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Am Rande des Imperiums
ОглавлениеEs war ein herrlicher Anblick. Die Sonne, der blaue Planet unter ihm, der nun langsam immer kleiner wurde. Captain Cortez sah aus dem Fenster und seufzte. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass er diese Gegend, sein „Reich“, wie er es gerne nannte, für längere Zeit nicht mehr wieder sehen würde. Man hatte ihn nach Rom beordert, ins Herz des Imperiums, benannt nach einer großen Stadt auf einem fast vergessenen Planeten. Cortez war dort schon gewesen, in seiner Jugend, als junger Kadett. Nicht auf Rom selbst, aber im Zentrum des Imperiums, das aus mehreren Planeten im Kern der Galaxis bestand. Mehrere Planeten, die menschliches Leben beherbergen konnten und die für galaktische Verhältnisse nicht zu weit auseinander lagen. Dort hatte, so sagten es die Geschichtsbücher, sich die Menschheit niedergelassen und einen neuen Anfang gemacht, nachdem sie diesen Planeten namens Erde, von der sie stammte, verlassen hatte. Oder verlassen musste. Die Bücher drückten sich da nicht besonders klar aus, Cortez nahm an, dass das kein Zufall war. Hatte man die Erde verlassen müssen? Weil sie angegriffen worden war? War man hinaus ins All gezogen, um den Ursprungsort der eigenen Rasse zu schützen? Oder weil man sie zerstört hatte, diese Erde? Ausgebeutet, so dass man nicht mehr auf ihr leben konnte? In jungen Jahren hatte sich Cortez oft diese Fragen gestellt und in seiner Phantasie ausgemalt, was wohl passiert sein könnte. Fakt war jedoch, dass er es wahrscheinlich niemals erfahren würde. Die Erde war schon vor vielen Jahren verschwunden. Jedenfalls tauchte sie auf keiner Sternenkarte auf. Und, so sagte man, auch in den großen Archiven des Senats konnte man sie nicht finden. Sie war verloren gegangen. Sagte man. Cortez nahm an, dass man sie eher gelöscht hatte. Aus welchem Grund auch immer.
Er sah aus dem Fenster. In ein paar Minuten würden sie auf Hypergeschwindigkeit gehen. Derzeit krochen sie mit Lichtgeschwindigkeit von dem schönen, blauen Planeten weg. Lichtgeschwindigkeit, wie lächerlich. In seiner Kindheit hatte er viele von den Klassikern gelesen, Geschichten, die man in ihrer Entstehungszeit „Science Fiction“ genannt hatte und die sich mit der Zukunft beschäftigten. Er hatte sie gelesen und hatte immer wieder lachen müssen, wie falsch die Autoren gelegen hatten. Die Zukunft sah ganz anders aus, als man sie sich vorgestellt hatte. Und die Lichtgeschwindigkeit, die hatte man damals für schnell gehalten. Er musste lächeln. Schnell. Ein Witz. Hier, am Rande der Galaxie, in seinem „Reich“, würde er mit Lichtgeschwindigkeit allein sechs Jahre bis zum nächsten Stern brauchen – und der hatte noch nichtmal Planeten. Wie sollte eine Raumfahrt sinnvoll sein, wenn man Jahre brauchte, um eine andere Sonne zu erreichen, oder Jahrtausende, wenn man von einem Ende der Galaxis zum anderen wollte?
Jahre, Jahrtausende… man benutzte noch immer die alten Einheiten. Die von der Erde. Jedenfalls teilweise. Man hatte Stunden, Minuten und Sekunden beibehalten. Das war einfach gewesen, weil diese Einheiten künstlich bestimmt worden waren. Schwieriger war es dagegen bei den größeren Dimensionen gewesen. Wenn er es richtig im Gedächtnis hatte, war ein Jahr, also die Zeit, die ein Planet brauchte, seine Sonne einmal zu umrunden, auf der Erde etwa 365 Tage gewesen. Und jeder Tag hatte 24 Stunden. Das war ein Maßstab, der sich auf nichts anderes anwenden ließ, nicht einmal auf die Planeten, die damals zusammen mit der Erde ihre Sonne umkreist hatten. Und genauso wenig ließ sich das für die drei Zentralplaneten des Imperiums übernehmen. Roms Tag dauerte 31 Stunden und er umrundete seine Sonne in 331 Tagen. Bei Washington waren es 17 Stunden und 218 Tage, bei Köln 29 Stunden und 516 Tage. Man hatte sich also darauf geeinigt, einen Imperialen Standardtag (IST) und ein Imperiales Standardjahr (ISJ) einzuführen, behielt aber für das Lichtjahr den alten Maßstab bei.
„Captain?“ Jordan, einer seiner Offiziere, trat an ihn heran.
„Ja?“
„Wir gehen gleich auf Hyper.“
„Sehr gut.“ Cortez nickte. Er warf noch einen letzten Blick auf den blauen Planeten und dann war er auch schon verschwunden.
„Was will man von uns?“ wollte Jordan wissen.
„Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung“, meinte Cortez. „Vielleicht haben wir irgendetwas gemacht, das dem Imperium nicht gefallen hat und man ruft uns extra zum Kaiser, damit der uns tadeln kann.“
„Ist das… möglich?“
„Ich weiß es nicht.“
Cortez hob die Schultern. Er tappte genauso im Dunkeln, wie sein junger Offizier. Hatte er sich etwas zuschulden kommen lassen? Wurde er nun vor den Kaiser zitiert? Dann musste es ein schlimmes Verbrechen sein, denn kaum jemand wurde mehr vor den Kaiser zitiert. Das mochte früher anders gewesen, aber früher waren andere Zeiten gewesen. Es hatte Kriege gegeben, doch auch die lagen lange zurück. Seit mehr als tausend Jahren, egal nach welcher Zeitrechnung, war das Imperium nicht mehr in größere bewaffnete Konflikte verwickelt. Das hatte einmal ganz anders ausgesehen, lange, bevor er geboren worden war. Als die Menschheit von der Erde hinausgezogen war ins All, so sagten die Geschichtsbücher, war das recht friedlich gewesen. Man hatte verschiedene Völker getroffen, doch es war nicht zu Konflikten gekommen. Die Menschheit fand ein paar Planeten und ließ sich dort nieder. Sie vermehrte sich schnell und dann verließen Menschen diese Planeten und besiedelten andere und so weiter. So breitete sich die Menschheit schnell über die Galaxis aus. Friedlich, wie es hieß. Doch andere Völker waren nicht so begeistert, dass jeder Mensch tun konnte, was er wollte, und so forderten sie, dass jemand für die Menschen verantwortlich war. Ein System musste her, eins, das alle Menschen unter eine Regierung stellte. Doch so, wie die Menschen inzwischen über die Galaxie verstreut waren, schien eine Demokratie mit Wahlen und all dem ziemlich unpraktisch. Man grub in der Geschichte und fand das alte Rom, das seinerzeit einen Großteil der Erde überspannt hatte. Dieses System nahm man sich zum Vorbild. Jedenfalls in bestimmten Bereichen. Die verschiedenen Kolonien wurden in Provinzen unterteilt und es gab Gouverneure, denen diese Provinzen unterstanden. Es wurde eine Imperiale Flotte gebaut, die auch in den äußeren Regionen für Ordnung sorgen sollte. Alles verlief friedlich… doch dann brach ein Krieg aus. Offenbar, das war Cortez Meinung, verlief dieser Krieg blutiger und unsauberer, als es den Imperialen Geschichtsschreibern lieb gewesen wäre. Die Menschen, bekannt für ihre Brutalität und Unbarmherzigkeit, zeigten sich möglicherweise von ihrer schlechtesten Seite. Jedenfalls nahm Cortez das an, denn die Informationen über diesen Krieg fielen sehr spärlich aus. Er war lang gewesen und blutig und Millionen waren gestorben. Er führte zu einem „Bündnis der Völker“, und er führte dazu, dass nur noch kleine Teile der Flotte für den Dienst in den Randregionen des Imperiums eingesetzt wurden. Der Hauptteil der Flotte war aufgeteilt, ein Teil schützte die drei Zentralplaneten des Imperiums, der andere befand sich in einer Region namens „die Grauzone“. Und das seit mehr als tausend Jahren.
Als Kadett, damals, hatte Marco Cortez auch in der Zentralregion seinen Dienst begonnen. Er war auf einem riesigen Jägerträger gewesen, einem Schiff, das tausende von Kampfjägern transportierte. Er hatte die Zeit als sehr düster empfunden. Sie patrouillierten um die Zentralplaneten, immer wieder, immer im Kreis. Es war düster und langweilig. Cortez war der geborene Navigator, er wusste immer, wo sie waren und welcher Kurs der beste war – ein Talent, das in dieser Region verschwendet war. Das fand auch sein Kommandeur und so schlug er ihm vor, sich in die Randregionen versetzen zu lassen, wo sein Talent sinnvoller genutzt werden konnte. Er tat es und so landete er auf einem Schiff, das er Jahre später, jetzt, selbst kommandieren sollte. Es war die KKS Nova, das Kaiserliche Kriegsschiff Nova und sie patrouillierten zwischen einigen Sonnensystemen, seinem „Reich“. Es war die Imperiale Provinz namens „Rhein“, denn viele Provinzen waren nach Flüssen benannt worden. In der Rhein Provinz gab es drei Landwirtschaftsplaneten, Planeten, auf denen sich nur ein paar Tausend Menschen befanden und auf denen nur Landwirtschaft betrieben wurde. Dort gab es Felder, die bis zum Horizont reichten. Hin und wieder kam mal ein Transportschiff, um die Ernte abzuholen, aber sonst geschah dort nicht viel. Ein Planet der Provinz war ein sog. „Naturbelassener“. Man hatte sich irgendwann entschieden, dass man manche Welten so belassen wollte, wie sie waren und so war dort Technik und jede Art von Zivilisation verboten. Es gab Wälder und Flüsse und Meere und alles entwickelte sich ganz natürlich, ohne dass der Mensch eingriff. Hin und wieder bekam ein Forscher die Erlaubnis, ein paar Monate auf einem dieser Planeten zu verbringen, dann sorgten sie dafür, dass er dorthin kam und dass er später wieder abgeholt wurde. Dann gab es da noch eine kleine Industriewelt. Sie hieß Düseldorf und war gewissermaßen das Zentrum dieser Provinz, eine Welt mit ein bisschen Industrie, ein paar größeren, modernen Städten und einem Regionalgouverneur, der gerne Bälle veranstaltete. Hierhin wurden viele der Ernten gebracht, um dann für die Imperialen Welten verarbeitet zu werden. Hierher kamen sie auch, wenn sie das Nachtleben genießen oder einen neuen Holofilm sehen wollten. Sein Lieblingsplanet aber war der, den sie gerade verlassen hatten. „Heavenly Beaches“ war eine Welt mit herrlichen langen Ständen und türkisfarbenem Meer. Dort gab es jede Menge Strandbars, das Meer roch salzig, die Luft war sauber, es gab Sonne, es war ein Paradies. Allein die Tatsache, dass den Menschen im Zentrum des Imperiums die Randregionen zu primitiv oder zu weit weg erschienen, führte dazu, dass es nie überfüllte Strände oder das gab, was man dereinst auf der Erde als „Massentourismus“ bezeichnet hatte. Nur wenige Leute kamen hierher und genossen dieses Paradies – und deshalb war Marco traurig, dass er nun von hier fort musste.
Warum, fragte er sich. Er hatte seit Jahren seinen Dienst hier draußen erfüllt, ohne Probleme oder Beschwerden. Er besuchte regelmäßig alle Planeten, die seinem Schutz unterstanden, sah nach dem rechten, nahm, wenn auch widerwillig, an den Bällen des Gouverneurs teil. Es war ein angenehmes Leben. Statt, wie er es in seiner Kadettenzeit erlebt hatte, die ganze Zeit eingesperrt zu sein in einem Monstrum aus Metall, höchstens unterbrochen von ein paar Manövern hin und wieder, bekamen sie hier etwas von der Galaxie zu sehen. Oder von ihrem kleinen Teil der Galaxie. Und sie kamen an die frische Luft. Sei es auf den Landwirtschaftsplaneten, sei es an den herrlichen Stränden der Erholungswelt, hin und wieder sogar auf dem Naturplaneten, wenn sie jemanden dort absetzten – oder wenn sie eine der Welten besuchten, um medizinische Hilfe zu leisten. Sie waren mehr als ein Kriegsschiff, sie waren auch Polizei und Krankenhaus für die Region. Wenn ein Konflikt zu schlichten, ein Verbrechen zu lösen oder ein Verletzter zu heilen war – sie flogen dorthin. Es war eine vielseitige Aufgabe, weswegen ihm ein wenig vor ihrer Reise in die Zentralregion graute. Was, wenn er seine Arbeit zu gut gemacht hatte? Was, wenn man ihn befördern, ihm ein größeres Kommando geben wollte? Einen der großen Zerstörer? Oder einen der Jägerträger? Dann wäre er wieder eingeschlossen in einer Blechdose und all dieses herrliche, fast schon freie Leben wäre vorbei. In ein paar Wochen würde er es wissen, denn so lange dauerte es, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Das mochte langsam erscheinen, aber mit Lichtgeschwindigkeit hätten sie für diese Strecke ein paar Jahrtausende gebraucht – da hätte er sich um eine Beförderung keine Sorgen machen müssen!
Als sie den Äußeren Ring erreichten, die erste Verteidigungslinie, die die zentralen Planeten umschloss und natürlich mit „Äußere Kugel“ treffender umschrieben gewesen wäre, rief Cortez seinen jungen Offizier Jordan auf die Brücke.
„Ja, Sir“, meldete sich dieser.
„Sie sind in der Provinz aufgewachsen, oder?“ fragte der Captain.
Jordan nickte.
„Und Sie sind nie ins Zentrum des Imperiums gereist?“
„Nein, Sir. Ich habe meine komplette Ausbildung in den Randgebieten gemacht.“
„Aha.“ Cortez lächelte. „Dann haben Sie so was wahrscheinlich noch nie gesehen.“ Er schaltete den Bildschirm ein und vor ihnen erschien einer der gigantischen Jägerträger. Er war mehrere Kilometer lang und beherbergte tausende von Jägern und Zehntausende von Soldaten. Jordan blieb der Mund offen stehen. „Gehen Sie auf das Aussichtsdeck, von da ist es noch beeindruckender.“
„Ja, Sir, danke Sir.“ Jordan lief hinaus.
„Er wollte schon immer mal einen sehen“, grinste Hasford, der erste Offizier.
„Ich weiß“, meinte Cortez. „Wenn doch nur alle Wünsche so einfach zu erfüllen wären.“
„Ja.“ Der erste Offizier sah auf seinen Bildschirm. „Wir haben eine Nachricht von Admiral Verhoeven.“
„Der war früher mal mein Kapitän.“ Bevor er ihm geraten hatte, sich in die Provinz versetzen zu lassen – eine Entscheidung, die Cortez nie bereut hatte.
„Er schickt Ihnen ein Shuttle“, meldete Hasford. „Sie sollen an Bord gehen und werden dann zu Ihrem Bestimmungsort gebracht.“
„Und die Nova?“
„Die bleibt hier in Warteposition.“
Er hatte davon gehört, aber er hatte es nie selbst erlebt: Anderen Schiffen, selbst Schiffen des Imperiums, wurde nicht erlaubt, in den Bereich der Zentralplaneten einzufliegen. Es war eine alte Regelung, aus einer Zeit vor etwa 900 Jahren, als Imperiale Offiziere einen Umsturz planten. Der Staatsstreich wurde brutal niedergeschlagen und Imperialen Soldaten war das Betreten der Zentralplaneten verboten – eine ähnliche Regelung, wie im alten Rom. Aber dass sie schon hier abgefangen wurden, weit vor den Inneren Ringen, überraschte ihn ein wenig. Aber vielleicht hatte er seinen Zielort auch einfach schon erreicht und musste nicht weiterfliegen?
„Shuttle dockt in 10 Minuten.“
„Ich mach mich auf den Weg. Sie haben das Kommando.“
Langsam wurde er ein wenig nervös. Man hatte ihn von seinem Kommando abberufen, hatte ihn hierher bestellt, ohne ihm zu sagen, was der Grund dafür war. Jetzt hatte man ihn auf einen der riesigen Jägerträger gebracht, aber noch immer hatte man ihm keinen Grund für seine Reise genannt. Als er durch ein Schott trat, kam er in einen großen Konferenzraum. Admiral Verhoeven bemerkte ihn und kam freudestrahlend auf ihn zu.
„Cortez“, rief er, „Sie sehen gut aus.“
„Danke, Sir.“ Cortez schüttelte dem Admiral die Hand. „Sie auch. Die Admiralsstreifen stehen Ihnen.“
„Aber sie sind sehr schwer zu waschen.“ Verhoeven lachte. „Nun, Sie wundern sich sicher, warum Sie hier sind.“
„Ja“, nickte Cortez, der nun Gelegenheit hatte, seinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Da waren eine Menge Admirale und ein paar Kapitäne. Die Admirale waren die Creme de la Creme, die Kapitäne waren alle in seinem Alter. „Was…“
„Eine Art Sicherheitskonferenz.“
„Eine was?“
„Hin und wieder treffen sich alle Admirale, um über Dinge zu sprechen, wichtige Dinge für das Imperium, das können Sie sich ja denken. Und hin und wieder ist es mal ganz gut, wenn man neues Blut in diese Runde bringt. Um ein paar neue Ideen zu bekommen. Jedenfalls war das der Grundgedanke. Wir versuchen das heute zum ersten Mal. Also haben wir dafür ein paar Kapitäne eingeladen. Natürlich konnten wir Ihnen nicht mitteilen, warum Sie hierher kommen sollten…“
„…weil eine Versammlung der höchsten Admiräle des Imperiums ein hervorragendes Angriffziel wäre.“
Verhoeven lächelte. „Ich sehe, Sie verstehen.“
„Dann können Sie nur eins hoffen.“
„Und das wäre?“
„Dass keiner der anderen Admiräle ein Verräter ist!“
Streng genommen hatte es in den letzten Jahrhunderten genauso wenig Verräter gegeben, wie es Krieg geben hatte. Dieses eine Ereignis, dieser eine riesige Krieg, der die Galaxis offenbar vereint hatte, schien dafür gesorgt zu haben, dass es danach nahezu keine anderen größeren Konflikte mehr gegeben hatte. Und doch sprach niemand über dieses Ereignis. Es hatte die Völker auch nicht zusammengebracht. Die Menschen blieben unter sich und die anderen Völker blieben ebenfalls unter sich. Eine Verbrüderung war ausgeblieben, fast so, als gäbe es da eine Schande, eine gemeinsam geteilte Schande, über die niemand sprechen wollte.
„Über was sprechen wir?“ fragte Cortez, als sie sich alle an dem großen Tisch niederließen.
„Über dies und das“, meinte der Admiral vage.
„Aha.“ Er war also wochenlang hierher gereist für dies und das. Nun, er musste sich nur blöd genug anstellen, dann würde man ihn vielleicht nie wieder einladen. Oder zum Admiral befördern. Er wusste es nicht.
„Dies ist ein außergewöhnliches Treffen“, eröffnete Großadmiral Berlitz die Versammlung. Er war ein alter Mann mit scharfem Blick. „Unser Freund Admiral Verhoeven hielt es für hilfreich, ein paar junge Offiziere in diese heilige Runde einzuladen und da Sie jung und erfolgreich sind, möchte ich Sie nicht mit langem Vorgeplänkel langweilen.“ Cortez war sich nicht sicher, ob der Großadmiral nicht gerade dabei war, genau dieses Ziel zu verfehlen. „Wir beschäftigen uns hier mit Sicherheitsfragen. Und wir erörtern heute eine Frage, bei der wir interessiert sind, wie Ihre Antwort dazu ausfallen wird.“ Er sah in die Runde. „Die Frage mag Ihnen seltsam erscheinen, aber wir fragen uns: Wie viele Schiffe würde man brauchen, um das Imperium in Chaos zu stürzen?“
„Das ist völlig unmöglich“, rief ein junger, schneidiger Kapitän. „Ich befehlige einen Jägerträger an den Inneren Ringen und ich kann Ihnen versichern: Sie brauchen eine riesige Flotte, um einen der Ringe zu durchbrechen. Und ich habe, als wir hier ankamen, den Äußeren Ring gesehen, und ich glaube, wenn es eine Armada versucht, diesen Ring zu durchbrechen, dann wird nicht mehr viel übrig sein, mit dem wir uns an den Inneren Ringen noch auseinandersetzen müssen.“
„Danke, Captain.“
„Eine Frage, Großadmiral.“
„Ich wusste, dass Sie eine stellen würden“, raunte Verhoeven gut gelaunt.
„Haben Sie mich deshalb hierher eingeladen?“
„Es ist hier sonst immer so langweilig.“
„Ja, Herr Kapitän…“
„Cortez, Sir, Marco Cortez. Von was für Schiffen sprechen wir.“
„Bitte?“
„Sprechen wir von einer Armada von fremden Wesen? Oder sprechen wir von Imperialen Schiffen?“
„Warum sollten denn Imperiale Schiffe das Imperium angreifen?“ ereiferte sich Kapitän Schneidig.
„Ich dachte, bei einer solchen Frage wäre es wahrscheinlich sinnvoll, unterschiedliche Szenarien in Betracht zu ziehen, also warum nicht auch eine Gefahr, die von innen kommt? Es könnte eine Untergrundbewegung sein. Terroristen, die diese Schiffe gekapert haben. Imperiale Soldaten, die unzufrieden sind… oder vom Feind umgedreht wurden“, fügte er noch schnell hinzu, weil niemand gerne etwas über unzufriedene Soldaten, Meuterei und Staatsstreich hören wollte.
„Gut gerettet“, lächelte Verhoeven.
„Kapitän Cortez hat ein interessantes Thema angeschnitten“, meinte der Großadmiral nun. „In der Tat, mit einer feindlichen Flotte würden unsere Verteidigungsringe sicher gut fertig werden. Aber was wäre, wenn die Gefahr, wie Sie es beschreiben, tatsächlich von innen drohen würde?“
„Gibt es so eine Gefahr?“ fragte Cortez leise.
Verhoeven hob die Schultern. „Kann man nie wissen.“
„Wie viele Schiffe würde man also Ihrer Meinung nach benötigen, um unser geliebtes Imperium ins Chaos zu stürzen?“
Captain Schneidig verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich denke, auch dann würde niemand durch die Verteidigungsringe gelangen.“
„Dem schließe ich mich an“, sagte ein junger, weiblicher Kapitän am Ende des Tisches. „Die Kontrollen sind zu gut. Man könnte zehn, 100 Schiffe haben, es würde keinen Unterschied machen.“
„Dann nehme ich mal an, dass die Kapitäne auf den Schiffen der Verteidigungsringe sehr loyal sind?“ fragte Cortez leise.
„Das ist zu hoffen, ja. Danach werden sie ausgewählt.“
Der Großadmiral nickte. „Also bräuchte man…“
„…ein Schiff“, sagte Cortez sachlich.
„Bitte?“ Nun starrte ihn der gesamte Tisch an.
„Ein Schiff. Ein gut bewaffnetes, versteht sich. Mit einem kriegen Sie Chaos. Mit zweien großes Chaos. Und mit fünf oder mehr könnten Sie das Imperium zu Fall bringen!“
Schweigen.
Die Admiräle starrten ihn an. Die Kapitäne starrten ihn an. Alle starrten ihn an. Verhoeven konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich hatte ja gesagt, dass das interessant werden würde“, meinte er in Richtung Großadmiral.
„Vielleicht ist Ihr Captain auch in der Lage, seine Behauptung zu untermauern, Douglas?“
„Das ist er“, sagte Cortez. „Ich nehme an, Sie alle denken immer nur an das Herz des Imperiums. Die drei Zentralplaneten. Die großen Planeten im Kern. Ja, da haben Sie völlig recht, die dürften sicher sein.“
„Aber?“
„Aber Sie sprachen nicht von Sicherheit, Sie sprachen davon, wie man das Imperium ins Chaos stürzen kann.“
„Und wie würden Sie das tun, wenn Sie nicht das Zentrum des Lebens angreifen?“ rief der schneidige Kapitän.
„Indem ich die Lunge des Imperiums angreife. Und seinen Magen.“ Er gab ein paar Befehle in ein kleines Gerät ein und über dem Tisch erschien ein Hologramm der Galaxis. Er vergrößerte die Provinz, aus der er kam. „Sehen Sie, das hier ist die Rhein Provinz aus der ich komme. Es gibt drei Agrarplaneten und eine Industriewelt, die die Ernten in Nahrung umwandelt. Und wissen Sie, wie viele Schiffe es zur Verteidigung gibt?“
„Wie viele?“
„Eins. Nehmen wir an, dieses Schiff ist gerade am äußersten Rand, um seine Krankenhausfunktion zu erfüllen. Nun brauchen Sie nur ein einziges Kampfschiff, ein Kaiserliches Kriegsschiff, und Sie können alle drei Agrarplaneten vernichten. Möglicherweise, ohne dass das jemand merkt. Dann fliegen Sie noch zur Industriewelt und vernichten deren Einrichtungen. Bevor das Imperiale Schiff etwas davon merkt, machen Sie sich auf den Weg nach hier.“ Er vergrößerte einen anderen Teil der Karte, die Nil Provinz. „Zwei Agrarplaneten, keine Bewachung.“ Er vergrößerte einen anderen Teil. „Und wenn Sie Glück haben, schaffen Sie es vielleicht sogar noch, in die Kwai Provinz zu gelangen und diesen Landwirtschaftsplaneten zu vernichten. Spätestens dann sollten Sie hoffentlich gestoppt werden, aber Sie haben mit einem einzigen Schiff die Nahrungsmittelproduktion des Imperiums empfindlich geschwächt. Auf Jahre! Es wird zu Engpässen kommen, Nahrungsmittelknappheit, Hunger. Das kann zu Aufständen führen, zu Chaos.“ Cortez sah in die Runde. „Ein Schiff! Haben Sie zwei, schaffen Sie es vielleicht, noch drei oder vier andere Agrarplaneten zu zerstören, haben Sie fünf, vielleicht auch noch die Industriewelten, die aus den Ernten Nahrung machen. Und dann haben Sie nicht nur Chaos, damit könnten Sie das Imperium zu Fall bringen. Unsere wahren Werte sind nicht die Kultur und die Lebensart auf den Welten im Zentrum, der Reichtum des Imperiums liegt in seinen Landwirtschaftswelten – und die sind nicht geschützt!“
„Interessante Rede“, meinte Verhoeven, nachdem sie den Sitzungssaal verlassen hatten. „Es tut immer gut, andere Perspektiven zu bekommen.“
„Wird sich dadurch etwas ändern?“
„Mit Sicherheit nicht.“
„Wozu dann die Frage?“
„Um zu sehen, welche potentiellen Gefahren wir eventuell übersehen.“
„Das ist wirklich interessant.“
„Warum?“
„Weil es seit mehr als tausend Jahren keinen Krieg mehr gegeben hat. Wozu also diese Paranoia?“
„Weil es Dinge gibt, von denen Sie nichts wissen und von denen die Leute nichts wissen sollen. Auch wenn wir im Moment in einer Zeit des Friedens leben, heißt das nicht, dass sich das nicht schnell ändern kann.“
„Es gibt eine Gefahr?“
„Es gibt immer eine Gefahr.“
„Und jetzt?“
„Gehen wir was essen.“
„Das meinte ich nicht.“
„Ich weiß.“ Verhoeven grinste. „Sie wollen wissen, ob Sie zu Ihrem angenehmen Job in der Provinz zurückkehren können.“
„Wäre das denn so schlimm?“
„Es wäre so, als würde man einen begabten Navigator wie Sie in einem Bereich operieren lassen, wo es nicht viel zu navigieren gibt.“
„Also Verschwendung?!“
„Genau.“
„Und das bedeutet?“
„Dass wir vielleicht eine andere Aufgabe für Sie haben.“
„Und was ist mit dem Plan, das Imperium ins Chaos zu stürzen?“
„Den heben wir uns für ein andermal auf.“ Verhoeven klopfte ihm auf die Schulter. „Ich denke, das Imperium wird noch ein paar Tage überstehen!“