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Lao auf der Suche nach sich selbst
Jahr 2020 nach der Erleuchtung, 6. Monat

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Lao lehnte an der Bar auf dem Dach des runden Gebäudes mit seinen vielen Erkern, hängenden Gärten und Terrassen. Er sah über die Brüstung des Daches hinunter zu den benachbarten, flacheren Bauten, von denen die meisten mehrere Habitate beherbergten, in denen die Clans Tsingtaos wohnten. Er sah auch die kuppelförmigen Gebäude, in denen die Menschen ihrer täglichen Arbeit nachgingen, sofern sie noch eine hatten.

Früher war der Wohlstand allgegenwärtig gewesen. Davon zeugten noch die weitläufigen Parkanlagen und die Verzierungen an vielen Bauten. Und doch hatte Lao beim Blick über die Stadt schon immer gespürt, wie privilegiert er war, als Lingdao geboren worden zu sein. Alles unter seinen Füßen gehörte seinem Clan. In fünf Ebenen trachtete jeder danach, seinen nächsten und so auch dem gesamten Clan dienen zu können. Dazu zählten auch sein Vater Caius und seine Mutter Ailan, die beide hohe Ämter bekleideten. Trotzdem waren sie alle unbedeutend und arm, verglichen mit den Xian. In jeder größeren Agglomeration des Ostens hatten die Xian einen Prunkbau errichtet, der alles andere überragte.

Das schmälerte nicht den Stolz, den Lao gegenüber seinen Eltern empfand. Laos Mutter Ailan war Richterin am Kommunalgericht des Distrikts und sein Vater überstand als unabhängiger Berater des Hohen Rates im Rang allen Mitgliedern seines Clans.

Während Lao seinen Blick wandern ließ, sah er bald nichts mehr von dem, was um ihn herum geschah, so sehr ergriff ihn eine Unruhe. Er war ganz in sich gekehrt und überlegte, wie so oft in diesen Tagen, wo sein Platz im Habitat und in der Welt sein könnte.

Zur Politik taugte er nicht. Das wusste er schon früh, weil er als Kind zuerst lieber mit physikalischen Baukästen experimentiert hatte und dann als Jugendlicher aus Einzelteilen einen Jahrhunderte alten, mit Wasserstoff betriebenen Hydrokopter wieder lauffähig gemacht hatte. Damit hatte er, den Zorn des Vaters in Kauf nehmend, im Luftraum von Terranova einige verbotene Pirouetten gedreht. Lao war ein Tüftler und liebte nichts so sehr, wie mit seinem besten Freund und späteren Kommilitonen Jun Chou an technischen Geräten zu basteln oder Programme für sein Implantat zu schreiben. Mit solchen Programmen konnte er frei durch das virtuelle Weltall fliegen, wenn er nur seine Augen schloss. Jun hatte von Anfang an mit ihm zusammen die Akademie besucht und teilte viele seiner Interessen. Lao bewunderte Jun für sein mathematisches Genie und sein absolutes Gedächtnis, für das er sein Implantat gar nicht zu bemühen brauchte. Jun hingegen bewunderte Lao für seine Unerschrockenheit und seinen Mut. Manchmal schlug diese Bewunderung auch in Furcht um, dass Lao zu weit gehen könnte. Im Studium der Antriebstechnik ergänzten sich beide perfekt, indem Lao mit flammender Begeisterung immer die besten Ideen und Konzepte entwickelte, während Jun still die geometrischen Berechnungen anstellte, die in ihren Ansätzen oft unkonventionell waren.

Doch diese Zeiten waren vorbei. Jun hatte eine Anstellung bei einem der wenigen noch unabhängigen Konstruktionsbüros gefunden und arbeitete, ohne dass ihn dies sonderlich gefordert hätte, an einem Entwurf für eine neue Transfergondel für den Verkehr innerhalb des Distrikts. Lao hatte sich bei einem Unternehmen beworben, dass für die Erschließung neuen Wohnraums den Meeresboden besser nutzbar machen wollte. Die Ironie, dass der ewige Sternengucker womöglich bald in den Tiefen der Meere im Schlamm versacken würde, war Lao nicht entgangen. Doch er musste etwas tun und eine Möglichkeit, seine Träume vom Weltall zu verwirklichen, sah er nicht. Er war ein Lingdao und dazu der einzige Statthalter und spätere Erbe des von allen verehrten Caius. Daher erwartete man viel vom ihm. Jede Woche des Müßiggangs spürte er den Druck stärker auf sich lasten.

Während Lao betrübt vor sich hinstarrte und ihm dabei ein Gefäß mit einem grünen Ale an den Lippen hing, kam Niobe auf die Dachterrasse.

Niobe

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