Читать книгу An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 16

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Knutas’ Dienstraum lag im zweiten Stock des Amtsgebäudes. Er war geräumig und hell, hatte sandfarbene Wände und helle Birkenmöbel. Die Ausnahme war Knutas’ alter abgenutzter Schreibtischsessel aus Eiche mit der weichen Lederpolsterung. Er hatte sich nicht davon trennen können, als das Gebäude im Vorjahr renoviert worden war und alle alten Möbel ausgetauscht werden sollten. Im Laufe der Jahre hatten sich viel zu viele Puzzlestücke zusammengefügt, während er darin gesessen hatte. Er befürchtete, in einem anderen Sessel nicht so gut denken zu können, auch wenn ein neuer besser für seinen Rücken wäre.

Er wiegte sich langsam hin und her und dachte über das enthauptete Pony nach. Grausamkeiten gegen Tiere wurden auf Gotland nur sehr selten verübt. Natürlich gab es Fälle von Vernachlässigung, von Tieren, die nicht gefüttert, oder Ställen und Boxen, die nicht gereinigt wurden, aber das hier war etwas anderes. Möglicherweise handelte es sich um einen Verrückten, der es genoss, Tiere zu quälen – solche Fälle hatte er schon gehabt, wenn auch kaum von diesem Kaliber. Vielleicht war das Pferd einem Wutausbruch zum Opfer gefallen – aber gegen wen hatte die Wut sich dann gerichtet?

Zugleich wirkte das Ganze kühl und berechnend. Die Tat war zu einem Zeitpunkt ausgeführt worden, als alles schlief, aber als es schon hell genug gewesen war. Der Bauer meinte, der Täter habe die Tiere füttern müssen, um sein Verbrechen ungestört durchführen zu können. Danach hatte er das Pferd in aller Ruhe töten und verstümmeln können. Die Frage war nun, zu welchem Zweck der Täter den Kopf mitgenommen hatte. Wohl kaum, um Aale zu fangen, wie Knutas es vor langer Zeit in einem Film gesehen hatte.

Er suchte seine Pfeife hervor, stopfte sie sorgfältig und nuckelte daran herum, ohne sie anzustecken. Das machte er immer so, wenn er nachdenken musste. Auf der Wache durfte ohnehin nicht geraucht werden. Eine leichte Drehung mit dem Stuhl brachte den überfüllten Parkplatz des Supermarktes in sein Blickfeld. Nach dem Mittsommerwochenende hatte die Touristensaison endgültig eingesetzt. Die Insel hatte achtundfünfzigtausend Einwohner, aber in den Sommermonaten kamen weitere achthunderttausend Personen hinzu. Mitte August war dann so abrupt Schluss, wie es angefangen hatte.

Er hatte Wittberg und Karin gebeten, sich während des Nachmittags ein genaueres Bild des Pferdebesitzers zu verschaffen, die Techniker mit Sohlman an der Spitze waren im Feld und sprachen mit Nachbarn und anderen Personen, die möglicherweise etwas gesehen haben konnten.

Line rief an und klang aufgeregt. Es würde spät werden, sie waren auf der Wochenstation absolut überbelegt. Knutas berichtete, dass es bei ihm ähnlich aussah.

Knutas’ dänische Frau Line arbeitete im Krankenhaus von Visby als Hebamme, und die Gotländerinnen gebaren wie nie zuvor. Ein neuer Babyboom schien über die Insel zu fegen. Line musste seit Wochen jeden Tag Überstunden machen, und es schien einfach kein Ende zu nehmen. Knutas und die Zwillinge mussten selber sehen, wie sie zurechtkamen. Das war an sich kein Problem, die Zwillinge schafften das hervorragend. Petra und Nils hatten die Sommerferien bisher mit Baden und Fußballspielen verbracht, und sie hatten nichts dagegen, sich Geld für Pizza und Hamburger geben zu lassen, statt mittels Knutas’ dürftigen Kochkünsten verpflegt zu werden. Die hatte er auf die Spitze getrieben, als er ihnen etwas vorgesetzt hatte, das er stolz »Papas Spezialmakkaroni« nannte. Eine wässrige Geschichte, die nach nichts schmeckte und zu allem Überfluss an den Rändern angebrannt war.

Für Knutas war der Frühling ziemlich ereignislos verlaufen. Nach einem spektakulären Mordfall im Winter, als ein Mädchen verschwunden und dann tot aufgefunden worden war, war es ihm eine Zeit lang schlecht gegangen. Der Fall war ihm arg unter die Haut gegangen, denn er war auf sehr persönliche Weise hineingezogen worden. Wie das seine Urteilskraft beeinflusst hatte, ließ sich im Nachhinein nicht sagen, aber er fürchtete, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Und dann hätte auch er eine gewisse Schuld am Tod des Mädchens. Es fiel ihm schwer, diese Schuldgefühle zu ertragen.

Zwischenzeitlich hatte er schon geglaubt, auf dem Weg in eine tiefe Depression zu sein. Die Schlaflosigkeit war das deutlichste Zeichen, zudem fühlte er sich oft niedergeschlagen und lustlos. Dann wieder hatte er Anflüge von Temperament, gegen die Lines laute Ausbrüche wie ein Mäusefiepen wirkten. Er ging wegen der geringsten Bagatelle hoch, und wenn die übrigen Familienmitglieder sich über seine unmotivierte Verärgerung beschwerten, fühlte er sich beleidigt und ungerecht behandelt. Wie ein verdammter Märtyrer. Am Ende hatte Line ihn zu einer Psychologin geschleppt. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Knutas für seine persönlichen Probleme professionelle Hilfe in Anspruch genommen. Er hatte sich nicht viel davon versprochen, war dann aber angenehm überrascht gewesen. Die Psychologin war für ihn da und hörte zu, ohne gute Ratschläge zu erteilen oder ihn zu verurteilen. Sie nahm das entgegen, was Knutas sagte, stellte ab und zu eine Frage, und diese Fragen führten Knutas auf neue gedankliche Wege. Durch die Therapie gewann er neue Kenntnisse über sich selbst und seine Beziehung zu seiner Umgebung, und nach und nach wurden seine Schuldgefühle kleiner. Aber eigentlich fing er wohl erst jetzt an, sich wirklich besser zu fühlen.

Wieder schellte das Telefon und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Die Zentrale fragte, ob er mit dem Korrespondenten des Schwedischen Fernsehens sprechen könne. Seufzend sagte Knutas zu. Er hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Johan Berg. Die Hartnäckigkeit dieses Reporters konnte Knutas wirklich zur Weißglut bringen, wenn er auch zugeben musste, dass Berg gute Arbeit leistete. Oft konnte er ganz neue Sachverhalte aufdecken, und er besaß ein teuflisches Talent, die Menschen dazu zu bringen, mehr zu erzählen, als sie eigentlich vorhatten, das gelang ihm sogar bei Knutas selbst.

Johan wirkte gestresst, als er über den Gang kam, sicher musste er die nächste Sendung in aller Eile fertig stellen. Seine schwarzen Haare klebten an seiner Stirn, sein Baumwollhemd war zerknittert und fleckig. Knutas nahm an, dass er vermutlich bereits draußen in Petesviken gewesen war und direkt vom Tatort kam. Wenn er nur keine bereitwilligen Interviewkandidaten gefunden hatte. Knutas wollte nichts dazu sagen, er hatte nicht das Recht, sich in die Arbeit der Journalisten einzumischen. Ihre Aufgabe war es, so viele Informationen wie möglich zu beschaffen, er musste dafür sorgen, dass so wenig wie möglich durchsickerte. Er bereitete sich auf unangenehme Fragen vor und spürte, wie er die Kiefermuskeln anspannte, noch ehe das Interview überhaupt begonnen hatte.

Johan brachte diese neue Fotografin mit, die mit ihren in alle Richtungen abstehenden schwarzen Haaren aussah wie ein Punk. Einen Ring in der Nase hatte sie auch noch. Pia wollte nicht auf dem Flur herumstehen, sondern wies auf einen Balkon, der während der Renovierungsarbeiten angebaut worden war. Knutas sollte vor dem idyllischen Hintergrund aus sommerlichem Grün, Stadtmauer und Meer über die grauenhafte Tat berichten. Typisch Fernsehmenschen, die dachten eben nur an ihre Bilder.

Zuerst stellte Johan die üblichen Fragen danach, was überhaupt passiert war, dann folgte – nicht ganz unerwartet – etwas Unerwartetes.

»Habt ihr den Kopf schon gefunden?«

Knutas biss die Zähne zusammen und schwieg. Dass der Kopf verschwunden war, hatte die Polizei geheim halten wollten. Allen, die davon wussten, war strenges Schweigen verordnet worden.

»Ich möchte wissen, ob ihr den Kopf gefunden habt?«, fragte Johan hartnäckig.

»Dazu habe ich nichts zu sagen«, erwiderte Knutas irritiert.

»Ich weiß, dass der Kopf fehlt – aus sicherer Quelle«, sagte Johan. »Da kannst du es doch gleich bestätigen?«

Knutas lief vor Wut hochrot an. Er sah ein, dass die Polizei durch das Verschweigen dieser Tatsache nichts gewinnen konnte.

»Nein, wir haben den Kopf nicht gefunden«, gab er zu und ließ einen resignierten Seufzer hören.

»Habt ihr irgendeine Theorie darüber, wo er sein kann?«

»Nein.«

»Hat der Täter ihn also mitgenommen?«

»Vermutlich.«

»Was bedeutet das?«

»Unmöglich zu sagen.«

»Was glaubst du, was der Täter mit dem Kopf vorhat?«

»Darüber kann man nur spekulieren, und die Polizei beschäftigt sich nicht mit Spekulationen. Uns geht es darum, den Schuldigen zu finden.«

»Wie reagierst du denn selbst auf dieses Ereignis?«

»Ich finde es entsetzlich, dass jemand einem Tier so etwas antun kann. Die Polizei nimmt das Vorkommnis natürlich sehr ernst, und wir werden alle verfügbaren Mittel einsetzen, um den oder die Schuldigen zu finden. Wir möchten die Öffentlichkeit bitten, sich an uns zu wenden, wenn jemand etwas gehört oder gesehen hat, das sich mit der Tat in Verbindung bringen lässt.«

Knutas beendete das Interview.

Ihm war heiß, und er war verwirrt. Obwohl er einsah, dass es sinnlos war, versuchte er, Johan zu bewegen, das Verschwinden des Kopfes in seinem Bericht nicht zu erwähnen. Es überraschte ihn jedoch kaum, dass der Reporter sich nicht erweichen ließ und diese Information für so wichtig hielt, dass sie veröffentlicht werden musste.

An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi

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