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Von der Vision zur Wirklichkeit. Der Bühnenbildner Karl Josefovics

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Im Almanach der österreichischen Bundestheater gewährt der Bühnenbildner Karl Josefovics im Jahr 1935 einen Blick in seine Werkstatt:

»In der heutigen Zeit muß der Bühnenbildner meist mit wenig Geld arbeiten. Darunter darf aber die Inszenierung nicht leiden. Ich beginne also schon beim Aussuchen des Materials mit dem Sparen, indem ich vorhandene Dekorationsteile in der Form ändere und ummale. So bekomme ich eine ganze Reihe neuer Dekorationselemente, die relativ billig sind. Die interessanten Teile meiner Dekorationen male ich selbst, dadurch kann ich die Fläche entscheidend beherrschen, jede Wand, die auf der Bühne steht, trägt gewissermaßen meine Handschrift, und es ist mir möglich, die Stimmung jedes Werkes schon durch die Art der Pinselführung zu bestimmen. Ich kann sogar die Dekorationen sozusagen durch die Augen jedes großen Meisters sehen und dadurch die gewollte und gegebene Umwelt des Stückes scharf zeichnen. Wenn ich z. B. ein Stück durch die Augen Breughels sehen wollte, würde der Zuschauer sofort durch die Assoziation ›Breughel‹ nicht nur das auf der Bühne in der Art Breughels Gezeigte sehen, sondern an das Gesamtwerk Breughels denken und sofort in die Umwelt dieser Zeit versetzt sein.

Mir gibt die Malerei, von der ich zum Theater gekommen bin, die Möglichkeit zu erzählen, ohne daß dieser Erzählung irgendwelche Grenzen gesetzt sind. Ich kann Städte bis zum Schnürboden führen und Irreales, Unmögliches durch ganz real und möglich gemalte Dinge zeigen. Das richtet sich selbstverständlich nach der Dichtung, denn es gibt auch Stücke, bei denen jeder Pfeiler, jede Tür, jeder Stein ihren ganz genau berechneten Platz und die richtige Proportion haben müssen. Der Schauspieler muß jede Wand und jedes Treppengeländer richtig anfassen können und muß so durch die im Raum festgelegten Wege in eins mit dem Raum verwachsen. Auch da entsteht in meiner Vorstellung nicht zuerst der Grundriß, sondern ich habe die Vision des Gesamtbildes in Farbe und Proportion, und aus dieser Vorstellung entsteht der Grundriß, und ich entscheide, ob ich das Stück bauen oder malen werde. Es gibt natürlich Stücke, wo man beide Stile vereinigen kann. Dann entstehen meine Skizzen und Pläne: für den Handwerker das Modell und die Pläne mit den Größenangaben, für den Regisseur fertige ich eine Reihe von rein illustrativen Bildern an, die den Fortgang der Handlung und die Bewegungen der Akteure in verschiedenen Phasen veranschaulichen. Oft kamen wir, der Regisseur und ich, durch diese Skizzen von der ursprünglich geplanten Gestaltung der Szene ab und fanden neue Wege.«34

Karl Josefovics ist ein unglaublich produktiver und begabter Künstler – in zehn Jahren, zwischen 1928 und 1938, gestaltet er mehr als 60 Bühnenbilder, davon allein 26 für Produktionen der Volksoper. Die vielen Rezensionen machen neugierig, werden doch »die meisterhaft schmissigen Bühnenbilder«35 ebenso erwähnt wie »Karl Josefovics’ Ausstattungsgenie«36 zu Walter Kollos Drei arme kleine Mädel im Raimundtheater. Über die Volksopernproduktion der Robert-Stolz-Revue Die Reise um die Erde in 80 Minuten schreibt die Gerechtigkeit am 30. Dezember 1937: »Die Bühnenbilder von Karl Josefovics sind voll satter Farben und origineller Einfälle. Regie führte Eugen Strehn.«

Max Kolpes Broadway-Parodie Pam Pam wiederum ist eine Produktion »in den aparten durch geistiges Profil auffallenden Dekorationen von Josefovics«.37 Über die Uraufführung des Josef-Hellmesberger-Singspiels Wiener G’schichten heißt es: »Es sind gemütlich alt-wienerische Vorgänge, die sich da vor reizenden Dekorationen von Josefovics abrollen.«38 Regie führt wieder Eugen Strehn – mit ihm verbinden Karl Josefovics viele gemeinsame Produktionen. Bis 1938. Dann trennen sich ihre Wege.

Über seine erste belegte Arbeit zu Grabbes »aristophanisierendem Lustspiel ›Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung‹« für das Carltheater im Oktober 1929 – der Künstler ist gerade 23 Jahre alt – schreibt der große Journalist und Theaterkritiker Julius Bauer im Morgen: »Wenn sich der Vorhang hebt, sieht man einen Rahmen, an dessen linke Wand der furchtlose Karl Josefovicz den Teufel gemalt hat.«

Am 5. November 1929 öffnet das Neue Wiener Schauspielhaus seine Pforten – hinter diesem Namen verbirgt sich die Volksoper, die in ihrer Geschichte immer wieder unter verschiedenen Bezeichnungen neue Anläufe nimmt, um zu reüssieren. Jacob Feldhammer und Otto Preminger heißen die Direktoren – sehr erfolgreich agieren sie nicht, auch die äußeren Umstände machen es ihnen nicht leicht: Politische Querelen, finanzielle Sorgen, labile Verhältnisse bieten nicht gerade eine solide Basis, um ein Theater zu betreiben. Und die beiden Direktoren stellen auch keinen sehr glücklichen Spielplan auf die Beine.

Die Eröffnungsproduktion gilt einem Stück von Frank Wedekind, der »Königsposse« König Nikolo, der kein großer Erfolg beschieden ist. Um dem Künstler Karl Josefovics näherzukommen, verdient dieses Stück große Aufmerksamkeit: Die unendlichen Schätze des österreichischen Theatermuseums beinhalten eine bunte Welt von Kostüm- und Bühnenbildentwürfen, die jeder für sich ein kleines Kunstwerk darstellen. Groteske Fratzen, irritierende Masken, alles in den Farben Schwarz, Gelb und Rosa ausgeführt, lassen die Stimmung dieser Produktion deutlich werden. Zugleich bieten die Entwürfe Einblick in Josefovics’ enormes Talent – ein wahrer Schatz, der nur darauf wartet, gehoben zu werden. Denn Zeichnungen zu anderen Produktionen zeigen ein ganz anderes Bild, andere Stimmungen, genau dem entsprechend, was der Künstler 1935 in seinem oben zitierten Text ausführt – die Realität stimmt mit der Vision überein. Sehr expressionistisch, sehr ausdrucksstark, sehr farbenbetont, lassen diese Werke erahnen, welch große Wirkung sie gehabt haben müssen. »Auf der Bühne fielen vor allem die farbenprächtigen Bilder von Karl Josefovics auf«,39 betont die Arbeiter Zeitung im Jahr 1933 anlässlich der Aufführung von Alexander Tscherepnins Oper Die Hochzeit der Sobeide. Dirigent ist Walter Herbert – auch mit ihm verbinden Josefovics zahlreiche gemeinsame Projekte. Herbert wird nach 1938 in Amerika zu einem Pionier der österreichischen Musik – noch können die beiden in Wien zusammenarbeiten.

Das Schicksal der beiden wenig erfolgreichen Direktoren Jacob Feldhammer und Otto Preminger, unter deren Ägide Karl Josefovics an die Volksoper kommt und diese bis 1938 auch nicht mehr verlässt, treibt sie in konträre Richtungen: Jacob Feldhammer tritt als Schauspieler weiter in Erscheinung, 1938 flüchtet er 56-jährig nach Italien und kommt 1944 in Auschwitz um. Der mehr als 20 Jahre jüngere Otto Preminger entdeckt seine Liebe zum Film, verlässt Österreich rechtzeitig Richtung Hollywood, wo er eine glänzende Karriere als Regisseur macht.

1931 endet das Experiment des Neuen Wiener Schauspielhauses, die Musik zieht wieder in das Haus ein, das den Namen Volksoper zurückbekommt. Karl Josefovics bleibt der Bühnenbildner des Vertrauens jener Direktoren, die nun in rascher Folge abwechseln: Leo Kraus, Karl Lustig-Prean und Jean Ernest.

»Die Volksoper lebt wieder!« titelt die Kleine Volkszeitung am 5. Dezember 1931. Und tatsächlich: Direktor Leo Kraus startet durch und bringt mit Offenbachs wunderbarer Großherzogin von Gerolstein nicht nur ein Erfolgsstück auf die Bühne, sondern auch ein Erfolgsensemble, das der Volksoper zu neuem Schwung und Leben verhilft. Die Darsteller Christl Mardayn und Ernst Tautenhayn bürgen für Erfolg. »Die Regie Marholms war modern, gescheit und den Verhältnissen der Zeit angepaßt. Die Gerolstein-Girls sind wohl die appetitlichsten, die man zurzeit in Wien zu sehen bekommt. Über der Vorstellung schwebte der Geist des neuen Direktors Kraus, der eine ausgezeichnet geprobte und musikalisch bis aufs I-Tüpferl vollendete Vorstellung herausgebracht hat. Das Wiener Publikum hat wieder eine Volksoper; möge sie ihm recht lange erhalten bleiben.«40 Der Bühnenbildner stellt dieses Treiben in den entsprechenden Rahmen, »die Parodie auf Höfisches und Militärisches wird überparodiert, der Ulk verulkt. Ein interessanter Versuch, der in den sehenswerten Bühnenbildern, die der begabte Architekt Josefovics entworfen hat, am reizvollsten und witzigsten gelungen ist.«41 Eine kritische Analyse der Direktion Kraus in der Zeitung Der Morgen betont dennoch, dass die Möglichkeit besteht, den Vorstellungen »einen anständigen szenischen Rahmen mit geringsten Mitteln zu geben, da der Bühnenbildner Josefovics eine der ganz großen und starken Begabungen ist, die solange auf Wiener Boden verkümmern, bis sie nicht zufällig von irgendeinem ausländischen Theatermann entdeckt werden.«42 Josefovics widerfährt dies nicht. Jedenfalls nicht freiwillig.



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