Читать книгу Jedermanns Land - Martin Haidinger - Страница 16

KAISER KARL I. (1887–1922)

Оглавление

Einem alten Witz zufolge soll Kaiser Karl nach seiner Thronbesteigung den Kriegsminister kommen lassen und ihm feierlich mitgeteilt haben: »Teilen Sie Ihren Generälen mit, dass die Schlampereien ab sofort aufzuhören haben. Von jetzt an wird gesiegt!«

Der junge Mann auf dem alten Thron hat nicht viel Zeit, für seine Völker in die Vaterrolle zu schlüpfen, die nach dem Tod seines Großonkels und Vorgängers vakant geworden ist. Franz Joseph I. hat am 21. November 1916 nach 68 Regierungsjahren für immer die Augen geschlossen. Karl I. ist 29 Jahre alt und mit der dynamischen Zita von Bourbon-Parma verheiratet, der in Zeiten nationaler Erregung von vielen Seiten Misstrauen entgegenschlägt. Sie ist italienischer Herkunft, eine Nachkommin von »französischen Fürsten, die in Italien regiert haben«, wie ihr Vater Herzog Robert von Parma zu sagen pflegte. Derlei spielt im kosmopolitischen europäischen Hochadel zwar eher keine Rolle, stößt aber vielen einfachen Menschen in Österreich sauer auf. Denn die Soldaten Österreich-Ungarns kämpfen im Süden gegen Italien, den einstigen Verbündeten, der 1915 – wie es allgemein heißt – Österreich überfallen hat. Diese Vorbehalte wird Zita noch zu spüren bekommen …

Ende des Jahres 1916 ist die moderne, industrielle und besonders brutale Kriegsführung samt Ausrüstung in der k. u. k. Armee angekommen, und die Moral der Truppen ist eigentlich recht hoch, ganz im Unterschied zur Heimat, wo die Menschen durch die alliierte Lebensmittelblockade hungern. 1917 wird die österreichisch-ungarische Armee noch einen Sieg erringen: In der 12. Isonzoschlacht, auch das »Wunder von Karfreit« genannt, drängen Österreicher und Deutsche im Oktober nicht zuletzt durch den Einsatz von besonders mörderischen neuen Giftgaswerfern mit Chlorarsen und Diphosgen die Italiener bis zum Piave zurück, doch der Nachschub lässt aus, die Offensive versickert.

Während der Krieg seine Opfer unter den einfachen Menschen, ob militärisch oder zivil, fordert, wird in den politischen Chefetagen schon über das weitere Schicksal ihrer Länder befunden. Für Frankreich und Großbritannien ist die Zerschlagung der Habsburgermonarchie bald ein erklärtes Kriegsziel. Dafür sorgen die Ideen der Großhirne einer neuen Weltordnung. Sie sitzen in Paris und London, aber auch in den Denkfabriken des demokratischen Präsidenten der USA, Woodrow Wilson. Vor allem die beiden britischen Historiker Henry Wickham Steed und Robert William Seton-Watson tendieren in diese Richtung. Beide Herren sind eng mit nationalistischen Exilpolitikern wie den Tschechen Tomáš Garrigue Masaryk und Edvard Beneš befreundet, die ihrerseits in Großbritannien, Frankreich und in den USA gegen Österreich agitieren. Ihre Vision von homogenen Nationalstaaten mit einheitlichen Staatssprachen übernehmen Angloamerikaner wie Präsident Wilson nur zu gern, obwohl diese Idee im Fall des alten Österreich-Ungarn mit seinen verstreut und vermischt lebenden Nationalitäten ohne Vertreibung, Mord und Totschlag undurchführbar und schon in der Theorie von Beginn an ein Widerspruch zu Wilsons angestrebtem Selbstbestimmungsrecht der Völker ist, das er 1918 in 14 Punkten veröffentlicht. In Punkt 10 heißt es dort: »Den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden.«

Das wird dann in Wirklichkeit für alle, nur nicht die Österreicher und die Deutschen, gelten. Wenig diplomatisch wird sich darüber Wilson, der sich selbst in Europa nicht auskennt, dann 1919 bei der Friedenskonferenz in Versailles äußern: »Ich habe Deutschland immer verabscheut. Ich bin dort nie gewesen.« Österreich ist hier wohl mit gemeint. Schon 1915 hat Wilson dessen Botschafter Konstantin Dumba unter Spionageverdacht des Landes verwiesen. Ein von Wien entsandter Nachfolger wird zu Jahresbeginn 1917 nicht mehr akzeptiert. Die diplomatischen Beziehungen sind also vor dem Kriegseintritt der Amerikaner einseitig durch die USA abgebrochen worden.

So ist Österreich-Ungarns Schicksal 1917 bereits besiegelt. Österreich wird vom Global Player zur Verschubmasse der Weltpolitik. Das ist dem jungen Kaiser Karl nicht bewusst. Verzweifelt versucht er, sein berstendes Reich aus dem Krieg herauszuwinden, übernimmt persönlich den Oberbefehl über die Armee und beendet damit die Diktatur des Militärs, lässt den Reichsrat wieder zusammentreten, begibt sich mit seiner Frau auf PR-Tour an die Kriegsschauplätze, beschwört die Moral der Truppen wie des Hinterlandes und lässt sich neben Zita und seinen vier Kindern (am Ende seines Lebens werden es insgesamt acht sein) betont familiär und gottergeben fromm darstellen. Vor allem will er nun seine Armee aus dem gemeinsamen Oberbefehl, den das Deutsche Reich innehat, herauslösen und einen Sonderfrieden mit den westlichen Alliierten, den »Entente-Mächten«, schließen. Dieses Ansinnen wird durch eine pikante Affäre torpediert. Sie bleibt nach außen hin noch geheim, fliegt 1918 aber durch eine gezielte Indiskretion des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau auf und sorgt vor allem in der reichsdeutschen Öffentlichkeit für Empörung über den österreichischen Kaiser: die sogenannte »Sixtus-Affäre«.

Im März 1917 schreibt Kaiser Karl eine Geheimbotschaft an den französischen Präsidenten Poincaré, in der er die Bedingungen für einen Sonderfrieden mit Österreich auslotet. Den Verbündeten Deutschland will er dabei umgehen. Er werde, so schreibt der Kaiser, »unter Anwendung meines ganz persönlichen Einflusses bei meinen Verbündeten die gerechten Rückforderungsansprüche Frankreichs mit Bezug auf Elsaß-Lothringen unterstützen«. Überbringer des Briefes waren Sixtus und Franz Xaver, die Brüder von Kaiser Karls Frau Zita und Offiziere der belgischen Armee, also einer feindlichen Macht. Der österreichische Außenminister Graf Ottokar Czernin war von diesen Friedensbemühungen unterrichtet, kannte aber wahrscheinlich nicht den genauen Inhalt der Briefe. Die deutschen Verbündeten sind jedenfalls vor den Kopf gestoßen, Karl wird von ihnen noch enger in die Pflicht genommen, und Österreich bleibt bis zum bitteren Ende in das Bündnis der »Mittelmächte« eingeschweißt. US-Außenminister Robert Lansing befindet im Mai 1918 in einem Memorandum an Präsident Wilson: »Die Habsburgermonarchie ist nun eindeutig zu einem Satelliten Deutschlands geworden. Sie muss als Reich ausgelöscht werden.« Wilson setzt nur zwei Worte darunter: »Bin einverstanden.«

Für Österreichs Deutschnationale, und nicht nur für sie, ist vor allem Zita eine Verräterin, und für die anderen Nationalisten ist der Zug »Österreich« ohnehin schon abgefahren. Fatalerweise schlägt sich das auch in den Medien nieder, denn Karl hat die Zensur gelockert und etliche Hochverräter, (vor allem tschechische) Nationalisten und andere politische Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen, darunter auch den Mörder Stürgkhs, Friedrich Adler. Karl hat immer weniger politischen Spielraum, will den Südslawen eine Dreifachmonarchie »Österreich-Ungarn-Jugoslawien« anbieten, was wiederum die Ungarn wütend ablehnen und bekämpfen. Im wiedereröffneten Reichsrat stellen die Tschechische Union und der jugoslawische Klub nationale Forderungen. In Habsburgs Ländern beginnen Sezessionsbewegungen. Da hilft es auch nicht, dass am 3. März 1918 Russland aus dem Krieg ausgestiegen ist, denn die heimkehrenden österreichischen Soldaten haben die Verheißungen der kommunistischen Revolution vernommen, welche die republikanische Regierung Kerenskis gestürzt hat und den abgedankten Zaren Nikolaus II. samt Familie ermorden wird. Im österreichischen Kriegshafen Cattaro (heute Kotor/Montenegro) meutern die Matrosen, 250 000 Rüstungsarbeiter im ganzen Land treten in den Streik. Die zurückströmenden Krieger bringen den »bolschewistischen Bazillus« mit in die Heimat, und mancherorts in den Weiten des zerfallenden Habsburgerreichs infiziert er auch die nationalen Bewegungen. Das alles vollzieht sich in Österreich und Ungarn in affenartiger Geschwindigkeit, in einem Szenario bröckelnder Fronten, Hungerdemonstrationen und Streiks für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeit, Brot und Frieden.

Die Obrigkeit kann gegen die Streikenden kaum Ordnungskräfte einsetzen, denn die sind an der Front. Und als die Soldaten nach und nach zurückkehren, sind sie entweder selbst schon rote Revolutionäre oder organisieren sich in gegenrevolutionären Frontkämpfervereinen, da ihnen nebst anderer Schikanen von den Kommunisten die Rangabzeichen von den Uniformen gefetzt werden. Kaiser Karl hat ein Ministerium für soziale Fürsorge geschaffen. Es versucht gemeinsam mit privaten Wohlfahrtsverbänden, die vorhandene Nahrung in den einzelnen Kronländern zu verteilen. Das »dezentralisiert« und »nationalisiert« das Leben der Menschen noch mehr, die Zentralgewalt ist dem Kaiser längst entglitten. Anfang Oktober 1918 schlägt die Steiermark Alarm. Die Ernährung der Bevölkerung ist nur noch für eine einzige Woche sichergestellt! Die Wiener Regierung erklärt sich für nicht mehr zuständig und ermächtigt die einzelnen Kronländer dazu, das Vorhandene an die Menschen zu verteilen.

Kaiser Karl, dem der grausame Tod des russischen Zaren tief in den Knochen sitzt, hat da schon erkannt, dass in dieser Situation die sozialdemokratische Partei seine wichtigste Ansprechpartnerin ist. Auch sie ist zwar kaum in der Lage, alle rumorenden Aufständischen zu bändigen, bleibt aber als Vertreterin jener Menschen bedeutsam, auf die es in Zeiten totalen Krieges ankommt: die Arbeiter der Faust, daheim in den Fabriken, in der Landwirtschaft, die kleinen Soldaten an den Fronten und im Hinterland. Karls Regierung macht die SDAP zur Partnerin, und wenn es auch nicht alle in Österreich gerne hören: Die Sozialdemokraten bewahren in diesen Wochen der Jahre 1918 und 1919 nicht nur Österreich vor einer kommunistischen Machtübernahme, sondern retten durch ihre moderate Führungsrolle in der revolutionären Gärung Kaiser Karl und seiner Familie wahrscheinlich das Leben.

Jedermanns Land

Подняться наверх