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Eine Spurensuche

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Aus Nachbarn werden Diebe, aus Freunden Feinde, aus Menschen Bestien. Demütigungen, Vertreibung, Folter und Mord bilden ein Ventil für den plötzlich ausbrechenden Hass. Wo bleiben Respekt und Anstand? Erinnerungen einer Juristin, die, statt an der Universität zu studieren, Spargelstechen muss und wie Vieh behandelt wird. Erinnerungen einer Opernsängerin, die entrechtet und entwürdigt ihr Dasein in einer Sammelwohnung zubringen muss und ihr Ende in den Gaskammern von Auschwitz findet. Ein Librettist, der in Auschwitz zu Tode geprügelt wird. Dirigenten, Sänger, Ärzte, Librettisten, die sich in fremden Ländern mühsam und ohne Anerkennung ihrer bisherigen Karrieren eine neue Existenz schaffen müssen – zumeist mit großem Erfolg. Zugleich wurden europäische Kultur und Musik in der Welt bekannt gemacht – die als »entartete Musik« eingestuften Werke haben ihre Botschafter gefunden, die unermüdlich für die Moderne kämpfen. Doch nicht nur diese Werke, sondern die gesamte mitteleuropäische Musiktradition verbreitet sich mithilfe dieser »Botschafter wider Willen« in der ganzen Welt.

Was für ein enormes Potenzial ist Österreich verloren gegangen. Direktoren bedeutender Opernhäuser, Coaches der Stars, Dirigenten von Weltrang, Musiker in führenden Orchestern, Komponisten von Zwölftonmusik wie Filmmusik, bedeutende Lehrer, Veranstalter und Volksbildner sind Österreich und Mitteleuropa abhandengekommen – und bis dato haben sich viel zu wenige Menschen für sie interessiert. Publikationen über die Schicksale in den diversen Zufluchtsländern gibt es vereinzelt. Aber: Die hinterlassenen Dokumente, Briefe und Texte sind meist auf Deutsch und oft handschriftlich – das kann in den Zufluchtsländern niemand lesen. Österreichische Forscher und Forscherinnen sind gefordert: Die Quellen liegen auf der Straße, sie müssen nur aufgehoben werden. In Wien, in New York, in San Francisco, Los Angeles oder San Diego, ganz zu schweigen von England und Australien. Auch die Forschung in Südamerika liegt brach, gerade dort erweist es sich als besonders schwierig, einzelnen Lebensgeschichten nachzuspüren – Zufälle, Bekanntschaften und neu gewonnene Kontakte geben die Möglichkeit, ein etwas umfassenderes Bild zu schaffen. Dieses bleibt trotz aller Bemühungen fragmentarisch.

Wer steht im Mittelpunkt dieses Buches? Es sind Menschen, die eine Verbindung zur Volksoper haben, als Direktoren, Dirigenten und Korrepetitoren, Sänger und Sängerinnen, Musiker und der Theaterarzt, stellvertretend für viele andere. Mit dem knappen Statement »Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt« enden ihre Karrieren in Österreich.

Trotz der schwierigen Quellenlage hat das Material unglaubliche Ausmaße angenommen. 4000 Seiten Primärquellen, ergänzt durch Bücher, Autobiographien, kleine Hinweise und Interviews ergeben eine Ausgangssituation, die einzigartig ist. So vieles ist verzahnt ineinander, so viele Kontakte helfen weiter – allein das Netzwerk der Metropolitan Opera bringt eine Fülle an Details zutage, die für mehrere Bücher ausreicht.

Das Archiv der Metropolitan Opera ist eine eigene Welt: Ein alter, gebeugter Mann führt mich in einen Raum voller Artefakte, Statuen, Fotos und unzähliger Dokumente. Verträge, Fotos und Presseausschnitte der Dirigenten Walter Taussig und Fritz Stiedry kommen zum Vorschein – eine großartige Quelle, die tiefe Einblicke bietet, vor allem auch in die unterschiedlichen Verdienste. Ich darf aus dem Orchestergraben einen Blick in den Zuschauerraum werfen, auf den Pulten liegen die Noten zu Richard Strauss’ Ballett Schlagobers – ein Gruß aus Wien.

Man muss aber gar nicht so weit gehen: In der Wienbibliothek befinden sich Briefe von Marco und Bertha Frank in New York an Franz und Mitzi Ippisch in Guatemala – keine Zensurbehörde beeinflusst die Korrespondenz. Bertha nimmt sich kein Blatt vor den Mund – warum auch! Ihre Wortwahl entspricht der Realität, es gibt wenige Zeitdokumente in dieser Intensität. Ein Bestand, der der Aufarbeitung harrt.

Bertha Frank konstatiert: »Die allermeisten sterben hier an Herzschlag.« Was soll man dem hinzufügen. Sie schreibt über einen Musiker, der wieder nach Wien zurückgekehrt ist: »In Wien ist er wieder ein Kulturmensch, hier war er ein Proletarier. So ist es in der Wirklichkeit.«1

Diese Fülle an Material zeigt auch meine Grenzen: Ich kann nur hineinstechen, Bruchstücke herausholen, Details thematisieren. Es gibt unendlich viel zu tun. Das Buch kann nur einen Anstoß geben, sich mit den Schicksalen und Karrieren dieser unterschiedlichen Künstler weiter auseinanderzusetzen. Und meine Hoffnung ist es, dass die Universitäten zukünftige Diplomanden und Dissertanten unterstützen werden, ungehobene Schätze aufzuarbeiten, um den Menschen ihre Geschichte zurückzugeben.

Die Recherche bringt auch einen ganz neuen Aspekt mit sich: die Erinnerungen der Familien. Der Kontakt mit Witwen, Kindern und Enkelkindern bietet Einblicke jenseits der Fakten und erweitert so die Wahrnehmung um sehr persönliche Aspekte, die oftmals nur innerhalb der Familien tradiert wurden. Welche Sprache wurde gesprochen? Hat sich der österreichische Akzent bewahrt? Wie war die Beziehung zu Wien? Gab es Besuche in Österreich? Was wurde erzählt und – fast noch wichtiger – was wurde nicht erzählt?

Die Kontakte mit den Familien gestalten sich völlig unterschiedlich. Da gibt es die unvergleichliche Elissa Fuchs, 99 Jahre alt, voller Geschichten und Erinnerungen, die sie viele Stunden lang in Greensboro, North Carolina, mit mir teilt. Ein aktuelles Foto zeigt eine unglaublich elegante, zurechtgemachte Erscheinung – eine in Würde gealterte Primaballerina mit Stock an der Ballettstange. Wir treffen uns in ihrem Appartement, umgeben von Fotos und Erinnerungen – und von ihrem Hochzeitskleid, das ihre Schwiegermutter 1949 aus goldenem Garn gestrickt hat.

Oder Henry Krips, der Österreichisch lernte, ohne Deutsch zu können. »I was born in Vienna«, sagt der in Australien geborene Henry Krips. Ich verstehe, was er meint. Eine Wiener Blase, erhalten in einer australischen Wohnung, erfüllt von Büchern, Bildern und Musik. Und von der Wiener Sprachmelodie, die die deutsche Sprache gar nicht benötigt hat. Auch auf Englisch vermittelt sich die Melodie – was für ein wunderbares Detail eines musikalischen Emigrantenlebens. Auf die Melodie kommt es an, nicht auf die Sprache per se. »Vienna was frozen.« In diesem Satz liegt die ganze Tragik des Emigrantenlebens.

Ronald Adler wiederum weiß so gut wie nichts – sein Vater hat niemals über seine Erfahrungen in Österreich gesprochen, sondern blickte nur nach vorne. Ronalds Tochter Katharina Adler setzt sich auf ihre Weise mit der Familie auseinander: Ida heißt ihr Roman über ihre Urgroßmutter, die für Sigmund Freud zum Fall Dora mutierte – bis heute ist diese kurze Begegnung mit den Anfängen der Psychoanalyse ein Thema in der Familie.

Lore Taussig, Walters Witwe, teilt ihre Erinnerungen ebenfalls mit mir, ihre Tochter Lynn ist die Verbindung. George Halász hat just in dem Augenblick, als ich ihn kontaktiere, begonnen, die Schachteln mit dem Nachlass seines Vaters durchzuschauen – und ist überfordert ob der Menge. Hans Holewas Sohn weiß nichts über die sieben Geschwister seines Vaters – als ob sie nicht existiert hätten. Christine Ippisch sucht in einem Kasten ihres Vaters in Guatemala nach Fotos ihres Urgroßvaters. Von der Existenz der Autobiographie ihres Großvaters, die zu einem Teil in Wien erhalten ist, hat sie noch nie gehört.

Die Liste ließe sich fortsetzen und ist ein Beweis für den unterschiedlichen Umgang mit der Vergangenheit – über die wenig gesprochen wurde.

Ein weiterer Aspekt betrifft das Alter zum Zeitpunkt der Vertreibung: Die jungen Musiker am Beginn ihrer Karriere hatten wesentlich bessere Chancen, sich in der Emigration neue Existenzen aufzubauen. Die älteren taten sich wesentlich schwerer, vor allem im so jugendlich-dynamischen Amerika, wie Fritz Stiedry deutlich an Arnold Schönberg schreibt. Es erfordert viel Energie, die Konkurrenz ist enorm. Die Ausdehnung Amerikas wird im Laufe der Recherche einmal mehr bewusst. In unzähligen Städten existieren Orchester, Opera Companies, Universitäten. Die österreichischen Musiker konzentrieren sich nicht nur auf die großen Ballungszentren, sondern bringen europäische Kultur und Musik in Bundesstaaten, die nicht so fashionable sind. Baton Rouge – wer hat in Europa von der Hauptstadt des Bundesstaates Louisiana schon viel gehört? Peter Paul Fuchs prägt dort 25 Jahre lang das Musikleben und spielt erstmals Bruckner und Werke der Zweiten Wiener Schule. Walter Herbert gründet die Opern in San Diego und Houston und gestaltet als musikalischer Leiter der ersten All Black Opera Company in Jackson, Mississippi, die Förderung des Nachwuchses in dieser Region entscheidend mit.

Auch in die großen Städte bringen die Emigranten Innovation: In New York ist die Met erste Anlaufstation, viele der geflüchteten Musiker finden hier einen Job, jedenfalls für den Anfang, als Sprungbrett – daraus ergeben sich lebenslange Verbindungen. Kurt Herbert Adler, Walter Herbert, Walter Taussig, László Halász, Fritz Stiedry und eben auch Peter Paul Fuchs kennen einander von der Volksoper und treffen sich nun wieder an der Met, um von hier aus ihre unterschiedlichen, höchst erfolgreichen Karrieren zu starten. Man ist versucht zu sagen, dass sie das Land kulturell kolonialisieren.

László Halász begründet die New York City Opera, Walter Taussig zählt zu den bedeutendsten Coaches für Starsänger an der Met. Der legendäre Kurt Herbert Adler leitet 30 Jahre die Oper San Francisco und bringt alle europäischen Stars an die Westküste. Ein Gigant der Opernwelt. Doch wer hat die 1800 Seiten transkribierter Interviews mit ihm gelesen, die es in keiner einzigen österreichischen Bibliothek gibt? Gerade einmal 50 Seiten des großen Konvoluts handeln von seiner Jugend in Wien.

Nicht nur in Amerika zeigt sich dieser »Kulturtransfer wider Willen«, so macht Heinrich Krips das australische Publikum in verschiedenen Städten mit europäischer Musik bekannt, Hans Holewa spielt als erster Musiker Schönbergs Werke in Schweden. Eugen Strehn führt die Fledermaus in Bogotá auf, Franz Ippisch beeinflusst als Militärkapellmeister in Guatemala den Musikgeschmack – Kulturvermittlung auf allen Ebenen. Leo Kraus macht eine beachtliche Karriere bis 1938 – über seine Zeit in Buenos Aires finden sich keine Spuren. Südamerika bleibt ein schwierig zu erforschendes Pflaster, was sich auch bei Kurt Hesky und Harry Neufeld zeigt. Beide finden Zuflucht in Brasilien – und verschwinden dort.

Das grauenhafte Schicksal der Sängerin Ada Hecht ist dokumentiert durch ihre Briefe an den Sohn Manfred, der rechtzeitig nach Amerika flüchten kann. Das Leo-Baeck-Institut hat die Briefe digitalisiert – 600 Seiten Verzweiflung, Panik, Todesangst und unendliche Liebe für den Sohn. Manfred Hecht hat eine Autobiographie geschrieben – der Jugend in Wien kommt ein wesentlicher Anteil zu.

Ihnen allen sei dieses Buch gewidmet.

Mein besonderer Dank gilt den Familien der hier porträtierten Künstler. Da die meisten heute nicht mehr Deutsch sprechen, sei es mir gestattet, meinen Dank auf Englisch auszudrücken:

Dear Katharina Adler, Ronald Adler, Marc Aronson, Greta Brunner-Staudt, Elissa Fuchs, George Halász, Mikael Holewa, Christine Ippisch, Henry Krips, Lore Taussig and Lynn Taussig!

It was a gift meeting you all during my research for this book. I would like to thank you for sharing your memories, stories, documents and photos with me. Thank you so much for your effort and time you put in, for the many phone calls we had, the long conversations held, the numerous emails written. Altogether I would like to thank you for your sympathy and your support. This made it possible for me to delve deeper into the life stories of your parents and grandparents. In Austria, their former home country, they are all completely forgotten. However, by writing this book I was able to pay tribute to your ancestors and to give them back the place in history they deserve. It was indeed a great honour for me to carry out my research on these powerful personalities and their corresponding life stories. I hope that I managed to describe them in all their artistic facets and to tell their stories as vividly as possible.

Weiters danke ich meiner geduldigen Familie, die mir den Rücken freigehalten und eine Sommerfrische der anderen Art erlebt hat – es gab wenige Kuchen, dafür viele Texte und jeden Tag neue Geschichten. Danke vor allem meiner Mutter Christl Arnbom, deren Sommer darin bestanden hat, Korrektur zu lesen – nicht nur einmal, sondern mehrmals. Mein Mann Georg Gaugusch hat mir wie immer viel Archivarbeit abgenommen und auf diesem Wege viele »Hard Facts« zum Vorschein gebracht, die mir die weitere Recherche erst ermöglichten.

Der Volksoper, namentlich Robert Meyer, Christoph Ladstätter und Eva Koschuh, danke ich für das Vertrauen, mir dieses Buch zu überantworten – genauso empfinde ich es: Dies zu schreiben und festzuhalten, bringt eine große Verantwortung mit sich. Der Zukunftsfonds der Republik Österreich, namentlich Kurt Scholz, hat dieses Vorhaben großzügig und voller Interesse und Wohlwollen unterstützt.

Ich sage immer: Mit mir befreundet zu sein, ist anstrengend und bedeutet Arbeit – umso dankbarer bin ich für all meine wunderbaren Freunde, die Korrektur gelesen haben, mir Ideen und Anstöße für neue Aspekte gegeben haben, allen voran Christoph Wagner-Trenkwitz, der das Buch mit Sprachgewandtheit, Wissen und Empathie geschärft hat. Auch Michael Schwanda und Susanne Müller-Hartburg haben den Sommer in St. Gilgen damit verbracht, zu lesen und vieles zu hinterfragen.

Die vielen Diskussionen mit meiner Freundin Monika Kiegler-Griensteidl möchte ich niemals missen – ihr Zuhören und ihre Ideen haben bei unserem wöchentlichen Frühstück viel bewegt.

Und viele wunderbare Menschen haben mich mit Ideen und Informationen versorgt: Felix Brachetka, der als langjähriger Archivar der Volksoper unglaubliche Basisrecherche geleistet hat. Hans-Dieter Roser, der so viel Insiderwissen mit mir geteilt und Kontakte vermittelt hat. Barbara Sauer, die mir Einblick in das Leben Friedrich Schreibers ermöglichte. Gertrud Fischer, die mit Begeisterung die Bestände des Österreichischen Theatermuseums durchforstete, um die großartigen Bühnenbilder von Karl Josefovics zu entdecken. Carlos Krafka, der den Kontakt zur Familie Ippisch in Guatemala herstellte. Theresa Stourzh, die ein Tor nach Südamerika öffnete und spanische Websites für mich durchforstete. Michael Haas, der mir den Kontakt zu Silvia Glocer in Buenos Aires herstellte.

Mein besonderer Dank gilt Cindy Rayburn, der besten und wunderbarsten Gastgeberin, die mir meine Zeit in Greensboro, North Carolina, unvergesslich gemacht hat und die mit ihrer so großen Liebe und Zuneigung zu Elissa Fuchs das Ihre dazu beiträgt, dass Peter Paul Fuchs nicht vergessen wird. Ebenso danke ich der so hilfsbereiten Archivarin Stacey Krim, die die Dokumente von Peter Paul Fuchs mit großer Wertschätzung verwaltet. Peter Clark, der Archivar der Metropolitan Opera, hat geduldig immer mehr Akten für mich herausgesucht und mir so Einblick in diese Welt ermöglicht.

Danke auch an Helene Sommer, die, der Volksoper verbunden, als penible und wissende Lektorin großartige Unterstützung gegeben hat. Am Ende bleibt mir nur mehr, dem Team des Amalthea Verlags für das Vertrauen und die Zusammenarbeit zu danken.

Marie-Theres Arnbom

September 2018



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