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Umzug

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Der alte Lastwagen stand direkt vor dem Hauseingang. Fett verkrustet klebte der Dreck auf dem Lack des Führerhauses, bedeckte den darunter fressenden Rost in beinahe kosmetischer Weise. Und das Fahrzeug war nicht nur für das Auge eine Beleidigung. Ohne die TÜV-Plakette oder mit ausgeblichenen, unleserlichen Nummernschildern hätte jeder Polizist das Fahrzeug umgehend aus dem Verkehr gezogen.

Das einzig Neue an diesem Fahrzeug war wohl die Beschriftung der Plane über der Ladefläche. Umzugs-Service stand dort. Darunter hatte der Unternehmer eine Handynummer anbringen lassen.

Edmund stand am Fenster und betrachtete mit mildem Entsetzen das ungewöhnliche Fahrzeug. Es war ihm nicht bekannt, dass einer seiner Nachbarn ausziehen wollte. Außerdem: Wer bitteschön im Hause würde seinen Hausrat einem so zwielichtigen Umzugsunternehmen anvertrauen?

Ein bärtiger Mann stieg aus dem Fahrzeug, betrachtete die Briefkästen und drückte den Klingelknopf der vierten Etage. Da wohnte doch Neumann!

Edmund öffnete sein Fenster. „He, Sie da!“ rief er dem Fremden zu. „Kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann schaute auf, während er sich über seinen dicken Wanst kratzte. „Ich will zu …“, er blickte auf das kleine Schildchen an der Klingel, „Neumann.“

„Der ist nicht da. Der ist arbeiten.“

Ein Lächeln wuchs zwischen dem ungepflegten Dickicht im Gesicht des Mannes. „Wirklich?“

„Natürlich. Ich bin hier der Hausmeister. Ich muss so etwas wissen.“

„’türlich. Darf ich kurz zu Ihnen raufkommen?“

Zögerlich drückte Edmund dem Mann die Tür auf. Das Stampfen schwerer Schuhe begleitete den Fremden hinauf. „Tach“, sagte er. „Ich soll die Wohnung für Herrn Neumann räumen.“

„Was?“, fragte Edmund perplex. „Wieso das denn?“

„Nun, ganz im Vertrauen gesagt: Der Neumann ist pleite. Privatinsolvenz. Der Gute ist schon seit Monaten arbeitslos.“

„Nein“, sagte Edmund, „das kann doch nicht sein. Der geht doch jeden Tag zur Arbeit. Heute Morgen ist er pünktlich um sieben Uhr …“

„Er ist arbeitslos. Glaub’n Sie mir. Alles nur Fassade, denk’ ich.“

„Das wusste ich nicht.“ Wie konnte es sein, dass niemand in der Hausgemeinschaft etwas mitbekommen hatte? Er schämte sich etwas. Waren hier nicht alle so stolz darauf, dass sie so ein gutes nachbarschaftliches, fast freundschaftliches Verhältnis zueinander hatten?

Oh nein, erst gestern, beim Pokern, hatte er zwanzig Euro von Neumann gewonnen. Vermutlich war es sein letztes Bargeld gewesen und er hatte es ihm einfach abgenommen. Wie konnte er das nur wieder gutmachen?

„Herr Neumann ist also nicht da? Hm, das bringt mich nun etwas in Verlegenheit. Ich muss noch heut’ seine Wohnung leer kriegen. Sonst komm’ ich nicht hin mit meiner Kostenplanung und muss dem armen Schlucker noch eine doppelte Anfahrt berechn’n.“

Das war in der Tat ein Problem. Doch Edmund hatte eine Idee: Als Hausmeister hatte er selbstverständlich einen Ersatzschlüssel für Neumanns Wohnung. Gemeinsam gingen sie zur Wohnungstür.

„Werden Sie eigentlich auf Zeit bezahlt? Oder rechnen Sie pauschal mit Herrn Neumann ab?“ Der Mann schien auf die Frage gewartet zu haben.

„Ich werde auf Zeit bezahlt. Das war mein spezielles Angebot für Herrn Neumann, damit er – wenn er mir tragen hilft – etwas Geld sparen kann. Deswegen bin ich auch allein hier.“ Er zuckte mit den Schultern. „Leider is’ er nicht wie verabredet da. Jetzt wird’s teurer. Ich muss jetzt alles allein buckeln.“

Edmund dachte nach. „Warten Sie kurz.“

Natürlich wollte Edmund helfen. Innerhalb kürzester Zeit mobilisierte er die gesamte Nachbarschaft. Wenigstens diesen kleinen Dienst wollten sie Neumann leisten. Die Frauen packten, die Männer schleppten. Oma Greven versorgte alle mit frischem Kaffee und backte zum Nachmittag hin noch einen Kuchen für alle Helfer.

Als um vier Uhr Herr Neumann zurückkam, empfingen ihn seine Nachbarn in freudiger Erwartung. Sie hatten es tatsächlich geschafft, ohne ihn seinen Umzug zu bewältigen. Die Wohnung war leer, das Umzugsunternehmen vor einer halben Stunde wieder gefahren.

Nachdem Herr Neumann kurz seine Wohnung besichtigt hatte, fragte er Edmund, ob er mal bei ihm telefonieren dürfe. „Ich muss die Polizei anrufen.“

„Wieso?“

„Mein Telefon wurde auch gestohlen.“

Kleine Scheißhausgeschichten

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