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Der Arzt

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Es war alles da. Eine komplette Praxiseinrichtung nur für ihn. Sein Traum war Wirklichkeit geworden.

Im Wartezimmer hingen noch zwei Luftballons von der Eröffnungsfeier und auf jedem Fensterbrett stand eine Vase mit einem üppigen Blumenstrauß. Niemand wusste, dass Dr. med. Neugebauer noch kein erfahrener Arzt war. Deshalb war es ihm wichtig, dass er gerade während der Anfangszeit besonders professionell wirkte.

Aus diesem Grund hatte er Fräulein Klaasen als Arzthelferin berufen – die Verwendung von Fräulein sollte dabei nicht über ihr Alter hinwegtäuschen. Beim Einstellungsgespräch hatte Neugebauer höflicherweise nicht danach gefragt. Aber er konnte schon leise die Rente nach ihr rufen hören.

Jedenfalls hatte sie die Erfahrung, die er am Anfang benötigen würde.

Der erste Patient stand nun im Sprechzimmer und kleidete sich jenseits des Sichtschutzes wieder an, um sich gleich den Befund geben zu lassen.

„Geht das so?“, fragte Neugebauer.

Fräulein Klaasen stand hinter ihm und blickte ihm über die Schulter. Etwas Missbilligendes lag in ihren Augen, als sie den Kopf schüttelte.

Was für eine Blamage! Direkt am ersten Tag. Beim ersten Patienten. Das war der Alptraum, der ihn seit vielen Tagen heimsuchte: Er versagte als Mediziner.

„Es wirkt dilettantisch“, erklärte sie.

Natürlich war es ihm peinlich, in dieser Weise auf sein Personal angewiesen zu sein. Doch für den Augenblick ging es nicht anders.

„Versuchen Sie es lieber noch mal.“ Es klang fast wohlwollend. Sie erinnerte ihn an seine alte Grundschullehrerin. Benutzte sie dasselbe Parfum? Er befürchtete, dass sie ihm insgeheim Noten erteilte. Zurzeit jedenfalls erwiesen sich seine Leistungen noch als äußerst mangelhaft. Er griff wieder nach seinem teuren Kugelschreiber. Die Prozedur wiederholte er jetzt schon zum siebten Mal. Hoffentlich sah der Patient nicht, wie er sich hier abmühte.

„Nicht so verkrampft“, was für ein Ratschlag!

Wenn sich das herumsprach, konnte er die Praxis gleich wieder schließen. Die Kollegen würden ihn auslachen. Kein Apotheker nahm ihn auf diese Weise ernst …

„Tut mir leid, Chef“, sagte Fräulein Klaasen. Sie schien seine Gedanken zu lesen. „So geht das wirklich nicht.“ Sie nahm den Zettel und betrachtete ihn eingehend. „Das Rezept ist immer noch lesbar.“

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