Читать книгу Normale Verrückte - Markus H. Foedisch - Страница 4
ОглавлениеKapitel 1
Claus Reitan
Reitan hatte schlecht geschlafen - wie so oft in letzter Zeit.
Die halbe Nacht hatte er sich schweißgebadet in seinem Bett hin und her gewälzt, geplagt von einem wüsten und wirren Traum, der ihn bereits um 5 Uhr 52 aus seinem unruhigen Schlaf hatte hochfahren lassen, wie er mit einem Blick auf die Leuchtziffern des Bose Sound Systems in der Dunkelheit feststellte.
Er entschloss sich dazu, sofort aufzustehen. Gerade heute wollte er vor allen anderen im Unternehmen sein. Seitdem sie in einem eigenen Schlafzimmer schlief, brauchte er keine Rücksicht mehr auf seine Frau zu nehmen.
Er wuchtete seinen immer noch gut trainierten Körper energisch aus dem Bett, schaltete das Licht ein und ging mit einigen entschlossenen Schritten in sein Bad.
Sein Blick blieb im Spiegel an der Reflexion seiner Augen hängen.
Müde sah er aus, dachte er bei sich.
Wo war es nur geblieben, das Feuer, die Intensität in seinem Blick, die in jungen Jahren doch so etwas wie sein Markenzeichen, ein scheinbar unauslöschliches Charakteristikum und das bestimmende Element in seinem Antlitz gewesen war. Früher hatte er auf Fotos, auf denen er gemeinsam mit anderen zu sehen gewesen war, meist mit ernster Miene direkt in die Kamera blickend immer aus der Gruppe herausgestochen. Jedem Betrachter war sofort die Intensität des Blickes dieses ernsten jungen Mannes aufgefallen, die die ihm innewohnende Stärke erahnen ließ und ihn von den anderen immer abgehoben hatte.
Die Kraft, sie hatte ihn verlassen, war Stück für Stück erstorben, abgetötet durch die zahlreichen Enttäuschungen, verlorenen Illusionen, gescheiterten Träume und ertragenen Verletzungen, sprichwörtlich auf der Strecke war sie geblieben.
Das Schicksal hatte ihn in seinem Leben nicht geschont, der frühe Tod seines Vaters - er war nur zweiundsechzig Jahre alt geworden - hatte ihm schon früh die Verantwortung für das Unternehmen aufgelastet, gerade einmal einunddreißig Jahre alt war er damals gewesen. Die große Verantwortung, der zermürbende Gleichlauf seines Alltags, die tiefempfundene Sinnlosigkeit all seiner Handlungen und nicht zuletzt die jahrelangen erbittert geführten Kämpfe mit seiner Ehefrau Gracia hatten ihn langsam aber sicher innerlich ausgehöhlt, bis Frustration die letzte Emotion gewesen war, die noch in ihm war.
Er schüttelte die trüben Gedanken ab und begann sich zu rasieren.
Heute war der Tag - heute würde sein Befreiungsschlag seine gesamten Probleme ein für alle Mal beenden.
Er konnte sich bei dem Gedanken an das darauf folgende Entsetzen und die Fassungslosigkeit seiner Ehefrau, seiner Familie, seiner sogenannten Freunde und seiner Mitarbeiter ein beinahe hämisches Grinsen nicht verkneifen - fast hätte er sich in die Lippe geschnitten.
Rache war schon auch dabei, das musste er sich eingestehen, doch es kümmerte ihn herzlich wenig, wie andere danach seine Motive beurteilen mochten.
Nachdem er sich rasiert, geduscht, die Zähne geputzt und angezogen hatte, ging er mit lockeren, fast beschwingten Schritten die Treppe herab und durchquerte zügig die große Halle, um sich in die geräumige Küche zu begeben.
Es war mittlerweile halb Sieben, in einer halben Stunde würde die Haushälterin ihren Dienst antreten, genug Zeit also für einen schnellen Kaffee bevor er das Haus verlassen würde, um ein Zusammentreffen mit sowohl der Haushälterin als auch mit seiner Frau zu vermeiden.
Die Wahrscheinlichkeit für ein Zusammentreffen mit seiner Frau zu dieser Stunde war ohnehin denkbar gering, es sei denn, ein allfälliger hart erarbeiteter Kater und der damit einhergehende Durst würde ihrem Schönheitsschlaf ein frühzeitiges Ende bereiten.
Nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, kehrte er raschen Schrittes in die Eingangshalle zurück, griff sich von der großen Teakholzkommode seine Wagenschlüssel und verließ das Haus.
Schnell überquerte er den gekiesten Vorplatz seines Hauses, entriegelte die Türen bereits auf halbem Weg zum Wagen und setzte sich in seinen metallicgrünen Jaguar XJ.
Es war exakt 6:47 Uhr, als er den Motor anließ.