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KARL MARX (1818–1883)

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Der Anwaltssohn aus Trier (damals zu Preußen gehörig) denkt nicht in Ständen, sondern in »Klassen«, nebenbei aber auch – wenn’s ihm gerade in den Kram passt – in Rassen. Seinen Rivalen Ferdinand Lassalle, den Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, nennt er einen »jüdischen Nigger«. »Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seine Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von den Negern abstammt.« Die Osteuropäer, besonders die Polen, bezeichnet Marx als »Völkerabfälle«. Gegen Juden hetzt er, obwohl selbst einer jüdischen Familie entstammend, oft und gern. Außereuropäer, ob Chinesen oder Afrikaner, verachtet er. Ein böser Bube, dieser Marx.

Als Menschenfreund oder gar Humanisten kann man ihn jedenfalls nicht bezeichnen, eher als Zyniker. Er hat wenig Interesse an moderaten sozialen Reformen für die Arbeiter der frühen Industriegesellschaft, sondern vielmehr an der grundlegenden Beseitigung der bestehenden Verhältnisse seiner Zeit. Und die sind prekär.

Dass die »soziale Frage« so brennend wurde, liegt an der Bevölkerungsexplosion Europas zwischen 1770 und 1870. Während dieser Zeit sind die althergebrachten ständischen Ehebeschränkungen (in der Praxis religiös begründete und amtlich verkündete Fortpflanzungsverbote) für Besitzlose gefallen, und die Armen, also die Menschen ohne Eigentum, bilden mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung. Trotzdem bleiben aber Empfängnisverhütung und Abtreibung offiziell streng verboten. Die eigentumslosen Arbeiter und Knechte zeugen somit immer mehr ehelichen und unehelichen Nachwuchs, der kein Erbe und damit eine trostlose Zukunft zu erwarten hat. Diese Kindermassen wandern zum Teil nach Übersee in europäische Kolonien oder in die USA aus, doch die meisten bleiben in der Heimat und vermehren sich weiter. Darf ich bekanntmachen: das Proletariat.

Es ist das Endprodukt einer langen Wiederbevölkerungsstrategie von Politik und Kirche nach den großen Pestepidemien, die Europas Einwohnerzahl von 50 Millionen im Jahr 1490 auf 460 Millionen Menschen im Jahr 1900 steigert. Die »Enterbten dieser Erde« werden zur Projektionsfläche der Mildtätigkeit empfindsamer Wohlhabender, bringen aber auch Rebellen und Revolutionäre auf die Idee, Pläne für diese Proletarier zu schmieden. Die Ideologen wissen: Wenn man im Namen der Massen die Macht übernehmen will, muss man die Geldwirtschaft in die Hand bekommen, und für dieses Ziel braucht man eine gläubige Anhängerschaft.

Da Marx kein Religionsgründer sein will – solche Zeiten sind vorbei –, tischt er die Grundlagen eines »wissenschaftlichen Sozialismus« auf, dessen Materialismus noch ausgeprägter ist als der seiner kapitalistischen Widersacher. Als Untergangsprophet des Kapitalismus hat er keine konkreten Rezepte für die Zeit danach parat, nur vage Vorstellungen und Leerformeln. Mit der Rolle der Produktion im Kommunismus beschäftigt sich dann erst Lenin, der, wie er selber sagt, die Volkswirtschaft wie ein Postamt führen will. Er verspricht, so der Vergleich des deutschen Soziologen Gunnar Heinsohn, »den Menschen für ihr Auto eine noch höhere und überdies pannensichere Geschwindigkeit, wenn man nur den Motor ausbaue«. Das entspreche einer »Heilung der Tuberkulose durch Entfernung der Lunge«.

Diese und viele andere marxistische Fehleinschätzungen werden zu Not, Hunger, Diktatur und Elend für Millionen von Menschen führen. Aber das Glück des Einzelnen ist Marx und seinen Jüngern ohnehin nicht wirklich wichtig. Der russische Kommunismuskritiker Igor Schafarewitsch ortet 1975 gar eine »Grundtendenz des Sozialismus, der der menschlichen Persönlichkeit nicht nur als Kategorie, sondern im Extrem sogar ihrer Existenz feindlich gegenübersteht«. Der Tod der Menschheit sei das Endergebnis, zu dem die Entwicklung des Sozialismus führen wird, so Schafarewitsch. Auch wenn das der düstere Befund eines selbst bei Antikommunisten umstrittenen Dissidenten sein mag, ist jedenfalls wahr, dass Marx und Genossen als radikale Materialisten jede Tangente ins Jenseits gekappt haben. Ein naheliegendes Unterfangen, da so viele Sinnsucher im 19. Jahrhundert längst die Nase voll haben von übersinnlichen Erklärungen. Transzendenz ist bei ihnen out, Gott ist tot, Kirchen lügen – knallharte Wissenschaft oder das, was man dazu erklärt, ist angesagt im Zeitalter Hegels, Nietzsches und Darwins.

Trotzdem lesen sich die Theorien des Hegel-Schülers Marx, seine »Entwicklungsgesetze« der menschlichen Geschichte wie Heilsversprechungen, an deren Ende nach der Auflösung der alten bürgerlichen die neue, die kommunistische, die klassenlose Gesellschaft steht. Sie kennt keinen Arbeitszwang mehr, jeder kann sich selbst verwirklichen. Ehe allerdings das logische, unweigerliche, unaufhaltsame Ende des Kapitalismus eintreten kann, muss das Proletariat zunächst eine Diktatur errichten, und dabei … Nun ja, wo gehobelt wird, fallen eben Späne.

Immerhin bis in diese erste, blutige Phase haben es allzu viele Regimes geschafft, die sich im 20. Jahrhundert auf Marx und seinen Freund Friedrich Engels beriefen, welche beide nicht mehr an diesem fatalen Praxistest beteiligt waren. Bis zu 100 Millionen Todesopfer hätte der Kommunismus letztlich weltweit gekostet, schätzen kritische Autoren wie der französische Historiker und Ex-Maoist Stéphane Courtois in seinem Schwarzbuch des Kommunismus (1997). Für Courtois ist Massenmord programmierter Bestandteil der kommunistischen Ideologie.

Da ist was dran, die marxistische Blutspur in der Geschichte von Lenin bis Stalin, von Mao Tse-tung bis Pol Pot ist unübersehbar. Dennoch sollte man sich bewusst werden, dass vor der Russischen Revolution 1917 das ganze Ausmaß des mörderischen Potenzials des realen Sozialismus bestenfalls zu erahnen war. Seine Gräueltaten lagen noch in der Zukunft. Folgt man außerdem anderen Kommunismus-Experten wie Jörg Baberowski, seien eher psychopathische Führerpersönlichkeiten denn die sozialistische Ideologie selbst für den Massenmord verantwortlich zu machen. Wie auch immer, die damalige Gegenwart war ohnehin mit ganz anderen Fragen konfrontiert. Ließen denn – so beklagten kritische Geister – nicht die feinen, feudalen Fürsten ihre Völker wie Vieh auf den Schlachtfeldern der Welt verrecken? Verbluteten die Söhne des Volkes denn nicht im Namen von Gott, Kaiser und Vaterland? Welche Steigerung des Schreckens war da noch zu erwarten? Noch dazu, wo die sozialistische Gesellschaftsutopie ewigen Frieden und die Gleichheit der Menschen verhieß. War es denn nicht in der Tat ein himmelschreiendes Unrecht, dass nur eine abgehobene und selbstgefällige Elite regierte, die sich auf Gott berief und deren Vorfahren einst als Raubritter oder aus irgendeinem anderen längst vergessenen Grund den Adelsschlag erhalten hatten? Und dass die Masse der Menschen kaum Chancen hatte, ihren Anteil am Kuchen zu bekommen? Dass sie darüber hinaus nicht an Würden in Staat, Politik und Gesellschaft gelangen konnten und gehindert wurden, Würde zu entwickeln? War es da nicht gerechter, den Staat in die Hände derer zu legen, die ihn durch ihrer Hände Arbeit aufrechterhielten? Also der Proletarier?

Tja, wir dürfen historische Ereignisse und Entwicklungen nicht nur in der Rückschau, im sicheren Wissen um ihre Folgen betrachten, obwohl das für jene unter uns verlockend ist, die sich gerne zu Richtern über die Geschichte und die darin handelnden Personen aufspielen. Leider ruhen sich selbst manch gelernte Historiker in diesem bequemen Faulbett aus.

Brennend aktuell waren vor 100 und mehr Jahren die konkreten Probleme der Arbeiter und ihrer Frauen, der Soldaten, Tagelöhner, Diener und Knechte, die ihre tristen Lebensverhältnisse verbessern und ihre Familien wirtschaftlich über die Runden bringen wollten. Wer gab den armen Teufeln Hoffnung? Mit der Belohnung im Himmelreich ließen sich die meisten von ihnen schon lange nicht mehr abspeisen. Kaum Angebote kamen vom Industriekapitalismus, in dessen Fabriken Männer, Frauen und Kinder in 12- bis 16-Stunden-Schichten schufteten.

Hier setzten logischerweise die sozialistischen Ideologen an, die wie Marx und Engels selbst meist dem Bürgertum entstammten. Sie versprachen Erlösung. Marx war seit 1883 tot, aber sein kommunistisches Konstrukt hatte jede Menge Interpreten, die es auslegten, umdeuteten und weiterentwickelten. In ihrer Ideenwelt waren freie Unternehmer blutsaugende, kapitalistische Getriebene, die in einen Abgrund rasen. Dieser und anderer fixer Ideen muss man sich bewusst sein, um das Denken der Marxisten zu verstehen, das in allen Fällen samt und sonders in die Irre geführt hat.

Warum wir uns mit diesen antiquierten Gedankengängen beschäftigen sollen? Ganz einfach, weil sie unter anderem die Grundlage für den Austromarxismus bilden, eine ganz eigene Form des Sozialismus, der zwischen dem Kommunismus und der westlichen Demokratie einzuordnen ist und eine bemerkenswerte, utopische Gesellschaftsvariante darstellt. In den folgenden Jahrzehnten werden wir sie gründlich kennenlernen.

Gemeinsam war und ist den Kommunisten und Sozialisten der meisten Spielarten, so auch den österreichischen Sozialdemokraten, ihr militantes Kampflied, die Internationale (1871/1911), in der es an einer Stelle heißt:

Es rettet uns kein höh’res Wesen,

kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

Uns aus dem Elend zu erlösen

können wir nur selber tun!

Anders formuliert: »Holt euch, was euch zusteht!« Denn der wirtschaftliche Wettbewerb laufe auf das Recht des Stärkeren hinaus. Dem müsse man die geballte Macht des Proletariats entgegensetzen. Zunächst mobilisieren die Roten den Altruismus, die Uneigennützigkeit, den Idealismus, den guten Willen und das Mitgefühl der gebildeten und sentimentalen Intellektuellen mit den Arbeitermassen und finden Anhänger, die ihren Verheißungen in einer Weise vertrauen wie die Katholiken der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Solches zu glauben, ist man ja gewohnt. Wie andere Religionen und Sekten vor ihm hat damals der Marxismus den Marsch durch die Länder und Zeiten angetreten und erscheint seither in mancherlei Konfessionen, Varianten und Verkleidungen.

Den diversen Sozialismen steht bekanntlich der Kapitalismus entgegen, den weniger ideologisch veranlagte Naturen freie Marktwirtschaft nennen. Sie hat eine regelrechte Erfolgsgeschichte hingelegt. Während ihrer bisher rund 200-jährigen Weltherrschaft sank der Anteil der absolut Armen in der Welt von 90 Prozent im Jahr 1820 auf 14 Prozent im Jahr 2011. Die meisten der 70 Millionen Hungertoten seit 1920 gingen zur Hälfte auf Stalins und Mao Tsetungs Konto, und erst seit dem Ende der großen kommunistischen Diktaturen sterben pro Jahrzehnt nur noch drei von 100 000 Menschen durch Hungersnöte, wobei es zwischen 1920 bis 1970 pro Dekade noch 529 auf 100 000 waren, drei Viertel davon im kommunistischen Herrschaftsbereich, wie der Schweizer Journalist Guido Mingels 2017 in seinem Spiegel-Buch Früher war alles schlechter aufzählt. Trotzdem sei die Frage gestattet, ob auch der Kapitalismus womöglich so etwas wie eine Religion ist. Ist er?

Nun, der unkonventionelle Philosoph Walter Benjamin behauptet das 1921 zumindest – und zwar noch ehe er selbst zum Marxisten wird. Er sieht die Marktwirtschaft als eine reine Kultreligion – vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Denn der Kapitalismus kenne keine Dogmatik, keine Theologie, nur den Kult einer Nützlichkeit, der permanent andauert, ohne Sonn- und Feiertage. Noch dazu entsühne dieser Kult nicht, sondern er verschulde seine Jünger. Und mit der Reformation hätte das (evangelische) Christentum diesen Konkurrenten nicht aufgehalten, sondern ganz im Gegenteil sich mit tatkräftiger Hilfe Luthers und Calvins in ihn umgewandelt. Seine Offenbarung seien ein undurchschaubarer Geist und reales Geld. Starke Thesen Benjamins! Zu seinen Lebzeiten (er nahm sich auf der Flucht vor NS-deutscher Verfolgung 1940 das Leben) blieben sie allerdings weithin ungehört. Da war Europa gerade weniger mit der Theorie des Kapitalismus als mit der praktischen Umsetzung totalitärer Ideologien beschäftigt: dem Kommunismus, dem Faschismus und dem Nationalsozialismus.

Als totalitär bezeichnet man Regimes, die sich nicht damit begnügen, diktatorisch zu herrschen, um bestehende Verhältnisse aufrechtzuerhalten, sondern den Beherrschten eine Ideologie des »neuen Menschentums« aufzwingen. Dazu muss jeder kleinste Lebensbereich, auch der intimste, zwangsgeregelt werden. »Totalität« (wie sie in Österreich früher genannt wird) weitet das Politische auf Bereiche aus, die vorher privat gewesen sind. Und wer den »neuen Menschen« will, muss zuerst den alten, so er sich sträubt, umbringen. Massenmord ist dabei Programm, außer man geht das Problem mit Einzeltaten an, wie der italienische Anarchist Luigi Lucheni, der 1898 nach dem Mord an der österreichischen Kaiserin Elisabeth in Genf bei der Polizei zu Protokoll gibt: »Zwischen Monarchen und Republiken gibt’s keinen Unterschied. Adel, Bourgeoisie und Kirche ist eins. Alle leben vom Schweiß der halbverhungerten Bauern und Arbeiter, und selbst werden sie immer reicher und fetter.« Damit folgt Sisis Mörder den »Prinzipien der Revolution« des russischen Oberanarchisten und Marx-Konkurrenten Michail Bakunin: »Wir müssen uns also aufgrund des Gesetzes der Notwendigkeit und strengen Gerechtigkeit ganz der beständigen, unaufhaltsamen, unablässigen Zerstörung weihen, die so lange crescendo wachsen muss, bis nichts von den bestehenden sozialen Formen zu zerstören bleibt […]« Diesen Ansinnen widmen sich manch linksalternative und autonome Kader bis heute. Einem orthodoxen Marxisten dagegen kann die Anarchie nicht schmecken. Er braucht für seine kollektivistische Gesellschaftsveränderung den allmächtigen Staat – seinen Staat.

Für die alte, ständisch-feudal organisierte Obrigkeit in Österreich-Ungarn sind solche feinen Unterschiede freilich zweitrangig. Sie erkennt nur das Umsturzpotenzial, das in all diesen Bewegungen steckt. Es ist nicht der einzige Staat zu dieser Zeit, der gegen sozialistische Ideen und Bewegungen aufschärft. Liberale und Konservative haben es nicht verstanden, sich rechtzeitig und ausreichend um die wachsende Arbeiterschaft in den Städten zu kümmern. Dieses Vakuum füllen nun die Apologeten des Klassenkampfes auf.

Ein Grunddilemma des 20. Jahrhunderts kündigt sich an, der Kampf zwischen dem Individualismus westlicher, vor allem angloamerikanischer Prägung und den großen totalitären Ideologien beginnt. Letztere werden sich unter nationalistischen oder internationalistischen, braunen oder roten Bannern formieren und den Rassen- oder Klassenkampf zur Doktrin erheben. Österreich ist dabei eine probate Versuchsstation für ideologisch wirre und irre Köpfe aus dem In- und Ausland – für Jedermann eben …

Den meisten »kleinen Leuten« dagegen geht die ganze theoretische Diskussion buchstäblich am Allerwertesten vorbei. Sie sehen es wohl so ähnlich, wie es der bedeutende österreichische Sozialdemokrat Franz Olah (1910–2009) rückblickend ausdrückt: »Ich war nie Marxist, aber auch kein Antimarxist. Karl Marx hat mir nicht durch seine wallende Mähne imponiert, sondern durch seine gesellschafts- und sozialkritische Darstellung der Zustände seiner Zeit. Als Ideologie oder gar Staatsdoktrin habe ich den Marxismus nie akzeptiert. Als Staatsideologie halte ich den Marxismus für ein Unglück wie die heilige Inquisition für das Christentum. Beide zeichnen Intoleranz und Unmenschlichkeit aus. […] Ideologen, Theoretiker sollen die Freiheit haben, ihre Ideen zu vertreten. Nur für die Praxis des menschlichen Lebens eignen sie sich nicht und erweisen sich immer als Unheil.«

Karl Marx persönlich gewährt Österreich übrigens nur einmal die Gnade seines Besuchs. Im August und September 1848 weilt er ein paar Tage im revolutionären Wien und hält dort einige Vorträge. Die Resonanz bleibt bescheiden. Die zaghaft aufkeimende Arbeiterbewegung kommt erst später mit seinen Ideen in Berührung. Daran ändern auch die paar Artikel nichts, die Marx in der Wiener Neuen Freien Presse veröffentlicht.

Mit dem neuen Vereins- und Versammlungsgesetz 1867 gründen sich Arbeiterbildungsvereine. Von einer sozialdemokratischen Partei ist weit und breit noch nichts zu bemerken, man hinkt hinter den Genossen im Deutschen Bund hinterher, wo sich 1863 Ferdinand Lassalles sozialreformerischer Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein und 1869 in Eisenach August Bebels und Wilhelm Liebknechts marxistische Sozialdemokratische Partei gründen. In Österreich dagegen betreiben radikale Aktivisten mit Attentaten eine »Propaganda der Tat« und geben damit den Behörden eine Handhabe zur Verfolgung auch ideologisch gemäßigter Arbeitergruppen. Nicht alle sind vom Geist des Marx durchdrungen (der sich persönlich gar nicht aktiv an der Gründung der Ersten Internationalen 1864 in London beteiligt hat, obwohl er dort anwesend war, sich dabei allerdings ziemlich gelangweilt hat, wie aus seinen eigenen Aufzeichnungen hervorgeht).

So gibt es in Österreich auch keine »Sozialistengesetze« wie 1878–1890 im Deutschen Reich, wo Kanzler Bismarck auf einmal Sozialleistungen einführt, um den »Sozis« den Wind aus den Segeln zu nehmen, sondern lediglich heftige Polizeischikanen und 1871 einen bombastischen Hochverratsprozess gegen 14 Angeklagte, darunter den Wiener Agitator Andreas Scheu, der immer wieder als Parole ein Gedicht des französischen Dichters Gustave Leroy von 1848 zitiert:

Was wir begehren von der Zukunft Fernen?

Daß Brot und Arbeit uns gerüstet stehen,

daß unsre Kinder in der Schule lernen,

daß unsre Greise nicht mehr betteln gehen.

Diese Forderungen sind poetisch formuliert, benennen aber politisch ganz klare Ziele. Zwingend marxistisch sind sie nicht. Ihre anrührende Botschaft wird ein Leitbild für jene Bewegung sein, die Victor Adler zu Silvester 1888/1889 in Hainfeld aus roten Splittergruppen zur Deutschen sozialdemokratischen Partei in Österreich oder auch Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) eint (Details dazu in: Martin Haidinger, Franz Josephs Land, Seite 186 ff.). Marx’ und Engels’ Kommunistisches Manifest gilt in dieser Sammelpartei zwar als eine ferne Zukunftsvision, aber nicht allen als Handlungsanweisung. Neben Adler finden wir in ihren Reihen unter anderen zwei Karln wieder, die uns bis weit ins 20. Jahrhundert begleiten werden:

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