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Vorbereitungen

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Heribert erwachte vom leisen Summen des Weckers. Es war sechs Uhr am Morgen.

Er zog die Vorhänge zur Seite und warf einen Blick hinaus. Der Tag hatte mit einem zarten Rot am Himmel begonnen. Wolkenlos. Makellos. Es war schön, sich an diesem Ausblick zu erfreuen.

Nachdem er sich ausgiebig gereckt und gestreckt hatte, zog er das Laken zu Recht und glättete Kissen und Bettdecke. Erst als die Oberfläche des Stoffs vollkommen ebenmäßig war, warf er die Tagesdecke darüber. Anschließend dekorierte er die Zierkissen an ihrem Platz am Kopfende des Bettes.

Er machte fünf Kniebeugen mit nach vorne gestreckten Armen, fünf Kniebeugen mit zur Seite gestreckten Armen und warf einen kurzen Blick auf seine Wanduhr. Der unerbittlich tickende Zeiger ermahnte ihn, dass er schon eine Minute zu spät war – also schnell ins Bad.

Sorgsam achtete er darauf, dass seine Bürste jeden Zahn erreichte. Statt der empfohlenen vier, putzte er sie nur drei Minuten. Hoffentlich würde er sich deshalb nicht den ganzen Tag schmutzig fühlen. Sicherheitshalber hauchte er kurz in seine hohle Hand, um den Atem zu prüfen – besser er nahm gleich noch das Mundspray mit auf den Weg. Er wusch, rasierte und kämmte sich die Haare. Der Mittelscheitel gelang ihm auf Anhieb.

Bevor er sich anzog, ging er in die Küche, um sich sein Frühstück zu bereiten – es wäre sehr ärgerlich gewesen, wenn sein weißes Hemd mit Kaffee bekleckert werden würde. Und Frühstück musste sein. Wie hatte seine Mama immer gesagt? „Das Frühstück, Spatzl, ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.“

Er machte sich Toast, Fruchtmüsli und ein hartgekochtes Ei. Der Dotter musste grau, fast grün sein, damit auch dem letzten Krankheitserreger der Garaus gemacht war. Er trank – wie immer – ein Glas Milch dazu. Gerne hätte er auch die Zeitung gelesen, doch im Pyjama wollte er nicht hinaus an den Briefkasten gehen. Also saß er da, ganz still, und aß – alles wie immer.

Manchmal – so wie heute – stahlen sich Gedanken in seinen Kopf. Gefährliche Gedanken. Fragen nach dem Warum.

Aufstehen, waschen und frühstücken. Arbeiten und pünktlich Feierabend machen. Fernsehen und dann schlafen gehen – immer dasselbe. Meistens sagte er sich dann, dass die Dinge nur auf diese Weise funktionierten. Heute gestand er sich sogar, dass er selbst nur so funktionierte.

Doch war dem auch so? Oder vermochte er auch anders zu sein?

Er wusste, wie er das prüfen konnte …

Nachdem er abermals im Bad war, um sich das zweite Mal die Zähne zu putzen, ging er in sein Schlafzimmer. Er zog sich an. Den Feinripp, die schwarzen Socken, das weiße Hemd und den dezent grauen Anzug mit dem dunkelgrauen Binder hatte er sich bereits gestern, vor dem Zubettgehen, über seinen Stummen Diener gelegt. Für das Amt die richtige Bekleidung.

Doch heute wollte er ausbrechen, anders sein. Nicht integer. Nicht konform. Er wollte seine eigene kleine Revolution machen, mit der er in ein neues Leben aufbrechen würde. Das Mittel dazu hatte ihm letzte Woche sein Bruder zum Geburtstag geschenkt.

Gleich also würde Heribert an den Kleiderschrank gehen und seine neue, knallrote Krawatte anziehen.

Kleine Scheißhausgeschichten

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