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Captain des Imperiums
ОглавлениеAls die Menschheit ihren kleinen Planeten in einem der äußeren Spiralarme der Galaxis verließ und auswanderte zu den Sternen, da fand sie schnell drei Planeten in der Nähe des galaktischen Kerns, auf denen sie sich niederlassen konnte. Die drei Planeten lagen nur wenige Lichtjahre voneinander entfernt und boten den Menschen Temperatur- und Atmosphärenverhältnisse, bei denen sie leben konnten. Fruchtbar, wie die Menschheit war, vermehrte sie sich schnell und breitete sich weiter und weiter über die Galaxie aus. Fast auf jedem Planeten, der ihr Leben beherbergen konnte, ließ sie sich nieder und gründete Kolonien. Bald waren die Menschen über einen großen Teil der Galaxie verstreut. Zunächst lebten sie friedlich mit den anderen Völkern, auf die sie trafen, doch irgendwann kam es zu Konflikten und man kam zu dem Schluss, dass es eine Art Ansprechpartner für die Angelegenheiten der Menschen geben sollte, eine übergeordnete Institution. Und so gründete man, lange, nachdem man die Erde, die Heimat der Menschheit verlassen hatte, ein Imperium…
Hansen sah auf. Er war sich nicht ganz sicher, ob er das eben richtig mitbekommen hatte. Harald Hansen war Kapitän einer Imperialen Fregatte, der IF Helgoland, mit der er für die Sicherheit in einigen der äußeren Kolonien verantwortlich war. Das Imperium hatte hier die Polizeigewalt und wann immer es zu einem Konflikt kam, fiel es in seinen Aufgabenbereich, ihn zu lösen.
„Wie war das bitte?“ fragte er. Denn es gab einen Konflikt. Und er hatte ihn zu lösen.
„Sie haben richtig gehört, Captain“, lächelte Gouverneur Steinbeck. Er war für diesen Sektor verantwortlich und er hatte Hansen gerufen, weil es ein Problem gab.
„Eine Geiselnahme?“ wiederholte der Kapitän ungläubig.
„Was überrascht Sie daran?“
„Dass wir noch nie eine hatten.“
„Dann ist das doch bestimmt eine interessante Situation für Sie.“
So konnte man es natürlich auch bezeichnen. Das machte nahezu alles zu einer „interessanten Situation“, ob es nun den Transport von Medikamenten oder die Eskortierung eines Siedlerconvoys anging, was man noch nie vorher gemacht hatte, war „interessant“.
„Sind wir…“
„Sie sind die richtigen dafür“, sagte der Gouverneur ruhig. „Denn Sie sind die einzigen dafür!“
„Ah.“ Es hatte also auch Nachteile, das einzige Schiff im Sektor zu sein. Und dabei hatte sich Hansen so darauf gefreut, gewissermaßen der „Sheriff“ in seinem kleinen Teil des Universums zu sein, der Sheriff, das Gericht, das Krankenhaus. Doch wie es nun schien, gehörte eben auch der Umgang mit Geiselsituationen dazu. „Was können Sie uns sagen?“
„Ich habe Ihnen alle Informationen, die wir haben, überspielt. Das ganze ist… ein wenig heikel.“
„Heikel?“ Hansen hob eine Braue. „Inwiefern?“
„Es ist keine von unseren Welten!“ Der Gouverneur lächelte. „Viel Erfolg!“
Das machte die Situation in der Tat heikler, als sie ohnehin schon war. Wie sich herausstellte, hatte ein Kriegslord auf einer Kolonie der Florrk, die am Rande des Gebiets des Imperiums lag, Geiseln genommen. Das hätte die ganze Sache zu einer Angelegenheit der Florrk gemacht, doch er hatte keine Landsleute von sich als Geiseln genommen, sondern alle Menschen aus der Botschaft des Imperiums.
„Sie werden sich mit einem Schiff der Florrk im Orbit treffen“, lautete der Befehl des Imperiums. Für alles andere hatte er freie Hand. So war es eben mit den Commandern in den äußeren Bereichen des noch recht jungen Imperiums. Es gab noch nicht viele Schiffe, eine Flotte zwar, aber eine, die über das gesamte Imperiale Gebiet verteilt war. Man nahm viele Funktionen wahr, nur die Wissenschaft kam etwas zu kurz. Was wohl daran lag, dass die Menschheit, als sie hinaus ins All strömte, mehr das Kolonisieren im Sinn hatte als das Entdecken und Erforschen. Alle Missionen, die man ausgeschickt hatte, hatten nur nach Planeten mit guten Lebensbedingungen für Menschen gesucht, alles andere war auf der Strecke geblieben. Aus den einstigen Forschern waren schnell Siedler geworden, Siedler, die sich schnell vermehrten und wie ein Virus über die Galaxie herfielen. Jedenfalls war das die etwas negativere Umschreibung für den Kolonisierungswillen der Menschen. Innerhalb weniger Erdjahre hatten sie viele neue Planeten entdeckt und bevölkert. Und die Bevölkerungszahlen stiegen stetig. Was der Grund dafür gewesen war, dass andere Völker forderten, nach ein paar Konflikten mit menschlichen Kolonien, die alle für sich zu stehen schienen, ohne eine Regierung oder einen intergalaktischen Vertreter, dass diesem „Wildwuchs“ ein Ende bereitet wurde und irgendjemand für all diese Kolonien die Verantwortung übernehmen sollte.
„Es sind 41 Botschaftsangehörige“, sagte Amanda Vingst, sein erster Offizier.
„Gibt es schon irgendwelche Forderungen?“
„Nein.“ Die dunkelhaarige Frau schüttelte den Kopf. „Aber die Florrk haben angegeben, dass ihr Schiff in vier Stunden da sein wird.“
„Also zwei Stunden nach unserer Ankunft. Okay.“ Hansen starrte auf den Bildschirm. Es war eine neue Situation. Jedenfalls für galaktische Verhältnisse, wenn man das so sagen konnte. Bisher hatte es so etwas noch nicht gegeben. Sicher, es war zu ein paar kleineren Scharmützeln gekommen, als Siedler der Menschen auf Siedler von anderen Völkern trafen. Es hatte auch ein paar Tote gegeben. Aber seit es das Imperium gab, hatte man Prozeduren eingeführt, die solche Verluste verhindern sollten. Man fragte nach, ob jemand Anrecht auf einen bestimmten Planeten erhob, bevor man sich darauf niederließ. Viele Völker hatten unterschiedliche Anforderungen an eine Welt. Was für die Maburi eine giftige Atmosphäre war, konnte für die Menschen eine zum Atmen sein, was für die Dulorianer ein Paradies war, konnte für die Menschen die Hölle bedeuten. So regelte sich viel über die Unterschiedlichkeit der Völker, aber eben nicht alles.
Nach der Gründung des Imperiums hatte man natürlich auch Botschafter ausgetauscht. Man wollte erkunden, ob gegenseitiger Handel lohnenswert war, ob Interesse am Austausch von Kultur oder anderen Dingen bestand. Man richtete auch Botschaften in Nachbarwelten ein, um die diplomatischen Wege kurz zu halten. Aber eine Geiselnahme war nicht mehr vorgekommen, seit… Hansen musste überlegen. Streng genommen hatte er noch nie von einer gehört, jedenfalls nicht, seit es das Imperium gab. In der Zeit davor, der „dunklen Vorzeit der Menschheit“, womit die Zeit auf ihrer Entstehungswelt, der Erde, gemeint war, da hatte es anscheinend öfter so was gegeben. Alles deutete darauf, dass es eine dunkle Zeit gewesen war, voller Gewalt und Krieg, bevor die Menschen diese Welt und damit auch diese Art zu leben hinter sich gelassen hatten.
„Weiß man schon, wer zuständig ist?“ wollte Hansen wissen. Es war wahrscheinlich, dass sie nur Beobachter in dieser Angelegenheit sein würden, während die Florrk ihre internen Probleme lösen würde. So in etwa würde es wahrscheinlich auf der anderen Seite der Grenze gehandhabt werden, auf seiner Seite der Grenze.
„Keine Ahnung, Sir.“ Vingst hob die Schultern. „Ich habe eine Anfrage an das Imperiale Zentrum geschickt…“
…aber es würde ewig dauern, bis man eine Antwort bekommen würde. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass die Geiselnahme bis dahin beendet war. „Schon klar“, murmelte der Captain.
„Aber…“ Vingst sah überrascht auf einen der Bildschirme. „die Florrk haben uns etwas geschickt.“
Hansen erhob sich neugierig. „Und was?“
„Informationen… über den Kriegslord.“ Sie sah auf. „Über den, der die Geiseln genommen hat.“
„Interessant.“ Das konnte zwei Gründe haben. Sie wollten, dass Hansen die Sache selbst übernahm oder sie wollten, dass er wusste, warum sie die Sache übernehmen würden. Beides war möglich. Die Florrk waren ein, er wusste nicht, wie er das für sich formulieren sollte, eigenartiges Volk. Sie hatten, ähnlich wie die Menschen, eine recht kriegerische Vergangenheit. Ihr ganzes Gesellschaftssystem schien noch immer davon durchdrungen zu sein. Das ließ sich besonders an Titeln erkennen. Zum Beispiel hatten alle Gesetzeshüter militärische Ränge, vergleichbar mit Lieutenant und Captain, nicht wie Wachtmeister, Inspektor und Kommissar. Da war es also nicht verwunderlich, dass der Gouverneur einer Kolonie ein „Kriegslord“ war – doch die Unterlagen, die man ihnen zugeschickt hatte, sprachen da eine andere Sprache. War der Begriff „Kriegslord“ bei den meisten Florrk inzwischen eine reine Ehrenbezeichnung, hatte sich dieser hier seinen Namen verdient. Durch das, was einen solchen Lord auszeichnete: Krieg. Genau genommen hatte er in den letzten Jahren eine Spur der Verwüstung durch das Florrkianische Territorium gezogen und war über eine Welt nach der anderen hergefallen. Die Regierung der Florrk hatte die Sache verheimlicht, da es sich um eine interne Angelegenheit handelte – doch sie war auch nicht in der Lage gewesen, den Feldzug des Kriegslords zu stoppen. Jetzt allerdings hatten sie keine andere Wahl mehr, als zu handeln und die Sache zu einem Ende zu bringen. Denn jetzt hatte er Außenweltler in die Sache hineingezogen und die Florrk wussten, wenn sie nicht handelten, dann würde es wahrscheinlich das Imperium tun. Hansen legte die Stirn in Falten. War das vielleicht ihr Plan gewesen? Ihr Problem von jemand anderem lösen zu lassen? Keine eigenen Truppen mehr zu gefährden, wenn das auch andere tun konnten? Er wusste es nicht. Bislang hatte man ihn nicht aufgefordert, die Dinge in die Hand zu nehmen – aber er war durchaus bereit dazu.
Kriegslord Goosan war offenbar einst Soldat der Florrk gewesen. Er hatte nach den alten Idealen seines Volkes leben wollen, doch musste er feststellen, dass es in der Tat nur noch Ideale der Vergangenheit waren und keine der Gegenwart. Die Florrk versuchten, ihre kriegerische Vergangenheit abzulegen und sich mehr der friedlichen Kolonisierung des Weltraums hinzugeben. Goosan wollte das nicht wahrhaben. Als junger Soldat versuchte er, die Truppen, die ihm unterstellt waren, in Kämpfe mit „dem Feind“ zu verwickeln, verschiedene Außenwelter, darunter auch ein paar Bürger des Imperiums. Noch bevor man ihn seines Postens entheben konnte, schlug er einen Aufstand friedlicher Florrk auf einer ihrer Welten blutig nieder. Seine Regierung setzte eine Einheit auf ihn an, die ihn verhaften oder töten sollte. Die Einheit hatte keinen Erfolg, denn durch die blutige Niederschlagung des Aufstandes war eine Gruppe innerhalb der Florrk auf ihn aufmerksam geworden, deren Ziel es schon seit langem war, wieder „auf die alte Art“ zu leben und diese kriegerische Lebensweise wieder zu beleben. Er schloss sich dieser Gruppe an, wurde ihr Anführer und so zogen sie von Welt zu Welt und schlugen eine blutige Schneise durch das Gebiet der Florrk.
„Sieht wie eine interne Angelegenheit aus“, meinte Vingst.
„Eine, die sie nicht gelöst haben“, murmelte Hansen.
„Was haben Sie vor?“
„Ich hör mir an, was er zu sagen hat.“
„Und dann?“
„Dann sehen wir weiter.“
„Und wenn er bereits Geiseln…“ Sie verstummte.
„Sie meinen, wenn er bereits Geiseln getötet hat?“
„Ja.“ Vingst nickte. Sie kannte ihren Kapitän sehr gut. Er war jemand, der versuchte, immer gerecht zu sein. Aber er war auch jemand, der in der Lage war, harte Entscheidungen zu treffen.
„Ich schätze, dann wäre es keine interne Angelegenheit mehr!“
Als sie den Orbit erreichten, hatten sie keine Schwierigkeiten, den Ort zu finden, an dem der Kriegslord seine Geiseln festhielt. Ein starkes Energiefeld hüllte das Gebiet ein, ein kleines Anwesen, das von vier Wachtürmen umgeben war: die Imperiale Botschaft. Den Sensoren nach, befand sich eine Wache auf jedem Turm – und ca. 20 seiner Anhänger in den Botschaftsräumen.
„Nur 24 Leute?“ meinte Vingst überrascht.
„Er scheint eine Menge Anhänger verloren zu haben.“ Hansen betrachtete den Bildschirm. „Das sieht doch recht übersichtlich aus. Wissen wir, wo die Generatoren sind, die den Schutzschirm mit Strom versorgen?“
„Ja, Sir.“ Sie deutete auf einen Punkt am Rande des Parks. Die Botschaft, davon hatte Hansen gehört, war von einem herrlichen Park umgeben, den wiederum die Mauern mit den Wachtürmen einschlossen. Man sagte, wenn man im Sektor war, sollte man dem Park unbedingt einen Besuch abstatten.
„Kommen wir da mit unseren Kanonen durch?“ Sie sah ihn überrascht an. „Rein theoretisch, natürlich“, schob er nach.
„Theoretisch ja.“
„Gut zu wissen.“ Hansen nickte. „Nur, für den Fall, dass.“ Er ließ seinen Blick ungeduldig durch den Raum schweifen. Die Florrk würden erst in etwa zwei Stunden hier sein, Zeit, die er nur herumsaß, ohne irgendetwas tun zu können. Aber es wäre nicht zweckdienlich gewesen, Kontakt mit den Geiselnehmern aufzunehmen. Dies war das Territorium der Florrk, hier waren sie zuständig, er war nur Gast.
„Der Kriegslord meldet sich, Sir“, rief der Kommunikationsoffizier.
„Wen will er sprechen?“
„Uns.“
„An das Schiff des Imperiums, das sich gerade dem Planeten nähert. Wir haben Ihre Ankunft entdeckt. Mein Name ist Kriegslord Goosan und ich habe Ihre Bürger in meiner Gewalt. Das Reich der Florrk ist alt und schwach geworden. Ich und meine Anhänger haben uns gegen diese Lebensweise aufgelehnt und deshalb wurden wir zu Verbrechern gemacht, gejagt und ermordet. Wir verlangen politisches Asyl im Imperium oder wir werden eine Geisel nach der anderen töten.“
„Nun…“
„Es ist eine aufgezeichnete Nachricht, Captain“, meldete der Kommunikationsoffizier.
„Was halten Sie davon?“ fragte Vingst leise.
„Ich bin mir nicht ganz sicher.“
„Worüber?“
„Wer uns anlügt, er oder seine Regierung.“
„Und wann werden Sie es sein?“
„Wenn er anfängt, Geiseln umzubringen.“ Hansen wandte sich an seinen leitenden Kanonier. „Suchen Sie das Gebiet nach Schiffen ab. Die werden sich wahrscheinlich alle Mühe geben, sie zu verstecken, aber ich bin sicher, sie werden da sein.“
Vingst sah ihren Captain fragend an.
„Was meinen Sie?“
„Sie haben recht, er wird tatsächlich mehr als 23 Anhänger haben. Es sei denn natürlich, seine Geschichte stimmt und man hat sie wirklich alle umgebracht. Aber wenn nicht, dann braucht er trotzdem Schiffe, um von einer Welt der Florrk zur anderen zu kommen. Also nehme ich an, dass es hier irgendwo Schiffe mit seinen Leuten geben muss. Finden Sie sie.“
„Ja, Sir.“
„Gut. Geben Sie mir bescheid, wenn das Schiff der Florrk da ist, ich bin in meinem Büro.“
Noch bevor die Florrk eintrafen, klopfte Vingst an die Tür des Captains.
„Wir haben sie gefunden“, sagte sie.
„Gut“, meinte der Captain. Vor ihm schwebten Hologramme des Planeten und Baupläne der Botschaft in der Luft. „Wo sind sie?“
Sein erster Offizier zeigte ihm ein Hologramm des Planeten und deutete auf einen Bereich in den Bergen.
„Hier haben sie ihre Schiffe versteckt. Es sind drei Stück. Schwere Kreuzer, starke Bewaffnung.“
„Sieht das für Sie nach Flüchtlingen aus?“
„Nicht unbedingt.“
„Das Gefühl hab ich auch nicht. Aber ich könnte mich ja irren.“
„Und wenn Sie sich nicht irren?“ fragte sie ruhig.
„Dann haben wir es nicht mit Flüchtlingen zu tun sondern mit Fanatikern. Und ich fürchte, ich weiß, was die wollen.“
„Zur alten Lebensweise ihres Volkes zurückkehren.“
„Genau.“
„Und wie wollen sie das machen?“
„Indem sie einen Krieg mit dem Imperium beginnen!“
Das Schiff der Florrk traf eine halbe Stunde später ein als angekündigt.
„Was zur Hölle…?“ Hansen starrte auf den Bildschirm, als sich ihnen das kleine Schiff näherte. Er hatte einen Kreuzer erwartet, einen Zerstörer, einen Jägerträger, aber nicht das hier. Es war eine kleine Fregatte, kaum Besatzung, kaum Bewaffnung. Nicht unbedingt das Schiff, das man schickte, wenn man eine Gruppe Geiseln befreien wollte. Oder vielleicht genau das Schiff für diese Aufgabe. Vielleicht wollte man harmlos erscheinen und das Schiff beherbergte eine Spezialeinheit, die auf solche Aufgaben spezialisiert war. Wenn es eine solche Einheit allerdings nicht an Bord hatte… dann zweifelte Hansen die Behauptung, dass es sich bei den Geiselnehmern um politisch Verfolgte handelte, stark an. Es sei denn wiederum, die Florrk wollten ihm nicht zeigen, wie die Sache wirklich aussah. Das ganze war ein wenig verzwickt.
„Sie melden sich.“
„Auf den Schirm.“
Ein großes Wesen mit rötlichem Panzer und langen, schwarzen Fühlern auf dem Kopf erschien auf den Bildschirm.
„Ich bin Kriegsminister Altoron“, sagte es höflich. „Wir wurden hierher entsandt.“
„Um?“ fragte sich Hansen. Sie wurden hierher entsandt, um was zu tun? „Freut mich“, sagte er. „Captain Harald Hansen.“
„Freut mich“, kam es zurück.
„Nun, ich denke… dann lassen wir Sie mal ran?“ meinte Hansen.
Soweit er das deuten konnte zeigte das Gesicht des Wesens Verwirrung.
„Wir überlassen Ihnen die Verhandlungen“, schob er nach. „Ich nehme an, deshalb sind Sie hier. Um mit den Geiselnehmern zu verhandeln.“
Kriegsminister Altoron schien einen Moment darüber nachdenken zu müssen. Dann gab er ein Geräusch von sich, das gleichermaßen Zustimmung oder Ablehnung bedeuten konnte. Dann wiederholte er: „Wir wurden hierher entsandt.“
„Und ich fühle mich direkt sicherer“, murmelte der Captain, nachdem die Verbindung getrennt worden war.
„Was bedeutet das?“
„Wenn ich das mal wüsste“, seufzte er. „Aber wir sollten uns auf das Schlimmste gefasst machen.“
„Warum?“
„Weil man sich immer auf das Schlimmste gefasst machen sollte. Dann ist alles, was passiert, eine positive Überraschung.“
„Und wenn das Schlimmste eintrifft?“
„Dann ist man hoffentlich darauf vorbereitet.“
Hansen setzte sich in seinem Büro mit den Forderungen der Geiselnehmer auseinander. Wenn sie beweisen konnten, dass sie politische Flüchtlinge waren, dann gab es durchaus eine Chance für sie. Oder vielmehr für ihn. Denn genau genommen bedeutete das, dass es sich um eine Situation handelte, die von höherer Stelle geklärt werden musste. Nur das Imperium selbst konnte bestimmen, wen es als politischen Flüchtling anerkannte und wen nicht. Das hatte einen einfachen Grund: Gab man politischen Flüchtlingen Asyl, würde deren Regierung das möglicherweise übel nehmen, was zu Konsequenzen bis hin zum Krieg führen konnte. Gab es also ein Ersuchen nach Asyl von einem Volk, dem man bislang kein Asyl gewährt hatte, mussten hochrangige Diplomaten des Imperiums sich mit der Angelegenheit auseinandersetzen und sie mit hochrangigen Diplomaten des anderen Volkes aushandeln. Das war eine Vereinbarung, die man mit allen Völkern geschlossen hatte und an die sich jeder halten sollte. Blieb es also bei der Forderung des Kriegslords, dann würde diese Angelegenheit in den Bereich der Diplomaten fallen – und Hansen hatte ein entsprechendes Ersuchen bereits an den Imperialen Rat geschickt.
„Captain auf die Brücke, bitte“, scholl es aus seinem Lautsprecher und er erhob sich und ging durch die Tür auf den Kommandostand seines Schiffes.
„Was gibt es?“ fragte er.
„Der Geiselnehmer, Sir. Er möchte mit Ihnen sprechen.“
„Auf den Schirm.“
„Ja, Sir.“
Das Gesicht eines weiteren, rot gepanzerten Wesens mit langen Fühlern erschien. Es sah irgendwie grimmig aus, was aber auch an der Waffe in seiner Hand liegen konnte.
„Ich bin Captain Harald Hansen, was kann ich für Sie tun?“
„Ich bin Kriegslord Goosan und ich habe Ihre Bürger in meiner Gewalt.“
„Wie sind die Verhandlungen mit Kriegsminister Altoron verlaufen?“
„Er ist nicht der richtige Verhandlungspartner.“
„Und ich bin es?“
„Ja. Wir wollen politisches Asyl in Ihrem Imperium.“
Hansen nickte. „Ich fürchte, da bin auch ich nicht der richtige Ansprechpartner. Ich habe Ihre Bitte bereits weitergeleitet, denn damit müssen sich Diplomaten des Imperiums befassen. Es wird ein paar Wochen dauern, bis sie hier sind.“
„Ich habe Geiseln.“
„Sie sind Kriegslord, Sie wissen, wie diese Dinge gehandhabt werden. Ich kann Ihnen kein politisches Asyl gewähren, das müssen andere tun. Und es dauert, bis die hier sind.“
„Sehen Sie, Captain, ich habe mir gedacht, dass Sie so reagieren würden. Aber ich denke, ich habe einen Weg, wie wir diesen Prozess beschleunigen können.“ Der Kriegslord gab jemandem ein Zeichen und man brachte eine Geisel zu ihm.
„Moment“, Hansen hob die Hand. „Was, wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen Asyl garantiere?“
„Captain, ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, ein solches Versprechen zu geben.“
„Was wollen Sie dann von mir?“
„Ich will, dass Sie zusehen.“ Er drückte die Waffe an den Kopf der Geisel.
„Halt!“ sagte Hansen scharf. Der Kriegslord hielt inne. Leise und bedrohlich ruhig fuhr der Kapitän fort. „Ich sage Ihnen das jetzt nur einmal: Wir können miteinander verhandeln, über alles reden und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, wenn ich Ihr Ansinnen für berechtigt halte. Aber: Wenn Sie auch nur eine einzige Geisel umbringen, sind die Verhandlungen beendet! Ich sehe das Umbringen einer Geisel nicht als Zeichen von Stärke oder als Beweis dafür, was Sie zu tun bereit sind, ich sehe das als kriegerischen Akt. Und der beendet unsere Verhandlungen. Töten Sie eine der Geiseln, enden die Gespräche. Und töten Sie mehr als eine Geisel, werde ich dafür sorgen, dass Sie und Ihre Leute, dass keiner von Ihnen diese Sache überlebt. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
„Oh ja!“ Der Kriegslord drückte der Geisel die Waffe an den Kopf.
„Sie haben gesagt, dass das Reich der Florrk Sie zu Verbrechern abgestempelt hat, dass es sie jagt und ermordet. Stimmt das?“
„Ja, das stimmt.“
„Das ist ein guter Grund für politisches Asyl. Wenn sich Ihre Anklagen gegen das Reich der Florrk belegen lassen, sollte das den Prozess, Sie als Flüchtlinge anzuerkennen, beschleunigen.“
„Das freut mich sehr“, zischte der Kriegslord. „Aber ich glaube, ich habe einen Weg, die Sache noch mehr zu beschleunigen.“ Er drückte ab und der Kopf der Geisel verschwand in einer Wolke aus Blut. Er gab einem seiner Anhänger ein Zeichen. „Wenn Sie glauben, dass die Regierung der Florrk Ihnen helfen wird…“ Auf einem der Brückenbildschirme sahen sie, wie zehn Raketen in die Fregatte der Florrk einschlugen. Das Schiff explodierte sofort. Es gab keine Überlebenden. „…dann sind Sie im Irrtum.“ Der Kriegslord sah den Kapitän herausfordernd an. „Wir wollen politisches Asyl. Wenn wir es nicht in einer Stunde haben, dann werde ich eine weitere Geisel töten. Und dann eine jede Stunde, solange, bis uns die Geiseln ausgehen. Und weil Sie es sind“, er schnappte sich eine weitere Geisel und erschoss sie, „verkürzen wir Ihre Zeit um eine weitere Stunde. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Hansen kniff die Augen zusammen. Langsam, ganz langsam nahm er auf seinem Sessel Platz. Dann sah er dem Kriegslord in die Augen und sagte ruhig: „Ich möchte meine Aussage von eben korrigieren. Ich werde dafür sorgen, dass keiner Ihrer Leute überlebt und ich werde persönlich sicherstellen, dass Sie diese Sache nicht überleben. Ende!“
„Die Brücke räumen!“
„Bitte, Captain?“ Vingst sah ihn fragend an.
„Verlassen Sie die Brücke. Alle.“
„Aber…“
„Ich bin im Begriff, Dinge zu tun, die… absoluter Geheimhaltung unterliegen. Deshalb kann ich leider niemanden von Ihnen in meine Absichten einweihen. Also, alle raus hier. Und der Hangar soll einen Jäger startklar machen, ich will in 10 Minuten starten. Los!“
Während seine Offiziere noch zu den Ausgängen liefen, nahm Hansen am Waffenschaltpult Platz.
„Sollten Sie das wirklich tun?“ fragte Vingst hinter seiner Schulter.
„Ich tu doch gar nichts“, meinte er, „und Sie sollten schon lange draußen sein. Keine Sorge, Sie haben die Brücke in fünf Minuten wieder.“
Sie schüttelte den Kopf und ging hinaus.
„Ach ja, und wenn feindliche Schiffe angreifen sollten, schießen Sie sie ab“, rief er noch, dann konzentrierte er sich auf die Zieleingabe. Die Anzeigen zeigten ihm, dass es jetzt Nacht dort war, wo sich die Botschaft befand. Das waren doch ideale Bedingungen für das, was er vorhatte. Nein, das stimmte nicht annährend, aber er stammte von einer Welt, der das Kämpfen nicht ganz unbekannt war, die sich immer schon mit gefährlichen Nachbarn hatte herumschlagen müssen und er hasste es, wenn die Leute das taten… was er gerade zu tun beabsichtigte. „Fertig“, murmelte er. Die Ziele waren anvisiert. Zeit für das Feuerwerk.
Er schoss und schon der dritte Schuss schaffte es durch das Kraftfeld und zerstörte den Generator. Der Schutzschild war Vergangenheit. Zehn Sekunden später waren es die vier Wachtürme ebenfalls. Und der Reaktor, der die Botschaft mit Strom versorgte, der Kriegslord saß jetzt also im Dunkeln. Die Sensoren hatten ihm außerdem einen Raum gezeigt, in dem sich ein Großteil von Goosans Anhängern befand. Der Raum ging in Flammen auf und die Anhänger mit ihm. Um den Rest würde er sich persönlich kümmern. Er stand auf und lief zur Tür, während ein paar Raketen auf die versteckten Schiffe nieder regneten. „Sie haben die Brücke“, rief er Vingst zu und eilte zum Hangardeck. Viel Zeit hatte er nicht mehr. Er hatte auch ein paar Raketen mit Betäubungsmitteln in die Botschaft geschossen. Blieb zu hoffen, dass Goosan nicht aufwachte, bevor er dort ankam.
Als er auf dem Hangardeck ankam, erwartete ihn bereits ein bewaffnetes Einsatzteam.
„Sind Sie hier, um mich zu verhaften?“
„Der Commander meinte, Sie könnten dort unten Unterstützung brauchen.“
„Na, dann sollte ich sie wohl mal für eine Beförderung vorschlagen, was?“ Ein Gedanke, der gar nicht so weit entfernt war, denn diese Aktion konnte ihn durchaus sein Kommando kosten – oder sein Leben.
Mit einem Jäger und vier Schiffen Begleitschutz rasten sie hinunter auf die Oberfläche. Sie landeten direkt vor der Botschaft.
„Geiseln befreien, Gegner ausschalten“, befahl der Captain. Die Männer, Profis auf ihrem Gebiet, schlichen hinein in die dunkle Botschaft. Rauch füllte die Gänge. Fenster waren zerbrochen. Hier und da brannte ein kleines Feuer. Schnell fanden sie den Raum, in dem man die Geiseln gefangen gehalten hatte. Alle lagen auf dem Boden – doch die Geiselnehmer schienen gerade wieder zu Bewusstsein zu kommen. Es gab nur ein kurzes Feuergefecht. Während der Leiter des Einsatzteams dem Captain signalisierte, dass die Geiseln noch am Leben waren, schlich der sich bereits in das nächste Zimmer. Zwei tote Menschen lagen auf dem Boden. Die Glastür in den Garten war zerborsten. Hansen sah einen Schatten zu seiner linken, hob die Waffe – Schrecksekunde, keine Geisel – und schoss. Zwei der Geiselnehmer versuchten ihre Waffen auf ihn zu richten, doch sie waren noch zu desorientiert und dann zu tot. Hansens Blick glitt über den Boden. Etwas fehlte, jemand fehlte.
Er hörte ein Geräusch, draußen im Park, so, wie wenn jemand schnell an einem Busch vorbeiläuft und ihn dabei streift. Hansen lief zur Tür und spähte in die Dunkelheit. Die kleinen Brände warfen ein flackerndes Licht über die Sträucher und Bäume. Er sah Schatten, die sich irrational bewegten – und einen, der gezielt durch die Hecken lief. Hansen sprang über die Brüstung und lief ihm nach. Er hatte sich den Grundriss der Gartenanlage genau eingeprägt, so, wie er sich auch den Grundriss der Botschaft eingeprägt hatte.
Ein lautes Brausen kam durch die Luft. Ein Schiff, dachte er, einer von Goosans Kreuzern. Er sah nach oben und ein riesiges schwarzes Ungetüm mit gelben Fenstern schob sich vor den Nachthimmel. Es war zu groß, um in dem kleinen Park der Botschaft zu landen, also musste man… nach draußen, wenn man das Schiff erreichen wollte. Hansen sprang über zwei Hecken und kurz vor dem Ausgang des Parks sah er ihn, den Schatten, den er die ganze Zeit gesucht hatte. Der Kriegslord schien sich hier nicht so gut auszukennen wie Hansen, denn er schien Probleme zu haben, den Ausgang zu finden. Dann hatte er ihn entdeckt – doch der Kapitän blockierte ihm den Weg.
„Sie wollten abgeholt werden?“ fragte der ruhig, wenn auch ein wenig aus der Puste.
„Glauben Sie, dass Sie mich aufhalten können?“
Ein paar Raketen schlugen in das Schiff über ihnen ein, es begann zu trudeln und stürzte dann ein paar Kilometer von ihnen entfernt ab. Die Explosion klang so, als hätte den Absturz niemand überlebt.
„Sie wollten sagen?“ fragte Hansen und richtete seine Waffe auf das rot gepanzerte Wesen.
„Sie scheinen mir ein Mensch mit dem zu sein, was ihr Moral und Prinzipien nennt“, hauchte der Kriegslord. „Also würden Sie nie ein unbewaffnetes Wesen erschießen.“ Er warf seine Waffe weg.
„Sehen Sie, und da schätzen Sie die Situation falsch ein.“
Hansen nahm an, dass das, was er auf dem Gesicht des Wesens sah, Überraschung war. Oder Erschrecken. Oder beides.
„Ach ja, bevor wir das hinter uns bringen: Ihre anderen Schiffe haben wir auch vernichtet. Es wird keinen Krieg geben – und Ihre Anhänger sind alle tot.“
Hansen wusste nicht, ob das stimmte, aber es war egal, die Reaktion war die, die er erwartet hatte. Voller Hass und Wut stürmte der Kriegslord auf ihn zu – und Hansen schoss.
„Ich bin nicht verhaftet?“ Kapitän Hansen schien fast ein wenig enttäuscht zu wirken, als sein erster Offizier ihm vor den Trümmern der Botschaft entgegen kam.
„Tut mir leid“, sagte sie. „Hatten Sie schon Pläne?“
„Bisschen Ruhe. Dann der Prozess. Ich hätte viel Zeit zum Lesen.“
„Sie könnten sich zur Ruhe setzen.“
„Ich ziehe es in Erwägung.“
„Sie haben die Brücke räumen lassen…“
„…damit niemand von der Besatzung angeklagt werden kann, weil ich allein gehandelt habe, ja.“ Er nickte. „Was ist mit den Schiffen seiner Anhänger?“
„Haben es auf einen Kampf ankommen lassen.“
„Und?“
„Haben verloren.“
„Dann wird es also heute keinen Krieg geben?“
„Es sieht nicht so aus“, sagte sie und betrachtete seinen leicht hinkenden Gang. Irgendein Holzsplitter musste ihn am Bein getroffen haben, seine Hose war blutdurchtränkt und er hinkte ein wenig, aber verglichen mit dem, was hier sonst so passiert war, war das eher ein Kratzer. „Die Florrk haben durchblicken lassen, dass sie Goosan und seine Anhänger als Terroristen ansehen…“
„…und dass sie dem Imperium dafür danken, ihnen bei einem ihrer internen Probleme geholfen zu haben?“
„…und dass sie auf diplomatische Schritte gegen das Imperium verzichten möchten.“
„Diese verlogenen Arschlöcher.“
„Bitte, Sir?“
„Ach, ist doch wahr. Bürden uns ihre Probleme auf und zeigen sich dann auch noch ‚großzügig’. Man kann niemandem mehr vertrauen, Vingst, niemandem.“
„Ihnen auch nicht?“
„Mir erst recht nicht. Ich schätze, das Oberkommando will mit mir sprechen?“
„Das schätze ich auch, aber die haben sich noch nicht gemeldet.“
„Keine Sorge, das werden sie schon noch. Und wer weiß, vielleicht bekommen Sie dann ja doch noch mein Kommando“, grinste er.
Sie ließ ihren Blick über die Trümmer schweifen. „Ist das wirklich so erstrebenswert?“
Er hob die Schultern. „Frag ich mich manchmal auch.“
Er hinkte in Richtung der startenden und landenden Shuttles. Man schickte Teams herunter, die die Botschaft sicherten, die Verletzten versorgten, die Beweise sicherten. Von den Terroristen hatte keiner den Angriff überlebt. Zwei Botschaftsangehörige waren tot, ein paar waren verletzt. Vingst schloss zu ihm auf und er stützte sich auf ihre Schulter.
„Wie haben Sie sich eigentlich verletzt?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Einen Bericht. In einem solchen Fall macht man immer einen Bericht.“
„Und dann.“
„Dann wird er gelesen und weitergereicht und redigiert und weitergereicht und eingestuft und weitergereicht und…“
„Und dann?“
„Dann interessiert es keinen mehr, was drin steht.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir bleiben hier bis alles aufgeräumt ist und dann bringen wir das gesamte Botschaftspersonal zum Hofe von Gouverneur Steinbeck, soll der sich um sie kümmern.“
„Das wird ihm nicht gefallen.“
„Tja“, grinste Hansen, „dann wird er endlich mal sehen, wie das so ist!“