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1. Zur Unterscheidung von Persönlichkeits- und Vermögensrechten

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Die Frage nach den Kriterien, mit deren Hilfe eine schädigende Handlung als „erlaubt“ oder als „unerlaubt“ beurteilt wird, soll für den Anwendungsbereich des § 823 I als der Grundnorm des Deliktsrechts näher erläutert werden. Nach dieser Vorschrift handelt unerlaubt, wer ein bestimmtes Recht (Rechtsgut) eines anderen verletzt. Die entscheidende Frage geht also dahin, welche Rechte den Schutz des § 823 I genießen. Der Normtatbestand lässt diese Frage offen, indem er einige Persönlichkeitsgüter und das Eigentum aufzählt, um sodann mit der Formel „oder ein sonstiges Recht“ der Gesetzesanwendung Spielraum zu gewähren.

Wie schon in anderem Zusammenhang ausgeführt (Rn 187 ff), ist § 823 I nicht bei der Verletzung eines jeden Rechts einschlägig, sondern nur bei der Verletzung eines absoluten Rechts, dh eines Rechts, das dem Inhaber eine von jedem anderen zu beachtende Rechtsposition gewährt. Relative Rechte, die nur im Rechtsverhältnis bestimmter Personen zueinander bestehen, werden vom § 823 I nicht erfasst.

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Die absoluten Rechte lassen sich in Persönlichkeitsrechte und Vermögensrechte (wirtschaftliche Rechte) aufteilen. Eine solche Differenzierung hat einen gewissen Erkenntniswert, kann aber auch zu Missverständnissen Anlass geben. Die persönliche Entfaltung und die wirtschaftliche Betätigung des Menschen bilden nämlich nicht getrennte Lebensbereiche, sondern fallen weitgehend zusammen. Ohne wirtschaftliche Mittel kann der Mensch nicht existieren; je geringer die ihm zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Güter, desto geringer die Lebenschancen und desto substanzloser die Persönlichkeitsrechte. Die Person entfaltet sich in einem beträchtlichen Ausmaß gerade durch ihr Vermögen, am deutlichsten durch das Eigentum an Konsumgütern. Das Vermögen, ursprünglich ein personaler Begriff (was vermag eine Person? Nicht: was hat sie?), ist Grundlage der Freiheit. Andererseits sind auch die höchstpersönlichen Lebensäußerungen selten ohne wirtschaftlichen Einschlag, wie am deutlichsten die Arbeit beweist. Werte, die in der Personalität des Menschen wurzeln, können in gewissem Grade Objekte des Tauschverkehrs werden (Arbeitskraft gegen Lohn; Nutzung des Urheberrechts an einem literarischen Werk gegen Honorar; Lizenz zur Verwertung des eigenen Bildes in der Werbung gegen Entgelt).

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Das BGB sieht den Zusammenhang zwischen Person und Vermögen mit aller Deutlichkeit. Indem das Gesetz zum Beispiel bei Verletzung von Persönlichkeitsgütern den Ersatz des daraus entstandenen Vermögensschadens anordnet, schützt es die Persönlichkeitsrechte und das Vermögen gleichzeitig.

Wird zB jemand durch einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt und bedarf der ärztlichen Behandlung, so hat er einen Anspruch gegen den Schädiger auf Ersatz der Behandlungskosten aus § 823 I. Dieser Anspruch ist erstens um der körperlichen Unversehrtheit willen gegeben: Der Verletzte soll vom Schädiger wirtschaftlich in die Lage versetzt werden, für Heilung zu sorgen. Der Anspruch ist zweitens auch um der Vermögensinteressen des Geschädigten willen gegeben; er besteht nämlich auch dann noch, wenn der Geschädigte längst gesund geworden ist und den Arzt bezahlt hat, sodass nur mehr das Interesse am Ersatz der Vermögenseinbuße übrig geblieben ist. Damit hängt es auch zusammen, dass der Schadensersatzanspruch alle Nachteile umfasst, die durch die Körperverletzung für Erwerb und Fortkommen entstanden sind (§ 842). Die körperliche Unversehrtheit wird also auch um der in ihr liegenden Erwerbschancen willen geschützt.

Das gleiche gilt in unterschiedlichem Grade für alle Persönlichkeitsrechte. Bei einigen von ihnen ist der Einschlag der Vermögensinteressen so stark, dass die wirtschaftliche Seite sich verselbstständigen oder zur Hauptsache werden kann. So wurzelt das Urheberrecht in der Persönlichkeit dessen, der eine geistige Schöpfung hervorbringt; das Interesse an der wirtschaftlichen Verwertung des Werkes ist jedoch von herausgehobener Bedeutung, sodass man innerhalb des Gesamtbegriffs „Urheberrecht“ das Urheberpersönlichkeitsrecht und die wirtschaftlichen Verwertungsrechte unterscheidet.

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Die Differenzierung zwischen Persönlichkeits- und Vermögensrechten hängt mit dem Gleichheitssatz zusammen. Dieser gebietet nicht, dass den Menschen ein gleiches Maß an wirtschaftlichen Gütern zustehe. Das Zivilrecht teilt auch niemandem kraft seiner Geburt wirtschaftliche Güter zu. In dem Augenblick, da der Mensch geboren wird, findet er die Tatsache vor, dass die wirtschaftlichen Güter bereits aufgeteilt sind; der einzige Ausgleich, den er zivilrechtlich dafür erhält, sind die Unterhaltsansprüche gegen die Verwandten (§§ 1601 ff), voran gegen seine Eltern. Um darüber hinaus zu wirtschaftlichen Gütern in rechtlich gesicherter Weise zu gelangen, muss er sie nach den Rechtsregeln erwerben. Die Persönlichkeitsrechte hingegen stehen jedem Menschen infolge seines Daseins als Person in gleicher Weise zu. Sie sind zum Teil schon mit der Geburt voll ausgebildet, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit; teils sind sie bei Geburt erst potenziell vorhanden und verwirklichen sich im Verlaufe der Persönlichkeitsentwicklung: Mit der Fähigkeit zur selbstbestimmten Fortbewegung entsteht das Recht auf Freiheit (im zivilrechtlichen Sinne, Rn 327); mit der Erteilung eines Namens das Namensrecht, mit der Hervorbringung geistiger Schöpfungen das Urheberrecht, usw.

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