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Perfektionismus

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Klopps Ambition, sein Anspruch an sich selbst, ist die zweite Säule neben seiner Selbstbildung, die ihn zu so einem außergewöhnlichen Trainer macht. Andere Trainer geben sich mit weniger zufrieden als er. Sie geben einer Mannschaft einen gewissen Input und hoffen, dass dieser genügt. Taktische Aspekte werden normalerweise bis zu einem Level entwickelt, auf dem sie stabil funktionieren und alle Spieler damit zurechtkommen. Sie werden nicht perfektioniert; weder von der Idee noch von der Umsetzung her.

Klopp hingegen gibt sich nicht damit zufrieden, irgendein System zu haben – es soll das perfekte System sein. So formulierte er öffentlich, an seine Dortmunder Mannschaft den Anspruch zu haben, die kompakteste Mannschaft der Welt zu sein. Samuel Ipoua, 2000/01 Klopps Mitspieler in Mainz, berichtete einmal aus der gemeinsamen Zeit, dass ihm Klopp seinerzeit gesagt habe, eines Tages der beste Trainer Deutschlands zu sein. Auch nach seinem Aus beim BVB erneuerte Klopp seinen Anspruch an sich selbst:

„Ich bilde mich weiter, ich lese viel, ich treffe viele Leute. (…) Ich habe mir eine Auszeit genommen. Ich möchte nach der Auszeit nach Möglichkeit ein besserer Mensch, vor allem aber ein besserer Trainer sein.“

Klopp im September 2015

Am aufschlussreichsten ist aber vielleicht ein Satz aus seiner ersten Saison beim BVB. Damals sagte Klopp, dass er sich als Trainer endlich nicht mehr limitiert fühle; anders als in seiner Zeit als Spieler. So ist also das Selbstbild von Klopp: Er hat in seinen Trainerfähigkeiten kein Limit. Das heißt, es kann für ihn immer Weiterentwicklung geben. Folglich strebt er diese auch immer an.

Autodidaktischer Perfektionismus ist Klopps Lernmethode. Diese Herangehensweise ist elementar für das Verstehen von Klopps Arbeit. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass seine Arbeit visionär sein konnte. Dafür, dass Klopp seiner Zeit voraus sein und einen eigenen Stil entwickeln konnte. Ein Trainer, der nur gelernte Dinge umsetzt, kann immer nur mit etablierten Werkzeugen arbeiten und läuft damit grundsätzlich der Zeit hinterher. Um einen Vorsprung zu haben, muss man sich seine Werkzeuge selber konstruieren. Man muss Dinge tun, die die anderen noch nicht lernen konnten. Man muss eigenständig, kreativ und in gewissem Maße visionär sein.

Auch Klopps Mindset dabei ist außergewöhnlich. Er ist reflektiert, rational und differenziert in seinen Einschätzungen. Besonders bemerkenswert ist die Reflektiertheit bezüglich der eigenen Emotionalität. Er nutzt diese zwar, wann immer es Sinn ergibt und sich daraus Energie ziehen lässt, reflektiert aber dennoch stark genug, um emotional begründete Denkfehler zu erkennen. Beispielsweise erklärte er einmal auf einer Pressekonferenz, es gäbe zwei Ansätze, mit den erzieherischen Erfahrungen umzugehen, die man im Laufe seines Lebens macht: „Das hat mir nicht geschadet, das mache ich auch so“ und „Das fand ich fürchterlich, das werde ich niemals machen“. Seine Schlussfolgerung: Beide Ansätze sind Unsinn. Er reagiert also auf Erfahrungen nicht emotional schwarz-weiß, sondern versucht sie differenziert zu bewerten und mit einer gewissen Distanz einzuordnen.

Das ist eine Erkenntnisstrategie: die rationale Überprüfung und Verarbeitung von emotionaler Reaktion. Diese Fähigkeit führt auch dazu, dass Klopp so gut mit eigenen und fremden Emotionen hantieren kann. Dass er auf Pressekonferenzen häufig ganz explizit thematisiert, wie sich eine Situation anfühlt, und daraus dann Schlussfolgerungen zieht. Zwar hat er seine Emotionen nicht in jeder Situation im Griff – seine Ausraster am Spielfeldrand sind berüchtigt. Allerdings kann er im Allgemeinen seine Emotionalität gut für sich nutzen und besonders im langfristigen Prozess recht gezielt steuern. Die Brücke zwischen Rationalität, Emotionalität und Intuition schlagen zu können, ist eine herausragend wertvolle Fähigkeit für einen Fußballtrainer. Sie ist die Grundlage für eine passende Menschenführung, für eine wirkungsvolle Ansprache und eine taktische Analyse und Planung, die ins Gesamtgefüge passt.


Das kongeniale Trainertrio 2008 vor der ersten Saison in Dortmund: Peter Krawietz, Jürgen Klopp und Željko Buvač (v.l.)

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