Читать книгу Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach - Страница 26
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ОглавлениеIm Frühjahr trifft eine Vorladung zur Polizei ein, Decke und Zahnbürste sind mitzubringen. Das ist bedrohlich. Jetzt kann die Mutter ihnen in Zagreb nicht mehr helfen. Auch Konsul Freund von der deutschen Botschaft kann Ado nicht mehr gegen die Ustascha-Willkür schützen. Er war einst Assessor bei Ados Vater und bleibt der Achenbach-Familie treu. Vor Kriegsbeginn flanierte er mit seinem Hund durch den Park Maximir, Ado gesellte sich ihm mit seinem Boxer Babu zu, Konsul Freund klagte traurig über die Lage in Deutschland. Eine zweite Haft Ados hat er nach wenigen Tagen beenden können. Jetzt setzt er als seine letzte Tat die Namen von Ado und Seka mit den Kindern heimlich auf eine Liste von Deutschen, die aus Südrussland und dem ganzen Osten über den Balkan heim ins Reich treiben. Sie werden zu Partikeln in der Völkerwanderung, die die Nazis in Gang setzen. Schwäbische Bauernfamilien, Handwerker, Pastoren, deren Vorfahren einst ausgewandert waren, sollen die Höfe und Dörfer im eroberten Polen übernehmen. In diesen Strömen sind Ado und Seka mit den Kindern zeitweilig unsichtbar und erreichen die Achenbach’sche Wohnung, mitten in der Vorhölle Berlin.
Das Haus im Spreebogen ist prächtig, die Adresse heißt In den Zelten. Hier lebt auf einer großen Etage Ados Mutter, die fünfundsiebzigjährige Paula, die erst durch die faschistischen Rassengesetze daran erinnert wurde, dass sie Jüdin ist. Als es noch einen Kaiserhof gab, war sie als charmante Gattin des preußischen Ministers Heino von Achenbach gern zum kleinen Zirkel der Kaiserin nach Potsdam eingeladen worden. Jetzt sind auf alle Kleider große gelbe Sterne genäht, und in den Ausweis ist der Vorname Sarah gesetzt. Ihr Mann ist 1933 gestorben, sie ist zurückgeblieben in der Welt, die außer sich ist.
Das Familienvermögen entzieht ihr der NS-Staat in Schüben und nennt es Judenbuße. Aber noch lebt sie in ihrer glanzvollen Wohnung, die früher nie ohne Gäste war und in der jetzt die Stille herrscht. Tochter Freda, Witwe eines Bankdirektors, nun zur Halbjüdin erklärt, wird genötigt, ihr Haus in Geltow an die Wehrmacht zu verkaufen. Seitdem lebt sie bei der Mutter. Auch eine Köchin gibt es, Rilli, die – ähnlich wie die Köchin Tereza in Sarajevo – eine Vertraute der Frauen ist. Die Rituale der Mahlzeiten werden eingehalten, als wäre die Welt nicht verstümmelt. Die alte Dame wandelt versonnen zwischen den glänzenden Möbeln und poliert mit einem weichen Tuch silberne Kannen, Dosen und Schalen auf den Kommoden.
In diesem vereinsamten Haus taucht wie eine Erscheinung der verlorene Sohn auf. Und seine junge Frau aus Bosnien, deren Deutsch klangvoll und voller reizender Fehler ist und mit ihnen die zwei Kinder. Eine Überfülle an neuen Tönen bricht herein. Seka ist ungezwungen wie hier schon lange niemand mehr und beherrscht doch seit der Kindheit in Sarajevo die Etikette, als wäre auch sie in die höfischen Spielregeln eingeweiht. Beim Tee scherzt sie großmütig mit Paula über kleine pikante Witze, Paula kann Tränen lachen, dieses Lachen rührt Seka, die ihre beherrschte Mutter vor Augen hat.