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Das Versteck

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Die Geschwister Barbara und Daniela Kraus hatten schon immer ein schwieriges Verhältnis gehabt. Sie selbst hätten es durchaus als Hassliebe bezeichnet.

So wunderte es niemanden, dass nach dem Tod der 86-jährigen Mutter ein erbitterter Erbschaftskrieg losbrach. Es ging nicht um eine beträchtliche Hinterlassenschaft – die Mutter hatte keinen großen Besitz gehabt. Allerdings hatte sie eine kleine Schatulle besessen, in welcher der Familienschmuck ruhte.

Das einzig wirklich kostbare Stück darin war ein kleiner Ring. Das echte Gold – kunstvoll verarbeitet und mit kleinen Diamanten besetzt – machte aus dem Schmuck ein kostbares Kleinod, das seit Generationen weitergereicht wurde. Antiquitätenhändler hätten sich die Finger danach geleckt.

Der Streit um das Erbstück ging bis vor Gericht. Es wurde gekeift und geschrien, während die Anwälte und der Richter fast ratlos dabeistanden. Die Gerichtsdiener hatten alle Hände voll zu tun, die beiden Frauen, die sich wie Furien aufführten, zu trennen. Nach langen und zähen Verhandlungen schließlich sprach der Richter der älteren Barbara den Ring zu.

Daniela heulte vor Wut und noch im Gang vor dem Gerichtssaal lauerte sie ihrer Schwester auf, um ihr das Erbstück mit Gewalt zu entreißen. Sie wusste, was es zu tun galt, würde sie den Ring in ihre Finger bekommen!

Schon als Kinder hatten sie sich oft um kleine Spielsachen und Süßigkeiten gestritten. Da Barbara damals die Stärkere war, erdachte sich Daniela eine Methode, mit der sie sich erkämpfte Beute sichern konnte: Sie nahm alles, worum sie sich stritten, in den Mund und schluckte es runter.

Es schien, als sei sie ein anatomisches Wunder, denn nie blieb ihr etwas im Halse stecken und wenn die Spielsachen später an anderer Stelle wieder herauskamen, wollte sie Barbara verständlicherweise nicht mehr haben.

Überrascht von der Attacke, musste Barbara nun mit ansehen, wie Daniela den Ring an sich riss und ohne zu zögern in den weit geöffneten Mund steckte. Dann schluckte Daniela …

… nein, sie versuchte zu schlucken. Ihr Gesicht verzerrte sich und lief rot an, während der Mund tonlos Worte formte. Zunächst schien der Ring festzustecken. Doch Barbara konnte sehen, wie sich die Haut am Hals ausbeulte, während der Schmuck langsam hinunter glitt. Die Diamanten, scharf und spitz, durchschnitten auf ihrem Weg nach unten die Luftund Speiseröhre.

Die Beerdigung liegt nun schon zwanzig Jahre zurück. Morgen wird das Grab, so hat es die Friedhofsverwaltung angeordnet, eingeebnet. Der Grabstein wird abgeschliffen, Gras auf den Lehmboden ausgesät.

Heute Nacht wird Barbara zusammen mit ihrem Sohn das Grab noch mal aufsuchen. Seit der Beerdigung damals ist es ihr erster Besuch. Danielas Neffe hat einen Spaten in der linken Hand, die rechte Hand hält eine Spitzhacke.

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