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Vorwort

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Computer haben die Welt des Schachs ärmer und reicher zugleich gemacht. Ärmer, weil immer weniger Spieler zu persönlichen Begegnungen neigen. Millionen Schachliebhaber bleiben heute öfter zu Hause, um von dort aus übers Internet ihre Leidenschaft auszuleben, anstatt wie früher in Clubs oder Cafés beisammenzusitzen und zu grübeln. Mittlerweile warten ja überall Spielpartner und -partnerinnen, sei es in Moskau oder New York, in Peking oder Oldenburg. Das hat auch etwas Gutes.

Die digitalisierte Schachwelt ist aber vor allem reicher geworden, weil man das Spiel heute noch tiefgründiger analysieren und verstehen kann, außerdem ist dieses Wissen vielen Menschen leichter zugänglich als früher. Und ein Weltklassespieler sagt in diesem Buch, das heutige Spielniveau sei dank der Computer so hoch wie nie zuvor.

Es fällt allerdings nicht nur den Profis zunehmend schwer, mit ihrer sich rasant ändernden Welt Schritt zu halten, zumal etwas, von dem in der über 1.500 Jahre alten Schachgeschichte kaum die Rede war, plötzlich zu einem Problem geworden ist: Mit dem technischen Fortschritt ist auch die Zahl der Betrugsmöglichkeiten und -fälle gestiegen. Und offenbar müssen zu der Frage, wie man das Schachspiel wirksam vor den Skrupellosen schützen soll, etliche Beteiligte erst noch eine Haltung entwickeln, Amateure und Profis ebenso wie Funktionäre und Journalisten.

Und was vor zwei Jahrzehnten zuweilen noch als Horrorvorstellung galt, dass nämlich die besten Schachprogramme den spielstärksten Menschen eines Tages überlegen sein könnten, ist inzwischen Realität geworden, zumindest in taktischen Spielsituationen. Seit im Jahr 2006 das Programm Deep Fritz den damaligen Weltmeister Wladimir Kramnik einen sogenannten Kuss des Todes gab – ein Matt, das sich auch in Todesküsse am Brett, dem Vorgänger dieses Buches, wiederfindet –, seit jenem durchaus einschneidenden Ereignis scheint das allgemeine Interesse an Menschgegen-Maschine-Duellen endgültig verschwunden zu sein.

Tot ist Schach aber keineswegs! Im Gegenteil, noch nie hat es so viele bedeutende Turniere gegeben wie heute, oft jetten die Großmeister von einem Spielort zum nächsten. Von solchen Menschen und ihrer außergewöhnlichen Gabe handeln die Geschichten dieses Lese- und Trainingsbuches, zusammengestellt aus meinen Zeitungskolumnen, die zwischen Frühjahr 2010 und Herbst 2013 erschienen sind (größtenteils im Berliner Tagesspiegel und im Bremer Weser-Kurier).

Was in diesem Zeitraum an Grandiosem und Kuriosem geschah, können Sie auf den folgenden Seiten chronologisch nachspüren. Wie zum Beispiel der junge Magnus Carlsen seine Dominanz in der Schachwelt ausgebaut hat und wie die Teenagerin Hou Yifan die Frauen-WM gewann, welche Musik einen Spitzengroßmeister in Stimmung bringt und welche Probleme einem Spitzenpolitiker allein das Aufbauen der Schachfiguren bereitet.

Dazu gibt es wieder eine Auswahl der brillantesten Kombinationen aus diesen Jahren. Aber keine Sorge, nicht in jedem der 140 Partiefragmente ist ein Geniestreich gefragt! Bestimmt werden auch Hobbyspieler das eine oder andere Rätsel leicht lösen können, manchmal führt schon ein kleiner, pfiffiger Zug zum Ziel. Im Alltag der Schachprofis gibt es ohnehin mehr Arbeits- als Glanzsiege, öfter Handwerk als Kunst. Und es kann ebenso reizvoll wie lehrreich sein, den Großmeistern bei ihrem alltäglichen Handwerk auf die Finger zu schauen.

Tatsächlich sind immer Tausende Zuschauer live dabei, wenn Carlsen, Anand und die anderen Cracks spielen. Manche verfolgen die Turniere vor Ort, viele im Netz. Wenn aber mal Partien zwischen den weltbesten Computerprogrammen übertragen werden, will diese, interessanterweise, kaum ein Mensch sehen. Offenbar ist nichts langweiliger als eine seelenlose Computerpartie. Anders ausgedrückt: Die Ideen der fehlbaren Menschen bleiben ein viel größeres Faszinosum als die vermeintliche Perfektion der Computer.

Martin Breutigam

Himmlische Züge

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