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Kornkreise

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In McClays Gesicht stand die Zornesröte. Mit jedem Wort, das er brüllte, spie er kleine Speicheltropfen in die Runde.

„Jetzt kommen Sie mir nicht mit dem alten Kram aus tausend Käseblättchen. Seit Jahrzehnten kann man mitverfolgen, wie die Boulevardpresse dieses Thema ausschlachtet. Ich sehe nicht ein, warum man ein paar Studentenstreichen so eine Beachtung schenkt. Die ESA ist kein Kindergarten.“

Dumas stand an der anderen Seite des Tisches, ordnete seine Unterlagen neu und spürte, dass sich alle der zehn Anwesenden ihm zuwandten. Stumm zählte er bis fünf, bevor er antwortete: „Ich habe meine Forschungen nicht auf der Grundlage von Publikationen zweifelhafter Natur gemacht. Was ich Ihnen in meinen Ausführungen beschrieben habe, ist das Ergebnis jahrelanger Recherche und eines kreativen Umgangs mit der Mathematik.“

„Ich habe Ihre Zusammenfassung gelesen“, sagte Kuhn. Er wirkte nicht so aggressiv wie McClay, doch auch ihm schien der Unglaube ins Gesicht geschrieben. „Ich kann sie allerdings nur schwer nachvollziehen.“

„Das mag daran liegen, dass Sie kein Experte für Schrift sind“, sagte Dumas. „Lassen Sie mich die Sache noch einmal stark vereinfacht erklären: Als am 5. September 1977 die Voyager 1 von unseren Kollegen in Cape Canaveral gestartet wurde, legte man die sogenannte Golden Record bei. Sollten irgendwann extraterrestrische Lebensformen dieser Raumsonde begegnen, könnten sie durch die Golden Record von der Menschheit erfahren.

Das setzte natürlich voraus, dass die Außerirdischen diese Kupferscheibe als Kommunikationsmittel begreifen. Um die darauf befindliche akustische Botschaft abspielen zu können, hätte man zunächst das dazu passende Gerät bauen müssen. Eine Anleitung und einige andere Angaben waren als schlichte Symbole auf der Golden Record eingeprägt worden. Diese Symbole mussten also erst einmal richtig gedeutet werden, was besonders schwierig war: Nehmen Sie ein Foto dieser Scheibe, zeigen Sie es einem x-beliebigen Passanten auf der Straße und Sie werden sehen, welche Schwierigkeiten in dem Versuch dieser Kontaktaufnahme liegen. Denn vermutlich wird niemand die Symbole zu deuten wissen.“

McClay griff in seine Tasche und zog demonstrativ eine Tageszeitung hervor. Er blätterte lautstark darin herum, bis er schließlich einen Artikel fand, der ihn mehr zu interessieren schien, als Dumas kleiner Vortrag. Kuhn verschränkte die Arme vor der Brust, hörte aber, wie die anderen Vorstandsmitglieder, weiter zu.

„Was ich mit diesem Beispiel erklären möchte, ist, dass jede Form der Korrespondenz einen gemeinsamen Nenner braucht. Um Schrift oder Symbolik zu begreifen, müssen Absender und Adressat den Code zur Umsetzung begreifen.

Den kleinsten gemeinsamen Nenner zur Kommunikation mit Extraterrestrischen könnte uns die Mathematik liefern. Eins plus eins ist überall im Weltraum zwei. Selbst die Schrift menschlicher Zivilisation liegt darin begründet: Die Keilschrift der alten Phönizier entstand aus einfachen Mengenangaben, die als Striche in Tontafeln eingeritzt wurden. Unser heutiges Alphabet findet dort seinen Ursprung.“

„Kommen Sie auch mal zu einem Ende?“ McClay hatte die Zeitung zugeschlagen. Viel konnte er noch nicht gelesen haben.

„Kornkreise“, sagte Dumas „Ich rede nun von Kornkreisen. Seit annähernd zweihundert Jahren werden sie dokumentiert. Die ersten bereits vor ...“

McClay stand auf. „Mir ist jetzt klar, wohin diese Ausführungen gehen sollen. Ich habe Wichtigeres zu tun.“ Mit großen Schritten verließ er den Raum. Die anderen Anwesenden folgten ihm. Ihre Entrüstung schien fast greifbar. Allein Kuhn blieb sitzen und blickte Dumas auffordernd an. „Erzählen Sie weiter. Diese Sitzung dürfte Ihre Karriere in der ESA beenden, aber mich würde interessieren, ob es das auch wert ist.“

Dumas schluckte trocken. Mit so einer Konsequenz hatte er nicht gerechnet. „Kornkreise. Die meisten dieser geometrischen Formen, die bislang vor allem auf europäischen Feldern gefunden wurden, sind plumpe Fälschungen. Scherzbolde oder mediengeile Studenten haben sich den Spaß erlaubt mit Walzen und Seilen spirographische Motive zu erzeugen.

Ich habe alle Fotografien von Kornkreisen gesammelt und untersucht. Mit der Zeit fiel es mir immer leichter, die Fälschungen auszusortieren. Übriggeblieben sind zwölf Kornkreise, die ich als echt einstufe.

Es sind keine einfachen Kreise, sondern sehr komplexe geometrische Formen, die einer bestimmten mathematischen Formel folgen.“ Dumas zögerte. Kuhn stand auf und ging auf ihn zu. Er lächelte. „Reden Sie weiter“, sagte er und ließ sich auf dem Stuhl neben ihm nieder.

„Bislang begingen alle Kornkreisforscher den Fehler, jeweils nur ein einzelnes Symbol in jedem Kornkreis zu sehen. Tatsächlich aber sind es komplexe Botschaften. Die Schrift ist in der Kausalität zur Mathematik versteckt. Die geometrischen Formen in Relation zueinander sind Schrift. Wer den Code kennt, kann international schreiben. Die Sprache ist Mathematik.“

„Beeindruckend“, kommentierte Kuhn. „Ein kulturübergreifendes Kommunikationsmittel. Glauben Sie, dass es extraterrestrischen Ursprungs ist?“

„In jedem Fall“, erklärte Dumas. Er schien mit sich selbst zu ringen, ob er wirklich alles erzählen sollte.

„Ich habe die erste Botschaft decodiert. Im Bündnerland habe ich diesen Kornkreis …“ Dumas zog ein Foto aus seinen Unterlagen hervor. „… entschlüsselt. Die Nachricht ist sehr … speziell.“

„Lassen Sie mich raten, was es bedeutet“, sagte Kuhn. Er beugte sich vor und flüsterte Dumas die Übersetzung ins Ohr. Erschrocken weiteten sich Dumas’ Augen.

„Woher wissen Sie das?“

Kuhn lachte. Er lachte laut und herzlich. Dann stand er auf und ging zur Tür. Bevor er, immer noch laut johlend, den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte: „Woher ich das weiß? Nun … wir Außerirdische haben halt auch Humor.“

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