Читать книгу Kleine Scheißhausgeschichten - Markus Walther - Страница 17

Die Flutlichter der Eishalle flammten auf, als Nils den Hauptschalter betätigte. Dann drückte er die Play-Taste, um das Tape mit den Übungsliedern zu starten. Doch heute Nacht wollte er mit Nicole nicht trainieren. Der Tanz war nur für sie – ohne Hebefiguren und Pirouetten. Nils wollte mit ihr einfach nur über das Eis gleiten. Vielleicht würden sie aber einen leichten Tango wagen, während er ihre Hand führte.

Die leisen Geräusche der Kufen vereinten sich mit der Musik, während sie über das Weiß der Fläche glitten. Leichter Nebel wirbelte sanft um ihre Füße. Es war nicht wie früher, als sie vor internationalem Publikum die höchstdotierten Turniere gewannen, doch Nils störte das nicht, denn heute Nacht tanzte er nur aus Liebe zu ihr.

Nicole war bislang nur auf dem Eis seine Partnerin gewesen, denn sie war glücklich verheiratet. Nie hatte er ihr seine Liebe gestanden. Seine Zärtlichkeit durfte nur ein Ausdrucksmittel für die Show sein – wie sehr hatte er sich deshalb gequält.

Ihr Kopf lag nun auf seiner Schulter, während er sie durch die Melodien trug. Vorsichtig küsste er die weiße Haut ihres Nackens – endlich hatte er sie für sich allein, wenn auch nur auf Zeit.

Sie war nackt und er drückte ihren Körper gegen den seinen. In seinem Inneren tobte ein Kampf darüber, wie weit er gehen durfte. Er zwang sich, diesen Augenblick vollkommener Glückseligkeit nicht wegen eines Verlangens zu zerstören. Bereits jetzt musste er sich bemühen, die Illusion aufrecht zu erhalten.

Es würde bald dämmern. Die Nacht war fast vorbei. Erschöpft blickte Nils in die weißen Augäpfel seiner Angebeteten. Die Bänder, die er benutzt hatte, um sie an seinen Körper zu binden, ließen seine Hand- und Fußgelenke schmerzen. Er wusste, dass es nun Zeit wurde, sich von ihr zu lösen. Die bedingungslos endlose Liebe musste nun enden. Heute Nacht noch würde er sie zurück auf den Friedhof tragen und sie wieder der Erde anvertrauen.