Читать книгу Normale Verrückte - Markus H. Foedisch - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
Dimitri Vasilenko
Vasilenko hatte hervorragend geschlafen.
Dimitri hatte gestern zwei seiner verdientesten Jungs befördert. Die beiden hatten in letzter Zeit verdammt viel Geld reingebracht und durch die jüngsten Verhaftungen herrschte in Vasilenkos Organisation ein gewisser Bedarf an neuen Führungskräften, damit ein reibungsloser Ablauf der Geschäfte sichergestellt war. Die anschließende Feier in einem seiner Clubs war ausgiebig gewesen, der Wodka war in Strömen geflossen und dank des hervorragenden Kokains, das er seit geraumer Zeit von seinen kolumbianischen Freunden bezog, hatten alle bis zum Morgen durchgehalten und auch noch ausgiebigen Gebrauch von den Diensten der zahlreich anwesenden Schönheiten gemacht.
Alles auf Vasilenkos Kosten, versteht sich.
Divide et impera, Teile und herrsche - er hatte seinen Machiavelli gelesen und auch verstanden, davon war Dimitri felsenfest überzeugt.
Er versuchte über den nackten Arsch des Mädchens, das mit den Füßen zum Kopfteil seines gigantischen Bettes schlief, hinweg einen Blick auf die antike massivgoldene russische Tischuhr aus dem Haus seines Vorgängers zu erhaschen, die er seinerzeit mitgenommen hatte - nachdem er seinen damaligen Boss ausgeschaltet hatte.
Es gelang ihm nicht, die Uhr ins Blickfeld zu bekommen, ohne sich aufzurichten - selbst im Schlaf streckte Elena ihren zugegebenermaßen anbetungswürdigen Arsch noch derart heraus, dass er im Weg war.
Widerwillig setzte er sich auf.
Verdammte Scheiße, es war schon fast drei.
Höchste Zeit, dass er seinen Arsch aus dem Bett bekäme, bald würde sich sein neuer Kunde melden und der war wichtig und vor allem zahlungskräftig genug, um das seltene Privileg zu haben, mit dem Boss persönlich zu sprechen.
Zu diesem Kunden war Dimitri durch die Vermittlung eines südafrikanischen Waffenhändlers gekommen, den er schon lange kannte und der erst vor kurzem neben einer großen Anzahl AK 47 und mehreren AK 100 Sturmgewehren auch einige Igla Lenkwaffensysteme von Vasilenko gekauft hatte.
Dimitri war sehr stolz, die 9K38 Igla in seinem Sortiment zu haben - schultergestützte Flugabwehr-Lenkwaffen waren äußerst schwer zu beschaffen und erzielten somit hervorragende Preise auf dem inoffiziellen Markt. Diese Flugabwehrraketen waren wohl für somalische Piraten bestimmt gewesen, die die Waffen zur Verteidigung gegen Angriffe durch NATO-Kampfhubschrauber benötigten. Piraterie war ein weltweiter Wachstumsmarkt und so kamen russische Qualitätswaffen doch noch mal zum Einsatz gegen den alten Gegner, die NATO.
Der neue Kunde sollte, wenn alles glatt ging, Vasilenkos Pensionsvorsorge werden. Die Geschäfte waren gut gelaufen in den letzten Jahren, doch er hatte auch viel Glück gehabt und machte sich keine Illusionen darüber, dass ein Boss früher oder später nur auf zwei Arten enden konnte: entweder tot, erschossen von den eigenen Leuten, der Konkurrenz oder der Polizei, oder aber für sehr lange Zeit im Gefängnis - was im Endeffekt das Gleiche war wie tot.
Er gedachte, diese scheinbare Gesetzmäßigkeit der organisierten Kriminalität zu brechen und würde sich nach der Abwicklung dieses allerletzten großen Geschäfts aus der Organisation zurückziehen, um noch rechtzeitig den Absprung zu schaffen.
Er würde sich mit ein paar jungen Frauen als Gesellschaft und einigen für seine Sicherheit verantwortlichen Bodyguards in einem hübschen kleinen Drittweltweltstaat niederlassen, würde seine Zeit im Bett, auf dem Golfplatz, am Strand und auf seinem Boot verbringen. Jeden Tag würde er dem süßen Müßiggang frönen und nur noch das tun, was ihm Freunde machte. Dimitri würde irgendwo unter südlicher Sonne in Luxus steinalt werden, so war sein Plan.
Doch jetzt zuerst einmal: Frühstück.
Dimitri langte nach dem kleinen goldenen Spiegel auf dem Nachttisch neben ihm, legte sich eine ordentliche Line Kokain auf und zog diese geräuschvoll durch einen gerollten 500 Euro Schein - er war kein Freund dieser goldenen Metallröhrchen, die manche benutzten, er liebte Geld, es war der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens, also durch was konnte man Koks stilvoller ziehen als durch einen druckfrischen großen Schein? Hauptsache das Geld war von der EZB oder der Federal Reserve Bank produziert worden - mit Rubel würde er sich noch nicht mal seinen haarigen Hintern wischen.
Das Mädchen wurde durch die unerwartete Aktivität neben ihr wach, hob ihren Kopf, blinzelte Dimitri aus unterlaufenen Augen an und fragte:
„Dimitri, bist Du schon wach?“
So reizvoll ihr Körper auch war, sie war doch ein verdammt einfach gestricktes Mädchen - diese Gesellschaft konnte er jetzt gar nicht gebrauchen.
„Scharfsinnig wie immer, Elena. Beweg Deinen Arsch hier raus und such Sergej. Er muss irgendwo unten sein. Ich will ihn sprechen - JETZT.“
Sie verzog ihr Gesicht kurz zu einer beleidigten Schnute, schwang jedoch keine zwei Sekunden später ihre langen perfekt enthaarten Beine aus dem Bett, langte nach ihrem am Boden liegenden roten Minikleid und verließ eiligen Schrittes das Schlafzimmer - sie kannte ihren Platz auf dieser Welt.
Vasilenko zog noch eine weitere Line, langte nach seiner Schachtel und zündete sich die erste Zigarette des neuen Tages an. Während er rauchte, strich er sich versonnen über die Narbe, die sich von seiner rechten Schläfe bis zu seinem Kinn zog - ein Andenken an einen Aufenthalt im Moskauer Untersuchungsgefängnis Butyrka vor Jahren. Das selbstgefertigte Messer des Mitgefangenen hatte seinerzeit in dem Duschraum Dimitris Auge nur um Haaresbreite verfehlt - der Besitzer des Messers hatte seine Haftentlassung damals keine 24 Stunden überlebt.
Es klopfte.
„Komm rein.“
„Morgen Dimitri, hattest Du eine angenehme Nacht?“
„Danke - ich kann nicht klagen. Du schon lange auf den Beinen?“
„Seit Zehn. Du weißt ja, vier Stunden reichen mir. Seit Afghanistan.“
Wie viele Menschen Vasilenkos rechte Hand Sergej Lasko im Laufe seines Lebens getötet hatte, wusste er wohl selbst nicht. Zuerst hatte er als junger Soldat Ende der 1980er Jahre in Afghanistan im Aufrag der UdSSR zahllose Mudschaheddin getötet, dann als freiberuflicher Problemlöser in den Wirren der Wendejahre jeden, für dessen Tod jemand bezahlte und schließlich hatte er sich in Diensten der Bratwa, der Bruderschaft einen ausgezeichneten Ruf als eiskalter Killer erworben.
Sergej war Vasilenkos einziger wahrer Freund, sie hatten sich gemeinsam durch die Hierarchie nach oben gearbeitet und gemordet, bis sie an der Spitze angelangt waren - Dimitri der Boss, Sergej seine rechte Hand, in der italienischen Cosa Nostra würde man ihn wohl einen Consigliere nennen.
Durch ihre gemeinsame Vergangenheit in der Armee verfügten sie noch immer über hervorragende Kontakte zu hohen Offizieren in Armee und Geheimdienst - ein unschätzbares Kapital für die Beschaffung von Waffen und eine notwendige Lebensversicherung in Wladimir Putins Russland - niemand von ihnen wollte Michail Chodorkowski im Straflager Gesellschaft leisten oder mit einer Kugel im Kopf enden.
Viele der dienstbaren Geister in den Reihen der Armee und anderer Sicherheitsbehörden, die im Stillen auch für Vasilenkos Organisation arbeiteten, hatten von Dimitri über die Jahre mehr Geld erhalten, als sie sich in ihren wüstesten Fantasien erträumt hatten. Ihre Gegenleistung waren Hilfestellungen aller Art, die Weitergabe von vertraulichen Informationen und die diskrete Lieferung des begehrtesten Handelsgutes dieses Planeten gewesen: Waffen.
Waffen waren der Schlüssel zu allem - nicht nur in Russland, sondern weltweit.
Die russische Waffenindustrie mischte über Zwischenhändler verschiedenster Art wieder kräftig auf dem Weltmarkt mit - auf dem offiziellen wie auf dem inoffiziellen.
Der sogenannte arabische Frühling hatte einen gigantischen Nachfrageschub bei Waffenhändlern ausgelöst. Zahlreiche Machthaber in der arabischen Welt versuchten trotz diverser Sanktionen des Westens aufzurüsten, um sich ein Schicksal wie das des Muammar al Gaddafi zu ersparen, gleichzeitig versuchten Rebellengruppen aller Art sich ebenfalls große Mengen an Kriegsgerät zu beschaffen, um an die Macht zu gelangen. Von Islamisten diversester Prägung über Al Kaida bis hin zu somalischen Piraten und waffengeilen lokalen Scheichs ganz zu schweigen.
Die üblichen Verdächtigen, wie die kolumbianischen und mexikanischen Drogenkartelle, die Cosa Nostra, Camorra, N’drangheta und ähnliche Organisationen waren ohnehin feste Größen auf dem inoffiziellen Waffenmarkt.
Alle diese autokratischen Regime, subversiv operierenden Organisationen und Gruppen wollten in den Besitz von Kriegswaffen gelangen und Vasilenkos Organisation belieferte sie fast alle, nur von Putins Freund Assad, der derzeit auch versuchte, aus allen möglichen Quellen Nachschub für seine in einen Bürgerkrieg verstrickte Armee anzukaufen, mussten sie leider die Finger lassen, wie ihnen von der russischen Regierung über diskrete Kanäle mitgeteilt worden war.
Es waren wahrhaft goldene Zeiten für Dimitri und seine Männer.
Ihre Gewinne waren gigantisch, sie hatten einen guten Ruf in den entsprechenden Kreisen, galten als äußerst verlässlich und man erzählte sich, dass man über sie auch ansonsten schwer verfügbare Waffensysteme beschaffen konnte - die finanziellen Mittel vorausgesetzt, versteht sich.
„Hast Du alles für den Video-Anruf vorbereitet?“, fragte Dimitri, während er sich eine neue Zigarette anzündete und sein Bett verließ.
„Selbstverständlich. Fabrikneuer Laptop, vor einer Stunde ausgepackt, neuer mobiler Internetzugang, vor fünf Minuten das erste Mal online gegangen, brandneuer Skype-Account, gerade eingerichtet. Ich habe gerade Artjom losgeschickt, damit er unseren Freunden den entsprechenden skype-Namen faxt. Ich habe ihm eingeschärft, dass er das Fax von einem Hotel schicken soll, das nichts mit uns zu tun hat. Die Kommunikation sollte somit sicher sein. So schnell ist noch nicht mal die verdammte NSA, als dass sie davon Wind bekommen könnte. In etwa zehn Minuten sollten wir also bereit sein. Wo willst Du mit ihnen reden? Hier?“
„Ja, auf jeden Fall. Hier haben wir unsere Ruhe. Es gibt ja eigentlich ohnehin nicht wirklich etwas zu besprechen, aber unsere arabischen Freunde sind ein wenig nervös, wie mir scheint. Sie stellen immer viele Fragen. Diese Muslims sollten einfach mehr saufen, dann würden sie ruhiger werden.“
Dimitri und Sergej lachten.
„Ist die nächste Teilzahlung vereinbarungsgemäß auf den Caymans eingetroffen?“, wollte Vasilenko wissen.
„Heute früh. Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Bis jetzt halten die Araber Wort.“
„Weißt Du, Sergej, ich glaube, heute wird ein guter Tag. Darauf sollten wir trinken.“
Dimitri öffnete breit grinsend eine Flasche Wodka Kristall 100 und goss zwei Gläser ein.