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2. Teil Die Geschichte des Caius
ОглавлениеCaius´ langer Weg nach oben hatte in dem Distrikt Ostia begonnen. Er wurde als Sohn eines Vaters geboren, der sich in Gelegenheitsjobs verdingte. Seine Mutter hatte die Familie schon verlassen, als Caius noch klein gewesen war. Von ihr hatte er kaum mehr als ein schemenhaftes Bild in Erinnerung behalten. In der Kindheit hatte er sich daher andere Vorbilder suchen müssen. Schon früh hatte er eine große Bewunderung für ein paar Jungs aus seinem Viertel entwickelt, die es verstanden, durch Einschüchterung Macht über andere Kinder zu erlangen. Er eiferte ihnen nach und übertraf sie bald noch, wenn es um aufschneiderisches Verhalten ging. Südlich vom Nabel der Macht über ganz Terranova hatte Caius als zehnjähriger die Regentschaft über den Bezirk übernommen. Er führte eine Horde von Kindern an, vor denen jüngere und gleichaltrige Angst hatten und denen auch die älteren nicht in die Quere kommen wollten. Wenn es darum ging, wer die besten Plätze am Strand, in der Holotech-Spielwiese oder im Schulzubringer bekam, war die Verteilung klar. In der Schule hingegen besetzte er immer die letzte Reihe, von wo aus er den Unterricht am besten ignorieren konnte. Caius drohte sich zu einem Nichtsnutz zu entwickeln, aus dem bestenfalls kaum mehr als ein Gelegenheitsjobber oder schlimmstenfalls ein Kleinkrimineller hätte werden können.
Die Dinge entwickelten sich aber anders. Ab etwa seinem zwölften Geburtstag ging mit hoher Rasanz eine Veränderung in Caius vor, die allen in seinem Umfeld den Atem verschlang. Der Grund für diese Veränderungen war ein Mädchen, in das er sich unheilbar verliebt hatte. Das Ganze hatte aber einen Haken. Sie war zwei Jahre älter als er und stand als Musterschülerin in der Gunst des gesamten Lehrpersonals. Caius spürte, dass er nie mit Kühnheit würde aufwiegen können, was dieses Mädchen ihm an Geist voraus hatte. Alles, wonach er bis dahin getrachtet hatte, wurde ihm wertlos, wenn er an sie dachte. Und das tat er sehr oft. Er träumte von ihr während des Unterrichts, während der Pausen, während des Nachhausewegs und Abends, wenn er in seiner schäbigen Kammer die Augen schloss und nur mit ihr zusammen ganz weit fort sein wollte. Sein Charakter und seine zweifelhaften Fähigkeiten, die eher darauf ausgerichtet waren, Unfrieden zu stiften, erschienen ihm gleichermaßen wertlos. Er wusste, dass das Mädchen nie ein Auge für ihn haben würde, wenn er so bliebe, wie er war. Also dachte er nach und dachte und dachte. Er hörte nicht mehr auf nachzudenken und an seinen geistigen Fähigkeiten und seinem Charakter zu arbeiten. Das hielt an, auch nachdem das Mädchen längst anderer Wege gegangen war, ohne ihn jemals beachtet zu haben. Bis heute hält es an, dass Caius jede Schlechtigkeit, die er an sich spürte, mit seinem mittlerweile gereiften Geist im Zaum zu halten weiß. So gelang es ihm, sich über die Position des Schulsprechers, dann des Sprechers der Akademie und des Präsidenten des Rates der Studierenden über die öffentlichen Ämter des Tribuns, des Ädils und des Prätors bis an den Rand des hohen Rates von Terranova zu bringen. Ihm war sogar der Rang eines Konsuls ehrenhalber verliehen worden.
Seine Frau Ailan Lingdao hatte Caius damals durch einen großen Zufall kennen gelernt, als er in der Funktion eines Assistenten für einen Ministerialbeamten nach Tsingtao gereist war. Doch das ist eine Geschichte, die vielleicht ein andermal erzählt wird. Entscheidend war, dass er sich nach so vielen Jahren, in denen er vor allem nur an seine Karriere gedacht hatte, wieder verliebte. Diesmal wusste er aber, dass er eine Chance hatte. Und diese nutzte er auch. Den Namen Lingdao nahm er selbstverständlich an, da er so viel wie ein Ritterschlag für jemanden bedeutete, der aus so kleinen Verhältnissen stammte.
Caius arbeitete nun, mehr als zwanzig Jahre später, als hoher Berater des Ministeriums für Sicherheit und Freiheit und war so dem ständigen Ränkespiel der Ministerialbeamten ausgesetzt. Die eine Hälfte des Ministeriums stand für mehr Sicherheit ein und die andere für mehr Freiheit. Das Ministerium war vor zwei Jahrhunderten als Zusammenschluss zweier Ministerien entstanden, die sich einen so heftigen Kampf um ihren jeweils eigenen ideologischen Nährboden geliefert hatten, dass keine Beschlussfassung mehr möglich gewesen war. Die einen wollten die technischen Möglichkeiten der Implantate stärker zur Überwachung nutzen. Dabei gingen einige so weit, dass sie damit auch kleinkriminelle Absichten vor der Ausübung von Verbrechen erkennen und ein Einschreiten vorab ermöglichen wollten. Die anderen waren strikt dagegen und verwehrten sich grundsätzlich einer Nutzung der Implantate für Überwachungszwecke. Die einen wollten alle nur irgendwo verfügbaren Daten für alle Ewigkeit speichern. Die anderen sahen in diesem Vorhaben den drohenden Untergang der Menschheit. Sie sahen die Gefahr, dass einige wenige, die eine Befugnis dazu hatten, ein gottähnlicher Überblick über alle Vorgänge auf Terranova gegeben würde. Dadurch würden Tür und Tor für jede Art von Missbrauch geöffnet. Die Situation war bald so verfahren, dass keiner von der einen Seite mehr mit einem von der anderen Seite überhaupt sprechen konnte, ohne dass es zu Handgreiflichkeiten kam. Die einzige Lösung war, beide Ministerien aufzulösen und ein neues Superministerium zu gründen, in dem das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit immer wieder neu verhandelt werden musste.
In diesem Spannungsfeld hatte sich also Laos Vater mit größter diplomatischer Souveränität in den letzten zwanzig Jahren bewegt. Dabei war ihm immer das Wichtigste gewesen, für die Erhaltung der Werte von Terranova zu kämpfen, die schon so lange die Grundfesten des gesellschaftlichen Zusammenhalts und auch des Friedens gebildet hatten. Umso schmerzlicher war es für ihn, erleben zu müssen, wie das Ministerium von der gleichen Korrosion befallen wurde, die auch alle anderen Regierungsorgane von innen langsam zerfraß. Er wollte es sich noch nicht ganz eingestehen, aber er spürte bereits, dass die Gier nach Macht und Geld überbordend geworden war und dass daraus eine große Gefahr für Terranova entstanden war. Der Sog des Geldes, das sich in den Händen der mächtigen Clans befand, hatte die Ministerien erfasst. Er spürte es auch daran, dass sein Rat immer öfter ungehört verhallte und die Seite derjenigen, die unter Werten nichts als Reichtum verstanden, an Gewicht zunahm.