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Kapitel 6


Guter Freund weist sich in schlechter Zeit.

Sein Finger lag am Abzug.

Noch ein letzer Moment der Selbstkontrolle, der Disziplin und alles würde vorbei sein.

Reitan hörte plötzlich durch die Bürotür gedämpfte Stimmen aus seinem Vorzimmer, glaubte die Stimme seiner Sekretärin zu erkennen.

„Sie können jetzt unmöglich zu ihm, er will auf keinen Fall gestört werden.“

Verdammt, schoss es ihm im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, er hatte die Tür nicht abgeschlossen!

Er riss den Revolver von der Schläfe und warf ihn in die vor ihm stehende Kiste - im selben Augenblick flog die Tür auf und Matthias Propfe, sein Bereichsleiter Logistik, langjähriger Wegbegleiter und Freund aus Kindertagen stürmte in das Büro.

„Ich weiß sehr gut, wann und vor allem mit was ich Claus stören kann und wann nicht.“, sagte Propfe im Hineinkommen erbost in Richtung der hinter ihm befindlichen Sekretärin.

„Claus, wir haben ein Problem!“ Er stockte kurz. „Sag mal: Du trinkst? Um diese Zeit?“, fragte er Reitan mit Blick auf die Flasche.

Die Sekretärin schloss diskret die Tür von außen.

Reitan klappte die Holzkiste zu, sein Puls raste.

„Das überlässt Du mal schön mir, wann ich was trinke. Ich bin schon seit einigen Jahren volljährig und zwar Dein Freund, aber auch Dein Chef, schon vergessen?

Wäre Matthias nur drei Sekunden später gekommen, wäre er wahrscheinlich noch etwas entsetzter gewesen als er es jetzt war.

„Was gibt es denn so wichtiges, dass Du hier so einfach reinplatzt? Es ist unglaublich. Noch nicht mal in meinem eigenen Büro habe ich auch nur fünf Minuten Ruhe.“, sagte Reitan aufgebracht.

Propfe ließ sich unbeeindruckt in den Reitan gegenüberstehenden Sessel fallen.

„Es geht um Deinen neuen Großkunden - Beta One Energy Systems. Diese Russen. Du hast selbst gesagt, dass alles was mit diesem Kunden zu tun hat, ausschließlich über Deinen Schreibtisch geht. Was ist nur los mit Dir? Du trinkst jetzt schon Whisky? Wieder Probleme mit Gracia?

„Jetzt lass mal den Whisky. Was gibt es für ein Problem?“, fragte Reitan gereizt und hoffte, dass er Propfe schnell wieder loswerden konnte. Er würde sich kaum vor den Augen seines Freundes erschießen.

Für so etwas hatte er jetzt wirklich keine Nerven.

„Na ja, mit dem Kunden direkt eigentlich gar keins. Zahlungsmoral hervorragend und sie verschicken über uns Container im Dutzend. Aber mit einer ihrer Sendungen, die sich gerade bei uns auf dem Gelände befindet…

„Matthias, ich wäre Dir wirklich sehr verbunden, wenn Du zum Punkt kommen würdest. Ich wollte heute eigentlich überhaupt nicht gestört werden. Also sag jetzt, was Du zu sagen hast und dann lass mich allein. Ich habe zu tun.

Was genau hatte Reitan denn gerade zu tun, fragte sich Matthias, sein Blick wanderte unwillkürlich wieder zu der zwischen ihnen stehenden Flasche.

Nun ja, das ging ihn wohl nichts an.

Propfe fuhr fort.

„Wir haben gestern eine Sendung von Beta One, bestehend aus acht Vierzig-Fuß-Containern in Rotterdam übernommen. Sind mit dem Schiff aus Sosnowy Bor, einem russischen Ostseehafen gekommen, wir sollen sie mit Tiefladern weiter nach Neapel verfrachten und von dort weiter nach Jebel Ali verschiffen. So weit, so gut.“

„Und?“ fragte Reitan entnervt - er hätte Matthias sofort wieder rauswerfen sollen, Freundschaft hin, Freundschaft her.

„Na ja, einer der Container wurde wohl auf See oder beim Abladen vom Schiff beschädigt. Beim Umladen bei uns auf dem Gelände mittels Kran hat sich der Container geöffnet und die Frachtstücke sind ziemlich unsanft auf unserem Hof gelandet.“

„Und damit kommst Du zu mir? Lass eine Meldung an die Versicherung machen und das war‘s dann. So etwas passiert doch ständig.“

„Warte. Es geht nicht um eine Beschädigung der Fracht.“

„Sondern?“

„Der Mitarbeiter, der das anschließende Umladen in einen unserer Container überwacht hat, hat die neu verladenen Frachtstücke mit der Packing List des Containers abgeglichen, um sicherzugehen, dass auch alles verladen wurde und nichts fehlt. Es ist ein Frachtstück mehr in dem Container, als die Liste verzeichnet.“

„Mein Gott, auch das kann schon mal passieren. Wir erstellen einfach eine korrekte Packing List, damit wir bei der Ausfuhr keine Probleme mit dem italienischen Zoll haben. Sag Scharnowski, er soll sich mit dem Kunden in Verbindung setzen und klären, um was es sich bei dem überzähligen Frachtstück handelt. Sicher nur ein Irrtum. Wundert mich nur, dass das dem Zoll in Rotterdam nicht aufgefallen ist. Na ja, in Rotterdam rutscht so einiges unkontrolliert durch - bei der Masse an Containern eigentlich ja kein Wunder.“

„Ich glaube nicht, dass wir das tun sollten, Claus.“

„Und warum nicht?“

„Ich habe das überzählige Frachtstück in Halle 6 bringen lassen. Dort habe ich die Holzkiste geöffnet - ich wollte einfach wissen, was da drin ist. Ich weiß nicht, was es ist, aber es sieht gar nicht gut aus.“

Was in aller Welt meinst Du jetzt damit wieder?“

„Es sieht irgendwie militärisch aus. Es sieht nach Waffe aus - Du solltest Dir das unbedingt ansehen. Wir reden hier unter Garantie über etwas Illegales, Claus. Wenn der italienische Zoll das Ding findet, bei den wirtschaftlichen Problemen, die wir zurzeit haben, glauben die Behörden bei allfälligen Ermittlungen sicher, wir seien darin verwickelt. In was auch immer.“

Reitan konnte es nicht glauben. Warum in aller Welt musste so etwas gerade heute passieren. Er starrte ins Leere.

Gott hat einen eigenwilligen Humor, dachte Reitan bitter.

Claus, selbst wenn die Firma untergehen sollte - Du bist nach wie vor reich und ich bin wohlhabend. Ich weiß, dass diese Situation für Dich ungleich schwerer ist, schließlich hat Dein Vater das hier alles aufgebaut. Aber meine Lebensplanung sieht auf keinen Fall vor, dass ich ein paar Jahre für die Firma ins Gefängnis gehe. Die glauben doch nie, dass ich als Cheflogistiker hier im Hause nicht davon gewusst habe, dass wir Waffen schmuggeln!“

Propfe beugte sich vor und sah Reitan eindringlich an.

„Claus, sag mir als Freund: Hast Du davon gewusst? Hast Du Dich auf irgendein krummes Geschäft eingelassen?

„Mein Gott Matthias, selbstverständlich nicht! Wie kannst Du so etwas auch nur denken? Mach Dich nicht lächerlich.“

„Gut, ich glaube Dir. Du musst Dir das aber ansehen. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit dieser Situation umgehen, Claus.“ Propfes Mimik ließ klar erkennen, dass er drauf bestehen würde, dass Reitan mit ihm kam - er würde sich nicht einfach abwimmeln lassen.

Wie es aussah, hatte Reitan wohl kaum eine Wahl.

„Ich schließe das nur noch schnell in den Tresor ein.“, sagte Reitan und griff nach der Holzkiste.

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