Читать книгу Da, wo du bist ... - Marion Bischoff - Страница 10

Оглавление

5. Propaganda

1. September 1939

»Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten! Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft. Wer selbst sich von den Regeln einer humanitären Kriegsführung entfernt, kann von uns nichts anderes erwarten, als dass wir den gleichen Schritt tun. Ich werde diesen Kampf, ganz gleich gegen wen, so lange führen, bis die Sicherheit des Reiches und bis seine Rechte gewährleistet sind.«

Die Stimme Hitlers klang ein wenig verzerrt aus dem Volksempfänger. Elisabeth beobachtete ihren Vater, der zunächst mit versteinerter Miene dasaß, dessen Gesichtszüge sich aber zusehends entspannten. Als im Volksempfänger Applaus aufbrandete, klopfte er anerkennend auf die Tischplatte.

»Was bedeutet das?« Sie sah ihren Vater fragend an.

»Der Führer macht Ernst. Wir lassen uns nicht von den Polen auf der Nase herumtanzen. Die werden überrollt, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht. Dann ist Ruhe.«

»Sind wir denn stark genug?«

»Mädel, wo denkst du hin? Unser Führer weiß, was er tut. Der kennt sich aus. Er war einer von uns vierzehn-achtzehn.«

»Aber du hast doch erzählt, wie schlimm das damals war.«

Für einen Moment flackerten Vaters Augen. Dann strich er sich durch das licht gewordene Haar. »Umso wichtiger, uns jetzt nichts gefallen zu lassen. Schon gar nicht von diesen Untermenschen aus dem Osten.« Mit diesen Worten erhob er sich und schlurfte zum Fenster.

So gern hätte sie ihm noch mehr Fragen gestellt. Sie wollte verstehen, warum die Soldaten hier im Ort waren. Doch ihr Vater lehnte sich aus dem Fenster und beachtete sie gar nicht mehr.

Im Nebenzimmer weinte Karl, der nach einer Auseinandersetzung mit dem Vater Stubenarrest hatte.

Elisabeth sog die Luft ein, nahm einen neuerlichen Anlauf, denn es ließ ihr keine Ruhe. »Aber du hast doch immer gesagt, der Krieg ist schrecklich. Und jetzt?«

»Die Polskis provozieren und haben wohl nicht gedacht, dass wir Deutschen uns nicht alles gefallen lassen. Ja, wir sind friedlich. Wir wollen keinem was. Aber wenn diese Untermenschen ernsthaft glauben, sie könnten gegen uns etwas ausrichten, dann werden sie schon sehen, was sie davon haben. Unsere Wehrmacht schlägt keiner!« Zufrieden nickte er seiner Tochter zu.

»Polen ist weit im Osten, oder?« Inständig hoffte sie, der Vater würde ihre Frage mit einem deutlichen Ja beantworten. Je weiter weg das alles war, umso besser.

»Weit von hier. Sicher.« Der Vater deutete aus dem Fenster. »Aber unsere Soldaten sind schon dort.« Unwillkürlich dachte Elisabeth an die Männer vor Buckels Gasthaus. »Und was machen die Soldaten in Clausen?«

»Grenzsicherung gegen die Franzsacken. Denen kann ja keiner trauen.«

Aus dem Volksempfänger drangen noch immer laute Heil Hitler-Rufe.

Elisabeth nahm die Wäsche die in dem sommerwarmen Raum mittlerweile getrocknet war, von der durch die Küche gespannten Leine, und faltete sie zusammen. Da flog die Tür auf und der Griff krachte gegen die Wand.

»Kannst du endlich das Ding leiser drehen? Der Führer schert sich schließlich nicht darum, dass der Bub Aufgaben machen muss«, polterte die Mutter beim Betreten des Raumes.

Der Vater drehte am Regler und die Jubelarien verstummten. »Der Führer hat wichtigere Ziele als das Kind«, brummelte er.

Über die Küche legte sich verständnisloses Schweigen und es klang wie eine Erlösung für Elisabeth, als ihr kleiner Bruder sich in der Nebenstube schnäuzte.

Draußen verabschiedete sich der Tag. Elisabeth trank einen Schluck Milch und kaute auf dem Butterbrot. Der Becker-Bauer hatte ihr ein Stückchen frische Butter geschenkt, die auf Mutters selbst gebackenem Brot vorzüglich schmeckte.

Als die Sonne der Nacht gewichen war, schlich Elisabeth noch einmal hinunter, öffnete die Haustür und sog die kühle Luft ein. Unter dem Dach war es noch immer unerträglich. Auf der alten Holztreppe hörte sie Schritte näherkommen und schon stand ihre Mutter neben ihr.

»Was soll das werden? Was willst du denn hier unten?«, zischte sie und zog die Tür ins Schloss. »Sieh zu, dass du hinaufkommst.«

»Ich wollte doch nur kurz frische Luft schnappen.«

»Und ich will nicht, dass du im Dunkeln an der Straße stehst.«

Elisabeth nahm noch einmal einen tiefen Atemzug und schob sich an ihrer Mutter vorbei. Eine Antwort verkniff sie sich.

Die Stufen knarzten bei jedem Schritt und Elisabeth vernahm das schwere Schnaufen ihrer Mutter hinter sich. Vaters Zigarrenrauch drang durch den engen Flur. Jetzt lehnt er wieder am Fenstersims und schließt bei jedem Zug an seinem Glimmstängel genüsslich die Augen, dachte sie bei sich. Sie betrat die Küche und grinste. Da stand er, der stattliche Mann mit dem Genießerblick.

Die kleine Lampe über dem Küchentisch beleuchtete den Raum nur dürftig. Elisabeth schob sich am Tisch vorbei in die Schlafkammer, die sie mit ihrem Bruder teilte.

Ohne sich umzuziehen, legte sie sich auf ihr Bett, starrte in Richtung Decke, an der sich fahle Lichtstreifen abzeichneten, die die Straßenlaterne hereinschickte. Karls Atem drang gleichmäßig zu ihr herüber und ihre Gedanken wanderten zu den Soldaten. Ob sie hierbleiben? Woher sie wohl kommen?

»Mach jetzt mal das Fenster zu«, hörte sie die Mutter in der Küche. Jeden Abend beschwerte sie sich darüber, dass der Vater am offenen Fenster stand und den Kopf hinausstreckte, sodass jeder ihn sehen konnte. Mutter hingegen wollte nicht auffallen. Manchmal hatte Elisabeth den Eindruck, sie fühlte sich in Clausen nicht wohl.

Der Fensterriegel klapperte. Stühle wurden gerückt. Vaters Schlurfen war deutlich zu vernehmen. Dann fiel die Küchentür ins Schloss.

Elisabeth setzte sich in ihrem Bett auf, legte ihre Schürze, den Rock und die Bluse ab und zog sich das Nachthemd über.

Im morgendlichen Dämmerlicht beobachtete sie ihren kleinen Bruder. Karl war tief in sein Kopfkissen gesunken. Sie schob ihre Bettdecke beiseite. Ohne den Blick von ihm zu wenden, zog sie sich an. Dann schlich sie aus der Stube. In der Küche saßen sich Mutter und Vater schweigend gegenüber. Die morgendliche Stille war zu einem Ritual geworden. Niemand wollte reden. Erst wenn Karl erwachte, kam Leben in die Küche.

Vater kaute. Mutter schlürfte von dem Kaffee, dessen Duft Elisabeth angenehm in die Nase stieg. Sie brühte sich ebenfalls eine Tasse auf und lehnte sich gegen die schmale Anrichte.

»Ich muss nach Rodalben. Es gibt Leder heute«, brummte Vater und schob sich ein Stück Brotkruste in den Mund.

»Wann?« Mutter rührte permanent mit dem Löffel in der Tasse und sah ihn gar nicht an.

»Beizeiten. Da ist die Auswahl am größten.« Er erhob sich von seinem Stuhl, strich sich mit der Hand durch den vollen Bart und nickte Elisabeth kurz zu. »Hab einen guten Tag, Mädel.«

Elisabeth antwortete mit einem bejahenden Lächeln. Bestimmt würde es ein guter Tag werden.

Da, wo du bist ...

Подняться наверх