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Gegner des Imperiums

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„Wir haben eine Aufgabe für Sie“, sagte Admiral Verhoeven, als er die KKS Nova betrat. Cortez schwebte mit seinem Schiff neben einem gigantischen Jägerträger des Imperiums und Jordan, sein jüngster Offizier, der nie zuvor aus den Randgebieten des Imperiums herausgekommen war, verbrachte jede freie Minute, um vom Aussichtsdeck das riesige Schiff zu bestaunen. Und freie Minuten hatte es genug gegeben, denn seit die „Sicherheitskonferenz“, wie es der Admiral genannt hatte, zuende war, hatten sie nichts zu tun gehabt. Außer Warten. Doch das schien nun, so hoffte Cortez wenigstens, vorbei zu sein.

„Und was für eine Aufgabe ist das?“

„Eine langwierige Aufgabe. Am Rand des Imperiums.“

„Ich kehre also zu meiner kleinen Provinz zurück?“

„An einem anderen Rand des Imperiums!“ Verhoeven ließ sich am Konferenztisch nieder und schaltete den Holoprojektor ein. „Wissen Sie, wie es um die wissenschaftlichen Missionen des Imperiums bestellt ist?“ fragte er dann.

„Gibt es welche?“

„Oh, Sie wissen es also.“ Verhoeven lächelte. „Ja, die Wissenschaft ist in den letzten tausend Jahren ein wenig zu kurz gekommen. Nicht, dass wir nicht die Zeit gehabt hätten, aber wir… nun, wir waren wohl etwas paranoid, wie Sie es so schön ausgedrückt haben.“

„Aha“, nickte Cortez.

„Wir… sagen wir, es gibt noch immer Dinge, die uns davon abhalten, als Forscher hinaus ins All vorzudringen, so, wie es unsere Vorfahren getan haben. Nach der Entstehung des Imperiums gab es Dinge, die das verhindert haben – und die uns noch immer begleiten.“

„Sehr kryptisch.“

„Danke.“ Der Admiral lächelte wieder. „Keine Sorge, falls die Zeit kommt, werden Sie Antworten auf Ihre Fragen bekommen. Vielleicht nicht auf all Ihre Fragen, aber doch bestimmt auf die eine oder andere.“

Falls die Zeit kommt?“

„Ja. Ich kann und will Ihnen nichts versprechen. Möglicherweise kommt diese Zeit und möglicherweise kommt sie nicht. Wir werden sehen. Bis es soweit ist, haben wir jedoch eine Mission für Sie.“ Verhoeven deutete auf die Karte der Galaxie. „Hier.“ Er vergrößerte einen Ausschnitt. „Ormond. Das ist der äußerste Rand des Imperiums in diesen Teil der Galaxis. Man kann es nichtmal als eine Provinz bezeichnen. Dort gibt es nichts, nur einen kleinen Außenposten.“

„Ziemlich weit weg von Zuhause.“

„Vom Imperialen Kern? Oder von Ihrem Zuhause?“

„Von beidem.“

„Ja, da haben Sie recht. Es gibt dort nur ein paar Gasriesen, auf denen das Imperium seinerzeit ein bestimmtes Gas abbauen wollte, doch das wurde dann durch die Ereignisse seiner Zeit aufgehalten. Das ist der einzige Grund, warum dieses System überhaupt als Teil des Imperiums angesehen wird. Wie Sie sehen, gibt es zwischen dem Kern und dort für tausende von Lichtjahren keinen anderen Planeten, den wir beanspruchen.“

„Woher dann das neuerliche Interesse? Sie wollen doch nicht wieder mit dem Gasabbau anfangen, oder?“

„Sie sind ein cleverer Bursche“, meinte der Admiral erfreut. „Nein, das wollen wir nicht. Aber wir ziehen in Erwägung, unser Wissen über die Galaxie zu erweitern. Natürlich sind in den Kaiserlichen Archiven alle Sonnensysteme verzeichnet, es gab da vor vielen Jahren eine Zusammenarbeit mit anderen Völkern, durch die eine recht genaue und überraschend detaillierte Karte der Galaxie entstanden ist. Aber es gibt auch noch ein paar Grauzonen.“

„Die ‚Grauzone’?“

„Andere Grauzonen.“ Verhoeven deutete auf ein paar Bereiche der Karte, die ein wenig gräulich und leer wirkten. „Gebiete wie diese Sektoren hinter Ormond, bei denen uns nähere Informationen fehlen. Wir wollen das jetzt nachholen und dafür brauchen wir eine Station, von der wir unsere Missionen in die Tiefe des Raumes starten können.“ Verhoeven deutete auf einen Planeten. „Hier haben wir eine Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre, deshalb wollen wir hier unsere Basis aufbauen, unser Sprungbrett zu den Sternen.“ Der Admiral legte den Kopf schief. „Zu blumig?“

„Ein bisschen.“

„Nun, für den Senat muss es gut klingen, deshalb bedienen wir uns da einer blumigeren Sprache als in unseren militärischen Briefings.“ Er drückte ein paar Tasten und die Hologramme von ein paar Raumschiffen erschienen. „Wir haben zwei Jägerträger umgerüstet. Sie tragen nur die Hälfte an Jägern, die anderen Landerampen können für zivile Zwecke genutzt werden. Diese beiden Träger werden eine Art behelfsmäßige Raumstation darstellen. Sie sind derzeit zusammen mit ein paar anderen Schiffen vor Ort und erbauen eine weitere Station auf der Planetenoberfläche.“

„Wofür brauchen Sie mich dann?“ wollte Cortez wissen. „Ich habe mit dem Aufbau von Stationen keinerlei Erfahrung.“ Oder wollte man ihn als Verbindungsschiff zwischen dem nächstgelegenen Planeten des Imperiums und dem Außenposten benutzen? Das musste es sein. Er würde Monate damit verbringen, zwischen den beiden Orten hin und her zu pendeln.

„Das wäre, wie bereits gesagt, Verschwendung.“ Der Admiral tippte wieder etwas ein und einige Sektoren, die sich an den des neuen Außenpostens anschlossen, erschienen. „Sehen Sie, wir haben ein paar Sonden ausgesandt. Eine ganze Menge, um genau zu sein.“ Er deutete auf einige Systeme, die grün markiert waren. „Es gibt dort ein paar Völker, mit denen wir vor vielen Jahren einmal Kontakt hatten. Hier und dort und dort.“ Er gab wieder etwas ein und ein mehrere tausend Lichtjahre langer und breiter Bereich wurde markiert. Er schien weit größer zu sein als das Imperium und zog sich über einen Großteil dieses Spiralarms der Galaxis.

„Was ist das?“ fragte Cortez.

„Das ist das Rätsel, das Sie lösen sollen!“

Cortez betrachtete die Karte eingehend. Er vergrößerte, verkleinerte wieder und schüttelte den Kopf. Es mussten hunderte von Systemen sein. „Und sie sind alle tot?“ fragte er.

Admiral Verhoeven nickte. „Das zeigen unsere Sonden jedenfalls an. In diesem Korridor, den Sie da sehen, wurde das Leben auf allen bewohnbaren Planeten ausgelöscht. Die Sensordaten zeigen uns an, dass es keine natürliche Katastrophe war. Alle Planeten wurden scheinbar bewusst zerstört. Aber wir wissen nicht von wem oder warum.“

„Was ist mit deren Nachbarn?“ Der Captain deutete auf die grün markierten Bereiche. Sie alle befanden sich weit von der Todeszone entfernt.

„Die halten sich fern, wie es scheint. Und sie haben uns nie etwas über diesen Bereich gesagt, auch als wir noch miteinander in Verbindung standen. Oder als die Karte erstellt wurde.“

„Merkwürdig“, murmelte Cortez und betrachtete weiterhin die Karte. „Sehr merkwürdig.“

„Das fanden wir auch. Deshalb waren wir auch der Ansicht, wir sollten diese Sache untersuchen, bevor wir… noch weiter in die Galaxie eindringen.“

„Und dafür schicken Sie mich dahin.“

„Das war der Plan, ja.“

„Da bin ich schön weit weg vom Imperium.“

„Sind Sie das in Ihrer Provinz nicht auch?“

„Nicht so weit.“

„Da haben Sie vielleicht recht.“ Verhoeven lächelte wieder. „Meinen Sie, wir schicken Sie weg, damit Sie keinen Schaden anrichten?“

„Oder damit ich nicht wieder zurückkomme?“

„Glauben Sie, da gäbe es einfachere Wege. Aber ja, nicht allen Admirälen hat Ihre forsche Art gefallen. Insofern ist dies eine Lösung, die alle zufrieden stellt.“

„Mich auch?“

„Ich fürchte, das war den Admirälen nicht ganz so wichtig. Aber ich könnte mir vorstellen, dass eine solche Aufgabe für Sie durchaus interessant sein könnte. Und außerdem haben Sie Erfahrungen damit, autonom zu arbeiten. Sie sind der perfekte Mann für den Job. Also, nehmen Sie ihn an?“

„Habe ich eine Wahl?“

„Eigentlich nicht.“

„Dann wissen Sie, wie meine Antwort lautet.“

„Das freut mich sehr.“ Der Admiral erhob sich. „Morgen treffen noch ein paar Wissenschaftler mit Ausrüstung ein. Und Sie bekommen noch Material für die Basis.“ Verhoeven reichte Cortez die Hand. „Ich denke, Ende der Woche können Sie sich auf den Weg machen.“

Sie würden mehrere Monate unterwegs sein – und dann noch einmal mehrere Monate für ihre Mission. Während sie sich auf den Abflug vorbereiteten, stapelten sich in den Korridoren der Nova Kisten. Jeder mögliche Platz wurde genutzt, die Lagerräume bis zum Bersten gefüllt, selbst ein komplettes Hangardeck wurde mit Geräten und Kisten voll gestellt. 20 Wissenschaftler kamen an Bord. Es waren größtenteils Biologen und Geologen, aber auch ein paar Linguistiker, falls man fremde Sprachen übersetzen musste. Keiner, das hatte Admiral Verhoeven ihm vorher gesagt, würde über ihre Mission bescheid wissen – nur er selbst. Und Cortez bezweifelte, dass man ihm alles gesagt hatte, was man wusste.

Als sich die Nova auf den Weg machte, konnte man sich nur noch mühsam durch ihre Gänge zwängen. Alle Besatzungsmitglieder hatten die Zeit gehabt, ihre Familien zu informieren, dass sie auf eine längere Tour gehen würden – mehr konnten sie nicht sagen, weil sie nicht mehr wussten. Auch das war ein Zeichen für die Paranoia, die Cortez schon öfter im Imperium bemerkt hatte. Man verschwieg Dinge, man sagte nicht, wohin man ging und wen man dort traf. Dieses Verhalten schien in ihnen verwurzelt zu sein, denn einen Grund, einen persönlichen Grund hatte es nicht. Sie lebten in Frieden, seit mehr als tausend Jahren. Mit Ausnahme dessen, was Cortez als einen Putschversuch interpretierte, war es zu keinerlei Auseinandersetzungen gekommen. Und doch bestand der Großteil des Imperiums aus Soldaten. Es gab Künstler, Musiker, Schauspieler im Imperialen Kern und Bauern auf den Landwirtschaftswelten, aber es gab auch tausende von Piloten, Kanonieren, Navigatoren – und abertausende von Kriegsschiffen. Die drei inneren Welten des Imperiums waren von mehreren gigantischen Verteidigungskreisen umgeben. Und es mussten gigantische Kreise sein, denn der Weltraum war bekanntermaßen dreidimensional. Da reichte es nicht, eine Linie um etwas zu ziehen, da musste man quasi eine Kugel um etwas herum bauen. Und wenn man drei mehrere Lichtjahre voneinander entfernt liegende Sonnensysteme umspannen wollte, brauchte man dafür eine ganze Menge Material. Dort, im Äußeren Ring, musste es also tausende von Kriegsschiffen und Millionen, wenn nicht gar Milliarden von Satelliten und Minen geben – und in den Ringen, die die jeweiligen Planeten umspannten, ebenfalls. Ein Aufwand, der nur von einer Vergangenheit begründet sein konnte, die man ihnen vorenthielt. Nun, da war sich Cortez sicher, die Antwort darauf, was sich dahinter verbarg, würde er auf dieser Reise sicher nicht bekommen.

Monate nachdem sie gestartet waren erreichten sie endlich ihr erstes Ziel. Zwei riesige Jägerträger schwebten majestätisch im Orbit um einen Okkafarbenen Planeten, und es schien einen regen Verkehr zwischen ihnen und der Planetenoberfläche unter ihnen zu geben. Ein nicht enden wollender Schwarm kleiner Schiffe kam und flog ab, ein Schauspiel, das den jungen Jordan einmal mehr auf dem Aussichtsdeck gefangen hielt. Die Nova koppelte an einen der Träger an und dann konnte damit begonnen werden, all die Kisten hinüber auf das andere Schiff zu befördern. Es würde Tage dauern.

„Captain Cortez?“ fragte der Admiral des Jägerträgers, als der Captain ihre Brücke betrat.

„Ja. Admiral Hoffman?“

„Richtig.“

Die beiden reichten sich die Hand.

„Sie haben eine lange Reise auf sich genommen, nur, um uns zu besuchen.“

„Ich habe Ihnen auch eine Menge Geschenke mitgebracht.“

„Das ist sehr nett von Ihnen.“

„Aber ich nehme an, Sie wissen, dass ich nicht nur hier bin, um Ihnen Nachschub zu liefern?“ fragte Cortez vorsichtig. Er war sich nicht sicher, wer nun genau von den Entdeckungen der Sonden wusste und wer nicht. Gut möglich, dass man die Kommandantin der beiden Träger im Dunkeln darüber ließ, neben was für einer potentiellen Gefahr sie hier möglicherweise ihre Zelte aufgeschlagen hatte.

„Ja. Kommen Sie doch bitte in mein Büro.“ Die Admiralin führte Cortez in einen großen Raum, der im Notfall auch als Ersatzkommandostand genutzt werden konnte. „Ich habe neue Daten für Sie.“ Hoffman öffnete ein Hologramm und deutete auf eine rot markierte Region. „Wir können Ihnen jetzt genau sagen, von wo bis wo sich dieses Feld der Zerstörung erstreckt.“

Cortez wusste nicht, ob ihn das beruhigen sollte. Er sah sich die Karte an. Es war groß, wirklich groß, und schlug eine breite Schneise durch den kompletten Spiralarm der Galaxie. Der Captain deutete auf ein paar kleine, grüne Flecken. „Bewohnte Systeme?“

„Ja. Sie scheinen davon nicht betroffen zu sein.“

„Wieviele kennen wir davon?“

„Ein paar.“ Hoffman deutete auf ein System, das ihnen relativ nah lag. „Das hier sind die Maburi. Mit denen haben wir seit mehr als tausend Jahren diplomatische Verbindungen.“

„Und die haben das nie erwähnt?“

„Nein, das haben sie nicht.“

„Aber sie wissen davon?!“

„Das weiß ich nicht.“ Die Frau hob die Schultern. „Sie haben es nie erwähnt, soviel ist sicher. Und uns ist es erst vor ein paar Monaten aufgefallen. Sonst hätten wir sie sicher danach gefragt.“

„Schon klar“, murmelte Cortez. „Das werde ich dann wohl tun müssen.“ Er sah sich das Feld der Zerstörung intensiv an – eine Beschäftigung, mit der er sich die Zeit auf dem Flug hierher vertrieben hatte. Er kannte sich inzwischen sehr gut in diesem Gebiet aus, wusste, wo welches System lag und welche Nachbarn, die offenbar nicht von dieser Katastrophe oder was immer es gewesen war, betroffen waren, ihnen bekannt waren. Er hatte sogar soviel Zeit mit dieser Karte verbracht, dass er im Kopf mögliche Kurse geplant hatte, auf denen er das Gebiet erkunden und nebenbei noch bei den Nachbarn vorbeischauen konnte, um diese nach Informationen zu befragen. Es würde eine lange und umfangreiche Reise werden, soviel stand fest. Und, falls das, was für diese Zerstörung verantwortlich war, noch existierte, vielleicht sogar eine sehr gefährliche. „Können Sie mir sonst noch was sagen?“

„Leider nicht. Mein Fachgebiet ist mehr der Aufbau von neuen Stützpunkten.“

„Dann wünsche ich Ihnen damit viel Erfolg.“ Cortez reichte der Admiralin die Hand. „Ich mache mich auf den Weg, sobald wir entladen haben.“

„Viel Glück, Captain.“

„Danke, Admiral. Mal sehen, ob ich es brauche!“

Es war an der Zeit, die Crew über ihre Aufgabe zu unterrichten. In einer Ansprache teilte Cortez seiner Besatzung mit, was ihre Mission war. Dann versammelte er eine kleine Gruppe von Offizieren und Wissenschaftlern im Planungsraum. Auf dem Hologramm ihrer Sternenregion deutete er auf den rot markierten Planeten, der ihnen am nächsten war.

„Das hier wird unser erstes Ziel sein“, sagte er. Das System, das die Karte als „Gunli“ angab, befand sich weit entfernt vom nächsten betroffenen Planeten, was Cortez zu zwei möglichen Schlussfolgerungen brachte: Entweder hatte es hier angefangen oder es hatte hier aufgehört. Er schloss aber nicht aus, dass beide Möglichkeiten falsch waren. Vielleicht würden sie dort Antworten finden? Wahrscheinlicher war aber, dass sich dort nur noch mehr Fragen auftun würden. Er sollte recht behalten.

„Wenn ich das richtig sehe“, meinte Dr. Doyle, dessen Fachgebiet die Entwicklung von Völkern und Kulturen war, „dann war das eine Zivilisation, die noch nicht einmal den Raumflug erfunden hatte.“

Das war leider nur eine grobe Vermutung, da sich ihnen bei ihrer Ankunft ein Bild des Schreckens geboten hatte. Der gesamte Planet war tot, das hatten die Sonden bereits gezeigt, aber eine genaue Untersuchung ergab, dass es für diesen Tod offenbar zwei Gründe gab. Eine Art Virus schien alles Leben auf dem Planeten vernichtet zu haben. Doch darüber hinaus hatte man die gesamte Oberfläche aus dem Weltraum bombardiert…

„…fast so, als wollte man keine Spuren hinterlassen“, murmelte Doyle.

„Keine Spuren von was?“

„Davon, was man hier angerichtet hat.“ Doyle deutete auf die Bilder des Planeten. Sie waren von einer ferngesteuerten Sonde aufgenommen, die man auf die Planetenoberfläche geschickt hatte. Sie lieferte noch immer Daten, Daten, die beunruhigend waren, über Restbestände eines Virus in den Restbeständen einer Atmosphäre, die dieser Planet einmal gehabt hatte. Bevor man ihn vernichtet hatte. Eine bemannte Mission auf den Planeten würde es nicht geben, das stand fest.

„Sie meinen das Virus?“

„Ja.“ Doyle nickte.

„Sie meinen, man hat erst dieses Virus geschickt, das alles Leben vernichtet hat, und dann hat man den Job beendet, indem man den Planeten verbrannt hat?“

„Damit keine Spuren, keine Hinweise darauf zurückbleiben, was man hier angerichtet hat.“

„Interessante Theorie“, nickte Cortez. Dann dachte er nach. „Es ist also nicht möglich, dass das Virus nicht nur alles Leben zerstört hat, sondern auch noch eine andere Funktion hatte?“

„Eine andere Funktion? Was denn für eine?“

„Könnte es die Bewohner des Planeten wahnsinnig gemacht haben? Dass sie alle ihren Verstand verloren und die weitere Zerstörung selbst angerichtet haben?“

„Das…“ Doyle hob die Schultern. „Das wäre durchaus möglich.“

„Ja.“ Cortez nickte. „Aber unbedeutend. Irgendjemand hat ein tödliches Virus eingesetzt – und wir sollten herausfinden, wer.“

„Dann ist unser Ziel also der nächste zerstörte Planet?“

„Nein, unser nächstes Ziel sind die Maburi. Ich bin mal gespannt, was die uns so zu erzählen haben.“

Der Empfang der Maburi war recht frostig. Sie hatten den Kurs des Imperialen Schiffes verfolgt und wussten sehr genau, woher es kam. Noch bevor die Nova in das Gebiet der Maburi eindringen konnte, wurde sie von einer kleinen Armada aus Kampfschiffen abgefangen. Der Botschafter der Maburi meldete sich per Hologramm.

„Imperiales Schiff Nova, wir sind sehr erfreut, dass Sie Interesse an unserem Volk zeigen, aber wir dürfen Ihnen leider nicht erlauben, tiefer in unseren Raum einzudringen. Bitte haben Sie Verständnis dafür.“

„Ich bin Captain Marco Cortez. Darf ich fragen, warum Sie uns die Einreise verweigern?“ fragte Cortez, der eine ziemliche genaue Vorstellung hatte, was der Grund dafür sein könnte.

„Ich möchte das über Funk nicht erörtern“, meinte der Botschafter kurz.

„Dann darf ich also zu Ihnen an Bord kommen?“

„Nein“, kam es entschieden zurück.

„Dann möchten Sie also zu uns Bord kommen?“

„Nein!“

„Ich fürchte, dann werden wir das über Funk erörtern müssen“, schloss Cortez und ließ sich auf seinem Kapitänssessel nieder. „Ich nehme an, Sie haben bemerkt, dass wir eine Welt besucht haben, die von einem Virus zerstört worden ist.“

„Und wir befürchten, dass Sie dieses Virus in unsere Welt einschleppen könnten“, gestand der Botschafter, überraschend offen, wie Cortez fand. Aber immerhin, das sparte Zeit und langes Drumherumgerede.

„Das dachte ich mir schon“, meinte er. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir keine Absicht haben, Sie zu infizieren. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier: Um zu erfahren, was Sie uns über das sagen können, was dort passiert ist.“

„Auf diesem Planeten…“

„Auf all diesen Planeten“, korrigierte Cortez. „Ich gehe davon aus, dass Ihr Volk sich dessen bewusst ist. Ich weiß, dass Sie sich dessen bewusst sind, weil Sie uns sonst jetzt nicht die Einreise verweigern würden. Also, was können Sie uns sagen?“

„Ich muss das mit meiner Regierung abklären.“

Cortez nickte. „Wir warten hier, bis Sie Ihre Antwort haben.“

Sie mussten nicht lange warten, jedenfalls nicht für diplomatische Verhältnisse. Nach drei Stunden meldete sich der Botschafter wieder. Er übermittelte eine Sternkarte, in der alle betroffenen Systeme eingezeichnet waren. Sie stimmte mit den Daten überein, die ihnen die Sonden bereits geliefert hatten. Aber sie gab ihnen auch eine Information, die sie bislang nicht gehabt hatten. „Delbianisches Reich“ stand dort. Das war nicht viel, aber immerhin etwas.

„Es tut mir leid, wenn wir so schroff reagiert haben“, entschuldigte sich der Botschafter, als er sich das nächste Mal meldete. „Dieses Gebiet, in das Sie reisen… wir haben Respekt davor. Wir meiden es. Alle unsere Schiffe, alle Völker, die um dieses Gebiet herum leben, wir alle meiden es.“

„Warum?“

„Weil wir wissen, dass es gefährlich ist. Dort lauert der Tod.“

„Die Viren.“

„Wie auch immer Sie es nennen mögen, es ist der Tod. Wir, unsere Völker, wir wissen davon, seit wir hinaus in den Weltraum gereist sind“, fuhr er fort. „Was dort passiert ist, ist vor Urzeiten passiert. Auf unseren Welten spricht man von einem großen Delbianischen Reich, das einst große Teile der Galaxie beherrscht haben soll. Es sind Mythen, weil all dies vor langer, langer Zeit gewesen ist. Das Delbianische Reich reichte bis in unsere Nähe. Es soll groß und reich gewesen sein, doch dann ist etwas Schlimmes passiert und der Tod brach über das Reich herein. Innerhalb weniger Jahre wurde das ganze Reich ausgerottet und verschwand.“ Der Botschafter deutete hinaus in den Weltraum. „Das, was Sie dort draußen sehen, das Gebiet, das Sie bereisen wollen, es war dereinst das Delbianische Reich. Das einzige, was Sie dort finden werden, ist Tod.“

Das klang, fand Cortez, nicht besonders reizvoll.

Sie machten sich auf den Weg in das Gebiet, das möglicherweise einmal das Delbianische Reich gewesen war. Die Schiffe der Maburi folgten ihnen noch ein Weilchen im sicheren Abstand, dann machten sie kehrt und flogen zu ihrer Heimatwelt zurück.

Cortez saß auf der Brücke und dachte nach. Er hatte einen Kurs berechnet, der sie direkt zum nächsten betroffenen Planeten brachte. Von dort an lagen die betroffenen Systeme alle dichter beieinander. Ein Reich. Ein Reich, das viele Sonnensysteme umspannte. Aber wie passte da der Planet rein, den sie als erstes besucht hatten? Gunli, eine Zivilisation, die den Raumflug noch nicht erfunden hatte? Wie konnte sie Teil eines Reiches sein? Oder hatte sich das „große und noble“ Delbianische Reich vielleicht eine Kultur unterentwickelter Sklaven gehalten? Hatte es Wesen von primitiven Welten aufgelesen und für sich schuften lassen? Da er bislang von diesem Reich nichts wusste, außer, wie es geheißen hatte, war alles möglich. Und von der Welt selbst wusste er eigentlich auch nichts, denn „Gunli“ war das maburische Wort für „tot“.

Sie würden gut drei Wochen unterwegs sein, bis sie den nächsten Planeten erreichten. Cortez hatte erwogen, danach vielleicht einen kleinen Abstecher zu den KlenN zu machen, einem Volk, das ebenfalls in der Nähe dieser Todeszone wohnte, aber nach dem warmen Empfang der Maburi rechnete er nicht damit, dass die KlenN anders reagieren würden. Tatsächlich erreichte das Schiff, kurz bevor sie den nächsten toten Planeten erreichten, eine Nachricht von KlenN, in der der Botschafter dieses Volkes sagte, die Maburi hätten ihnen von der Mission der Nova berichtet und man würde ihr das Eindringen in das Hoheitsgebiet der KlenN untersagen. Sie hätten keine weiteren Informationen, die der Nova und Kapitän Marco Cortez weiterhelfen würden, da sie dieses Gebiet mieden, schickten ihnen jedoch als Zeichen guten Willens die Daten, über die sie verfügten. Cortez hatte das unbestimmte Gefühl, dass er im Laufe der Zeit ähnliche Mitteilungen von allen Völkern rings um die Todeszone bekommen würde – und er sollte auch diesmal recht behalten.

Das Bild des Schreckens, das sie beim nächsten Planeten erwartete, ähnelte sehr dem, das sie schon einmal gesehen hatten. Ein Virus hatte alles Leben zerstört, Pflanzen, Tiere, intelligente Lebensformen. Und auch hier hatte man, als ob das nicht schon gereicht hätte, mit einem flächendeckenden Bombardement alles zu vernichten versucht, was auf dieses Virus hindeuten könnte. Auch hier hatte man versucht, die Atmosphäre komplett zu verbrennen. Aber es gab einen Unterschied: diese Welt war auf einem höheren Entwicklungsstand. Hatte „Gunli“ noch nicht den Raumflug gemeistert, so deutete hier auf „Delbia 1“, wie sie es nannten, alles darauf hin, dass die Bewohner nicht heimisch auf diesem Planeten gewesen waren, dass sie hier gesiedelt hatten. Das, was sich anhand der Daten, die die unbemannten Sonden lieferten, sagen ließ, war, dass die genetischen Muster der intelligenten Spezies nicht mit denen der Flora und Fauna übereinstimmten. Es waren Siedler gewesen, Teil des Delbianischen Reiches, wie Cortez annahm. Es gab Strukturen, die auf Raumhäfen hindeuteten, Flugplätze, große Städte, Millionen von Einwohnern.

Je mehr dieser toten Welten sie besuchten, umso öfter wiederholte sich dieses Bild. Das, was von der Architektur noch erkennbar war, war ähnlich. Die Satelliten, die man nicht aus der Umlaufbahn geschossen hatte, wiesen alle dieselben Hoheitszeichen auf, waren aus demselben Material gefertigt. Sie waren alle zerstört und boten ihnen keinerlei Informationen, nur einen Einblick, einen Hinweis darauf, dass diese Planeten alle demselben Reich angehört hatten.

„Was wissen wir?“ fragte Cortez in die Runde.

„Nichts.“ Doyle schüttelte den Kopf.

„Über das Delbianische Reich?“

„Nur die Gerüchte, die uns die Völker…“

„…die uns alle davor warnen, uns ihnen zu nähern…“

„…zusenden. Gerüchte. Es gab ein Reich, vor vielen Jahrtausenden, lange, bevor es die Menschheit gab. Es hieß das Delbianische Reich. Es umfasste das Gebiet, das wir jetzt als ‚Todeszone’ bezeichnen. Was wir gefunden haben, scheint diese Geschichte zu bestätigen.“

„Sie haben recht“, stimmte Cortez zu, „wir wissen nichts! Es gab dieses Reich und dann wurde es zerstört. Wir wissen nicht, von wem und wir wissen nicht, warum.“ Und das war verdammt frustrierend.

Sie reisten weiter und weiter. Wo immer sich ein Außenposten, eine Kolonie, eine Welt des Delbianischen Reichs befunden hatte, sie war zerstört worden. Und immer dasselbe Bild: Viren und Feuer. Es ergab wenig Sinn, fand Cortez. Oder… ergab es einen Sinn? Er sah aus dem Fenster und kratzte sich am Kinn. Vor ein paar Minuten war er aufgewacht. Er schlief sehr schlecht, seit sie die Todeszone durchflogen. Es war weniger die Gefahr, die ihn um den Schlaf brachte, als vielmehr das Grübeln darüber, was hier passiert sein mochte. Doch jetzt hatte sich ein Gedanke aus dem Unterbewusstsein herauf gearbeitet, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Was, wenn das ganze durchaus Sinn ergab? Es sah so aus, als würde das Virus sehr gut funktionieren und alles Leben auf einem Planeten auslöschen, also wozu auch noch das Bombardement? Mehrere Möglichkeiten taten sich vor ihm auf. Vielleicht wollte man die Bevölkerung des Reiches demotivieren? Also bombardierte man sie. Anschließend, nachdem man alle in Angst und Schrecken versetzt hatte, ließ man das Virus los und tötete alle.

…und tötete alle!

Was, wenn das der eigentliche Grund war? Was, wenn das das eigentliche Ziel gewesen war? Eine Stammesfehde? Oder eine ethnische Säuberung? Vielleicht hatte man die Planeten mit herkömmlichen Waffen angegriffen und hatte gemerkt, dass man damit nicht zu dem erhofften Ziel kam? Also setzte man das Virus ein, um radikal alles Leben auszurotten.

Nein. Soviel Sinn ergab das bei näherer Betrachtung doch nicht. Wenn man eine so starke Waffe besaß, warum setzte man dann auch noch die Bomben ein? Und vor allen Dingen hatte man die Bomben erst eingesetzt, nachdem das Virus bereits alles Leben ausgelöscht hatte.

Ausgelöscht!

Vielleicht war das die Antwort, die Antwort, die er gesucht hatte, aber nun nicht unbedingt hören wollte? Vielleicht hatte jemand einen so starken Hass auf das Delbianische Reich gehabt, dass er es komplett auslöschen, aus der Geschichte, dem Universum tilgen wollte?! Das wäre eine Erklärung. Aber es wäre eine Erklärung, die furchtbar und erschreckend war. Denn sie legte nahe, dass dieser Jemand noch immer irgendwo dort draußen war!

Sie verbrachten die nächsten Monate damit, alle betroffenen Systeme anzufliegen und intensive Aufzeichnungen anzufertigen. Etwa im Kern der Region fanden sie einen Planeten, von dem sie annahmen, dass es die Heimat und der Sitz der Delbianer gewesen war. Vieles deutete darauf hin. Es gab Ruinen, die weit älter waren als alle, die sie auf den anderen Planeten entdeckt hatten. Es gab Trümmer von Raumstationen, riesigen Festungen, die man nach der Zerstörung auf die Oberfläche des Planeten hatte stürzen lassen. Doch auch hier war das Bild ähnlich dem, das sie auch auf den anderen Welten vorgefunden hatten.

Sie waren in der Lage, einen alten Satelliten, der nicht vollkommen zerstört war und in einem festen Orbit um den Planeten trieb, wieder teilweise in Gang zu setzen. Es war nicht viel, was sie aus ihm herausholen konnten. Bruchstücke einer Sprache, die sie nicht verstanden. Vielleicht war es nur eine Werbebotschaft. Ein Brief nach Hause. Oder eine Einkaufsliste. Aber es war alles, was sie auftreiben konnten. Die Planetenoberfläche war hier, wie auf allen Planeten des Delbianischen Reiches, weitestgehend zerstört.

Sie zogen weiter und erreichten irgendwann das andere Ende der Todeszone. Eine kleine Armada von Schiffen erwartete sie dort, nicht im Bereich der Zone, aber in Sensorreichweite. Ihre Reise hatte sich herumgesprochen, die Völker, die um die Zone herum lebten, sie aber nie betraten, hatten Informationen miteinander ausgetauscht. Die Flotte, die sie nun erwartete, schien aus Schiffen von vier verschiedenen Rassen zu bestehen. Man wusste, dass sie da waren, man hatte sie erwartet und man wollte verhindern, dass sie den Tod in eine der lebendigen Welten brachten.

„Nettes Empfangskomitee“, murmelte Cortez.

„Was sollen wir jetzt tun, Captain?“ wollte Jordan aufgeregt wissen.

„Nun, ich würde sagen, wir sind sicher vor denen, solange wir die Zone nicht verlassen.“

Jordan atmete auf.

„Nehmen Sie Kurs auf die Schiffe.“

„Was?“ Der junge Offizier sah den Captain erschrocken an.

„Wir sind hier, um Informationen zu sammeln. Vielleicht können die uns ja welche geben.“ Er deutete auf die Schiffe, die auf dem Hauptbildschirm als kleine Umrisse angezeigt wurden. „Aber halten Sie ein wenig Abstand. Es reicht, wenn wir mit ihnen sprechen, wir müssen nicht auch noch in Schussweite kommen.“

„Ja, Sir“, lächelte Jordan und berechnete den Kurs.

„Sie sind weit weg von zu Hause“, „begrüßte“ sie der offensichtlich gewählte Vertreter des Empfangskomitees. Oder war es eine Jagdgesellschaft, die hierher gekommen war, um ihre Beute zu erlegen? Oder waren es die Kammerjäger, die sicher gehen wollten, dass sich die Plage nicht ausbreitete? Es gab viele Möglichkeiten.

„Ja“, bestätigte Cortez. Auf dem Schirm vor ihm sah man vier unterschiedliche Wesen. Er hatte mal Bilder von ihnen gesehen, alte Bilder. Der Kontakt zu fremden Rassen war größtenteils abgebrochen, außer in höchsten diplomatischen Kreisen gab es kaum Verbindungen. Kaum ein Mensch im Imperium hatte mal einen Außerirdischen, so die alte Bezeichnung, die nicht mehr ganz zutreffend war, da seit Jahrtausenden kein Mensch auf der Erde geboren worden war und sie somit alle „Außerirdische“ waren, gesehen. Außer den Lamma, aber die nahm man kaum mehr als fremde Wesen wahr. Hier gleich vier unterschiedlichen Rassen auf einmal gegenüberzustehen war etwas ganz besonderes. Cortez fragte sich, ob er lange genug leben würde, um irgendjemandem davon zu erzählen. „Wir haben die Region, die hinter uns liegt, untersucht.“

„Das wissen wir.“

„Wir wollten wissen, was dort passiert ist.“

„Das wissen wir auch.“

Es tat so gut, sich mit wortgewandten Leuten zu unterhalten, seufzte Cortez im Geiste. Dann flackerte kurz ein Gedanke auf. Was, wenn er gerade seine Antwort gefunden hatte. Was, wenn er gerade den Grund für die Vernichtung des Delbianischen Reiches entdeckt hatte? Was, wenn diese vier Völker, was, wenn alle Völker, die um das Reich herum lebten, für dessen Untergang verantwortlich waren? Hatte man sich miteinander verschworen? Hatte das Reich nach ihnen gegriffen und sie hatten sich gewehrt? Und bereiste man die Region deshalb nicht, um nicht ständig an die alte Schandtat erinnert zu werden, an die Schande, ein komplettes Volk ausgelöscht zu haben?

„Sie meiden dieses Gebiet?“ fragte er.

„Ja.“

„Warum?“

„Weil es Tod bringt.“

Die Antwort kannte er schon.

„Ist das der einzige Grund?“

„Ja.“

Welch eine erschöpfende Antwort.

„Wir sind uns gewahr, dass Sie Informationen wünschen. Wir haben nicht viel. Wir meiden diese Region. Jedes Volk meidet diese Region.“ Das Wesen drückte etwas auf einem Gerät. „Wir übermitteln Ihnen, was wir wissen. Es sind Mythen unserer Völker.“

„Sie sind bei jedem Volk sehr ähnlich“, sagte nun ein anderes Wesen. „Es gab Geschichten über ein Reich.“

„Das Delbianische Reich“, fügte ein weiteres Wesen hinzu.

„In einer Zeit, als unsere Völker noch nicht weit entwickelt waren, kamen Reisende dieses Reiches zu uns.“

„Sie sprachen mit unseren Vertretern.“

„Und gingen wieder.“

„Sie sagten, sie würden wiederkehren, wenn wir bereit dafür wären.“

„Sie kamen nie zurück.“

„Aber sie hinterließen uns etwas.“

„Eine Art Buch.“

„Bei jedem unserer Völker.“

„Sie hinterließen uns allen dasselbe Buch.“

„Damit wir ihre Sprache lernen konnten.“

„Wenn wir bereit dafür wären.“

„Wir haben Ihnen dieses Buch übermittelt. Es ist alles, was vom Delbianischen Reich noch übrig ist.“

Doyle, der sich über die Kommunikationskonsole beugte, nickte. Die Daten waren da. Er leitete sie direkt an die Linguisten weiter.

„Unsere Völker haben nie wieder einen Vertreter der Delbianer gesehen.“

„Aber es gab Gerüchte.“

„Unsere Astronomen haben den Himmel beobachtet.“

„Aufgrund des Buches wussten wir, wo sich das Delbianische Reich befand.“

„Wir sahen dort Feuer.“

„In der gesamten Region.“

„Die Planeten brannten.“

„Die Sendungen, die wir von dort empfingen, sprachen von Tod und Zerstörung.“

„Wir haben Ihnen diese Sendungen ebenfalls übermittelt.“

„Viele, viele Monate.“

„Tod und Zerstörung.“

„Als wir bereit dafür waren, haben wir Sonden in dieses Gebiet geschickt, genau wie Sie.“

„Wir haben nur Tod und Zerstörung gefunden, genau wie Sie.“

„Wir wissen nicht, was passiert ist, wir wissen nur, dass wir diese Region meiden.“

Die vier Wesen verstummten.

Cortez dachte einen Moment nach. Dann nickte er. „Danke für Ihre Unterstützung. Wir werden die Daten, die Sie uns übermittelt haben, intensiv studieren. Und wir werden Ihre Hoheitsgebiete nicht verletzen.“

Die Wesen bedankten sich, dann wurde die Übertragung beendet.

„Und jetzt, Captain?“ fragte Jordan.

„Jetzt… machen wir uns auf den Heimweg!“

Sie flogen zurück durch die Todeszone, die einst das Delbianische Reich gewesen war. Cortez war froh, wenn sie sie endlich hinter sich lassen würden, aber er wusste, dass es für sie nur diesen einen Weg zurück gab. Würden sie die Zone verlassen, würde man sie aufhalten, da war er sich ziemlich sicher. Während sie die tausende von Lichtjahren, die das Gebiet umfasste, zurücklegten, arbeiteten die Wissenschaftler fieberhaft an der Übersetzung der Dokumente, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Außerdem wertete man die Daten aus, die man von all den zerstörten Planeten aufgezeichnet hatte. Schon in Kürze würde man bestimmen können, wann welcher Planet zerstört worden war und wo man zuerst das Virus eingesetzt hatte.

Man hatte inzwischen festgestellt, dass der erste Planet, den sie besucht hatten, Gunli, die primitive Welt ohne Raumfahrt, der einzige war, der nicht Teil des Delbianischen Reiches gewesen war. Er schien irgendwie nicht ins Bild zu passen. Wenn man es auf die Delbianer abgesehen hatte, warum hatte man dann auch ihn angegriffen? Es ergab, wie so vieles hier, keinen Sinn.

Die Aufzeichnungen, die die Völker von den Übertragungen der Delbianer gemacht hatten, waren größtenteils verstümmelt. Nicht so sehr verstümmelt wie die Sendung in dem alten Satelliten, aber trotzdem fern davon, vollständig zu sein. Das machte eine Übersetzung schwierig und es machte es schwierig, die Dinge in einen korrekten Kontext zu setzen. Kontext war das A und O bei einer Übersetzung, er konnte darüber entscheiden, ob eine Bemerkung ernst oder ironisch gemeint war. Er konnte entscheiden, welche Bedeutung ein Wort hatte, falls mehrere zur Verfügung standen. Ein Satz konnte lauten „Ich… lache… über dich“ und man würde daraus schließen, dass derjenige, der den Satz aussprach, auf sein Gegenüber herabblickte. Hieß der komplette Satz jedoch: „Ich bin in eine Wasserlache getreten und wünsch dir, dass über dich nie so ein Schicksal hereinbricht“, dann ergab sich ein vollkommen anderes Bild. Ohne den richtigen Kontext konnten selbst einzelne Worte unter Umständen falsch übersetzt werden.

Dennoch ergab das Bild, das sich nun langsam durch die Aufzeichnungen aufbaute, einen gewissen Sinn, einen anderen Sinn, als man vorher angenommen hatte. Hätte man erwartet, dass hier von Angreifern oder Invasoren die Rede war, so wurde man enttäuscht. Alles schien sich möglicherweise völlig anders ereignet zu haben. Es war von einer Seuche die Rede und von Warnungen. Eine Seuche war aufgetreten und sie breitete sich schnell aus. Sie sprang von einem Planeten zum nächsten und man hatte kein Gegenmittel – und man wusste nicht, wie man sie aufhalten sollte. Die letzten Worte, die letzten, die jemals vom Delbianischen Reich ausgesandt wurden, waren: „Seuche. Vernichten. Entscheidung. Leid.“ Verstümmelt und ohne genauen Kontext konnte das vieles bedeuten. Oder gar nichts.

Cortez kratzte sich am Kinn. Eine Seuche. War das möglich?

Die Analyse der Wissenschaftler, die sich mit den Aufzeichnungen der Sonden auseinandergesetzt hatten, schienen diese Theorie zu unterstützen.

„Es ist ein wenig merkwürdig“, meinte Walker, der Biologe. „Aber es sieht so aus, als wäre das Virus das erste Mal auf diesem Planeten aufgetreten.“ Er deutete auf einen Punkt nahe dem Kern des Delbianischen Reiches. „Von da aus hat es sich dann schnell über das ganze Reich verteilt.“

„Was ist mit den Bombardements?“

„Die haben offenbar erst viel später stattgefunden. Es ergibt keinen Sinn.“

Da war sich Cortez nicht so sicher. Genau genommen ergab es sogar eine Menge Sinn. Er drückte die Taste zur Sprechanlage. „Brücke, Mr. Jordan.“

Jordans Gesicht erschien auf dem Bildschirm.

„Ja, Sir?“

„Setzen Sie Kurs auf Gunli, den Planeten, den wir als erstes besucht haben.“

„Gunli?“ fragte Walker verwirrt. „Warum?“

„Um… eine Theorie zu überprüfen.“

Viel mehr fanden sie nicht heraus. Fest stand nur, dass das Virus, oder die Seuche, wie die Delbianer es genannt hatten, auf einem Planeten des Reiches aufgetreten war. Ob es ein natürliches Virus war, etwas, das aus dem Weltraum gekommen war oder eine biologische Waffe, ließ sich nicht feststellen. Das Virus verbreitete sich, bevor es entdeckt wurde. Es hatte eine hohe Ansteckungsrate und, wie sich herausstellte, eine hohe Todesrate. Wenn es einmal auf einer Welt angelangt war, verbreitete es sich rasend schnell, sprang von Wirt zu Wirt und war bereits mit einem Raumschiff auf dem Weg zu einem anderen Planeten, bevor man überhaupt wusste, dass man sich infiziert hatte. So wurde innerhalb kürzester Zeit das gesamte Reich, jede Welt, jeder Planet, infiziert. In der Zeit, die ihnen blieb, fanden die Delbianer kein Gegenmittel. Alle ihre Welten, Delbianer, aber auch Flora und Fauna, waren dem Untergang geweiht. Das Virus würde alles Leben im Delbianischen Reich töten, ohne jede Ausnahme.

Als sie Gunli, den kleinen Planeten am Rande der Zone, erreichten, den Planeten, der nicht dem Reich angehört hatte, ließ Cortez ihn nach etwas ganz bestimmten absuchen. Er fand genau das, was er vermutet hatte. Ein delbianisches Raumschiffwrack, das wahrscheinlich ein paar Delbianer beherbergt hatte.

„Und jetzt?“ wollte Hasford, sein erster Offizier, wissen.

„Berichten wir der Admiralität, was wir herausgefunden haben.“

Cortez nahm mit Admiral Verhoeven Verbindung auf, doch der meinte, ein Treffen wäre angebrachter. Man vereinbarte einen Treffpunkt in der Nähe des Äußeren Rings. Die Nova würde Monate brauchen, um dorthin zu gelangen, aber Verhoeven hielt es für sinnvoller, die Angelegenheit nicht über Funk zu besprechen. Statt noch einmal bei Admiral Hoffman, die mit dem Aufbau ihrer Basis offenbar sehr erfolgreich war, vorbeizuschauen, sollte man direkten Kurs auf das Herz des Imperiums nehmen. Cortez zuckte die Schultern. Etwas anderes hatte er auch eigentlich nicht erwartet.

Als sich die Nova Monate später dem Äußeren Ring näherte, wurde sie schon von einer Flotte von Schiffen erwartet. Jeder Admiral, der Rang und Namen hatte, so schien es, war hier aufgetaucht, um die neusten Informationen über eine Geschichte zu erfahren, die schon Jahrtausende zurück lag. Die Wissenschaftler gingen von Bord und Cortez wurde mit einem Shuttle der Admiralität auf einen der riesigen Jägerträger gebracht.

„Soviel Aufwand?“ fragte der Captain, als er wenig später dem Admiral gegenüber stand.

„Es ist eine wichtige Angelegenheit.“

„Wieso?“

„Glauben Sie, dass Sie schon weit genug sind, das zu erfahren?“

„Nun“, Cortez hob die Schultern, „wenn es das Anliegen der Admiralität ist, das Imperium in diese Region zu erweitern, dann…“

„Dann was?“

„Dann bin ich sicher, dass die Nachbarn nicht sehr erfreut wären.“

„Würden sie uns angreifen?“

„Da wär ich auch nicht sicher.“

„Sie drücken sich sehr kryptisch aus.“

„Vielleicht möchte ich Admiral werden.“

„Gut gekontert!“ grinste Verhoeven. „Also, was wollen Sie damit sagen?“

„Die umliegenden Völker meiden diesen Korridor. Sie haben Angst davor. Sie glauben, dass dort der Tod lauert.“

„Das ist doch eine gute Grundlage.“

„Nicht unbedingt. Sie glauben nämlich auch, dass jeder, der dort ist, den Tod mit sich bringt und sie würden jedes Schiff angreifen und zerstören, das aus der Todeszone zu ihren Planeten fliegt.“

„Ich verstehe. Ist das alles?“

„Das ist nur meine Einschätzung der aktuellen Lage. Aber ich nehme doch an, meine Aufgabe war es, herauszufinden, was dort vorgefallen ist.“

„Ja, das war Ihre Aufgabe.“

„Nun“, Cortez nahm am Sitzungstisch Platz. Die große Versammlung der Admirale musste offensichtlich noch ein wenig warten, Verhoeven wollte erst wissen, was es zu erfahren gab. „Wir können in manchen Bereichen nur Vermutungen anstellen. Und ich habe mir das eine oder andere zusammengereimt, aber ich kann mich durchaus irren.“

„Lassen Sie hören.“

„Der Korridor, den wir als die ‚Todeszone’ bezeichnen, wurde von dem Delbianischen Reich bewohnt. Dieser Planet“, Cortez deutete auf ein System im Herzen des Korridors, „war wahrscheinlich der Ursprungsort der Delbianischen Rasse, von dort aus haben sie im Laufe der Jahrhunderte die umliegenden Systeme kolonisiert.“

„Was hat sie zerstört? Gab es eine Invasion?“

„Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Wir wissen nur, dass auf einem ihrer Planeten ein Virus ausgebrochen ist, das sich schnell verbreitet hat. Es sprang von einem Planeten zum anderen und hat alles Leben vernichtet.“

„Ein Virus.“ Der Admiral legte die Stirn in Falten. „Ein Virus, das alles Leben zerstört hat?“

„Sehr effektiv.“

„Wozu hat man die Planeten dann bombardiert?“

„Ich glaube, man wollte verhindern, dass das Virus sich weiter ausbreitet und auch den Rest der Galaxie befällt. Also hat man versucht, alle Planeten, die infiziert waren, komplett zu zerstören, um damit auch das Virus zu zerstören. Offensichtlich haben sie erst zu spät bemerkt, dass alle ihre Welten betroffen waren, aber sie haben den Plan bis zum Ende ausgeführt – und damit ihr eigenes Reich und ihre eigene Rasse vernichtet.“

„Zum Schutz der Galaxie?“

„So sieht es aus.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Dieser Planet hier.“ Cortez deutete auf Gunli. „Er liegt außerhalb des Delbianischen Territoriums. Sie haben ihn auch vernichtet.“

„Wieso?“

„Ich nehme an, weil eine Gruppe Delbianer aus dem Reich geflüchtet ist. Sie wollten auf dieser Welt Zuflucht suchen. Wegen der Zerstörungen oder wegen des Virus weiß ich nicht. Aber sie waren zu spät. Sie haben das Virus auf diese Welt gebracht und damit den Planeten dem Untergang geweiht. Das Delbianische Bombardement sollte nur dafür sorgen, dass das Virus zerstört wurde.“

„Ein altruistisches Volk, das sich lieber selbst zerstört, als ihr Virus in der Galaxie verbreiten zu lassen?“

„Die Geschichte der anderen Völker deutet darauf hin. Die Delbianer haben sie besucht, haben sie aber nie versklavt oder ihrem Reich angeschlossen. Sie wollten sie wieder besuchen, wenn sie bereit dafür wären. Es ist also durchaus möglich, dass die Delbianer so altruistisch waren, dass sie lieber sich selbst opferten, als die Galaxie dem Tode preiszugeben.“

Verhoeven nickte beeindruckt. „Gute Arbeit, Captain. Ich weiß nicht, ob das die Admiralität freuen wird, aber wenigstens haben wir eine Antwort auf eine unserer Fragen. Und Sie wahrscheinlich auch.“ Der Admiral erhob sich und schlenderte zur Tür. „Ein Volk, das seine Welten zerstört, um einen Virus zu vernichten. Waren sie erfolgreich?“

„Halb.“

Er blieb stehen.

„Wie meinen Sie das, halb?“

„Sie waren mit ihrer Methode halb erfolgreich“, erklärte Cortez. „Keins der Völker aus der Umgebung traut sich in die Region, es hat sich also niemand infiziert und das Virus aus der Todeszone hinausgetragen.“

„Sehr gut.“

„Aber die Delbianer hatten keinen Erfolg damit, das Virus vollständig zu töten. Es ist sehr resistent – und es ist noch immer aktiv!“

Legenden des Imperiums

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