Читать книгу An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 15
ОглавлениеEmma Winarve sass zurückgelehnt, ein Kissen im Rücken, in der Hollywoodschaukel in ihrem Garten in Roma. Sie versuchte, eine möglichst bequeme Haltung zu finden. In ihrem hochschwangeren Zustand war das nicht so leicht. Sie fühlte sich die ganze Zeit heiß und verschwitzt, auch wenn sie im Schatten blieb. Das Hochdruckgebiet der vergangenen Woche trug noch dazu bei. Im Moment kam sie sich dick und unförmig vor, obwohl sie weniger wog als bei ihren früheren Schwangerschaften. Sie hatte bisher erst zwölf Kilo zugenommen, und das schien ihr typisch für die Situation. Diesmal verlief die Schwangerschaft ganz anders. Die anderen Kinder waren ersehnt gewesen, und es hatte nie Zweifel daran gegeben, dass Emma sie auf die Welt bringen würde. Das Baby aber, das jetzt in ihrer Gebärmutter heranwuchs, hätte durchaus als Blutklumpen enden können, herausgeschabt, während noch Zeit dafür war. Jetzt war Emma natürlich froh darüber, dass es dazu nicht gekommen war. Und wenn alles lief wie geplant, dann waren es nur noch zwei Wochen bis zur Niederkunft.
Sie und die Kinder hatten eben einen Obstsalat aus Melone, Kiwi, Ananas und Sternfrucht genossen. Tropische Früchte schmeckten ihr besonders gut, wenn sie schwanger war.
Sie betrachtete Sara und Filip, die auf dem Rasen in ihr Krocketspiel vertieft waren. Sie hatten eben die zweite Klasse hinter sich und hatten bereits eine Scheidung erleben müssen.
Manchmal litt Emma unter schweren Schuldgefühlen, obwohl sie nicht glaubte, dass sie anders hätte handeln können. Sie tröstete sich damit, dass sie immerhin nicht die Einzigen waren. Fast die Hälfte der Kinder in beiden Klassen hatte geschiedene Eltern.
Als sie im vergangenen Sommer Johan Berg kennen gelernt hatte, hatte sie sich heftig verliebt. Emma, die nie geglaubt hatte, sie könne ihren Mann betrügen. Zuerst schob sie alles ihrem Schock und ihrer Verzweiflung zu, nachdem ihre beste Freundin Helena ermordet worden war. Helena war das erste Opfer eines Serienmörders gewesen, und Johan gehörte zu den Reportern, die danach Emma als Helenas Freundin interviewt hatten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits angefangen, ihre Ehe ernsthaft in Frage zu stellen. Die Gefühle, die sie für Johan entwickelte, hatte sie nie zuvor gekannt. Sie versuchte mehrere Male, mit ihm Schluss zu machen und zu Olle zurückzukehren, der ihr trotz allem verzieh.
Bei einem ihrer Rückfälle, als sie sich wieder heimlich mit Johan getroffen hatte, war sie schwanger geworden. Ihr erster Gedanke war, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Als sie Olle alles gestand, war er sogar bereit, ihr erneut zu vergeben, er machte jedoch die Abtreibung zur Bedingung für die Fortdauer der Ehe. Emma vereinbarte einen Termin für den Eingriff und machte ein für alle Mal mit Johan Schluss.
Die Familie feierte gemeinsam ruhig und gemütlich Weihnachten. Die Kinder waren überglücklich, dass alles wieder so war wie vorher, und Emma bekam von Olle das lange ersehnte Hundebaby.
Aber dann tauchte Johan plötzlich im Haus in Roma auf und stellte abermals alles auf den Kopf. Als Emma die beiden Männer nebeneinander betrachtete, sah sie die Lage in neuem, glasklarem Licht. Plötzlich wusste sie, warum es ihr so schwer gefallen war, ihre Beziehung zu Johan zu beenden. Es war ganz einfach: Sie liebte ihn. Die Beziehung zu Olle war vorbei, und es war zu spät, daran noch etwas zu ändern.
Zwei Tage darauf rief sie Johan an und teilte ihm mit, dass sie das Kind behalten wollte.
Jetzt saß sie hier, frisch geschieden, mit zwei Kindern, die jede zweite Woche bei ihr verbrachten, und einem dritten Baby im Bauch. Dass sie sich für dieses Kind entschieden hatte, bedeutete nicht automatisch, dass sie und Johan eine Familie bilden würden, wovon er offenbar ausgegangen war. Johan wollte nichts lieber, als sofort einzuziehen und für Sara und Filip den Ersatzvater zu spielen, aber Emma brauchte Zeit. Sie fühlte sich noch längst nicht bereit, sich auf eine neue Familie einzulassen. Wie sie sich allein um das Baby kümmern sollte, war eine Frage, die die sich später stellen würde.
Sie fuhr mit der Hand über ihr zitronengelbes Baumwollkleid. Ihre Brust schien ihr groß und schwer, sie hatte sich bereits auf die bevorstehende Aufgabe eingestellt. Ihre Beine waren halb eingeschlafen. Ihr Kreislauf, nie besonders stabil, wurde bei ihren Schwangerschaften besonders anfällig, und in dieser Hinsicht ähnelte diese Schwangerschaft immerhin den früheren. Das Blut in ihrem Körper schien stillzustehen, ihre Finger und Zehen waren weiß und kalt, und die Tatsache, dass sie so unbeweglich und unbeholfen war, machte die Sache nicht besser. Emma war daran gewöhnt, mindestens dreimal die Woche Sport zu treiben. Sie war eine begeisterte Raucherin, doch sie hörte sofort damit auf, wenn sie von einer Schwangerschaft erfuhr, jetzt wie früher.
Sie verspürte keinerlei Sehnsucht nach einer Zigarette, wusste aber, dass sie nach dem Stillen sofort wieder mit dem Rauchen anfangen würde. Ihr Rauchen passte zur Problemlage in ihrem Leben. Je mehr Probleme sie hatte, desto mehr rauchte sie, ganz einfach. Irgendeinen Trost brauchte sie doch. Wie man mit einer Scheidung fertig wurde, ließ sich nicht voraussehen, das hatte sie auf brutale Weise erfahren müssen.
Dass es mit Olle schwierig werden würde, hatte sie erwartet, aber sie hätte sich doch niemals vorstellen können, wie schmutzig, erbittert und elend alles verlaufen würde. Die aufreibenden Streitigkeiten und sein Opferverhalten hatten sie in diesem Frühling fast umgebracht.
Dass sie ohne Zigaretten auskam, war beinahe ein Wunder.
Die Wohnungsfrage hatten sie immerhin sehr gut lösen können. Olle hatte mitten in Roma eine große Wohnung gefunden, die von Emmas Haus aus zu Fuß zu erreichen war. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass die Kinder je eine Woche bei jedem Elternteil wohnen würden, jedenfalls für den Anfang, um die Zeiten der Trennung nicht zu lang werden zu lassen. Später könnten sie dann weitersehen. Dann mussten die Kinder entscheiden. Olle war immerhin vernünftig genug, sich verantwortlich dafür zu fühlen, dass die Kinder nicht mehr als nötig leiden mussten.
Sie hob den Blick vom Kreuzworträtsel, auf das sie gestarrt hatte, während die Buchstaben zu einer unverständlichen Suppe verschwommen waren. Sara und Filip waren noch immer in ihr Krocketspiel vertieft. Sie hatten sich dabei kein einziges Mal gestritten. Das war eine unerwartete Folge der Ereignisse, die Kinder waren jetzt ruhiger. Sie schienen mehr Verantwortung zu übernehmen, jetzt, wo alles um sie herum zusammengebrochen war. Das schlechte Gewissen lastete auf Emmas Schultern. Die Scheidung war ihre Schuld. Das fand die gesamte Verwandtschaft, sogar ihre Eltern, obwohl niemand es offen sagte.
Den Kindern hatte sie alles erklärt, so gut sie konnte, jedoch ohne zu versuchen, um Verzeihung zu bitten, aber reichte das? Würden die beiden sie je verstehen?
Sie sah in ihre glatten Gesichter. Sara mit den dunkleren Haaren und den tiefbraunen Augen, lebhaft, aber ordnungsliebend. Sie redete laut mit ihrem kleinen Bruder, während der versuchte, sich auf das Zielen zu konzentrieren. Filip hatte hellere Haut und Haare, er war fröhlich und verspielt und galt als der kleine Schurke in der Familie.
Sie fragte sich, ob sie ihr ungeborenes Kind ebenso bedingungslos lieben würde.