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4. Welch ein Anblick

1. September 1939

Walter lehnte sich an die kühle Bruchsteinmauer des Gasthauses. Er schloss die Augen und seine Soldatenkappe schob sich über das Gesicht, als er den Kopf zurücklegte. Von vorn schlug ihm jemand gegen den Schild und seine Kopfbedeckung fiel zu Boden. Die anderen lachten. Walter blinzelte, schob den schmächtigen Kurt eine Armlänge von sich. »Jockel«, murmelte er und grinste dabei. Dann hob er die Kappe auf, klopfte den Staub herunter und setzte sie sich wieder auf den Kopf.

Gerade wandte er sich seinem Freund zu, da bemerkte er eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war ein Mädel mit zwei schwarzen Zöpfen, die in der Abendsonne glänzten, als seien sie mit Goldpuder bestäubt. Sie trug einen Rock und darüber eine Schürze, die ihre Taille betonte. Auch die Bluse zeigte erkennbare Wölbungen an der richtigen Stelle. Walter sah ihr hinterher und überlegte, wie alt sie wohl sein mochte.

Sie trug eine Milchkanne in der Hand. Warum nur richtete sie den Blick krampfhaft auf ihre Füße? Ob sie so schüchtern war? Aus den wenigen Metern Entfernung wirkten ihre Gesichtszüge sanft und ebenmäßig. So eine könnte ihm gefallen. Er seufzte, hielt sich jedoch sofort die Hand vor den Mund.

Sein Interesse blieb den anderen nicht verborgen. Schon pfiff Herbert Schmitt einen dieser schrillen Laute, wie kein Habicht sie hätte einnehmender von sich geben können. »Geh halt rüber zu ihr«, zischte der Kamerad ihm zu. Jetzt drehten sich auch die anderen um und es ertönte aufmunterndes Gemurmel.

»Ach, hört auf!« Walter winkte ab. »So wie die aussieht, ist sie doch längst unter der Haube.«

»Woher denn. Die ist so jung. Außerdem: Wenn du sie nicht fragst, wirst du es nie erfahren.« Schmittchen deutete in Richtung der jungen Frau, deren Gestalt immer kleiner wurde und schließlich verschwand. »Zu spät.«

»Jetzt lasst es gut sein.« Walter versuchte, betont lässig zu wirken, und fühlte sich lächerlich dabei.

»Hübsch war sie schon«, meinte Hans, der erst vor ein paar Tagen aus der Eifel zu ihnen gestoßen war. Der drahtige Kamerad war zwei Jahre jünger als Walter, doch von Beginn an hatten sie sich verstanden. Mit seinem spitzbübischen Grinsen und den lustigen Sprüchen unterhielt Hans die Männer schon seit dem ersten Abend.

Walter hob abwehrend die Hand, lehnte sich dann wieder gegen die Hauswand und schloss die Augen. Auf keinen Fall wollte er den anderen zeigen, wie sehr ihm die junge Unbekannte gefiel.

Es dauerte nicht lange, da näherten sich erneut Schritte. Diesmal aus der anderen Richtung. Herbert stieß Walter an. »Da kommt sie wieder«, flüsterte der Kamerad.

Diesmal pfiff keiner. Vielmehr klebten die Augenpaare der anderen Soldaten an ihm. Walter richtete sich auf, beobachtete die Schwarzhaarige, und als sie nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt war, nahm er all seinen Mut zusammen.

»Guten Abend!«, rief er hinüber. Seine Hände zitterten ein wenig. So etwas war ihm noch nie passiert. Was war nur mit ihm los? Als sie sich umdrehte, für einen Augenblick ihren Schritt verlangsamte und ein leichtes Nicken andeutete, hielt er den Atem an.

»Geh zu ihr!«, zischte der lange Fritz.

Doch Walter konnte sich nicht bewegen. Er stand da, sah, wie das Mädel sich wieder in Bewegung setzte und wenig später zwischen den Häusern aus seinem Sichtfeld verschwand.

»Hier. Post für dich!«, rief Herbert und wedelte mit einem Brief vor Walters Gesicht.

»Wer schreibt?« Er griff danach und erkannte sofort die Handschrift seiner Mutter. Mit einem Finger fuhr er in den Umschlag und riss ihn auf. Schnell faltete er das Papier auf.

Mein Junge,

Ich nehme an, du bist gar nicht weit von uns für das Vaterland tätig und doch konntest du uns jetzt nicht helfen, als wir binnen drei Tagen das Haus verlassen mussten. Die Evakuierung ging schnell. Wir haben die Hühner auf den Wagen gepackt und die Kühe vor das Fuhrwerk gespannt. Wenn du diese Zeilen liest, sind wir unterwegs. Es hieß, wir müssen ins Reichsinnere nach Franken umsiedeln.

Mach dir keine Sorgen. Der Vater, deine beiden Schwestern und ich schaffen das schon. Sobald wir eine Bleibe gefunden haben, melde ich mich bei dir.

Gib auf dich Acht, den Franzosen ist nicht zu trauen,

geliebter Sohn.

In inniger Liebe

Mutti

Noch einmal las er diese Zeilen. So hatte sie ihn noch nie angesprochen: innige Liebe. Seltsam. Vor seinem inneren Auge sah er seine Eltern auf dem Fuhrwerk sitzen, bepackt mit den wichtigsten Habseligkeiten. Und Lydia hockte bestimmt mit ihrem gewinnenden Lächeln neben dem Vater, schob sich unentwegt die widerspenstigen Locken aus der Stirn und wollte die Zügel halten. Das war schon in Kindertagen ihr wichtigstes Ziel gewesen. Walter faltete den Brief zusammen. Offenbar war auch die siebenunddreißigjährige Erna mitgefahren. Ob sein ältester Bruder Jakob mit seiner Familie den gleichen Weg gehen musste? Wie still es dann in ihrer Straße sein mochte, im ganzen Ort. Wenn das Wirtshaus geschlossen und niemand im Dorf mehr zu Hause war. Ein kühler Schauer kroch ihm über den Rücken und bündelte sich in einem unüberhörbaren Bauchgrummeln.

Da, wo du bist ...

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