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4. Teil Stiller Abschied von Niobe
Jahr 2020 nach der Erleuchtung, 7. Monat
ОглавлениеDie Zusage kam per Bote. Lao nahm den Brief entgegen, der ihm die Gewissheit gab, dass er vom Führungskomitee der Sternenstadt genommen worden war. In weniger als zwei Wochen würde er aufbrechen. Von seinem Freund Jun hatte er bereits am Tag zuvor erfahren, dass er auf seine Bewerbung hin ebenfalls eine Zusage erhalten hatte. Sie würden gemeinsam in der Sternenstadt wohnen.
Seinen Eltern und Niobe hatte er nichts von der Zusage erzählt. Er hatte nicht mehr von der Sternenstadt gesprochen und auch Niobe und seine Eltern hatten darüber geschwiegen. Caius schien noch zu hoffen, dass Laos Plan nur ein Anfall von Unvernunft war, der sich ganz von selbst wieder legen würde. Offenbar glaubte auch Niobe wirklich daran, dass Lao.am Ende nicht gegen den Willen seiner Eltern und gegen die Prinzipien des Clans handeln würde. Die Stimmung hatte sich bald fast wieder normalisiert. Nur Ailan war oft tief in Gedanken und blickte mit Wehmut zu Lao herüber. Ihr hatte er unmissverständlich klargemacht, dass er gehen würde.
Und sein Entschluss stand noch unverrückbar fest, obwohl er gleichzeitig tiefe Trauer empfand. Er würde sich heimlich davonstehlen wie ein Dieb. Er konnte sie sowieso nicht umstimmen, also wollte er seine Familie an den letzten Tagen vor seiner Abreise noch einmal so erleben, wie er sie in Erinnerung behalten wollte. Tatsächlich fühlte er sich dabei aber wie ein Dieb und auch noch wie ein Lügner, der schon davon wusste, dass er denen, die er am meisten liebte, die Freude und auch etwas von ihrer Ehre rauben würde. Sein Pakt mit den Xian würde für einiges Aufsehen in den Clans sorgen, von denen die Lingdaos immer für ihre Integrität geschätzt worden waren. Besonders litt Lao aber unter der Vorstellung, Niobe zurückzulassen. Er war mit ihr aufgewachsen und hatte alles mit ihr geteilt. Eines aber wusste er: Niobes Trauer und Enttäuschung würden sich irgendwann legen und sie würde ihr Glück schon finden. Sie war eine starke Frau geworden. Hier könnte sie es mit ihren Fähigkeiten sicher bald zu etwas bringen und würde dem Clan noch viel Freude und auch Ehre bereiten. Die spontane Idee, sie mitnehmen zu wollen, war irrsinnig gewesen. Er sah jetzt klar, dass er nicht bei Verstand gewesen sein konnte, als er daran gedacht hatte.
Dennoch würde es schwer werden, sie hier zurückzulassen. Sie bedeutete ihm mehr als jeder andere Mensch. Er fühlte, dass es für ihn der schmerzlichste Verlust sein würde, sie nicht mehr sehen und hören zu können. Niemand hatte ihn je auf die Weise zum Lachen bringen können wie sie. Selbst dann, wenn er noch so niedergeschlagen war, hatte sie immer etwas gefunden, womit sie ihn aufmuntern konnte. Aber, die Sternenstadt war für ihn die Chance, seine Träume vom All zu verwirklichen. Kein Abschied verläuft ohne Schmerz, aber bald würde alles gut werden, dachte er. Es würde doch auch kein Abschied für immer werden. Auch seine Eltern würden ihm irgendwann verzeihen.
Als er nun zu Niobe trat, die sich gerade in der Biosphäre des Habitats befand, sah er sie schon mit anderen Augen als noch ein paar Stunden zuvor, als die Zusage noch nicht eingetroffen war. Es war ihm vorher noch unwirklich erschienen, dass er bald nicht mehr hier sein würde.
Niobe war in einen seidigen Stoff gehüllt, dessen Blau dem der blauen Stunde glich, wenn die Sonne bereits untergegangen ist, aber ihr letztes Licht noch über den Saum des Horizonts dringt. Sie stand inmitten von Büscheln des Zittergrases, das sich sachte in einem leichten Lufthauch wog, der durch die Luken der nur halb geschlossenen gläsernen Kuppel drang. Dieses Bild war von solcher Anmut, dass Lao eine Träne vergoss und noch in der Stille und Dunkelheit des Arboretums verharrte, bis er sich wieder gefangen hatte. So würde er sie in Erinnerung behalten, wie ein Halm dieses Grases, das sich im Wind beugt und dann wieder aufsteht.
Lao raschelte an einem Zweig, um auf sich aufmerksam zu machen. Niobe drehte sich zu ihm um und lächelte.
„Lao, es ist ein so schöner Tag heute. Schau dir die Passionsblumen an, die gerade in voller Blüte stehen.“ Während Niobe sprach, begann auch Lao ein wenig zu lächeln.
„Ja, wir sind umgeben von Schönheit, hier unten und dort oben.“