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II Zorn:
Gedanken, Empfindungen, Eudämonismus

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Wie alle wesentlichen Emotionen hat auch der Zorn einen geistigen bzw. intentionalen Gehalt, der unter anderem Beurteilungen oder Bewertungen verschiedener Art einschließt.11 Häufig umfasst dieser nicht bloß wertgeladene Beurteilungen, sondern auch Ansichten und Überzeugungen.

Darüber hinaus sind die am Zorn beteiligten Beurteilungen und Überzeugungen in einem von mir verwendeten Wort „eudämonistisch“: Der Einzelne gelangt von seinem Standpunkt aus zu ihnen; sie sind Ausdruck seiner Auffassung von den wichtigen Dingen im Leben, und nicht irgendwelcher losgelösten und unpersönlichen Wertvorstellungen. Selbst wenn sich sein Zorn um Grundsatzfragen dreht, wenn Fragen der Gerechtigkeit, vielleicht sogar der globalen Gerechtigkeit eine Rolle dabei spielen, liegt der Grund dafür darin, dass er solche Sorgen und Belange in seine Vorstellung davon hat integrieren können, worauf es im Leben ankommt. Eine solche Integration in den eigenen „Sorgenkreis“12 muss dem Ereignis, das die Emotion auslöst, nicht vorausgehen: Eine plastische Schilderung von Kummer und Leid (etwa Adam Smiths Beispiel von dem Bericht über ein Erdbeben in China) kann bei uns Mitgefühl für Menschen auslösen, denen wir nie begegnet sind und mit denen uns vorher keine Sorge verbunden hat.13 Wenn aber keine festere Sorgestruktur besteht, wird die Emotion nicht mehr als eine Schimäre sein: Dann lassen wir uns von Dingen ablenken, die in größerer Nähe zu unserer Heimat geschehen, und vergessen darüber völlig die Menschen in der Ferne.

Der Eudämonismus der Emotionen ist auch ein Kerngedanke in der psychologischen Literatur. So spricht Richard Lazarus in seinem beeindruckend kenntnisreichen Band Emotion and Adaption, einem der einflussreichsten Werke des späten 20. Jahrhunderts, davon, dass sich die wesentlichen Emotionen um „Kernthemen [drehen], die miteinander in Beziehung stehen“ und die für die „Selbstidentität“ der Person von Bedeutung sind.14 Genau wie Smith in seiner Darstellung und ich in meiner betont auch Lazarus in seiner Abhandlung, dass Anliegen und Prinzipien Objekte von Emotionen sein können – aber nur dann, wenn ihnen durch jemanden eine persönliche Bedeutung beigemessen wurde.

Zorn geht normalerweise mit vielfältigen körperlichen Veränderungen und subjektiven Gefühlszuständen einher. Gewisse körperliche Veränderungen sind eine ständige Begleiterscheinung, wenn Menschen Zorn empfinden, und im Grunde sind die an ihm beteiligten Gedanken selbst körperliche Veränderungen.15 Den Zorn begleiten in der Regel auch gewisse subjektive Empfindungen, die jedoch wahrscheinlich äußerst vielgestaltig sind (sowohl beim Einzelnen zu verschiedenen Zeitpunkten als auch bei unterschiedlichen Personen) und die womöglich vollkommen fehlen, wenn der Zorn unbewusst bleibt. So wie die Todesangst unterhalb der Bewusstseinsschwelle lauern und dennoch Einfluss auf das Verhalten haben kann, ist dies zumindest in manchen Fällen auch beim Zorn möglich. Nicht selten bemerkt jemand im Nachhinein, dass er oder sie auf eine andere Person eine Zeit lang zornig war und dass dieser verdeckte Zorn das eigene Verhalten beeinflusst hat.

Die mit dem Zorn häufig einhergehenden körperlichen Veränderungen und subjektiven Empfindungen sind – bei aller Bedeutung, die sie auf ihre Weise haben – zu unbeständig, um als notwendige Bedingungen in die Definition des Zorns eingehen zu können.16 Für manche Menschen fühlt Zorn sich an, als würde ihr Blut in der Nähe des Herzens kochen. (So sagt es Aristoteles.) Für andere mag er sich wie ein Pochen in den Schläfen anfühlen oder wie ein Schmerz im Genick. Und in manchen Fällen wird der Zorn genau wie eine heimliche Todesangst schlicht nicht wahrgenommen. Eine Aufgabe von Therapien ist es, den verborgenen Zorn zu entdecken und freizulegen. Auch wenn (schlecht durchgeführte) therapeutische Verfahren verschiedentlich Zorn hervorrufen können, wo es vorher keinen gab, gibt es mit Sicherheit viele Fälle von wirklicher Entdeckung.

Zorn und Vergebung

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