur verliert und er 1977 mit 94 Jahren stirbt.



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