Читать книгу Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach - Страница 33
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ОглавлениеAm Abendbrottisch streicht Seka Butter auf ein Weißbrot, drauf streut sie Zucker, schneidet die Scheibe in kleine Vierecke und bittet, iss doch, Kind. Ihr zuliebe kaue ich langsam ein Stück und schlucke es. Andreas steht weiter hinten im Raum in seinem Bett, anderthalb Jahre alt, er hält sich am Gitter und plappert mit uns. Auf einer Kommode ein rotbrauner Mahagoni-Radiokasten, aus ihm verkündet eine tiefe Männerstimme: Bomber im Anflug. »Schon wieder«, stöhnt Seka. Sie zieht mir einen Mantel an, die Sirenen heulen in dem auf- und abschwellenden Ton, den niemand je vergisst. Sie nimmt Andreas mitsamt Plumeau auf den Arm, wir gehen umständlich viele Stufen im Haus hinunter.
Der Keller in grauem Licht ist ein bebender Schiffsbauch, in dem sich die Passagiere zusammenklumpen. Die Tür über den steinernen Stufen springt auf, Ado steht in ihr, hinter ihm hellrotes Feuer, seine Hosenbeine flattern, als zerrten Geister an ihnen, er ruft: »Unser Haus ist getroffen, es brennt!« Ihm antwortet das Aufheulen dünner Frauenstimmen. Draußen winden sich hohe Flammen aus den Fenstern, das Feuer rauscht wie ein Sturm, durchsetzt von Knattern und Knallen. Verbrannte Stofffetzen, Papiere, Holzstücke segeln tanzend herunter. Ein Vorhang flattert weit nach außen wie im höchsten Vergnügen und verbrennt. In der Straße steht ein kleiner alter Laster mit offener Ladefläche für Holz und Kohlen. Um ihn drängen sich Frauen mit Kindern und flehen den Fahrer an, sie von hier wegzufahren. »Ich darf nicht, versteht doch, Frauen, es ist streng verboten.«
Auf einmal dreht sich Seka um und geht mit uns los, in das Rot und Schwarz. Rot sind die himmelhohen Flammen, schwarz ist die Nacht. Seka geht mit uns hindurch, Andreas auf ihrem Arm, ich an ihrer Hand. In dieser Nacht ist Seka wie ein schmaler Baum, der mit uns wandert. Wie eine stumme Pflanze, die im tosenden Feuer die Gabe erhalten hat, sich aus ihren Wurzeln zu lösen und sich wegzubewegen. Keine Regung zu uns hin, kein Trösten, nicht einmal ein Gesicht, Schweigen, völliges Schweigen.
Ein Polizist kommt, nimmt ihr wortlos das Kind ab, sie hebt mich hoch, trägt mich durch den Tiergarten und durchs Brandenburger Tor zum Hotel Adlon. Bis alles still wird in dieser Nacht des 23. Novembers 1943, bis dunkel glänzende, tiefe Ledersessel im Hotelfoyer uns aufnehmen.