Читать книгу An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 12
ОглавлениеKnutas musste immer wieder darüber staunen, wie rasch sich eine Nachricht verbreitet. Vertreter von Lokalradio, Fernsehen und Zeitungen hatten sich bereits bei ihm gemeldet und wollten wissen, was passiert war. Der Nachrichtenwert eines enthaupteten Pferdes war hoch auf Gotland. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass nichts die Allgemeinheit dermaßen erboste wie Tierquälerei.
Er hatte diesen Gedankengang gerade erst beendet, als er die Organisation »TierFreunde« an der Strippe hatte. Sicher würden sich auch noch weitere Tierrechtsorganisationen bei ihm melden. Der Pressesprecher der Polizei, Lars Norrby, war im Urlaub, deshalb musste Knutas allein mit der Presse fertig werden. Er formulierte eine kurze Pressemeldung und teilte dann der Telefonzentrale mit, dass er in den nächsten Stunden nicht zu erreichen sein würde.
Als er nach dem morgendlichen Ausflug nach Petesviken wieder in der Wache ankam, holte er sich aus dem Automaten im Pausenraum ein belegtes Brot, an eine Mittagspause war jetzt nicht zu denken. Knutas hatte seine engsten Mitarbeiter für ein Uhr zu sich bestellt. Sohlman würde direkt vom Tatort kommen, um daran teilzunehmen, denn nun verfügte die Polizei von Visby über zwei Kriminaltechniker.
Sie trafen sich im hellen offenen Raum, in dessen Mitte ein großer Tisch stand. Die Wache war kürzlich renoviert und mit neuen Möbeln in schlichtem skandinavischem Design ausgestattet worden. Knutas hatte sich zwischen den alten, abgenutzten Kiefernmöbeln wohler gefühlt. Die Aussicht war immerhin dieselbe, die riesigen Fenster boten einen Blick auf den Parkplatz des Supermarktes, die Stadtmauer und das Meer.
»Das ist ein wirklich abstoßendes Verbrechen«, begann Knutas und schilderte den Anblick, der sich ihnen draußen in Petesviken geboten hatte. »Die Koppel und das umliegende Gelände sind abgesperrt worden«, fügte er hinzu. »Es gibt eine Straße, die an der Koppel vorbeiführt, und dort suchen wir nach Fahrzeugspuren. Wenn der oder die Täter den Pferdekopf mitgenommen haben, sind sie vielleicht mit dem Auto gekommen. Im Moment werden Nachbarn und Anwohner befragt, und wir werden ja sehen, was dabei herauskommt.«
»Wie ist das Pferd getötet worden?«, fragte Karin.
»Darüber kann Erik uns mehr erzählen.«
Knutas drehte sich zu dem Kriminaltechniker um.
»Wir werden uns einige Bilder des Pferdes anschauen. Sieh dich vor, Karin«, sagte Sohlman, »das kann verdammt unangenehm werden.« Karin war eine begeisterte Tierfreundin.
Er klickte die Bilder des übel zugerichteten Pferdes durch.
»Wie ihr seht, ist der Hals abgerissen oder, genauer gesagt, abgeschnitten und abgehackt worden. Ein Tierarzt, Åke Tornsjö, hat sich das Pferd bereits ansehen können, er wird noch eine gründlichere Untersuchung vornehmen, aber er kann schon jetzt sagen, was seiner Einschätzung nach passiert ist. Er glaubt, dass der Täter, falls es nur einer war, das Pferd zuerst durch einen kräftigen Schlag gegen die Stirn betäubt hat, vermutlich mit einem Hammer oder einer Axt. Als das Pferd bewusstlos war, hat er ihm mit einem größeren Messer, vielleicht einem Schlachtermesser, den Hals durchgeschnitten, und daran ist es gestorben, also am Blutverlust. Um den Kopf vom Rumpf zu lösen, hat der Täter ihn zerschlagen. Wir haben zersplitterte Knochenreste gefunden, und ich tippe, dass er das mit einer Axt gemacht hat. Spuren auf dem Boden lassen annehmen, dass das Pferd nach dem ersten Schlag noch eine Weile gelebt hat. Es hat im Todeskampf um sich getreten, das Gras ist zerwühlt und der Boden zerkratzt. Der Hals ist zerfasert und zerfetzt, und das weist darauf hin, dass der Täter eine Weile damit beschäftigt war – er muss ziemlich genau gewusst haben, was er zu tun hatte, aber über die Anatomie von Pferden weiß er offenbar nicht sehr viel.«
»Dann können wir alle Tierärzte ausschließen«, murmelte Wittberg.
»Eins verstehe ich nicht«, fuhr Sohlman fort. »Als die Halsschlagader durchtrennt wurde, hätte das Pferd eine Menge Blut verlieren müssen. Und man kann sehen, dass an Hals und Rumpf etwas hinuntergeflossen ist, aber auf dem Boden gibt es nur eine kleine Lache. Fast nichts. Sogar wenn das Blut im Boden versickert wäre, hätten wir mehr finden müssen.«
Die anderen schauten den Techniker fragend an.
»Wie kann man das erklären?«, fragte Karin.
»Die einzige Erklärung, die mir einfällt, ist, dass der Täter das Blut aufgefangen hat.«
»Warum hätte er das aber tun sollen?«, fragte Wittberg ungläubig.
»Keine Ahnung.« Sohlman rieb sich nachdenklich das Kinn. »Der Besitzer hat das Pferd gestern Abend gegen elf zuletzt lebend gesehen. Der Tierarzt nimmt an, dass es mindestens fünf, sechs Stunden tot war, als die Mädchen es gefunden haben, also wurde es vermutlich irgendwann gegen Mitternacht oder ein Uhr getötet. Was die Koppel und die Umgebung angeht, so werden die mit Hunden nach dem Kopf abgesucht, aber bisher ist dabei noch nichts herausgekommen. Wir erweitern jetzt den Bereich, in dem wir suchen.«
Karin schnitt eine Grimasse.
»Widerlich. Der Täter hat also Kopf und Blut mitgenommen«, sagte sie. »Was wissen wir über das Pferd?«
Knutas schaute in seine Unterlagen.
»Russe, fünfzehn Jahre alt, kastriert – ein Wallach also. Freundliches liebes Tier, bisher nicht vorbestraft.«
Wittberg grinste. Karin fand es nicht so lustig.
»Und der Besitzer?«
»Er heißt Jörgen Larsson, verheiratet, Vater von drei Kindern, hat vor zehn Jahren zusammen mit seinem Bruder den Hof übernommen. Es ist ihr Elternhaus, die Eltern wohnen in einem Flügelanbau. Es ist ein ziemlich großer Betrieb, sie haben an die vierzig Kühe und jede Menge Kälber. In der Familie scheint es nichts Auffälliges zu geben, sie kümmern sich seit vielen Jahren ruhig und friedlich um ihren Hof. Weder Jörgen Larsson noch sonst ein Familienmitglied ist vorbestraft.«
»Der Tierarzt hält den Täter für eine Person, die auf einem Hof aufgewachsen ist oder schon einmal in Kontakt mit Schlachten oder Tötung von Tieren gekommen ist«, sagte Sohlman. »Er sagt, dass das nicht so einfach ist. Man braucht genaue Planung, Mut und Zielstrebigkeit – und dazu Muskelkraft. Man muss ordentlich zuschlagen, um ein Pferd bewusstlos zu machen, und man muss auch wissen, wohin man zu schlagen hat. Das Gehirn sitzt ziemlich hoch oben in der Stirn. Åke Tornsjö meint, der Täter hat das wahrscheinlich nicht zum ersten Mal getan.«
Alle am Tisch hörten interessiert zu.
»Ist der Bauer oder sonst jemand in der Familie Drohungen ausgesetzt gewesen?«, fragte Wittberg, als Sohlman verstummt war.
»Nein, unseres Wissens nicht.«
»Fraglich ist, ob sich das gegen den Bauern richtet oder ob da einfach ein Irrer sein Mütchen an Tieren kühlen will«, sagte Karin.
»Kann es sich um einen Dumme-Jungen-Streich handeln?«
Diese Frage stammte von Wittberg.
»Mit Schlachtermesser und Axt und unter Vorkehrungen, den Kopf wegzuschaffen?«, fragte Karin. »Nie im Leben. Da frage ich mich doch eher, welche uns bekannten Patienten aus psychiatrischen Anstalten gerade frei rumlaufen.«
»Das haben wir sogar schon überprüfen können«, sagte Knutas. »Erinnert ihr euch an Gustav Persson, der sich in Koppeln herumgetrieben und Pferden Nägel in die Hufe geschlagen hat? Er hat nur die Spitze eingeschlagen, aber wenn das Pferd sich dann bewegte, bohrte der Nagel sich immer tiefer. Er hat sich nicht mit einem Huf begnügt, sondern alle vier präpariert, so dass das Pferd am Ende nicht mehr stehen konnte. Er konnte die Polizei mehrere Wochen lang an der Nase herumführen, ehe wir ihn erwischt haben. Da hatte er bereits fast ein Dutzend Tiere verletzt. Dann haben wir Bingeby-Anna. Sie hat alle Katzen umgebracht, die sie finden konnte, und sie an ihren Zaun gehängt.«
»Und dabei ist sie winzig klein und dünn«, sagte Karin. »Sie hätte das hier nie geschafft, jedenfalls nicht allein. Ich bin im Vergleich zu ihr ein Elefant, sie wiegt auf keinen Fall mehr als vierzig Kilo.«
Knutas hob bei dieser Übertreibung die Augenbrauen. Karin war feingliedrig und maß auch nur eins sechzig.
»Ich glaube einfach nicht, dass es sich um die Impulshandlung eines geistig Kranken handelt«, protestierte Wittberg. »Die Tat ist zu geplant. So ein Verbrechen zu begehen, zur hellsten Sommerzeit und in der Nähe von Wohnhäusern, muss, genau wie Sohlman sagt, sorgfältig vorbereitet worden sein. Ich begreife nicht, wie der Täter das Risiko, gesehen zu werden, eingehen konnte. Die Straße zur Weide führt dicht am Hof vorbei, er hätte auch gleich auf den Vorplatz fahren können. Wirklich alle im Haus hätten aufwachen und den Wagen sehen können.«
»Sicher, aber wir haben festgestellt, dass die Koppel sich auch aus der anderen Richtung erreichen lässt«, sagte Sohlman. Er zeigte Karten der Umgebung. »Die Straße teilt sich vor Petesviken. Statt dort nach rechts abzubiegen und am Hof vorbeizufahren, nimmt man die linke Abzweigung. Ein kleines Stück weiter vorn führt dann ein Traktorweg an den Feldern vorbei, um das ganze Gelände herum und auf der anderen Seite an der Koppel vorbei. Wenn der Täter diesen Weg genommen hat, und davon bin ich überzeugt, dann konnte er vom Hof aus nicht gesehen werden und in aller Ruhe zur Koppel und wieder wegfahren. Von den Höfen in Petesviken aus kann man ebenfalls nicht sehen, ob auf diesem Weg ein Auto unterwegs ist. Das haben wir überprüft. Jetzt untersuchen wir dort die Wagenspuren, aber so trocken, wie der Boden ist, ist es fraglich, ob das etwas bringen wird.«
»Gut«, sagte Knutas. »Wir vernehmen gerade die Nachbarn und andere, die in der Gegend zu tun haben, wir können also nur hoffen, dass dabei etwas herauskommt. Der Täter hat vermutlich ein Auto gehabt. Er hatte eine Axt und ein Messer und vielleicht noch weiteres Werkzeug, und er hatte einen Pferdekopf zu schleppen.«
»Vermutlich war er selbst ziemlich blutverschmiert«, sagte Sohlman.
»Vielleicht hat er alles abgewaschen – das Meer ist doch gleich in der Nähe«, sagte Karin.
»Wäre das nicht doch ein bisschen zu leichtsinnig?« Wittberg sah sie skeptisch an. »Dass er ans Wasser gegangen ist, bei dem Risiko, entdeckt zu werden? Auch, wenn das Verbrechen bei Nacht begangen wurde. In diesen hellen Sommernächten baden die Leute doch rund um die Uhr. Vor allem bei dieser Hitze.«
»Andererseits ist die Gegend ziemlich einsam«, wandte Knutas ein. »Auf den Höfen in der Nähe wohnen doch nicht mehr als drei, vier Familien, und vielleicht hätte man noch mit den Leuten aus den Häusern weiter hinten an der Straße zu rechnen. Es ist keine Stelle, an der man zufällig vorbeikommt. Egal, wir müssen uns genauer über die Bauernfamilien informieren. Vielleicht ist es von Bedeutung, dass gerade Larssons Pferd umgebracht worden ist, vielleicht war es aber auch ein Zufall. Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
»Glaubst du, es kann jemand aus der Familie sein?«, fragte Karin. »Die Frau, die sich am Mann rächen will, oder umgekehrt?«
»Das klingt vielleicht ein wenig weit hergeholt«, sagte Knutas. »Man muss doch ziemlich krank sein, um so ein Verbrechen zu begehen. Aber ausschließen können wir es nicht, wir haben ja schon manche Überraschung erlebt. Wir müssen noch einmal mit dem Bauern sprechen. Er ist ungeheuer redselig, aber wir waren ja nur kurz da. Ich glaube, es sollte noch einmal jemand hinfahren. Und die Mädchen, die das Pferd gefunden haben, müssen so schnell wie möglich vernommen werden.«
»Ich kann mich sofort auf den Weg machen.« Wittberg wollte schon aufstehen.
»Ich komm mit«, sagte Karin. »Wenn du keinen anderen Auftrag für mich hast.«
»Fahrt ihr nur«, sagte Knutas. »Ich bleibe hier und kümmere mich um die Presse.«