Читать книгу Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach - Страница 22

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Mit einem glänzend schwarzen Kinderwagen unter Arkaden im Zagreber Regen, Seka und ihre Freundinnen in schmalen Kostümen, ihre Hüte und die Hüte der Männer mit weich geschwungenen Krempen. An der Adria in vergnügter Freundesgruppe, braungebrannte Schultern, Wind im Haar, drei Mütter mit weißblonden kleinen Mädchen auf den Knien, die in die Sonne blinzeln. Sekas Mutter finanziert ihr Leben. Eine geschenkte Idylle, drei, vier Jahre lang. Ein unangemessenes Glück – so nah am Krieg. Ado und seine beiden Freunde Klapper und Guillemin, die ohne Arbeitserlaubnis mit befristeter Duldung in Zagreb überleben, nehmen das Geschenk an, mit einem täglichen Staunen über diese glückliche Wendung und über die Freude, die sich jeden Moment verflüchtigen kann.

Ado beobachtet mit Hingabe, wie das Kind die Welt entdeckt und wie sich die Welt in ihm entdeckt. Nur keinen Moment davon versäumen. Er öffnet morgens die Haustür, draußen ist frischer Schnee, dicht, weiß, die Sonne glitzert auf ihm. Der Himmel ist hellblau. Die zwei Farben, weiß und blau, sind groß, von nichts beeinträchtigt. Und Ado freut sich unbändig über den Schnee. Seka steht noch auf den Eingangsstufen und lächelt zu uns herunter. Ado drückt mit seinen warmen Händen den Schnee zu einem hohen Kegel zusammen und sucht ein wenig theatralisch nach etwas. Er findet eine rostige Konservendose und setzt sie auf die Spitze des Schneekegels.

»Das ist der Kopf«, sagt er.

Der Schneemann wird mir nicht ganz verständlich, aber wir drei sind so leicht und froh, etwas Wundersames berührt uns. Solche frühen Erinnerungen hat Virginia Woolf Euphorie, Entzücken genannt, sogar Passion, aber was wirklich in diesen Momenten geschieht, hält sie für unerfindlich, es übersteige uns. Der Moment im Schnee ist ohne ein Vorher und ein Nachher in mir, unser Jubel, das Weiß und Blau, alles fast aufgelöst im Licht.

Zum Abschiedsfest für ein deutsches Flüchtlingspaar, dem das überwältigende Glück zufiel, mit Visa für die USA Europa verlassen zu können, treffen sich die Freunde. Sie albern, spielen die Münchner Konferenz nach. Ado ist Mussolini, hat sich eine Pfanne über den Kopf gestülpt, den er zwischen die Schultern zieht, so dass er halslos, bullig, mit geblähten Nasenflügeln in die Runde guckt. Den Arm hat er einem Hitler auf die Schulter gelegt, einem für diese Rolle viel zu hochgewachsenen Mann mit Bärtchen und Militärschärpe. Eine Psychiaterin mit Zigarre und Melone mimt den englischen Premier Chamberlain, und ein Chemiker gibt mit Stehkragen und Fliege den französischen Ministerpräsidenten Daladier. Sie spielen ihre Verachtung für das halbherzige Kräftemessen in München, dem die Welt voller Bangen zugesehen hatte und das zu Hitlers Gunsten ausgegangen war.

Heute feiern sie die rettende Abreise des deutschen Flüchtlingspaars in der großen Wohnung der Betlheims, des Psychoanalytikers und seiner Frau, einer Bauhaus-Künstlerin aus Deutschland. Das letzte Fest mit allen Freunden, das letzte Schiff nach Amerika, vieles geschieht zum letzten Mal. Seka gelingt es, ein brasilianisches Visum für sich mit Kind zu bekommen, aber ohne den deutschen Ehemann. Sie solle vorausfahren und ihn von dort aus nachholen, wird ihr geraten. Sie fürchtet das Risiko und lehnt ab. Noch Jahrzehnte später horcht sie ihrem eigenen Satz von damals nach: »Wir bleiben zusammen.«

Ein Krokodil für Zagreb

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