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a) Der Deliktsaufbau; die Widerrechtlichkeit insbesondere

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Gliedert man den Deliktstatbestand des § 823 I in seine Normelemente auf, so kann man zu folgendem Schema gelangen:

A ist dem B zum Schadensersatz verpflichtet, wenn

1. A den B geschädigt hat, indem er
2. ein absolutes Recht des B verletzt hat (Verletzungshandlung – haftungsbegründende Kausalität – Verletzungserfolg),
3. wenn ferner diese Verletzung widerrechtlich geschah
4. und von A verschuldet ist. Das ist der Fall, wenn A a) vorsätzlich oder fahrlässig handelte b) außer wenn ihm im Zeitpunkt der Handlung ausnahmsweise die nötige Verantwortlichkeit (Verschuldensfähigkeit) fehlte (§§ 827, 828, beachte aber § 829).

Rechtsfolge: Verpflichtung des A zum Ersatz des dem B durch die Verletzung (haftungsausfüllende Kausalität) entstandenen Schadens.

Dieser Aufbau des Deliktstatbestandes, bei dem die Elemente „Rechtsverletzung“, „Widerrechtlichkeit“ und „Verschulden“ säuberlich voneinander getrennt sind, entspricht der herkömmlichen Lehre. Er ist zur Vermeidung unnötiger Komplikationen für die Klausurtechnik durchaus zu empfehlen. Doch entspricht dieser Aufbau nicht der Einsicht in die inneren Zusammenhänge.

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Angelpunkt des Deutungsstreits ist das Merkmal „Widerrechtlichkeit“, das sich nach traditioneller Lehre auf den Verletzungserfolg bezieht (Lehre vom Erfolgsunrecht). Danach wird nicht die Handlung des Schädigers als unerlaubt gewertet, sondern die von ihm herbeigeführte Beeinträchtigung des deliktisch geschützten Rechts. Gewertet wird also nicht der Steinwurf, sondern der durch ihn herbeigeführte Bruch der Fensterscheibe. Folgerichtig trägt nach der hM der Verletzungserfolg bereits das Unwerturteil in sich: Die Beeinträchtigung eines absoluten Rechts ist also in der Regel auch widerrechtlich; der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Widerrechtlichkeit entfällt nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter Rechtfertigungsgründe (zB Einwilligung des Verletzten, Notwehr, § 227; Notstand, §§ 228, 904; Selbsthilfe, § 229). „Widerrechtlich“ ist also nach überkommener Lehre gleichbedeutend mit dem Fehlen von Rechtfertigungsgründen.

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Dass man diese Deutung mit Grund bezweifeln kann, zeigt Fall 9 (Rn 265): Der Radfahrer hat die körperliche Unversehrtheit des Kindes verletzt, obwohl er alle denkbaren Anstrengungen unternommen hat, die Verletzung zu vermeiden. Einer der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe (Notwehr etc) steht dem Radfahrer nicht zur Seite. Sollen wir also sagen, er habe das Kind rechtswidrig verletzt, obwohl er zur Vermeidung dieses Erfolges alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat?

Dies bejaht die oben beschriebene Lehre vom Erfolgsunrecht. Ihr steht die Doktrin vom Handlungsunrecht gegenüber. Diese bezieht das Merkmal „widerrechtlich“ nicht isoliert auf den Verletzungserfolg, sondern auf die zum Verletzungserfolg führende Handlung. Das bedeutet: Erst die Pflichtwidrigkeit des Handelns begründet das Unwerturteil. Da aber derjenige nicht pflichtwidrig handelt, der zwar ein absolutes Recht beeinträchtigt, gleichwohl aber alles getan hat, um diesen Erfolg zu vermeiden, folgt wiederum: Eine Rechtsverletzung, die weder vorsätzlich noch fahrlässig geschah, ist auch nicht widerrechtlich.

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Näher betrachtet geschieht die Wertung der Handlung als „widerrechtlich“ für das vorsätzliche und für das unvorsätzliche Verletzungshandeln in unterschiedlicher Weise. Die vorsätzliche Beeinträchtigung eines Rechts ist in der Regel pflichtwidrig (widerrechtlich), weil es im gesellschaftlichen Kontakt generell nicht erlaubt ist, in die geschützten Interessen eines anderen gewollt einzugreifen: Hier bedarf es eines besonderen Rechtfertigungsgrundes, um die Rechtmäßigkeit der Handlung ausnahmsweise zu begründen. Die unvorsätzliche Beeinträchtigung eines Rechts ist hingegen nur dann widerrechtlich, wenn sie fahrlässig im Sinne des § 276 II, dh entgegen einem im sozialen Kontakt auferlegten Sorgfaltsgebot geschieht; hier gibt es keine Vermutung für die Widerrechtlichkeit; die Rechtfertigungsgründe sind für vorsätzliche Delikte konzipiert.

Folgt man diesem Konzept, so ergibt sich folgender Deliktsaufbau des § 823 I:

A ist dem B zum Schadensersatz verpflichtet, wenn

1. A den B geschädigt hat,
2. indem er ein absolutes Recht des B verletzt hat (= die im absoluten Recht geschützten Interessen des B beeinträchtigt hat),
3. und zwar pflichtwidrig = widerrechtlich a) entweder vorsätzlich, ohne dass Rechtfertigungsgründe vorliegen b) oder fahrlässig,
4. es sei denn, dass A gemäß §§ 827, 828 nicht verantwortlich ist (beachte aber § 829).

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Die Erkenntnis, dass derjenige, der weder vorsätzlich noch fahrlässig handelt, auch keine Widerrechtlichkeit begeht, hat der BGH (Großer Senat, BGHZ 24, 21) für den Bereich des Straßenverkehrs akzeptiert. Doch konnte sich das Gericht nicht dazu entschließen, die Lehre vom Handlungsunrecht allgemein aufzunehmen. Der BGH bleibt also bei der Theorie vom Erfolgsunrecht und konstruiert speziell für den Straßenverkehr einen besonderen Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens. Diese Rechtsprechung ist nicht folgerichtig: Warum soll im Straßenverkehr das Handeln der Menschen nach anderen Kriterien beurteilt werden als auf den übrigen Feldern menschlichen Zusammenlebens?

Literatur:

Die Deutung der unerlaubten Handlung ist streitig, siehe: E. v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, DJT – Festschrift II, 49; R. Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, 1960; E. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. Aufl. 1995; W. Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, 1966; M. Gruber, Freiheitsschutz als Zweck des Deliktsrechts, 1998; N. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; A. Zeuner, Gedanken über Bedeutung und Stellung des Verschuldens im Zivilrecht, JZ 1966, 1; H. Stoll, Unrechtstypen bei Verletzung absoluter Rechte, AcP 162, 203; C. Becker, Schutz von Forderungen durch das Deliktsrecht?, AcP 196, 439; E. Picker, Vertragliche und deliktische Schadenshaftung, JZ 1987, 1041; M. Rohe, Gründe und Grenzen deliktischer Haftung – die Ordnungsaufgaben des Deliktsrechts, AcP 201, 117; C.-W. Canaris, Grundstrukturen des deutschen Deliktsrechts, VersR 2005, 577; A. Röthel, Unerlaubte Handlungen, Jura 2013, 95; J. Mohr, Rechtswidrigkeit und Verschulden im Deliktsrecht, Jura 2013, 567.

Allgemein zum Deliktsrecht:

E. Deutsch/H.-J. Ahrens, Deliktsrecht. Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz, Schmerzensgeld, 6. Aufl. 2014; H. Ehmann, Deliktsrecht mit Gefährdungshaftung, 2014; M. Fuchs/W. Pauker, Delikts- und Schadensersatzrecht, 8. Aufl. 2012; H. Kötz/G. Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010. Zum europäischen Recht: Chr. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. 1, 1996; Bd. 2, 1999.

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