Читать книгу Sturmgepeitscht - Markus Kleinknecht - Страница 11

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Jan brühte sich einen Kaffee auf und stellte sich dabei die Frage, wie er weitermachen sollte. Anna-Lena war tot, aber war mit ihr auch die Story gestorben? So pietätlos es klang, ihr Tod machte alles nur noch dramatischer. Die Videos und ihre unverhohlene Sensationslust waren bereits eine Geschichte wert gewesen, aber nun …

War es unanständig, wenn Jan weiter nach den Produzenten der Filme suchte? Durfte er einen Artikel über sie schreiben, obwohl Anna-Lena einen so schrecklichen Tod gefunden hatte? Oder musste er es gerade deswegen tun?

Jan blickte aus den niedrigen Fenstern. Plötzlich kam es ihm in dem Wohnwagen viel dunkler und auch kleiner vor als bei seiner Ankunft. Für eine Weile schloss er die Augen, dann gestand er sich ein, dass er um Anna-Lena trauerte. Auch wenn das verrückt war. Er hatte sie nie getroffen. Er kannte sie nur aus einem kleinen Filmchen. Das war alles. Trotzdem trauerte er um sie.

Wie konnte es zu ihrem Tod kommen? Warum war er nicht schneller gewesen?

Die Quelle, durch die Jan auf die Internetvideos aufmerksam gemacht wurde, hatte sich fast so geheimnisvoll wie Deep Throat aus der Watergate-Affäre gegeben. Statt sich – wie sein Vorbild – mit einem Journalisten in einer Tiefgarage zu treffen, hatte er die Chat-Funktion einer Schach-App fürs Smartphone gewählt. Jan musste sich bei der App registrieren. Der Unbekannte forderte ihn zu einem Spiel auf. Nachdem Jan die Partie angenommen hatte, konnten sie fernab der üblichen Messenger-Dienste miteinander korrespondieren. Jan bekam mehrere Links zu Videodateien. Der Unbekannte schrieb, dass er sich Sorgen um das mit dem Paintballgewehr gejagte Mädchen mache. Warum er besorgt war, schrieb er nicht. Da war Jans Interesse aber auch schon so weit geweckt, dass er nicht weiter nachhakte.

Während der aufkommende Wind die Fensterdichtungen des Campingwagens prüfte, klappte Jan sein Notebook auf und öffnete noch einmal den nun schon so oft gesehenen Film.

Eine Kamera schwenkte über verlassene Betonbauten und einen großen leeren Platz. Nur Steine und Asphalt. Löwenzahn fraß sich durch winzige Fugen. Je ein Baum links und rechts des großen Platzes. Dann konnte man Anna-Lena sehen. Jedenfalls einen Teil von ihr. Ein Turnschuh sprang großformatig ins Bild.

Schnitt auf eine zweite, erhöhte Kamera. Totale vom menschenleeren Platz. Das Mädchen presste sich an eine Häuserecke, guckte darum herum, schien zu überlegen.

Obwohl nicht viel passierte, lag eine unaussprechliche Spannung in der Luft.

Plötzlich rannte Anna-Lena los, schlug ein paar Haken, rannte weiter. Sie trug nur die Turnschuhe, eine unfassbar kurze Hose und einen Sport-BH.

Plötzlich schlug neben ihr etwas auf dem Boden ein. Ein Geschoss. Blaue Farbe spritzte über die Pflastersteine. Anna-Lena hüpfte zur Seite, legte einen Zickzackkurs ein. Wieder wurde auf sie geschossen.

Jan hatte das Video schon zigmal gesehen. Trotzdem biss er sich auf die Unterlippe. Er wünschte sich, dass Anna-Lena entkam, wusste aber, dass eines der nächsten Geschosse treffen würde.

Als es so weit war, klappte Jan das Notebook zu, ohne es vorher auszuschalten. Seine Hand zitterte. Der Schachspieler, so nannte Jan seinen unbekannten Informanten wegen der App, über die sie kommunizierten, hatte mit seiner Befürchtung recht behalten.

Aber warum hatte er sich überhaupt Sorgen gemacht? Das Spiel, auf das Anna-Lena sich eingelassen hatte, war geschmacklos, aber gefährlich schien es nicht zu sein. Woher kam diese Vorahnung?

Wieder in Hamburg würde Jan versuchen, mehr über den Schachspieler herauszufinden. Doch vorher waren die Produzenten der Videos dran. Sie waren mit ziemlicher Sicherheit noch auf der Insel. Und wenn sie hier waren, würde Jan sie auch finden.

Sturmgepeitscht

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